
Politische Bildung ist, wenn man das mal so vereinfacht sagen kann, eine wichtige Sache. Demokratisch verfasste Gemeinwesen haben keinen Bestand, wenn Bürgerinnen und Bürger über die Absichten der jeweiligen Parteien im Unklaren gelassen werden. Und wer hin und wieder mal Radio hört, eine Talkshow guckt oder eine Zeitung aufblättert, wird feststellen, dass die mediale Grundversorgung mit politischen Informationen hierzulande als gesichert gelten kann.

In den vergangenen Wochen allerdings ist, gelinde gesagt, eine gewisse Überversorgung spürbar geworden. Aus allen Kanonen wurde kommuniziert, was die Parteien so versprechen, wofür sie stehen, was sie sich haben zuschulden kommen lassen. Gerade so, als hätten wir noch nie im Leben von der Union gehört, als wäre die SPD gerade erst gegründet worden, der Liberalismus ein innovatives Fremdwort und "grün" eine neue Farbe auf der politischen Palette.
Wahlkampf bringt Quote
Tatsächlich ist dies genau der Anspruch, mit dem Redaktionen ihre intensive Berichterstattung begründen. Es sollte, heißt es, "noch unentschlossenen Wählerinnen und Wählern" geholfen werden, sich eine Meinung zu bilden. Das ist der edle und einzige Grund für den gefühlten Overkill an Wahlkampfbegleitung. Das - und die Quote.
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Nie zuvor gab es mehr Kanäle, über die "noch Unentschlossene" sich informieren konnten. Und noch nie waren diese Kanäle so voll mit Informationen. Es sprudelte nur so aus den Öffentlich-Rechtlichen heraus, dicht gefolgt vom Privatfernsehen, das plötzlich das Politische für sich entdeckt haben will - und das auch noch besser macht. Es quoll nur so aus Boulevardblättern und Nachrichtenmagazinen.
Es gab Podcasts für Senioren und Jugendliche, verschiedene Wahlarenen, glitzernde Wahlshows, Einzelverhöre, Kindersendungen, Reportagen, Duelle, Trielle und Quadrillen.
Berichterstattung wie bei Olympischen Spielen
Zumal einzelne Sendungen im Fernsehen nicht nur wie olympische Wettbewerbe behandelt wurden, sondern wie eine vorgezogene Wahl selbst. Als wären Einschaltquoten gleichbedeutend mit Wählerstimmen. Einem Triell gehen "letzte Umfragen" voraus, ergänzt um prophetische Arithmetik. Bis zum eigentlichen Beginn gibt es einen Countdown wie für einen Raketenstart.
Läuft die Debatte endlich, wird sie von zahllosen Tweets begleitet wie ein Hai von Putzerfischchen. In ergänzenden Quatschrunden breiten danach Experten – gerne auch Thomas Gottschalk oder eine ehemalige Boxerin – ihre jeweiligen Meinungen aus. Abschließend erklärt uns wieder die Demoskopie, dass sich an den Verhältnissen durch den ganzen Zirkus nichts geändert hat.
Alles Politische verdampft
Ein Ergebnis dieser Druckbetankung mit Altbekanntem ist, dass alles Politische verdampft. Zwar könnte man inzwischen einzelne Slogans und Phrasen schon im Schlaf hersagen. Die erzwungene Zuspitzung auf einzelne Kandidatinnen oder Kandidaten, deren Charaktere, Gesichter, deren Mimik und Gesten bewirkt: Überdruss – einen Strömungsabriss des Interesses selbst bei Interessierten.
Es ist hohe Zeit, dass Politikerinnen und Politiker wieder Politik machen, statt fürs Fernsehen geschminkt ihre Sprüchlein aufzusagen. Sie sollen sich auch gerne streiten, gerne permanent. Dies aber an einem passenden Ort. Praktisch wäre ein großes Haus mit Glaskuppel, mitten in der Hauptstadt. Lasst uns deshalb bitte - endlich! - wählen gehen.