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Vor der Wahl
Warum das Digitale in Deutschland eine politische Herausforderung bleibt

Die Kritik von Experten ist umfassend: Die Digitalisierung in Deutschland sei noch immer völlig unzureichend. Schlecht gesteuert, wenig messbar, zu wenig Prioritäten. Dabei war die scheidende Bundesregierung in Sachen digitaler Transformation sehr aktiv. Versprechen die Parteien im Wahlkampf dennoch mehr?

Von Johannes Kuhn | 21.09.2021
Die Spitzenkandidaten und die -kandidatin der jeweiligen Parteien für die Bundestagswahl beim dritten TV-Triell: Olaf Scholz (SPD) (l-r), Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) und Armin Laschet (CDU/CSU)
Experten bemängeln die digitale Kompetenz der Politik in Deutschland (picture alliance / dpa / ProSieben /Seven.One / Willi Weber)
Baerbock: "Digitalisierung war, muss man deutlich sagen, die Aufgabe unserer Zeit"
Scholz: "Das ist wirklich peinlich, wie der Zustand der Digitalisierung in Deutschland ist."
Laschet: "Heute würde Ludwig Erhard vielleicht sagen: Digitale Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne digitale Wirtschaft ist - in naher Zukunft jedenfalls - alles nichts."
Ob in den Auftritten der Kandidaten und Kandidatinnen, oder in den Wahlprogrammen der Parteien: Das Wort "Digitalisierung" hat im Bundestagswahlkampf 2021 Konjunktur. Und auch in der Bevölkerung wächst das Bewusstsein, dass die digitale Transformation ein zentrales politisches Thema ist. Zumindest gibt sie das in Umfragen an. So ergab die jährliche Studie "Wie wir wirklich leben" des "Rheingold-Instituts" mit Blick auf das Wahlverhalten, "dass für die Ab-25-Jährigen und älter Digitalisierung sehr wichtig ist, und ein Thema, wo auch Handlungsbedarf besteht. Also, wir hatten acht Themen, die es zu bewerten gab und Digitalisierung war immer auf Platz 3 oder 4 bei diesen Altersgruppen."

Ernüchternde Bilanz

Sagt Valentine Baumert, die für die in Auftrag gebende Philip-Morris-Stiftung an der Studie mitgearbeitet hat. Einen Wahlkampf, in dem die Digitalisierungsstrategie einen ähnlichen Stellenwert wie Steuer-, Klima- oder Rentenpolitik einnimmt, erlebt Deutschland allerdings nicht. Dabei gäbe es genug zu diskutieren: Den Ausbau der Netze, die Digitalisierung der Schulen, den Nachholbedarf bei der digitalen Verwaltung, Regulierungsfragen von Facebook bis hin zu Online-Arbeitsplattformen. Diskussionsbedürftig auch die Rolle der Künstlichen Intelligenz in Wirtschaft und Gesellschaft, der Fachkräftemangel im IT-Bereich, die Cybersicherheit von Bürger und Bürgerin, Firmen und Staat. Achim Berg, Chef des IT-Branchenverbandes "Bitkom", zieht deshalb eine ernüchternde Bilanz - auch im Hinblick auf die Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, Armin Laschet und Annalena Baerbock.
"Wir haben viele Themen. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir jetzt auch bei den Kandidaten, dass wir da sehen, dass die wirklich im Detail verstehen, wie wichtig das Thema Digitalisierung für Deutschland, für die deutsche Wirtschaft ist."
Bundestagswahl 2021 - zum Dossier
Das Wichtigste zur Bundestagswahl im Überblick (Deutschlandradio / imago images / Alexander Limbach)

"Starke Buzz-Wordisierung"

Die Stiftung "Neue Verantwortung" kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Die Denkfabrik hat einige digitalpolitische Felder in den Wahlprogrammen der Parteien analysiert und bilanziert. Co-Autorin Julia Hess:
"Es ist halt eine starke Buzz-Wordisierung. Was eben auch bedeutet, dass Digital auch ganz gerne eben auch einfach viel vor Begriffe da vorgeschrieben wird, damit man damit eben einfach noch ein bisschen mehr Innovation reinbringen kann. In der Breite, also in der Quantität, ist es ein großes Thema. In der Qualität eher weniger."
In den sozialen Medien sorgte Anfang September eine Untersuchung des Berliner "European Center for Digital Competitiveness" für Aufmerksamkeit: Im so genannten "Digital Riser Report" wurde untersucht, wie stark Nationen in den vergangenen drei Jahren ihre digitale Wettbewerbsfähigkeit vorangetrieben haben. Deutschland landete dabei im europäischen Vergleich auf Rang 36: Das ist der vorletzte Platz, nur Albanien schnitt schlechter ab. Dabei war die scheidende Bundesregierung in Sachen digitaler Transformation aktiv wie nie zuvor. Die Digitalisierung zu verschlafen, das werfen Experten Angela Merkel und ihrer Regierung inzwischen nicht mehr vor. Allerdings habe man sich zwischen Einzelgesetzen, unterschiedlichen Fördermaßnahmen und der Gründung von Einrichtungen wie der "Sprunginnovations-Agentur" verzettelt.

Fehlende Messbarkeit, mangelnde Priorisierung, schlechte Steuerung

"Man hat in der gesamten Wahlperiode viele, viele kleine Projekte aufgesetzt, aber in vielen Bereichen eben dann doch nicht so den großen Fortschritt. Also: Wo ist genau der Fortschritt jetzt bei der digitalen Infrastruktur oder wie weit sind wir bei der digitalen Verwaltung?"
Internet - Branche gesteht Fehler bei Breitbandausbau ein
Flächendeckend schnelles Internet ist das Ziel. Doch der Breitbandausbau in Deutschland läuft nicht so schnell wie erhofft. Wo liegen Versäumnisse? Und wie ließen sich die Probleme bei der Digitalisierung beheben? Über diese Fragen wurde auf der Angacom diskutiert, einer Kongressmesse für Breitband und Medien.
Sagt Martin Schallbruch von der "European School of Management and Technology" in Berlin. Schallbruch war selbst bis 2016 im Bundesinnenministerium mit Digitalisierungsthemen befasst. Ganze sechs digitalisierungsrelevante Strategiepapiere hat das Bundeskabinett in den vergangenen vier Jahren verabschiedet. Mehr als 600 Vorhaben sind dort festgehalten.
"Und da ist so der kleinteiligste Krams dabei. Oder das wichtigste Thema. Und das steht alles weitestgehend unverbunden nebeneinander. Und es gibt keine vernünftige Struktur, die irgendwie sagt: Das hier sind unsere zehn Prioritäten und jeden Monat mal fragt: Wie weit sind wir mit unseren 10 Prioritäten gekommen, sondern da werden zwischen Hunderten Mitarbeitern in den Ministerien jetzt irgendwie diese 626 Maßnahmen da irgendwie abgearbeitet, mit viel Geld, und wir haben keinen wirklichen Fortschritt im Großen, den irgendjemand steuert und den man messen könnte."
Fehlende Messbarkeit, mangelnde Priorisierung, schlechte Steuerung: Fachpolitiker sehen hier großen Veränderungsbedarf. In der abgelaufenen Legislaturperiode sollte die digitale Transformation vom Kanzleramt koordiniert werden; sowohl von Kanzleramtschef Helge Braun, als auch von der CSU-Digitalstaatsministerin Dorothee Bär. Doch Bär erhielt weder die notwendige personelle Ausstattung noch politischen Einfluss. Das Konstrukt sei gescheitert, sagt die Grünen-Politikerin Tabea Rößner.
"Es reicht halt nicht, jemanden dazu zu benennen und dann Grüß August zu installieren, sondern es muss tatsächlich auch einen Kabinettsrang haben, dieser Koordinator. Er oder sie muss ausgestattet sein mit Geld, mit Personal. Und sie muss eben auch in der Lage sein, die Ministerien mit in die Pflicht zu nehmen, würde ich mal sagen."

Union und FDP fordern ein neues Digitalministerium

Union und FDP fordern in ihren Wahlprogrammen deshalb, die wichtigsten Digitalisierungsprojekte in einem neuen Digitalministerium umzusetzen. Die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken, selbst einst Digitalpolitikerin, ist dagegen skeptisch: Sie glaubt nicht, dass ein eigenes Ministerium den dringend notwendigen Aufholprozess beschleunigen würde.
"Damit wären wir mindestens zwei oder drei Jahre beschäftigt damit, Zuständigkeiten neu zu verteilen. Und wir würden zwei oder drei weitere Jahre zurückgeworfen in dem, was wir zu tun haben. Und deswegen bin ich der Auffassung, der Aufbau eines Digitalisierungsministeriums wäre in den Achtziger Jahren eine tolle Idee gewesen, ist aber heute erstens nicht mehr zeitgemäß und zweitens sind wir schon viel zu weit vorangeschritten."

Die Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär (CSU), im Bundestag
Die amtierende Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär (CSU), wirbt für ein Digitalministerium (dpa-Bildfunk / Gregor Bauernfeind)
Wie Union und FDP wirbt auch die amtierende Digitalstaatsministerin Dorothee Bär von der CSU für ein solches Ministerium - nicht nur, weil sie bei einer unionsgeführten Regierung gute Chancen auf diesen Posten hätte. Aber es ginge letztlich um das "Wie", meint Bär:
"Wenn, brauchen wir wirklich eine schlagkräftige, eine ganzheitliche Verantwortungszuordnung für die digitalen Themen. Wir haben halt sehr viel Reibungsverluste durch Abstimmungen oder durch fragmentierte oder geteilte Zuständigkeiten. Der Erfolg hängt eben von der kompetenzrechtlichen Ausstattung und auch der strukturellen Ausgestaltung ab."
Heißt: Geld, Personal, Entscheidungsmacht, klare Zuständigkeiten. Also das, was Bär als Staatsministerin bislang fehlte.
"Zum Scheitern verurteilt wär’s, wenn man sagt: Man baut ein 14. Haus, macht ein Schild hin und schickt jetzt irgendjemanden rein und sagt jetzt ‚So, du bist jetzt hier für alles verantwortlich.‘ Dann braucht man’s auch nicht."
Der ehemalige Leitende Ministerialmitarbeiter Martin Schallbruch sieht die Fokussierung auf die Frage, ob es nun ein Digitalministerium geben soll oder nicht, inzwischen kritisch.
"Ich habe gerade ein bisschen die Sorge, dass wir nach der Bundestagswahl ein Digitalministerium bekommen, was dysfunktional ist, was uns nicht hilft. Wo dann irgendwie alle möglichen Innovation-Units errichtet werden für irgendwas, die jeden Tag Ideen produzieren. Aber diese eigentlichen Umsetzungsprobleme, die ja eher so den harten Kampf mit den Strukturen implizieren, dadurch gar nicht gelöst werden."
Apps statt Ablage - Der lange Weg zur digitalen Verwaltung
Corona hat schonungslos offengelegt, wie schlecht es um die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung steht. Faxgeräte, Papierformulare und Wartenummern sind dort immer noch Alltag. Doch so langsam kommt Bewegung in einen trägen Apparat.
Der harte Kampf gegen überholte Strukturen muss vor allem in der Verwaltung geführt werden. Nur wenige Behördengänge lassen sich bislang in Deutschland online erledigen - was im Corona-Lockdown noch einmal schmerzhaft in Erinnerung gerufen wurde. Bis Ende 2022 soll sich das ändern: Bund, Länder und Kommunen sollen dann 600 Verwaltungsleistungen digital anbieten: Von der Ummeldung bis zum Förderantrag. Doch der Termin gilt als kaum zu halten, gibt es doch zahllose Hindernisse: Das Zusammenspiel von Bund, Ländern und Gemeinden ist komplex, der Absprachebedarf entsprechend hoch, die fachliche Kompetenz variiert. Vor allem aber geht es nicht nur um die Entwicklung der entsprechenden Software, sondern es muss in verschiedenen Feldern nachdigitalisiert werden - bei den Verwaltungsregistern, bei den Online-Zugängen für Bürger und Bürgerin, bei der Formulierung von geltenden Gesetzen.
"Ich werde wissen, wie gewinnt man denn die Länder. Wenn du es zu brachial macht, hast du 16:0 gegen dich. Und dann passiert wieder gar nix. Also, zu wissen, wo ist die gemeinsame Chance und wie kriegt man eine neue Erzählung gemeinsam hin. Das war kein Schuldbekenntnis von mir, Angela, sondern das war nur eine Beschreibung"(Lachen), so jüngst Kanzlerkandidat Armin Laschet auf einer Digitalisierungsveranstaltung in Anwesenheit der Bundeskanzlerin.

Gemeinwohl in der Digitalisierung - Neues Bündnis "F5" fordert mehr Bürgernähe Ob Schulen, Rathäuser oder Gesundheitsämter - die Digitalisierung verläuft an vielen Stellen holprig und wenig bürgernah. Das ginge auch anders, sagt Matthias Spielkamp von AlgorithmWatch. Ein neues Bündnis "F5" tritt für mehr Gemeinwohl ein.
Die CDU verbindet die Digitalisierung der Verwaltung mit dem Versprechen eines "Modernisierungsjahrzehnts". Digitalisierung als Update für den Staat, diese Vorstellung zieht sich durch fast alle Wahlprogramme. So propagiert die FDP den "One-Stop-Shop-Bürgerservice", die Grünen stellen der Verwaltung "modernste technische Ausstattung" in Aussicht und die SPD will Staat und Verwaltung zum "Innovationstreiber" machen.
"Also man merkt schon, dass zum Beispiel die CDU/CSU mit dem Begriff "Modernisierungsjahrzehnt" versucht, so ein bisschen den Finger in die Wunde zu legen und grundlegende Strukturen zu hinterfragen. Ähnlich sieht es auch aus bei den Grünen. Gleichzeitig fehlt dann aber häufig dieses konkrete "Wie"."
Sagt Julia Hess, die für die Stiftung "Neue Verantwortung" die digitalen Verwaltungspläne analysiert hat.
"Die SPD priorisiert weder bestimmte Themen oder positioniert sich klar. Und bei der FDP ist es eben so, gerade mit Blick auf Verwaltungsdigitalisierung, dass sie da sehr, sehr viele Ideen hatten 2017 und jetzt 2021 den fünften Schritt vor dem ersten machen wollen - indem sie zum Beispiel fordern, Virtual Reality in den Verwaltungen einzusetzen, wenn hier bisher das einzige, was wir machen können als Bürger*innen in der Verwaltung, ist, online den Termin zu beantragen."

Kabel für den Breitband-Internet-Ausbau liegen auf einer Wiese zwischen Grashalmen, im Hintergrund ist schemenhaft ein Haus zu erkennen.
Deutschland hat beim Ausbau seines Glasfasernetzes noch Nachholbedarf. (imago images / Manngold)
Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Ausbau der Netze. Im Mobilfunkausbau gab es zuletzt Fortschritte, der Bundesnetzagentur zufolge sind jedoch 11 Prozent der Fläche in Deutschland weiterhin schlecht versorgt. Beim klassischen Breitband-Ausbau liegt Deutschland weit zurück: Nur 5,4 Prozent der stationären Internet-Anschlüsse liefen 2020 über ein schnelles Glasfasernetz. Das ist der fünftletzte Platz unter den OECD-Ländern. Julia Hess von der Stiftung "Neue Verantwortung" skizziert die Grundsatzfragen so:
"Sollte man ihnen diesen Ausbau über private Unternehmen, über Subventionen und Anreize eben für Privatunternehmen schaffen? Oder sollte man das Ganze eher über die Kommunen machen, die den Ausbau selbst in die Hand nehmen? Da gehen die Meinungen ganz stark auseinander, aber da gibt es jetzt auch nicht wahnsinnig interessante neue Ideen, sondern auch da ist die Debatte relativ alt."
Ohne dass man in der Debatte bislang entscheidend weitergekommen wäre. Die größten Gegensätze weisen dabei FDP und Linke auf: Die Linke fordert die Verstaatlichung der Netze. Die Liberalen wiederum wollen die Rolle des Staates auf Zuschüsse für Hauseigentümer, private Endkunden und Firmen beschränken, die dann selber für die entsprechende Nachfrage beim Ausbau sorgen sollen. Für die Union sollen die Kommunen den Ausbau in Eigenregie vorantreiben, wenn es sich für Telekom und Co. wirtschaftlich nicht lohnt. Die SPD will den Netzbetreibern konkretere Ausbaupflichten auferlegen, ähnlich wie die Grünen, die zudem ein durchsetzbares Recht auf schnelles Internet verankern wollen. Die AfD bleibt in ihrem Programm vage - die Stiftung "Neue Verantwortung" hat das Wahlprogramm mangels digitalpolitischer Substanz daher gar nicht erst untersucht. Insgesamt klingen in der Digitalisierungspolitik parteipolitische Positionen an, die sich auch sonst durch die Programme ziehen. Die Grünen zum Beispiel verbinden Digitalisierung mit Klimapolitik. Es gehe darum, digitale Prozesse und Geräte emissionsärmer zu machen, zugleich aber Digitalisierung auch als Instrument für den Klimaschutz zu nutzen, so die Grüne Tabea Rößner.
"Das ist das eine, was die Green-IT selber betrifft: Das heißt also, Digitalisierung auch wirklich nachhaltiger zu gestalten. Und das andere ist, die Effizienzsteigerung durch eine - dann aber bitte - nachhaltige Digitalisierung. Also, indem wir Stromflüsse besser leiten können und damit die Effizienz steigern können."

SPD will ein Recht auf lebenslange Weiterbildung

Die Union stellt dagegen die Digitalisierung der Wirtschaft als Standortfrage nach vorne, will dort weniger Vorschriften und mehr Anreize. Die SPD wiederum blickt eher aus Arbeitnehmersicht auf die digitale Transformation. So verknüpft Co-Chefin Saskia Esken das Thema mit dem Recht auf lebenslange Weiterbildung.
"Die größte Angst ist ja erstmal: Ich genüge mit dem, was ich gelernt habe, nicht mehr den neuen Anforderungen.Und da muss Sicherheit gegeben werden."
Die FDP will so genannte "digitale Freiheitszonen" errichten, also Regionen, in denen Firmen speziell gefördert werden und weniger staatliche Auflagen erfüllen müssen. Die Linke hingegen sieht den Staat als wichtigsten Akteur, zum Beispiel bei der Regulierung von Firmen wie Facebook, Airbnb oder Amazon. Und die AfD will Social-Media-Plattformen wie Facebook weitestgehend das Recht nehmen, Kommentare zu löschen. Nationales, parteipolitisches Denken überlagert dabei etwas Anderes: Die wachsende geopolitische Bedeutung der Digitalisierungspolitik. Dabei suchen Deutschland und Europa einen dritten Weg zwischen zwei Machtzentren. Auf der einen Seite China, das nicht nur seine Bevölkerung digital überwacht, sondern auch die Digitalisierung seiner Wirtschaftszweige gezielt steuert. Auf der anderen Seite stehen die USA mit ihren global agierenden Technologie-Konzernen. "Digitale Souveränität" lautet das Schlagwort, in dessen Kontext seit einigen Jahren auch in Deutschland über eine stärkere Selbstbestimmung im Digitalbereich diskutiert wird. Julia Pohle vom "Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung" erklärt, was darunter zu verstehen ist:
"Sowohl wirtschaftspolitische Diskussionen zur fehlenden Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, aber auch sicherheitspolitische Diskussionen zu fehlenden Kompetenzen, was sowohl die Entwicklung von Technologien, aber auch den Schutz von digitalen Infrastrukturen angeht. Aber auch andere Diskussionsstränge kommen da mit rein, eben zum Beispiel bildungs- und forschungspolitische Fragen zu ‚Wie gehen wir überhaupt mit Digitalisierung um?‘"

Digitale Eigenständigkeit

Die Expertin Pohle hält prinzipiell für sinnvoll, digitale Eigenständigkeit anzustreben.
"Allerdings müssen wir uns da auch klar sein, dass wir da so weit hinterher liegen hinter China und den USA, dass wir diesen Vorsprung im Prinzip niemals aufholen können. So dass eben die Frage ist: auf was konzentriert man sich da wirklich konkret?"
Die "Neue Seidenstraße" - Chinas Engagement in Europa und die Antwort des Westens
Chinas Plan, mit der "Neuen Seidenstraße" eine Wirtschaftsstraße bis nach Westeuropa zu errichten, scheint aufzugehen. Das Engagement Pekings stößt in Deutschland sowohl auf Gegenliebe als auch auf Widerstand. Die Sorge vor Einflussnahme und starken Abhängigkeiten wächst.

Ein Teil der Wertschöpfung in der digitalisierten Welt sei für Deutschland und Europa verloren, das räumt auch FDP-Digitalpolitiker Manuel Höferlin ein. Er setzt seine Hoffnung auf die nächste Phase.
"Wir werden nicht die Chipproduktion in der Breite nach Europa zurückholen. Aber das Design von Chips kann schon in Deutschland, in Europa stattfinden. Wir werden vielleicht nicht mehr eine Suchmaschine für Endbenutzer in Europa aufbauen können. Aber wer sagt denn, dass wir nicht die Organisation von Datenverarbeitung, vielleicht auch in der Steuerung von Industrie, aber auch des Internet der Dinge, in Europa organisieren können?"

Künstliche Intelligenz ist die Zukunft

Die scheidende Bundesregierung hat in diverse Kompetenzzentren rund um Zukunftstechnologien wie Quantencomputer und "Künstliche Intelligenz" investiert, zudem gibt es EU-weite Programme zur Technologieförderung. Bitkom-Chef Achim Berg ruft die nächste Koalition dazu auf, sich auf Wesentliches zu konzentrieren.
"Zum Beispiel bei dem Thema "Künstliche Intelligenz" würde ich wenige Themen besonders fördern. Zum Beispiel sind wir sehr gut im Automobilsektor, gerade so selbstfahrende Autos. Wir sind sehr gut in der Medizin und Medizintechnik. Ich würde diese beiden Bereiche nehmen und die besonders fördern, um hier auch wirklich auf dem Weltmarkt die absolute Führungsposition einzunehmen. Das Gleiche gilt für Quantencomputer und so weiter. Also gerade in der Förderung von Technologien lieber wenige richtig, als mit der Gießkanne durchzulaufen."

Bild eines Bitcoins auf einer Leiterplatte
Für Deutschland stehe in der Zukunft viel auf dem Spiel, meint Bitkom-Chef Achim Berg, wenn die Digitalisierung nicht fortschreite (imago | K. Schmitt)
Die Welt befindet sich im wohl größten technologischen Umbruch seit der industriellen Revolution. Für die nächste Bundesregierung, egal, wie sie sich zusammensetzen wird, bedeutet das: Die digitalen Veränderungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Staatswesen zu lenken und dabei gleichzeitig erst einmal bei den Grundlagen aufzuholen. Und das bei einem spürbaren Fachkräftemangel im IT-Bereich. Eine immense Herausforderung. Achim Berg steht nicht allein, wenn er prophezeit:
"In den nächsten zehn Jahren wird noch deutlich mehr passieren als in den letzten zehn Jahren. Das heißt, das Thema Digitalisierung, Geschwindigkeit, wird deutlich zunehmen. Von daher ist das, was Deutschland zu verlieren hat, verflixt viel."