Dienstag, 26. September 2023

Glyphosat
Krebsgefahr vom Acker oder Segen für die Landwirtschaft?

Bis zu 40 Prozent der deutschen Äcker werden mit Glyphosat gespritzt. Dabei steht der Unkrautvernichter im Verdacht, krebserregend zu sein. Die EU hat ihren Mitgliedern nun empfohlen, die Zulassung zu verlängern. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

22.09.2023

    Ein Traktor spritzt auf einem Maisfeld.
    Von Weizen über Mais bis Raps: Viele Bauern setzten bei der Unkrautvernichtung auf Glyphosat. Das hat unter anderem Kostengründe. (picture alliance / Countrypixel / FRP)
    Weltweit spritzen Bauern ihre Felder mit dem Unkrautvernichter Glyphosat. Doch das Herbizid ist hochumstritten: Einige Experten warnen, es sei krebserregend, andere bescheinigen dem Mittel Unbedenklichkeit. Der Glyphosat-Streit beschäftigt auch die EU: Das Mittel darf offiziell noch bis zum 15. Dezember 2023 EU-weit gespritzt werden.
    Doch am 20. September hat die EU-Kommission ihren Mitgliedern vorgeschlagen, die Zulassung des Pestizids um zehn weitere Jahre zu verlängern. Dafür ist eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten notwendig. Die maßgebliche Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hatte im Juli anhand neuer Studien bekräftigt, dass sie keine inakzeptablen Gefahren sieht. Das Ringen um den Unkrautvernichter geht also weiter.

    Überblick

    Eine Grafik zeigt, wieviele Tonnen glyphosathaltige Unkrautbekämpfungsmittel jährlich in der deutschen Landwirtschaft zum Einsatz kommen.
    Glyphosat in der deutschen Landwirtschaft (dpa-infografik GmbH / dpa-infografik GmbH)

    Was ist Glyphosat? Wie und wo wird es eingesetzt?

    Glyphosat ist einer der meistverkauften Unkrautvernichter der Welt. Entwickelt wurde das Herbizid in den 1970er-Jahren vom US-Konzern Monsanto, der heute zu Bayer gehört. In Deutschland ist Glyphosat seit 1974 zugelassen und wird von Landwirten und Gartenbauern intensiv genutzt: Bis zu 40 Prozent der deutschen Äcker werden damit gespritzt, von Weizen über Mais bis Raps.
    Auch die Deutsche Bahn setzte Glyphosat lange entlang ihrer Schienen zur sogenannten Vegetationskontrolle ein. 2019 erklärte der Konzern, künftig darauf zu verzichten. Bis 2021 wurde Glyphosat auch in öffentlichen Parks und von Hobbygärtner eingesetzt, inzwischen ist das verboten.  
    Auch wenn das chemische Pflanzenschutzmittel von der EU zugelassen ist, wird es nicht EU-weit verwendet. Österreich etwa beschloss 2019 ein gänzliches Glyphosat-Verbot.
    Auch die deutsche Bundesregierung will das Pflanzenschutzmittel verbieten. Darauf haben sich SPD, Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt. Vielen deutschen Bauern dürfte das gar nicht gefallen: Glyphosat ist günstig und gilt als bodenschonend.

    Ist Glyphosat krebserregend?

    Glyphosat steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Allerdings streiten Experten weltweit über diese Frage. Die zur Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehörende Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) warnte 2015, Glyphosat sei beim Menschen „wahrscheinlich krebserregend“.
    Dagegen gehen etwa das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und die EU-Chemikalienagentur (ECHA) davon aus, dass der Wirkstoff nicht zu Krebserkrankungen führt, vor allem nicht in den geringen Mengen, die vom Menschen aufgenommen werden.
    Der Toxikologe Peter Clausing weist darauf hin, dass bei drei von fünf wissenschaftlichen Versuchsstudien mit Mäusen Lymphdrüsenkrebs nachgewiesen worden sei. Die Entsprechung beim Menschen sind die sogenannten Non-Hodgkin-Lymphome, eine Krebsart, die verstärkt vor allem in den USA aufgetreten ist.
    In den Vereinigten Staaten landete der Streit in den vergangenen Jahren vor Gericht: Zehntausende Menschen schrieben dort ihre Krebserkrankung dem glyphosathaltigen Herbizid „Roundup“ zu. Hersteller Bayer wies das zurück und bezog sich auf verschiedene Studien sowie auf eine Stellungnahme der US-Umweltbehörde EPA. Der Leverkusener Konzern zahlte dennoch mehrere Millionen US-Dollar für Vergleiche mit Klägern .

    Schadet Glyphosat der Umwelt?

    Glyphosat wirkt nicht nur auf Unkräuter und Ungräser, es schädigt oder tötet sämtliche Pflanzen, mit denen es besprüht wird. Daher wird das Mittel vor der Aussaat, aber nicht während der Wachstumsphase von Weizen, Raps oder Rüben angewendet.
    Eine Folge des Verspritzens: Auf den Flächen gedeihen weniger Wildpflanzen, folglich reduziert sich der Lebensraum für Insekten und damit auch die Nahrung für Vögel. Die Artenvielfalt nimmt ab. Allerdings entfernen Bauern auch bei der mechanischen Unkrautvernichtung mittels Pflug sämtliche Pflanzen, die sie auf ihren Äckern stören.
    Johann G. Zaller, Professor am Institut für Zoologie der Universität für Bodenkultur Wien, urteilt: „Der Vorschlag der EU-Kommission offenbart ein systematisches Leugnen des dramatischen Rückgangs der Biodiversität und der wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass Glyphosat dazu beiträgt. Auswirkungen auf Bodenorganismen und Bodengesundheit werden im Vorschlag nicht einmal erwähnt, obwohl evident ist, dass die Böden in ganz Europa mit Glyphosat kontaminiert sind.“

    Verlängerung der Zulassung: Wie geht es weiter?

    Eine wichtige Grundlage für die Entscheidung der Europäischen Union über die erneute Glyphosat-Zulassung ist die Einschätzung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Diese hat Anfang Juli 2023 in einer Mitteilung erklärt, dass der Einsatz von Glyphosat keine inakzeptablen Gefahren berge.
    Die EU-Kommission beruft sich auf diese Empfehlung der EFSA und will die Verlängerung an strenge Anwendungsvorschriften knüpfen. Diese sollen Schäden auf Mensch und Umwelt ausschließen.
    Der Vorschlag der EU-Kommission wird nun den Mitgliedsstaaten vorgelegt. Diese müssen mit qualifizierter Mehrheit für oder gegen die Zulassung stimmen. Für diese braucht es mindestens 15 Mitgliedsstaaten, die 65 Prozent der Bevölkerung in der EU repräsentieren. Kommt die qualifizierte Mehrheit nicht zustande, dann kann die Kommission selbst entscheiden.

    Wer kritisiert die geplante Verlängerung und warum?

    Die Bundesregierung lehnt eine weitere Zulassung trotz der Unbedenklichkeitserklärung der EFSA ab und will Glyphosat Ende des Jahres vom Markt nehmen. Darauf hatten sich SPD, Grünen und FDP bereits in ihrem Koalitionsvertrag verständigt.
    Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir scheint daran festhalten zu wollen. Solange nicht ausgeschlossen werden könne, dass Glyphosat der Bio-Diversität schade, soll die Genehmigung der EU auslaufen, sagte Özdemir zum jüngsten Vorschlag. Man sei in intensiven Gesprächen mit den Partnern der EU, das Pestizid vom Markt zu nehmen. Ein nationaler Alleingang dürfte allerdings nicht zustande kommen, wie das Beispiel Luxemburg zeigt. Dort hatte das Verwaltungsgericht ein landesweites Verbot des Pflanzenschutzmittels einkassiert.
    Harscher fiel die Kritik des BUND auf die geplante Verlängerung der Zulassung aus. Der Umweltverband hält die Entscheidung für eine Katastrophe - nicht nur wegen der Gefährdung der menschlichen Gesundheit sowie wegen des Artensterbens. Auch mache eine Verlängerung den Anreiz zunichte, Alternativen zu Glyphosat zu nutzen.
    Das Pestizid Aktionsnetzwerk (PAN) hält das Vorgehen der EU für einen Affront gegen die öffentliche Meinung. Das Netzwerk vermutet, dass es eine Art Kuhhandel bei der EU mit der Vereinbarung auf eine zehnjährige Verlängerung gebe. So könnten mehr Mitgliedsstaaten zu einer Zustimmung bewegt werden als mit der ursprünglich vorgesehenen Verlängerung auf 15 Jahre.
    Der Bauernverband und Glyphosat-Hersteller Bayer hingegen begrüßten die Entscheidung der EU-Kommission. Ein Bayer-Sprecher sagte, die Zulassung sei gerechtfertigt, ihr stünde eigentlich nichts im Wege.

    Wie stehen die Landwirte zu Glyphosat? Gibt es Alternativen?

    Um ihre Felder von Unkraut zu befreien, pflügen oder eggen Landwirte traditionell die Böden vor der Aussaat. Das ist zwar nach Einschätzung des Bundeslandwirtschaftsministeriums in der Wirkung mit Unkrautvernichtern vergleichbar, hat aber Nachteile: Das Pflügen oder Eggen kostet Zeit und Treibstoff. Außerdem begünstigt es die Bodenerosion.
    Viele Bauern bevorzugen daher die günstigeren und bodenschützenden chemischen Unkrautvernichtungsmittel. Glyphosat gilt unter den Herbiziden als besonders effektives Mittel.

    Bundeslandwirtschaftsministerium, dpa, Reuters, tmk