Donnerstag, 25. April 2024

Glyphosat
Krebsgefahr vom Acker oder Segen für die Landwirtschaft?

Der Unkrautvernichter Glyphosat steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Trotzdem hat die Europäische Kommission die Zulassung bis 2033 verlängert, weil sich die EU-Mitgliedsstaaten nicht einigen konnten. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

14.03.2024
    Eine Flasche Roundup steht auf Pflastersteinen.
    Von Weizen über Mais bis Raps: Viele Bauern setzten bei der Unkrautvernichtung auf Glyphosat. Das hat unter anderem Kostengründe. (picture alliance / ZB / Patrick Pleul)
    Weltweit spritzen Bauern ihre Felder mit dem Unkrautvernichter Glyphosat. Doch das Herbizid ist hochumstritten: Einige Experten warnen, es sei krebserregend, andere bescheinigen dem Mittel Unbedenklichkeit. Der Glyphosat-Streit beschäftigt auch die EU, da die Zulassung im Dezember ausgelaufen wäre. Weil sich die EU-Mitgliedsstaaten nicht auf eine gemeinsame Linie einigen konnten, hat die Europäische Kommission am 16. November eine Entscheidung getroffen: Glyphosat darf bis 2033 in der EU verwendet werden. Die maßgebliche Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hatte im Juli anhand neuer Studien bekräftigt, dass sie keine inakzeptablen Gefahren sieht.

    Inhalt

    Eine Grafik zeigt, wieviele Tonnen glyphosathaltige Unkrautbekämpfungsmittel jährlich in der deutschen Landwirtschaft zum Einsatz kommen.
    Glyphosat in der deutschen Landwirtschaft (dpa-infografik GmbH / dpa-infografik GmbH)

    Was ist Glyphosat? Wie und wo wird es eingesetzt?

    Glyphosat ist einer der meistverkauften Unkrautvernichter der Welt. Entwickelt wurde das Herbizid in den 1970er-Jahren vom US-Konzern Monsanto, der heute zu Bayer gehört. In Deutschland ist Glyphosat seit 1974 zugelassen und wird von Landwirten und Gartenbauern intensiv genutzt: Bis zu 40 Prozent der deutschen Äcker werden damit gespritzt, von Weizen über Mais bis Raps.
    Auch die Deutsche Bahn setzte Glyphosat lange entlang ihrer Schienen zur sogenannten Vegetationskontrolle ein. 2019 erklärte der Konzern, künftig darauf zu verzichten. Bis 2021 wurde Glyphosat auch in öffentlichen Parks und von Hobbygärtnern eingesetzt, inzwischen ist das verboten.  
    Obwohl das chemische Pflanzenschutzmittel von der EU zugelassen ist, wird es nicht EU-weit verwendet. Österreich etwa beschloss 2019 ein gänzliches Glyphosat-Verbot.
    Auch die deutsche Bundesregierung will das Pflanzenschutzmittel verbieten. Darauf haben sich SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt. Vielen deutschen Bauern dürfte das gar nicht gefallen: Glyphosat ist günstig und gilt als bodenschonend.

    Ist Glyphosat krebserregend?

    Glyphosat steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Allerdings streiten Experten weltweit über diese Frage. Die zur Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehörende Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) warnte 2015, Glyphosat sei beim Menschen „wahrscheinlich krebserregend“.
    Dagegen gehen etwa das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und die EU-Chemikalienagentur (ECHA) davon aus, dass der Wirkstoff nicht zu Krebserkrankungen führt, vor allem nicht in den geringen Mengen, die vom Menschen aufgenommen werden.
    Der Toxikologe Peter Clausing weist darauf hin, dass bei drei von fünf wissenschaftlichen Versuchsstudien mit Mäusen Lymphdrüsenkrebs nachgewiesen worden sei. Die Entsprechung beim Menschen sind die sogenannten Non-Hodgkin-Lymphome, eine Krebsart, die verstärkt vor allem in den USA aufgetreten ist.
    In den Vereinigten Staaten landete der Streit in den vergangenen Jahren vor Gericht: Zehntausende Menschen schrieben dort ihre Krebserkrankung dem glyphosathaltigen Herbizid „Roundup“ zu. Hersteller Bayer wies das zurück und bezog sich auf verschiedene Studien sowie auf eine Stellungnahme der US-Umweltbehörde EPA. Der Leverkusener Konzern zahlte dennoch mehrere Millionen US-Dollar für Vergleiche mit Klägern. Aktuell arbeitet Bayer an einer Alternative zum Unkrautvernichter Glyphosat, die 2028 auf den Markt kommen soll.

    Schadet Glyphosat der Umwelt?

    Glyphosat wirkt nicht nur auf Unkräuter und Ungräser, es schädigt oder tötet sämtliche Pflanzen, die besprüht werden. Daher wird das Mittel vor der Aussaat, aber nicht während der Wachstumsphase von Weizen, Raps oder Rüben angewendet.
    Eine Folge des Verspritzens: Auf den Flächen gedeihen weniger Wildpflanzen, folglich reduziert sich der Lebensraum für Insekten und damit auch die Nahrung für Vögel. Die Artenvielfalt nimmt ab. Allerdings entfernen Bauern auch bei der mechanischen Unkrautvernichtung mittels Pflug sämtliche Pflanzen, die sie auf ihren Äckern stören.
    Johann G. Zaller, Professor am Institut für Zoologie der Universität für Bodenkultur in Wien, urteilt: „Der Vorschlag der EU-Kommission offenbart ein systematisches Leugnen des dramatischen Rückgangs der Biodiversität und der wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass Glyphosat dazu beiträgt. Auswirkungen auf Bodenorganismen und Bodengesundheit werden im Vorschlag nicht einmal erwähnt, obwohl evident ist, dass die Böden in ganz Europa mit Glyphosat kontaminiert sind.“

    Wie gelangt Glyphosat in die Flüsse?

    Allein der Einsatz des Unkrautvernichters in der Landwirtschaft kann die hohe Konzentration von Glyphosat in Flüssen und Bächen nicht erklären, meint die Chemikerin Carolin Huhn. Sie lehrt und forscht an der Universität Tübingen und hat Abwasserdaten analysiert. Sie ist davon überzeugt, dass es eine zweite Quelle für das Glyphosat in Flüssen und Bächen geben muss.
    Ihre Erklärung ist, dass es in Kläranlagen oder womöglich schon in der Kanalisation, durch einen chemischen Abbauprozess von Alltagschemikalien entsteht. Sie hat festgestellt, dass das Phosphonat DTPMP, das zum Beispiel in vielen Waschmitteln steckt, zu Glyphosat umgewandelt wird, wenn es auf bestimmte Bakterien trifft. Die Waschmittelindustrie zweifelt an der These, dass die in Waschmitteln eingesetzten Phosphonate die Ursache für das Glyphosat in Gewässern sind, will aber eigene Untersuchungen anstellen.

    Verlängerung der Zulassung: Wie geht es weiter?

    Eine wichtige Grundlage für die Entscheidung der Europäischen Union über die erneute Glyphosat-Zulassung ist die Einschätzung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Diese hat Anfang Juli 2023 in einer Mitteilung erklärt, dass der Einsatz von Glyphosat keine inakzeptablen Gefahren berge.
    Die EU-Kommission beruft sich auf die EFSA-Empfehlung und will die Verlängerung an strenge Anwendungsvorschriften knüpfen. So sollen Landwirte zum Beispiel mindestens fünf Meter breite Pufferstreifen einhalten. Auch in welchen Mengen und wie häufig Glyphosat eingesetzt wird, sollen die Mitgliedstaaten einschränken können. Dadurch sollen Schäden auf Mensch und Umwelt ausgeschlossen werden.

    Wer kritisiert die Verlängerung und warum?

    SPD, Grüne und FDP hatten sich zwar in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, Glyphosat Ende des Jahres vom Markt zu nehmen. Doch inzwischen ruderte die FDP zurück und befürwortet ebenso wie die Union die weitere Nutzung des Unkrautvernichters. Da die Meinungen über Glyphosat innerhalb der Bundesregierung auseinandergehen, hat sich Deutschland bei der Abstimmung enthalten. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) äußerte sein Bedauern über die Verlängerung der Glyphosat-Zulassung.
    Der Umweltverband BUND kritisierte die Entscheidung der EU-Kommission. Die Verlängerung der Zulassung sei eine „verpasste Chance für mehr Gesundheitsschutz, für mehr Artenschutz und für eine krisensichere Landwirtschaft und Ernährungssicherung“. Der BUND forderte zudem ein Glyphosat-Verbot in Deutschland.
    Auch weitere Umweltorganisationen zeigten Unverständnis gegenüber der EU-Entscheidung. Es sei nicht hinnehmbar, dass die Kommission angesichts der zahlreichen gesundheitlichen Auswirkungen des Mittels trotzdem an ihrem Vorschlag festhalte, erklärte Natacha Cingotti von der Organisation Health and Environment Alliance.
    Der Deutsche Bauernverband hatte sich im Vorfeld für die weitere Verwendung von Glyphosat ausgesprochen. Glyphosat-Hersteller Bayer zeigte sich erwartungsgemäß erfreut über die Entscheidung der EU-Kommission.

    Wie stehen die Landwirte zu Glyphosat? Gibt es Alternativen?

    Um ihre Felder von Unkraut zu befreien, pflügen oder eggen Landwirte traditionell die Böden vor der Aussaat. Das ist zwar nach Einschätzung des Bundeslandwirtschaftsministeriums in der Wirkung mit Unkrautvernichtern vergleichbar, hat aber Nachteile: Das Pflügen oder Eggen kostet Zeit und Treibstoff. Außerdem begünstigt es die Bodenerosion.
    Viele Bauern bevorzugen daher die günstigeren chemischen Unkrautvernichtungsmittel. Glyphosat gilt unter den Herbiziden als besonders effektives Mittel.

    tmk, rey