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Artenschwund
Spinnen und Insekten sterben auch in Naturschutzgebieten aus

Ob Naturschutzgebiet oder Kulturlandschaft: In Großbritannien schwand die Zahl von Insekten und Spinnen seit 1990 überall im Gleichschritt. Forschende bezweifeln, dass Schutzzonen allein ihren Zweck erfüllen.

Von Volker Mrasek | 30.12.2022
Eine Spinne hängt kopfüber in ihrem Netz
Nicht nur Insekten, auch die Populationen von Spinnen nehmen in Naturschutzgebieten ab, zeigt eine Studie. (Getty Images / EyeEm / Eddie J. Rodriquez )
Rund eine Million Beobachtungsprotokolle aus den vergangenen drei Jahrzehnten; mehr als zwölfhundert verschiedene Arten: Bienen und Wespen, Schwebfliegen und Marienkäfer, Ameisen und Spinnen. Dem britischen Ökologen Robert Cooke stand ein enormer Datensatz zur Verfügung. Und das Besondere an ihm: Die Beobachtungen stammen nicht nur aus Naturschutzgebieten, sondern auch aus der ganz normalen Kultur- und Agrarlandschaft.

So war es Cooke und seinem Forschungsteam aus dem britischen Zentrum für Ökologie und Hydrologie in Wallingford möglich zu ermitteln: Wie ist es um Insekten und Spinnen in Schutzzonen bestellt und wie außerhalb? Vergleichsstudien dieser Art gibt es bisher so gut wie keine!

Mehr Arten, aber nicht mehr Individuen

“Wir konnten zunächst bestätigen, dass der Artenreichtum in Schutzzonen größer ist, und zwar im Schnitt um 15 Prozent. Aber dann stellten wir etwas Beunruhigendes fest: Die Zahl von Insekten und Spinnen nimmt in den Naturschutzgebieten genauso stark ab wie in der übrigen Landschaft. Den stärksten negativen Trend sehen wir bei Bienen und Schwebfliegen, und das ist besonders besorgniserregend. Denn sie sind Blütenbestäuber und von großer ökologischer Bedeutung.“    

Seit 1990 schrumpfen die Bestände der erfassten Insekten und Spinnen demnach Jahr für Jahr um durchschnittlich 0,5 Prozent. Außerhalb und innerhalb der britischen Schutzgebiete ...

“Das scheint nicht viel zu sein. Aber über die letzten drei Jahrzehnte summiert sich der Schwund auf 15 Prozent. Und die bestäubenden Insekten gehen ja noch stärker zurück! Ihre Bestände schrumpfen um ein ganzes Prozent pro Jahr.“

In Deutschland sorgte die sogenannte Krefelder Studie vor fünf Jahren für Aufsehen. Ihr lagen Langzeitbeobachtungen in über 60 Naturschutzgebieten zugrunde. Sie zeigten: Die Biomasse von Fluginsekten ist innerhalb von knapp 30 Jahren um drei Viertel zurückgegangen. Vergleichbare Trenddaten für normale Siedlungs- und Agrarflächen in Deutschland liegen allerdings nicht vor.

Krefelder Studie war ein Weckruf

Rob Cooke geht aber davon aus, dass die Situation ähnlich ist wie in Großbritannien.

“Ich nehme an, wir würden an vielen Stellen in Europa denselben Trend vorfinden. Überall dort, wo Landstriche genauso dicht besiedelt sind, wo die Agrarwirtschaft genauso intensiv betrieben wird und wo sich die Landschaftstypen gleichen. Dass die Verluste von Insekten und Spinnen in Naturschutzgebieten nicht geringer sind als dort, wo kein Schutz besteht, ist bedenklich. Denn schließlich betrachten wir die Ausweisung von Schutzzonen als eines unser wichtigsten Werkzeuge, um die Biodiversität zu erhalten.“  

Auf der jüngsten UN-Artenschutzkonferenz in Kanada wurde vor zehn Tagen das sogenannte 30/30-Ziel bekräftigt. Bis zum Jahr 2030 sollen möglichst alle Länder 30 Prozent ihrer Landesfläche unter Schutz gestellt haben. Joseph Bailey ist Geograph an der Anglia Ruskin University in Cambridge und begrüßt die Vereinbarung. Zugleich warnt er aber vor Fehlentwicklungen. Bailey hat an einem neuen Fachbericht über Großbritanniens Naturschutzgebiete mitgeschrieben:

“Für mich ist die entscheidende Frage: Welche Schutzgebiete funktionieren gut und welche nicht? Denn was bringt es, sie auszudehnen, wenn sie keinen guten Job machen?! Außerdem verbleiben ja immer noch 70 Prozent der Landflächen ohne Schutzstatus. Naturschutzgebiete werden aber kaum ihren Zweck erfüllen, wenn jenseits ihrer Grenzen nicht ähnliche Ziele angestrebt werden.“    

Ein Netzwerk für Schutzgebiete

Bailey schlägt vor, beide stärker zu vernetzen: Natur- und Kulturlandschaft. Am besten funktionierten Schutzgebiete nämlich dann, wenn sie nicht isoliert seien:

“In unserem Report empfehlen wir, sanfte Übergänge in der Landschaft zu schaffen. Im Idealfall wären alle Naturschutzgebiete miteinander verbunden. In der Realität aber sind da große, starre Landschaftselemente, die sie trennen: intensiv bewirtschaftete Äcker, Autobahnen, große Städte. Wir müssen uns überlegen, wie wir diese Barrieren aufweichen können!“                                                  

Der Brite denkt hier zum Beispiel an Pufferzonen um Agrarflächen herum, die nur noch extensiv bewirtschaftet werden. An Hecken, die Waldgebiete wie Perlschnüre miteinander verbinden und Arten Korridore eröffnen. An viel mehr Tunnel und Brücken unter oder über Straßen für Frösche, Igel, Rehe und andere Tiere.

Nicht zuletzt wünscht sich Bailey auch mehr Wildkräuter in privaten Gärten, von denen heimische Insekten profitieren:

„We could do better in unprotected areas as well.“

Auch in den Nicht-Schutzzonen, sagt Bailey, könnten wir mehr zustande bringen.