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Göring-Eckhardt: Grüne sind inhaltlich sehr weit von der Union entfernt

Nach diesem Wahlkampf der Grünen sei eine schwarz-grüne Koalition nicht nur unglaubwürdig, "sondern auch nicht hilfreich, wenn es um Stabilität einer Regierung geht", sagt Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen). Die Aufgabe ihrer Partei sei jetzt, weiter an ihrer Eigenständigkeit zu arbeiten.

25.09.2013
    Friedbert Meurer: Bei den Grünen scheint, im Moment kein Stein mehr auf dem anderen zu bleiben. Vorstand und Parteirat treten zurück, Claudia Roth hört auf, Jürgen Trittin und Renate Künast haben ebenfalls aufgehört. Es bahnt sich ein Generationswechsel bei den Grünen in Berlin an, bei der Partei, die damals in den 80er-Jahren vor allen Dingen junge Leute fasziniert hat. Jetzt heißt es oft, die Partei sei grau und alt geworden. Das soll sich nach der Wahlniederlage vom Sonntag jetzt wieder ändern.
    Katrin Göring-Eckardt war die Spitzenkandidatin der Grünen, neben Jürgen Trittin im Bundestagswahlkampf. Guten Morgen, Frau Göring-Eckardt!

    Katrin Göring-Eckardt: Herr Meurer, schönen guten Morgen!

    Meurer: Ist Jürgen Trittin zurecht jetzt der Buhmann der Grünen nach der Wahlniederlage?

    Göring-Eckardt: Nein, es geht ehrlich gesagt nicht um Buhmann. Das stimmt auch nicht, weil die programmatische Entwicklung, die Konzepte, die haben wir alle gemeinsam getragen.

    Meurer: Auf sein Betreiben hin.

    Göring-Eckardt: Das war sein Engagement, das stimmt. Aber trotzdem waren wir flügelübergreifend, die Länder waren beteiligt, der Bund war beteiligt, und insofern kann man jetzt nicht sagen, Jürgen Trittin ist derjenige, der für alles alleine verantwortlich ist, sondern das sind wir nun mal als Gesamtpartei und auch als Gesamtfraktion.

    Meurer: Warum tritt Jürgen Trittin zurück und Sie nicht?

    Göring-Eckardt: Jürgen Trittin hat gesagt, er will nicht wieder antreten, weil er der Auffassung ist, dass es auch in Richtung Zukunft, also für 2017, sprich die nächste Bundestagswahl, eine Aufstellung braucht, wo Leute auch sagen können, dann kann ich weitermachen, dann will ich weitermachen. Das sieht er für sich nicht. Bei mir ist das anders. Ich habe gesagt, ich bin von der Basis gewählt worden letzten November und bin der Auffassung, dass erstens bei der Auswertung dessen, was uns in diesem dreiviertel Jahr passiert ist – wir sind ja gestartet mit eigentlich guten Ausgangsbedingungen -, aber auch in der Weiterentwicklung der Grünen, dass ich da gerne Verantwortung übernehmen will, und deswegen trete ich an, weil ich glaube, die Frage, wie wir aus diesem Loch uns wieder rausentwickeln und rauskrabbeln können, die ist eine ganz entscheidende. Wir werden irgendwie die Frage stellen müssen, wie geht das mit der ökologischen Transformation, machen wir das weiter so wie bisher, dass alle Leute das Gefühl haben, man dreht an vielen kleinen Schräubchen, aber hat keine große Idee, und wie reden wir in Zukunft über Gerechtigkeit, vor allem aber auch über Bürgerrechte. Das ist natürlich auch noch mal ein für uns doppelt wichtiges Thema, als Partei sowieso, aber auch, wenn man bedenkt, dass die FDP jetzt nicht nur den Bereich, das Thema, sondern auch die Stühle im Parlament freimacht.

    Meurer: Die Frage stellt sich nur, Frau Göring-Eckardt: Haben Sie keinen Anteil an der Wahlniederlage?

    Göring-Eckardt: Doch, das habe ich sehr deutlich auch gesagt. Ich bin Spitzenkandidatin gewesen und natürlich habe ich da genauso für Verantwortung.

    Meurer: Es schimmert aber so ein bisschen durch, als hätten die Realos, Sie und Cem Özdemir, mit der Niederlage weniger zu tun als die Linken, und deswegen treten die Linken zurück, aber nicht die Realos, oder?

    Göring-Eckardt: Nein. Ich bin auch der festen Auffassung, dass uns das nicht weiterhilft, wenn wir demnächst noch weiter in Kategorien und Schubladen von Realos und Linken denken. Das wird nicht hilfreich sein. Das könnte ja auch damit zu tun haben, dass wir einer anderen Generation angehören, und nicht damit zu tun haben, dass wir einem Flügel zugeschrieben werden und dass wir aus unserer eigenen Biografie und Geschichte heraus – für mich kann ich das zumindest sagen – auch anders in die Grünen gekommen sind als die Generation derjenigen, die jetzt gesagt hat, wir wollen den Weg freimachen für die, die auch für nach 2017 eine Perspektive entwickeln können.

    Meurer: Und trotzdem sagen viele, nicht zuletzt die Wähler, die Grünen waren zu links im Wahlkampf. Bestreiten Sie das?

    Göring-Eckardt: Ich glaube gar nicht, dass wir zu links waren, weil auch diese Kategorisierung uns gar nicht weiterhilft. Aber ich glaube, dass wir …

    Meurer: Das ist aber von den Wählern so wahrgenommen worden.

    Göring-Eckardt: Ja wir haben vor allen Dingen Anschluss verloren. Ich glaube, wir haben mit unserem Programm den Eindruck erweckt, erstens, als ob wir Leute eher bedrohen als begeistern, und zweitens, als ob wir immer schon alles besser wissen, und diese Konnotation der Verbotspartei gehörte da dazu. Aber vor allen Dingen sind wir ganz offensichtlich wahrgenommen als eine Partei, die mit dem erhobenen Zeigefinger durch die Republik läuft und in allem und jedem schon weiß, wie man es viel besser machen kann …

    Meurer: Haben Sie das auch so gemacht? Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt heute, Sie hätten ständig nur von der Trostlosigkeit in Deutschland geredet in Ihren Wahlkampfauftritten.

    Göring-Eckardt: Nein, ich habe nicht von der Trostlosigkeit geredet. Ich habe in meinen Wahlkampfauftritten immer gesagt, es geht relativ vielen Leuten ziemlich gut, aber wenn man Gesellschaft zusammenbringen will, dann muss man auch auf die gucken, denen es nicht gut geht, und das hatte nichts mit Trostlosigkeit zu tun. Das war genau eine andere Herangehensweise, dass man nicht irgendwie nach dem Motto "wir sind hier ständig im Klassenkampf" redet, sondern der Versuch zu sagen, wenn es uns gemeinsam gut gehen soll als Gesellschaft, dann muss man an alle denken. Dass das nicht angekommen ist, dass ich damit nicht durchgedrungen bin, das ist auch einer der Punkte, über die ich auch persönlich nachdenken muss, weil Solidarität ist ja etwas, was viele wollen und was man aber nicht verlangen und einfordern kann, sondern da kann man nur sagen, auch dafür muss man Mehrheiten begeistern.

    Meurer: Die SPD tut sich sehr schwer mit einer großen Koalition. Das wird man in den nächsten Tagen weiter verfolgen. Ist das für Sie ein Tabuthema, Schwarz-Grün? Ist Schwarz-Grün für Sie ein Tabuthema?

    Göring-Eckardt: Eine Große Koalition ist kein Tabuthema für mich. Aber wir sind aus einem Wahlkampf gekommen und aus einer Programmatik gekommen, wo wir sehr deutlich gesagt haben, wie weit wir inhaltlich von der Union entfernt sind, und mal davon abgesehen, dass wir uns auch nicht von Herrn Seehofer erklären lassen, mit wem wir welche Gespräche führen würden - wir haben ja auch gar keine Einladung dazu -, bin ich der Auffassung, das wäre nicht nur unglaubwürdig nach diesem Wahlkampf und nach dieser programmatischen Aufstellung, sondern auch nicht hilfreich, wenn es um Stabilität einer Regierung geht. Das muss man sehr klar sagen.

    Meurer: Wieso wäre das nicht hilfreich? Gerade Schwarz-Grün hätte eine deutliche Mehrheit im Parlament. Das wäre doch stabil.

    Göring-Eckardt: Das wäre nicht stabil, weil eine rechnerische Mehrheit ist ja keine politische Mehrheit, und darum geht es. Ich bin fest der Auffassung, dass die Grünen jetzt auch die Aufgabe haben, den Kurs der Eigenständigkeit, auf den sie sich schon begeben hatten, noch mal viel deutlicher zu entwickeln. Aber das braucht viel mehr Zeit und es braucht auch vermutlich noch eine andere Entwicklung innerhalb der Union. Wenn ich mir angucke, was insbesondere die CSU in den letzten Wochen gemacht hat, dann hat das mit Modernisierungsanspruch, wie wir ihn vertreten, so wenig zu tun, dass ich mir da nicht vorstellen kann, dass das sinnvoll miteinander in einer auch schwierigen Zeit, die wir ja weiterhin haben werden, Krise in Europa etc., …

    Meurer: Mit der CDU ging es vielleicht, aber nicht mit der CSU?

    Göring-Eckardt: So würde ich es nicht formulieren, aber die CSU ist jedenfalls noch mal stärker in diesem Kurs verhaftet, als es manche in der CDU sind. Bei der Bundeskanzlerin weiß man es nicht so genau. Aber insofern würde ich sagen, man kriegt die erstens nur beide zusammen und nicht einen davon, aber auch in der CDU finden sich natürlich an führender Stelle – gestern ist Herr Kauder wiedergewählt worden – Leute, die, was Modernisierung von Gesellschaft angeht, auch was die ökologische Frage angeht, die wir ja zurecht wieder viel mehr ins Zentrum stellen müssen, keine Verfechter, die sagen, man muss wirklich an die nächste, an die übernächste Generation denken und man muss wirklich eine Gesellschaft auch entwickeln, in der Gleichstellung, Gleichberechtigung, die gleichen Rechte für Migrantinnen und Migranten ein Herzensanliegen wird und wo man nicht nur im Zweifel vom Verfassungsgericht getrieben wird.

    Meurer: Und um das umzusetzen, wollen Sie noch mindestens vier Jahre warten?

    Göring-Eckardt: Um das umzusetzen, geht es erst mal darum, dass wir als Partei uns entscheiden und weiterentwickeln, und das ist jetzt unser Job, den wir machen müssen. Das ist eine harte Aufgabe für die Gesamtpartei, ist auch eine harte Führungsaufgabe, und was dabei herauskommt, sehen wir dann. Aber ich möchte gerne mithelfen, dass dabei herauskommt, wir sind eigenständig, und dann geht es wirklich nur noch und ausschließlich um die Inhalte.

    Meurer: Katrin Göring-Eckardt war die Spitzenkandidatin der Grünen im Bundestagswahlkampf, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk zu den personellen Veränderungen in ihrer Partei und Fraktion. Frau Göring-Eckardt, danke und auf Wiederhören.

    Göring-Eckardt: Herr Meurer, vielen Dank.


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