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Grexit
"Damit kann die Euro-Zone weiterleben"

Nach Einschätzung des ehemaligen Helmut-Kohl-Beraters Horst Teltschik könnte die Euro-Zone ein Ausscheiden Griechenlands gut verkraften. Die deutsche Regierung sei Griechenland bei den Verhandlungen so weit wie möglich entgegengekommen. Helmut Kohl hätte in dieser Situation auch nicht mehr machen können, sagte Teltschik im DLF.

Horst Teltschik im Gespräch mit Christine Heuer | 30.06.2015
    Horst Teltschik (CDU), ehemaliger außenpolitischer Berater von Helmut Kohl.
    Horst Teltschik (CDU), ehemaliger außenpolitischer Berater von Helmut Kohl. (AFP / Mandel Ngan)
    Kritik übte der ehemalige Kohl-Berater Teltschik jedoch an Angela Merkels Europapolitik im Allgemeinen. Er sei von Merkel insofern enttäuscht, weil "sie nicht den Mut hat zu sagen, wohin wir mit Europa überhaupt gehen wollen," sagte er im Deutschlandfunk. Im Koalitionsvertrag sei Europa als wichtigste Aufgabe genannt. Das werde den Menschen aber nie in dieser Klarheit mitgeteilt. Die Menschen hätten darum das Gefühl, Europa sei orientierungslos, so Teltschik.
    Er plädierte für eine eindeutige Strategie in der Europapolitik. Man könne Europa nicht in allen 28 Mitgliedsländern mit dem gleichen Tempo vorantreiben. Insgesamt fehle ein Motor für die europäische Integration. Denn Europa integriere sich nicht von alleine, sagte Teltschik.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Die Regierungen der Euro-Zone haben die Nase gestrichen voll von den Griechen, jedenfalls von ihrer Regierung in Athen. Nach Athens letzten Worten "isch over". Das Schäuble-Zitat ist mittlerweile ja ein geflügeltes Wort. Die Tür wollen die genervten Regierungschefs aber nicht schließen. Wenn Athen reden wolle, ließ sich gestern auch Angela Merkel vernehmen, bitte schön, dann sei man natürlich zum Gespräch bereit. Die Opposition in Berlin, gestern ausführlich von der Bundeskanzlerin unterrichtet, will mehr als das und auch in der SPD gibt es vereinzelt Kritik am aktuellen Regierungskurs.
    So klingt Europapolitik heute und so klang sie früher:
    O-Ton Helmut Kohl: "Ich wünschte mir, dass möglichst viele auch in Deutschland klar begreifen, dass die Frage des Baus des Hauses Europa eine Frage von Krieg und Frieden ist."
    Heuer: Helmut Kohl kurz vor der Europawahl 1999. Dieser Kanzler war hörbar überzeugt von der Notwendigkeit, Europa zu einen. Für ihn war die europäische Integration tatsächlich ein Friedenswerk, eine Schutzmauer gegen neue Kriege auf dem Kontinent. Jetzt droht der Grexit, ein großes Problem für die Euro-Zone , aber auch die politische Union steht dieser Tage alles andere als gut da. Großbritannien liebäugelt mit dem EU-Austritt, bei der Flüchtlingsaufnahme fühlt Südeuropa sich im Stich gelassen und in vielen europäischen Staaten gewinnen populistische Parteien an Einfluss, die eines eint: Sie alle sind mehr oder weniger gegen die Europäische Union.
    Das europäische Haus - jetzt unser Thema im Interview mit Helmut Kohls ehemaligem Berater Horst Teltschik. Guten Morgen!
    Horst Teltschik: Guten Morgen, Frau Heuer!
    Heuer: Die Verhandlungen mit Griechenland, Herr Teltschik, sind krachend gescheitert. Der Grexit ist zum Greifen nahe. Hätte ein Kanzler Helmut Kohl es so weit kommen lassen?
    Teltschik: Wenn Sie die Initiativen und die Aktivitäten der Bundeskanzlerin sich ansehen, auch die unseres Bundesfinanzministers Schäuble, mehr kann man eigentlich gar nicht mehr tun, um Griechenland entgegenzukommen und die Tür offenzuhalten bis zur Minute, um Griechenland einzubinden. Helmut Kohl hätte in dieser Situation auch nicht mehr machen können.
    Wir haben in seiner Zeit ja auch schon mit dem damaligen griechischen Ministerpräsidenten Papandreou erhebliche Probleme gehabt und damals ging es auch immer nur im Falle Griechenlands um Geld. Ich glaube, dass Griechenland von der Größe nicht der entscheidende Faktor in Europa ist. Man muss halt Lösungen finden, bei denen man über den eigenen Schatten springt.
    Heuer: Aber muss man nicht auch irgendwann mal die Reißleine ziehen, wenn es einfach zu viel wird und der Schaden zu groß?
    Teltschik: Ja natürlich, denn die Entscheidung liegt ja jetzt bei Griechenland und Griechenland hat die Chance, immer noch einzulenken. Wenn nicht, dann muss Griechenland selbst entscheiden, ob es aus der Euro-Zone ausscheiden will oder nicht. Man kann ja Griechenland vertraglich weder aus der Euro-Zone , noch aus der EU ausschließen.
    Heuer: Und wenn die Griechen sich - und wir hören heute Morgen, das haben sie beileibe nicht vor -, wenn die Griechen sich trotzdem aus dem Euro verabschieden, steht dann der Euro auf dem Spiel?
    Teltschik: Nein. Das ist doch im Vergleich zur Euro-Zone insgesamt. Es sind immerhin dann noch 18 Mitgliedsstaaten und darunter mit Ausnahme Großbritanniens die wichtigsten europäischen Staaten. Damit kann die Euro-Zone weiterleben und weiter die notwendigen Schritte unternehmen, die man beschlossen hat, um die Euro-Zone wirklich und den Euro zum dauerhaften Erfolg zu machen.
    Politische Union ist vernachlässigt worden
    Heuer: Der Euro, Herr Teltschik, ist ja das eine. Aber wie ist es denn um die politische Union mittlerweile bestellt?
    Teltschik: Die politische Union ist in den letzten, man kann fast sagen, 20 Jahren vernachlässigt worden. Selbst Bundeskanzler Schröder hat ja in einer Rede in Washington erklärt, er hätte sich mehr um Europa kümmern müssen. Europa entwickelt und integriert sich nicht von alleine. Im Augenblick kann man sagen, zum Glück haben wir immer wieder Krisen, die die Europäer zwingen, über weitere Schritte der Integration nachzudenken. Aber es gibt keinen Motor der europäischen Integration mehr, wie es unter Helmut Kohl und Francois Mitterrand, Frankreich ganz natürlicherweise war.
    Heuer: Sind Sie, jenseits dieser technischen Gespräche jetzt über den Euro, sind Sie, was die politische Union angeht, von Angela Merkel sehr enttäuscht?
    Teltschik: Ich bin von der Bundeskanzlerin insofern etwas enttäuscht, dass sie nicht den Mut hat zu sagen, wohin wir eigentlich mit Europa gehen wollen. Sie versteckt sich immer hinter diesem sibyllinischen Wort, wir brauchen mehr Europa. Wenn Sie die Koalitionsvereinbarung der CDU/CSU mit der SPD lesen, da steht drin: Europa ist die wichtigste Aufgabe. Und wenn Sie dann die einzelnen Schritte sich anschauen, dann heißt das Vertiefung der Integration der Europäischen Union. Das wird aber in dieser Klarheit der Öffentlichkeit nie mitgeteilt, sodass die Menschen das Gefühl haben, vor allem im Augenblick, Europa ist orientierungslos, wir bewegen uns, aber niemand weiß, in welche Richtung, warum und wieso. Wenn nicht die Krisen von außen kämen, würde wahrscheinlich fast nichts geschehen.
    Plan zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion nötig
    Heuer: Was könnte Angela Merkel, was sollte Angela Merkel aus Ihrer Sicht denn zum Beispiel jetzt ganz konkret tun, um das, was Sie beklagen, zu verändern?
    Teltschik: Konkret müsste das geschehen, was zum Beispiel diese fünf Präsidenten gerade am Montag beschlossen haben, nämlich einen Plan zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion. Das ist ein Vorschlag von Juncker, von Tusk, von Dijsselbloem, von Draghi und Schulz. Das heißt aber ganz klar, dass man auch eine bestimmte Strategie weiter verfolgt, dass nämlich nicht alle 28 Mitgliedsstaaten diese Schritte unternehmen, sondern dass man ein gewissermaßen Europa mit verschiedenen Geschwindigkeiten weiter verfolgt. Zweitens sollte ja die Außenbeauftragte Mogherini bei dem letzten gemeinsamen Gipfel ein Programm vorschlagen über eine vertiefte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Das ist jetzt wieder vertagt worden, angesichts der Griechenland-Krise, obwohl wir es, angesichts der Ukraine-Krise und der Probleme mit Russland, dringend bräuchten.
    Heuer: Die Kanzlerin - Deutschland hat eine Schlüsselfunktion - soll aktiver werden. - Was droht Europa, wenn das nicht passiert, Herr Teltschik?
    Teltschik: Dass Europa weiterhin bedeutungslos im globalen Spiel bleibt. Es gibt seit den letzten 20 Jahren neue Spieler auf der Weltbühne, denken Sie an China, denken Sie an Indien. USA orientieren sich zunehmend nach Asien und Europa verzettelt sich mit den eigenen Problemen und hat große Mühe, überhaupt eine Gemeinsamkeit, eine gemeinsame Politik jetzt zum Beispiel im Falle der Ukraine herzustellen. Das heißt, die Bedeutungslosigkeit Europas wird zunehmen.
    Heuer: Der CDU-Außenpolitiker und ehemalige Berater Helmut Kohls, Horst Teltschik, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank dafür, Herr Teltschik.
    Teltschik: Gerne, Frau Heuer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.