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Großbritannien
Streit um Wahlrecht für Häftlinge

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Großbritannien erneut dazu verurteilt, ein Wahlrecht für Häftlinge einzuführen. Doch die britische Regierung weigert sich und verzögert die Abstimmung im Parlament. Viele Konservative wünschen gar den Austritt aus der Menschenrechtskonvention.

Von Jochen Spengler | 12.08.2014
    David Cameron zwischen den Flaggen Großbritanniens und der EU.
    Cameron im Streit mit dem Menschengerichtshof: "Niemand sollte zweifeln: Häftlinge bekommen unter dieser Regierung kein Wahlrecht." (dpa/EPA/Julien Warnand)
    John Hirst brachte den Stein ins Rollen. Der Brite hatte mit einer Axt seine Vermieterin brutal erschlagen, wurde wegen Mordes verurteilt und klagte vor 13 Jahren dagegen, dass er im Knast nicht wählen dürfe. Schon 2005 urteilten die Straßburger Richter, dass die uneingeschränkte Aberkennung des Wahlrechts für alle Häftlinge gegen die Menschenrechte verstoße. Der längst aus der Haft entlassene John Hirst ließ in einem Video die Sektkorken knallen:
    "Ich habe einen Joint, ich habe eine Flasche Champagner und ich werde nun feiern für die 75.000 Häftlinge, die wählen dürfen - auch Mörder, Vergewaltiger und Pädophile - alle werden wählen können, weil es ihr Menschenrecht ist."
    Doch John Hirst freute sich zu früh. Denn bislang hat die Regierung Ihrer Majestät das Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs nicht umgesetzt. Und haben die Richter heute erneut zugunsten weiterer Gefangener und gegen Großbritannien entscheiden.
    Cameron: "Häftlinge bekommen unter dieser Regierung kein Wahlrecht"
    Doch das dürfte die Briten wenig beeindrucken. Schon vor drei Jahren hatte das selbstbewusste Parlament mit überwältigender Mehrheit trotzig gegen Straßburg votiert.
    "The concept is simple: if you break the law you cannot make the law."
    Wer das Gesetz breche, der könne es nicht mitgestalten, meinte der Tory-Abgeordnete David Davis. Und Großbritanniens Premierminister David Cameron bekräftigte:
    "Das Parlament hat gegen das Wahlrecht für Häftlinge gestimmt, ich will es nicht und sie sollten es auch nicht bekommen. Ich bin da sehr eindeutig. Niemand sollte zweifeln: Häftlinge bekommen unter dieser Regierung kein Wahlrecht."
    Andererseits will sich die konservativ-liberale Regierungskoalition auch nicht glatten Rechtsbruch ankreiden lassen, weswegen sie bis heute auf Verzögerungstaktik und Fristverlängerungen setzt. Justizminister Grayling legte in letzter Minute einen Gesetzentwurf vor und ein Parlamentsausschuss empfahl im letzten Dezember, Personen, die nur zu zwölf Monaten Haft oder weniger verurteilt wurden, sollten wählen dürfen. Das wäre für Straßburg annehmbar, erklärt Gerichtshofsprecher Daniel Höltgen gegenüber dem Deutschlandfunk:
    "Wir suchen keinen Konflikt mit Großbritannien. Fast jede Lösung, die Großbritannien vorlegen würde, wäre akzeptabel. Großbritannien muss einen Gesetzesvorschlag vorlegen; darauf warten wir hier in Straßburg.
    Konservative liebäugeln mit Austritt aus Konvention
    Doch darauf wird man wohl noch etwas länger warten müssen. Denn die regierenden Konservativen denken gar nicht daran, sich von einem Europäischen Gericht das letzte Wort in Sachen Strafrecht nehmen zu lassen. Da sie aber als Unterzeichner der Europäischen Menschenrechtskonvention an die Straßburger Rechtsprechung gebunden seien, bleibe - so Daniel Höltgen - nur eine Alternative:
    "Sie könnten ja beschließen, aus der Menschenrechtskonvention auszutreten. Das ist ihr freies Recht und das ist das letzte Wort. Das Parlament hat sozusagen das letzte Wort."
    Und genau mit einem solchen Austritt liebäugeln viele Konservative. Sie wollen in neun Monaten mit dem Thema Souveränität und Gefangenenrechte Wahlkampf machen. Auf dem Parteitag im Oktober wird David Cameron vorschlagen, das Unterhaus solle künftig selbst aussuchen, welche Urteile des Menschenrechtsgerichtshofs es anerkenne und welche nicht.
    Das wäre der kaum kaschierte Rückzug aus der Genfer Konvention, vor dem der konservative Generalstaatsanwalt Dominic Grieve nachdrücklich gewarnt hat.
    "Es gäbe ernste Folgen für unser Ansehen. Man muss sich doch nur die Probleme anschauen, die wir in Teilen Europas haben. Wenn wir so ein Zeichen aussenden, das Menschenrechte nicht so wichtig sind, wird das aufgegriffen werden in anderen Unterzeichnerländern wie Russland."
    Über diese Warnung war Regierungschef Cameron so wenig amused, dass er den Generalstaatsanwalt bei der Regierungsumbildung vor einem Monat entlassen hat.