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Große, leere Geste

Seinen Schauspieler bietet Autor René Pollesch mit "KapiTal der Puppen" zu wenig Material, um auf der Bühne zu glänzen. Der flaue Theaterabend wirkte wie eine aufgeplusterte Resteverwertung aus Pollesch´ postdramatischer Sinnsucher-Theaterfabrik.

Von Hartmut Krug | 16.02.2013
    Wir sitzen auf der Nebenbühne, sehen aus den Augenwinkeln links den Zuschauerraum und direkt vor uns, auf der Bühne, ein bunt verwinkeltes Sperrholzgebilde. Einerseits ist es mit anscheinend übrig gebliebenen Requisiten ausgestattet, andererseits liefert es eine Raumsituation, die die Schauspieler immer wieder unserer Sicht entzieht. Aber wir haben ja das Filmteam, das den Schauspielern mit Tongalgen, Kamera und Souffleuse ständig auf den Fersen ist. Dass wir alles auf einer Leinwand gezeigt bekommen, was wir nicht direkt auf der Bühne sehen können, ist diesmal aber nicht nur das zur Konvention verkommene postdramatische Bedeutungszeichen. Denn er Abend erzählt von einem beleidigten Theaterregisseur, der entdeckt hat, dass sein Darstellerteam mit den Praktikanten während der Proben in den Kulissen parallel einen Film gedreht hat. Worauf viele berühmte Filmen aufgezählt werden, die bei Theaterproben entstanden seien.

    Außerdem wird für den Cineasten Woody Allens "Broadway Danny Rose" erwähnt, in dem Danny Rose als Künstleragent agiert. Auf der Bühne aber kämpft auch der Regisseur der Theaterprobe, der wir beiwohnen, mit genau diesem Zweitverwertungsproblem. Auch bei ihm wird gefilmt. Weshalb der wütende Regisseur sich zu revanchieren sucht, indem er die Schauspieler herumkommandiert und sie zu entindividualisiertem Material macht. Womit wir bei einem Grundthema von René Pollesch sind: das Theater, der Mensch, die Wirklichkeit, das "Als ob", die Liebe und die Gefühle und überhaupt.

    Gefühlte alle drei Wochen inszeniert René Pollesch ein als neu angekündigtes Stück auf deutschsprachigen Theaterbrettern. Da kann nicht alles neu und originell sein, und es kann auch nicht immer sorgfältig inszeniert sein. So wie bei dem wenig mehr als einstündigen Dresdner Abend. Er kommt thematisch und sprachlich redundant und inszenatorisch flüchtig und spannungslos daher. Wieder einmal geht es vor allem darum, was das Spielen für den Schauspieler bedeutet und was das Theater und das Leben aus ihm und dem Publikum machen. Doch was in frühen Stücken von Pollesch intellektuell auf- und anregend und witzig formuliert war, ist hier allzu routiniert und gemeinplatzhaft:

    "So wie Theater denken, sie sind ein Tempel, wo der Ernst schon vorinstalliert ist. Und so sehen sie dann auch aus, die Schauspieler, die vergessen haben, woher der Ernst kommen könnte. Aus dem Spiel eben. Dadurch, dass hier ein paar Leute so tun als ob. Und zwar in einem Raum, in dem es ausgerechnet um nichts geht. Also jedenfalls nicht um Leben und Tod. Im Theater geht es nie um Leben und Tod. Im Theater geht es immer nur um das gespielte Leben, um den gespielten Tod, - jedenfalls nicht um die Wahrheit."

    Fünf Schauspieler toben sich in Dresden mit angestrengter Verhaltenheit durch einen Text, der von Scheitern als Chance, von Selbstverachtung, von Liebe und deren Darstellbarkeit, von Geld, der Kirche, von falschen und wahren Gefühlen, von Materialismus und Sinnproduktion handelt. Wobei das Flüchten des Autors vor einer endgültigen Sinnfestlegung in seinen sich in sich selbst verheddernden, aus Pointensüchtigkeit widersprüchlichen Sätze diesmal flau bleibt, - und weit unter dem Niveau von Robert Pfallers im Programmheft zitiertem Bezugstext "Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie" nur vor sich hin frotzelt. Auch der Bezug in Pollesch´ Stücktitel "KapiTal der Puppen" auf den Hollywoodfilm "Tal der Puppen" von 1967 erschließt sich aus der Aufführung nicht, da mögen noch so oft Filmmusiken die Bühne überdröhnen. Auch die Bühnendarsteller sind verwirrt, das heißt, sie spielen Identitätsverwirrungen:

    "Du, ich, wer. Sie, es. Es, ich meine sie, äh, es, du, sie. Das ging zu schnell. Du warst ziemlich, ja, du warst ziemlich schnell weg. Ich dachte schon, er dachte schon, noch."

    Dieser Abend unterfordert den Zuschauer und überrollt ihn zugleich mit großer, leerer Geste. Das engagierte Ensemble war sichtlich vor allem damit beschäftigt, die kompliziert verdrehten Texte zu reproduzieren. Für Darstellerglanz und Darstellungswitz hatte ihnen der Autor Pollesch diesmal zu wenig Material geboten, und zu Tempo, Spielideen und Bühnenwirkung war dem Regisseur Pollesch auch nichts eingefallen. So wirkte dieser flaue Abend wie eine aufgeplusterte Resteverwertung aus der massen- und maschenhaften Produktion von Pollesch´ postdramatischer Sinnsucher-Theaterfabrik.