Freitag, 29. März 2024

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Grün-Schwarz in Baden-Württemberg
"Verdruss baut man damit nicht ab"

Oswald Metzger (CDU, früher Grüne) rechnet fest mit einer grün-schwarzen Regierung in Baden-Württemberg. Ministerpräsident Winfried Kretschmann komme auch bei den christdemokratischen Wählern gut an, sagte er im Deutschlandfunk. Um der Politikverdrossenheit Herr zu werden, seien aber ganz andere Dinge nötig.

Oswald Metzger im Gespräch mit Bettina Klein | 01.04.2016
    Der CDU-Politiker Oswald Metzger zu Gast bei der ARD-Talkshow "Menschen bei Maischberger" 2013.
    Der CDU-Politiker Oswald Metzger zu Gast bei der ARD-Talkshow "Menschen bei Maischberger" 2013. (dpa / picture alliance / Horst Galuschka)
    Metzger glaubt, die heute in Stuttgart beginnenden Koalitionsverhandlungen würden nicht einfach. Aber er rechne fest mit einem Erfolg - er wünsche ihn sich sogar. "Von Kretschmann habe ich immer etwas gehalten", betont er. Metzger war im Jahr 2007 bei den Grünen ausgetreten und ein halbes Jahr später zur CDU gewechselt. Bis 2015 war er Mitglied im Landesvorstand der baden-württembergischen CDU.
    Für das größte Problem hält Metzger die zunehmende Entfremdung zwischen Parteien und Bürgern. "Es gibt einen wachsenden Hass, einen Verdruss gegen das politische Establishment im Land und den baut man zum Beispiel mit Grün-Schwarz in Baden-Württemberg derzeit nicht ab", betont er. Wenn die Parteien dieses Problem nicht aufgriffen, drohe eine Phase politischer Unsicherheit - etwa wenn man meine, die Flüchtlingsthematik werde sich durch die sinkende Zahl der Zuwanderer von selbst erledigen.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Oswald Metzger war viele Jahre bekannter Politiker der grünen Partei, er war in den 70er-Jahren sogar mal bei der SPD, daran erinnert man sich heute weniger. Aber 2008 wechselte er dann in die CDU und gilt daher heute vielen als eine Art Verkörperung eines schwarz-grünen oder grün-schwarzen Regierungsbündnisses. Guten Morgen, Herr Metzger!
    Oswald Metzger: Guten Morgen, Frau Klein!
    Klein: Wenn man das jemandem vor 20 Jahren gesagt hätte – die Grünen beginnen Koalitionsgespräche mit ihrem Juniorpartner CDU –, dann wäre man für verrückt erklärt worden, oder?
    Metzger: Das hätte ich genauso gesehen, dann wäre man reif für die Klinik gewesen, keine Frage. Allerdings, also, was sozusagen auch meine Person betrifft: Bei den Pizza-Connection-Gesprächen in Bonn war ich schon vor jetzt 21 Jahren gelegentlich dabei und schon damals gab es Leute, die gesagt haben, man müsste eigentlich diese kulturellen Schranken zwischen Schwarz und Grün überwinden können eines Tages, allerdings natürlich immer in der Wahrnehmung einer kleinen Partei und der Union als große Partei. Dass sich das mal ändert, das war unvorstellbar.
    Klein: Ja eben, also, diese Pizza-Connection galt ja damals schon als einigermaßen spektakulär, in Zeiten, als es eben noch diese kulturellen und politischen Grabenkämpfe gab. Weshalb haben die Zeiten sich so verändert?
    "Die Milieus gleichen sich an"
    Metzger: Die Gesellschaft hat sich verändert. a) sind die Grünen eine Partei, was zwar schon oft beschrieben wurde, aber was auch gern vergessen wird, die überwiegend aus bürgerlichen Kreisen stammt. Also, eigentlich ist es sozusagen eine kulturell vielleicht eine Annäherung einer Generation, die sich von ihren Eltern distanziert hat in einer bestimmten Lebensphase, in Protesthaltung ging, außerparlamentarisch aktiv wurde, in den Grünen mündete, und mit zunehmendem Lebensalter merken die Leute natürlich, dass sie auf eine bestimmte Art und Weise sich annähern an den Verhaltenskodex auch ihrer Eltern: im Umfang mit den eigenen Kindern, sofern sie welche haben, man sitzt in der Oper plötzlich nebeneinander, die Milieus gleichen sich an, auch wenn die Lebensstile natürlich durchaus sich auseinanderentwickelt haben. Gleichzeitig kommt dazu, dass insgesamt der Umgang mit Politik ein anderer geworden ist als damals. Also, die ideologische Debatte in der Gesellschaft hat sich entideologisiert. Und gleichzeitig kommt natürlich dazu, dass eine Persönlichkeit wie Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg einfach ein Mann ist, der auch bei traditionellen CDU-Wählern einfach gut ankommt.
    Klein: Bleiben wir noch mal kurz bei den Milieus der Parteien, auch der Anhängerschaft: Gilt das, was Sie gerade beschrieben haben, Ihrer Meinung nach auch über Baden-Württemberg hinaus?
    "Kretschmann hat eine typisch südwestdeutsche Art"
    Metzger: Das gilt mit Sicherheit auch über Baden-Württemberg hinaus. Allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. Also, was man unbedingt vermeiden muss – und das zeigt eigentlich schon ein Blick auf den 13. März, den Wahlsonntag –, das 30-Prozent-Ergebnis der Grünen in Baden-Württemberg zu generalisieren. Wir erleben zwar jetzt bei der bundesweiten Umfrage gerade ein kleines Zwischenhoch, mit 13 Prozent liegen sie höher als jetzt viele Monate zuvor, was sicher an dem baden-württembergischen Ergebnis liegt, aber in Rheinland-Pfalz 5,3 Prozent und in Sachsen-Anhalt gerade so reingekommen, zeigt, dass die Grünen natürlich eine Partei sind, die irgendwo um die zehn Prozent bundesweit pendelt. Und das relativiert so manches. Und Kretschmann ist keine Person, glaube ich, die in allen anderen Landesverbänden der Grünen so reüssieren könnte, auch beim Wahlpublikum nicht. Das ist auch eine typisch südwestdeutsche Art, die er hat und verkörpert.
    Klein: Damit sind wir noch mal bei den Personen: Es gab ja durchaus auch nach der Bundestagswahl 2013 Sondierungsgespräche zwischen Union und Grünen, die sind dann gescheitert, wie man hörte, durchaus auch an den Grünen und wohl auch ein bisschen an der CSU. Aber würde es daran nicht möglicherweise zuallererst scheitern, dass eben auch auf Bundesebene ein ganz anderes politisches Personal agiert im Augenblick?
    "Auf Bundesebenbe werden sich die Grünen nicht mehr zieren"
    Metzger: Also, es agiert ein anderes Personal und im Moment ist auch die Programmlage der Grünen auf Bundesebene immer noch nicht korrigiert. Sie hatten ja 2011 – genau, ich muss richtig rechnen –, bei der Wahl hatten sie bei der letzten Bundestagswahl ein Programm, das sehr stark sozusagen von Steuererhöhungen geprägt war, eine linke Programmatik enthielt. Und mit dieser Programmatik hätten sie niemals in eine Koalition mit der Union gehen können. Insofern ist es klar, dass damals das Nein von grüner Seite kam. Aber inzwischen regieren sie natürlich schon seit elf Jahren nicht mehr auf Bundesebene, und politische Parteien und auch ihre Akteure wollen natürlich ran an die Macht, an Funktionsstellen, wollen was bewirken. Also werden die Grünen beim nächsten Mal, wenn denn die Wähler eine Konstellation möglich machen, wo überhaupt die Grünen als Partner gefragt sind, werden sie sich nicht zieren, da bin ich mir sicher.
    Klein: Nun muss man auch mal schauen, wieweit das eben auch von dem Erstarken der AfD jetzt abhängt und wie sich das weiterentwickelt. Denn diese neuen Konstellationen sind ja auch eine Folge des mathematischen Ergebnisses im Grunde genommen. Ich würde gern mal auf einen Punkt schauen: Es galt ja eine Zeit lang eigentlich die Devise, dass die Regierungen zumindest in der Bundesrepublik halt immer so ein bisschen der gesellschaftlichen Entwicklung hinterherhängen. Also '98, die erste rot-grüne Bundesregierung, da hat man auch gesagt, na, das ist nun wirklich keine Revolution mehr und das vollzieht eigentlich das nach, was in der Gesellschaft sich eh entwickelt hat. Gilt das eigentlich immer noch Ihrer Meinung nach?
    "Die Parteien sind immer weniger in Milieus verankert"
    Metzger: Ich bin der Meinung, das ist so. Und zwar deshalb, weil in den Parteien, in allen politischen Parteien inzwischen eine älter gewordene Mitgliedschaft den Ton angibt in der Mitgliedschaft. Und Funktionäre einer Partei sind natürlich stärker in Kontakt mit ihren Mitgliedern als mit ihren Wählerinnen und Wählern. Insofern hängen politische Parteien da der Entwicklung gern nach. Das ist aber gleichzeitig auch ein immenses Problem. In dem Kontext eine Seitenbemerkung: Was mir seit dem Sonntag, dem 13. März abhandengekommen ist in der Debatte, ist der Umgang, die Lehren, die man aus dem Aufstieg der AfD als Protestpartei zieht. Da zeigt sich nämlich eine Entfremdung der Politik insgesamt, aller Parteien von der Wählerschaft. Und das trifft selbst die Grünen, nämlich die haben in Baden-Württemberg auch fast 70.000 Wähler an die AfD verloren. Und hier manifestiert sich aus meiner Sicht das, was ich gerade andeute: Die politischen Parteien verlieren signifikant an Mitgliedern, seit vielen Jahren. Also, weniger als die Hälfte haben sie, die Parteien sind immer weniger in Milieus verankert, die partei- und politikfern sind. Es gibt einen wachsenden Hass, einen Verdruss gegen das politische Establishment im Land und den baut man zum Beispiel mit Grün-Schwarz in Baden-Württemberg derzeit nicht ab. Wenn Sie da die Hasskommentare jetzt aus Wählern lesen, die von der CDU zur AfD gewechselt sind, und wenn Sie auch die Diskussionen hören von Verrat, von Wählerverrat, dann besteht da natürlich eine Gefahr, dass, wenn die Parteien dieses Problem nicht aufgreifen, dass wir dann im nächsten Jahr vielleicht durch die Protestbewegung einen Unsicherheitsfaktor ins politische Geschäft bekommen, den man heute unterschätzt wieder, weil man meint, die Flüchtlingskrise würde sich ja durch weniger Druck der Zuwanderung erledigen.
    Klein: Ja, vielleicht auch, weil Guido Wolf ja eigentlich ausgeschlossen hat, dass er das macht, wozu es jetzt genau gekommen ist. Also, er hat ja diese Konstellation ausgeschlossen im Wahlkampf, das ist ja sicherlich auch ein Grund für den Unmut.
    Metzger: Natürlich, weil, er selber wollte Ministerpräsident werden und eigentlich hätte er doch bei seinem Vorgänger Mappus sehen müssen, dass eine Partei, die Konstellationen vor Wahlen ausschließt in Zeiten wie diesen, wo Fünf- und Sechs-Parteien-Parlamente fast normal werden, dass das schiefgeht. Mappus hatte ja, wenn Sie so wollen, für die CDU vor fünf Jahren in Baden-Württemberg eigentlich am Wahlabend mit 39 Prozent ein klares Mandat eigentlich, zumindest Gespräche zu führen. Aber er hat es abgelehnt, weil er gesagt hat, ich habe verloren, die anderen haben die Mehrheit. So kann man natürlich dann sich auch ins Abseits stellen. Und die Konsequenz und das Ergebnis mündete jetzt in der Juniorpartnerschaft.
    Klein: Herr Metzger, noch Frage mit Bitte um kurze Antwort: Wird es ein Erfolg jetzt mit Grün-Schwarz oder sind da noch zu viele Stolpersteine im Augenblick auf dem Weg?
    "Von Kretschmann habe ich immer was gehalten"
    Metzger: Also, es wird kein einfacher Weg, aber ich glaube, es wird ein Erfolg. Ich wünsche mir es auch. Ich sage ganz offen, also, wenn Sie mich angetextet haben mit Inkarnation der schwarz-grünen oder grün-schwarzen …
    Klein: So gelten Sie ja!
    Metzger: Ich wünsche mir, dass es ein Erfolg wird!
    Klein: Okay. Allerletzte Frage: Würden Sie heute als Grüner auch noch zur CDU wechseln oder denken Sie inzwischen darüber nach, wieder zurückzugehen?
    Metzger: Nein, also, das mache ich nicht. Ich habe Wechsel genug in meinem politischen Leben gemacht und wenn vernünftige Politik gemacht wird, da bin ich jetzt alt genug, da kann man links und rechts gucken und auch sagen: Vielleicht hätte ich bei den Grünen in Baden-Württemberg, wenn ich durchgehalten hätte, heute ein anders Standing als damals, da war der Linksruck spürbar bis in meinen Landesverband. Aber von Kretschmann habe ich immer was gehalten und der macht das auch gut.
    Klein: Oswald Metzger, früherer Grünen-Politiker, heute bei der CDU, heute Morgen zu den beginnenden grün-schwarzen Koalitionsverhandlungen in Baden-Württemberg. Danke Ihnen, Herr Metzger, für die Zeit heute Morgen!
    Metzger: Bitte, bitte schön, Frau Klein.
    Klein: Tschüs!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.