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Gründung der UNESCO vor 70 Jahren
Mit Bildung und Kultur gegen den Krieg im Geiste

Im November 1945 stand die Welt noch unter Schock und inmitten der Trümmer des Zweiten Weltkriegs. Für viele Menschen ging es ums nackte Überleben. Bildung und Kultur gerieten zur Nebensache. Die Gründer der UNESCO sahen das anders. Sie fragten: Können wir es uns leisten, nicht in Bildung und Kultur zu investieren? Die Antwort war klar: Nein.

Von Monika Köpcke | 16.11.2015
    Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden, so die britische Erziehungsministerin Ellen Witkinson am 16. November 1945. Die Vertreter von 37 Staaten hatten sich an diesem Tag in London versammelt, um nichts weniger zu versuchen, als den Frieden dauerhaft zu sichern - mit ihrer Unterschrift unter die Verfassung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, kurz: UNESCO. In ihrer Präambel heißt es:
    "Ein ausschließlich auf politischen und wirtschaftlichen Abmachungen von Regierungen beruhender Friede kann die einmütige, dauernde und aufrichtige Zustimmung der Völker der Welt nicht finden. Friede muss - wenn er nicht scheitern soll - in der geistigen und moralischen Solidarität der Menschen verankert sein."
    Der Zweite Weltkrieg war erst seit einem guten halben Jahr vorbei, seine immensen Zerstörungen waren noch überall sicht- und spürbar. Wo wohnen, wovon sich ernähren? Das waren gewiss die dringendsten Sorgen der Menschen. Doch für den Wiederaufbau war es ebenso drängend, in Erziehung, Wissenschaft und Kultur zu investieren. Bereits der Völkerbund hatte nach dem Ersten Weltkrieg die "moralische Abrüstung" zu seinem Ziel erklärt und das "Internationale Institut für Intellektuelle Zusammenarbeit" geschaffen. Doch ebenso wie der gesamte Völkerbund war es mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gescheitert.
    Eine Plattform für die demokratische Umerziehung der Menschheit
    "Die kaltblütige Zerstörung kultureller Ressourcen in weiten Teilen Europas und Asiens durch faschistische Regime, der Mord an Lehrern, Wissenschaftlern und führenden Intellektuellen, die Plünderung und Schändung von Kunstwerken, die Ausplünderung von Archiven und die Entwendung wissenschaftlicher Ausrüstung haben Zustände erzeugt, die unsere Zivilisation gefährden und damit auch den Frieden. Nicht nur in den Ländern und Kontinenten, die von faschistischen Mächten verwüstet wurden, sondern in der ganzen Welt."
    So hieß es in einem ersten Entwurf für die UNESCO-Verfassung von April 1944. Bereits seit 1942 hatte der britische Erziehungsminister Lord Butler Gespräche mit Amtskollegen aus acht europäischen Exilregierungen geführt. Man wollte den Wiederaufbau von Bildung und Kultur nach dem Krieg gemeinsam angehen. Geplant waren zunächst nur bilaterale Verträge zwischen den beteiligten Staaten. Doch in dem Maße, in dem die Gründung der Vereinten Nationen Gestalt annahm, wurde immer klarer, dass man unter ihrem Dach weltweit agieren wollte. Dieser Anspruch holte auch die USA mit ins Boot. Sie sahen die UNESCO als Plattform, ihre Vorstellungen von demokratischer Umerziehung umzusetzen. Während der Westen, vor allem die USA, anfangs den Ton angab, änderten sich seit den 60er-Jahren die Mehrheitsverhältnisse.
    Eine Politbühne für ideologisch aufgeladene Diskussionen
    1974 wurde zum ersten Mal ein Afrikaner, der Senegalese M'Bow, zum Generalsekretär gewählt. Über seine Amtsführung schrieb die sonst so liberale "Washington-Post": "Die UNESCO ist von einem Drittwelt-Kommunismus-Kollektiv gekapert worden, das anscheinend weniger an der Durchführung guter Alphabetisierungsprogramme als an ideologischen Debatten und am Luxusleben interessiert ist."
    Mit der Aufnahme der Ostblockländer und der unabhängig gewordenen Kolonialstaaten war die UNESCO mehr und mehr zur Politbühne für ideologisch aufgeladene Diskussionen geworden. Als Fälle von Vetternwirtschaft und Finanzskandale den Ruf endgültig zu ruinieren drohten, kündigten die USA 1985 ihre Mitgliedschaft. Erst 2002 kehrten sie zurück.
    Für die UNESCO-Generalversammlung gilt das Prinzip: ein Staat - eine Stimme. Nachdem im Oktober 2011 eine Mehrheit für die Aufnahme Palästinas stimmte, stellten die USA aus Protest gegen diese Entscheidung ihre Zahlungen ein. Obwohl die UNESCO mittlerweile 195 Mitglieder hat, fehlen ihr damit bis heute ein Fünftel ihrer Beiträge. Und das zu einer Zeit, in der ihre Verfassungswerte mit Füßen getreten werden: die Zerstörung von Weltkulturerbestätten, die große Zahl der Analphabeten und der Kinder, die keine Schule besuchen, die Verletzung der Presse- und Informationsfreiheit. Hier Einhalt zu fordern und für Verbesserungen zu wirken, ist Aufgabe der UNESCO. Eine Aufgabe, deren Umsetzung in der Realität nicht nur an Geldmangel, sondern immer wieder auch an Hass und Intoleranz scheitert.