Samstag, 20. April 2024

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Grünen-Chef Robert Habeck
"Zu schnell zu einer Sparpolitik zurückzukehren, wäre falsch"

Der Grünenpolitiker Robert Habeck spricht sich für eine Lockerung der Schuldenbremse nach der Pandemie aus. Entschuldung funktioniere durch Ausgaben und Wachstum, sagte er im Dlf. Um zugleich die Folgen der Klimakrise soweit wie möglich abzuschwächen, müsse nun in den Umbau der Wirtschaft investiert werden.

Robert Habeck im Gespräch mit Friedbert Meurer | 11.01.2021
Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen
Mehr Ausgaben, Wachstum und ein niedriger Zinssatz: Bei der Entschuldung nach der Coronakrise könne man sich am Vorgehen nach der Finanzkrise orientieren, sagte Grünen-Chef Robert Habeck im Dlf (picture alliance/dpa | Kay Nietfeld)
Die Parteien bereiten sich auf das Superwahljahr 2021 mit zahlreichen Landtagswahlen und dann als Höhepunkt der Bundestagswahl im September vor. Die CDU wählt am 16. Januar ihren neuen Vorsitzenden, die anderen Parteien sind in Klausur gegangen. Auch die Grünen, seit geraumer Zeit zweitstärkste Kraft in Deutschland - sie wollen erstmals einen eigenen Kanzlerkandidaten oder -kandidatin aufstellen. Der Co-Vorsitzende Robert Habeck äußerte sich zwar nicht konkret dazu, ob er selbst kandidieren werde. Doch er sagte im Dlf, seine Partei habe den Zuspruch der Gesellschaft und wolle sich der Verantwortung stellen "und das schließt das personelle Angebot mit ein".
Robert Habeck, Co-Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen
Grünen-Chef Robert Habeck: "Zurück zur alten Normalität ist kein wünschenswerter Zustand"
Agrarwende, Finanzwende, Verkehrswende: Veränderung sei notwendig, betonte Robert Habeck, Co-Chef der Grünen, im Dlf. Die Politik der Großen Koalition habe die Gesellschaft nicht krisenfest gemacht. Nötig seien jetzt Investitionen – auch um den Preis einer höheren Staatsverschuldung.
Ein Vorschlag auf der Klausur der Grünen lautet, die Schuldenbremse nach der Pandemie zu lockern. Es gehe nicht darum, "eine Politik der Spendierhosen zuzulassen", sondern man brauche durchaus eine Ausgabenkontrolle, so Habeck. Aber zu schnell zu einer Sparpolitik zurückzukehren, würde den wirtschaftlichen Aufschwung gefährden und es würde dazu führen, dass wichtige Ausgaben unterblieben. Für dringend erforderlich hält er eine Investition in den Umbau der Wirtschaft. Man brauche enorme Summen, um Produktion, Mobilität und Energiegewinnung so umzugestalten, dass wirtschaftlicher Aufschwung möglich, aber von Energieverbrauch und CO2-Ausstoßes in der Zukunft entkoppelt sei.
Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, steht zu Beginn des dreitägigen, digitalen Bundesparteitags der Grünen gestikulierend auf dem Podium.
Annalena Baerbock (Grüne): "Jetzt überall auf Klimaneutralität umstellen"
Eine Politik, die auf erneuerbare und fossile Energie zugleich setze, könne nicht klimaneutral werden, sagte Annalena Baerbock im Dlf und forderte entsprechende Gesetzesänderungen. Die Autoindustrie etwa brauche "klare Leitplanken", die zum Ende des Verbrennungsmotors führten, so die Grünen-Vorsitzende.
Als zweiten großen Investitionsbereich nennt der Grünenpolitiker die öffentliche Infrastruktur. Es gehe darum, "Schulen, Schwimmbäder, Innenstädte, Spielplätze, Bibliotheken, die Digitalisierung, die Krankenhäuser und Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum - also all das, was jetzt unter einem Stresstest steht - als Räume der Gemeinschaft zu erhalten". Darin sehe er einen der besten Hebel, soziale Gerechtigkeit umzusetzen. Weitere Investitionen seien im Bereich Forschung und der Entwicklung zukunftsfähiger Technologien nötig.
Die Entschuldung nach der Coronakrise hält Robert Habeck für kein großes Problem, "wenn man es klug anstellt". Man könne sich das Vorgehen nach der Finanzkrise anschauen: Der Staat habe gegen die eigenen Ansagen nicht gespart, sondern mehr Geld ausgegeben. Durch Wachstum und einen niedrigen Zinssatz seien die Schulden zurückgegangen – das könne man in Zukunft auch wieder machen.

Das Interview im Wortlaut:
Friedbert Meurer: Es wundert ein wenig: Die SPD regiert gemeinsam mit der Union, aber sie attackiert heftig den Bundesgesundheitsminister, weil der Impfstart nicht so läuft, wie viele sich das wünschen. Die Grünen dagegen sind in der Opposition, verlieren aber kein einziges kritisches Wort über die Impf- und Pandemie-Politik der Bundesregierung. Deswegen schreibt der "Spiegel" ein wenig spöttisch, die Grünen sind Angela Merkels Bodyguards. – Einer der beiden Anführer von Merkels Leibwache wäre demnach Robert Habeck, Vorsitzender der Grünen. Sind Sie die Leibgarde der Kanzlerin?
Habeck: Ich habe schon ein paarmal gesehen, die hat ganz gute Menschen, die auf sie aufpassen.
Meurer: Aber offenbar keine Opposition in Gestalt der Grünen, die sie kritisiert?
Habeck: Der Punkt ist ein anderer. Bigotte Kritik, die finde ich immer sehr unangebracht, und die SPD ist ja in der Bundesregierung mit drin. Sie stellt wichtige Minister und Ministerinnen. Hätten Dokumente vorgelegen, wo die SPD im August gesagt hätte, das reicht alles nicht, man muss es besser machen, wir müssen mehr beschaffen, ich als Finanzminister Olaf Scholz stelle mehr Geld bereit, dann würde ich mir das alles geduldig anschauen. Aber das nachträgliche Nachtreten finde ich äußerst unangenehm.
Heißt natürlich nicht, dass wir alles richtig und gut finden. Wir kritisieren ja auch, wenn es notwendig ist. Aber ich glaube, es müssen die richtigen Debatten geführt werden.

"Mit dem Finger auf andere zeigen ist eine politische Unkultur"

Meurer: Was kritisieren Sie denn?
Habeck: Wir haben die Finanzhilfen für Soloselbstständige beispielsweise und die sozialen Ungerechtigkeiten immer kritisiert. Bei der Impfstrategie haben wir vorgeschlagen, dass die Menschen, die jetzt dran sind, die Über-80-Jährigen vor allem, von den Behörden informiert werden und sich nicht selber in Telefonschleifen einwählen müssen, wo sie dann vier Stunden warten, um danach keinen Termin zu bekommen. Wir haben allerdings immer unterstützt, dass die Beschaffung über Europa richtig ist.
Meurer: Darf man die EU-Kommission kritisieren, wenn es nicht so gut läuft?
Habeck: Natürlich! Man darf die immer kritisieren, aber auch mit einem selbstkritischen Gestus, wenn man selber in der Verantwortung war. Mit dem Finger auf andere zeigen und immer anderen die Schuld geben, ist eine politische Unkultur, die uns in dieser Situation nicht weiterbringt.
Meurer: Aber die EU-Kommission hat nun mal den Auftrag bekommen – das war offensichtlich auch der Wunsch der Kanzlerin -, dass sie die Beschaffung für alle 27 EU-Staaten übernehmen soll. Sie finden den Job, den die EU-Kommission macht, absolut okay?
Habeck: Wenn man in der Bundesregierung ist, im wichtigsten – wichtigsten nehme ich zurück -, im größten Land, wirtschaftlich stärksten Land in Europa, und weiß, dass der Impfstoff beschafft werden soll, und man der EU-Kommission misstraut oder jedenfalls Nachfragen hat, dann soll man die stellen, wenn der Impfstoff bestellt wird. Danach kann man auch sagen, das war nicht gut, aber dann müsste man auch sagen, wir haben ehrlicherweise auch nicht darauf gedrungen, dass mehr Impfstoff bestellt wurde oder von anderen Firmen bestellt wurde. Dieser, wie ich finde, relativ plumpe Versuch, immer anderen die Schuld zu geben, der treibt die politische Geschlossenheit, die wir an dieser Stelle brauchen, auseinander, und das haben wir kritisiert.
Meurer: Also haben beide Fehler gemacht? Die Bundesregierung hätte mehr darauf drängen sollen, dass breiter gestreut eingekauft und bestellt wird, und die EU-Kommission auch?
Habeck: Noch mal: Es spricht überhaupt nichts dagegen, Fehler aufzuarbeiten und Fehler zu analysieren. Aber diejenigen, die selber in der Verantwortung waren, die es hätten wissen können – und das schließt die Opposition mit ein. Deswegen sind wir immer ein bisschen leiser, weil wir natürlich auch im August oder im Juli hätten nachfragen können, reicht das, ist die Strategie richtig. Haben wir aber in der Form auch nicht getan. Wir sitzen im Bundestag, wir sitzen in elf Landesregierungen, wir stellen einen Ministerpräsidenten. Hätten wir auch alles tun können. Deswegen kann man zwar sagen, wir hätten mehr kaufen können, aber nicht, ihr seid schuld. Das ist unangenehm, wobei man sagen muss, Jens Spahn und die CDU spielen ja das gleiche Spiel. Jens Spahn sagt, Merkel ist schuld, weil sie ihn gehindert hat, mehr einzukaufen. Das ist einfach eine politische Unsitte, immer dem anderen die Schuld zu geben. Das geht mir auf den Zeiger.
Meurer: Aber da könnten Sie den Finger draufhalten. Der Bundesgesundheitsminister gegen die Kanzlerin in so einer Situation, das ist doch eigentlich eine Steilvorlage für Sie.
Habeck: Ja, das haben wir getan. Natürlich haben wir das getan. Gleichermaßen, wie wir die SPD dafür angemahnt haben, nach vorne zu denken, sagen wir mal so, es in Zukunft besser zu machen. Aber es ist natürlich immer interessanter, wenn die Grünen die SPD kritisieren, als dass sie die CDU kritisieren.

"Hauptausgabenpunkt wird der Umbau der Wirtschaft"

Meurer: Sie sind mitten in der Klausur, Donnerstag und Freitag schon. Heute geht es weiter, ich glaube bis heute Mittag. Ein Vorschlag auf der Grünen-Klausur lautet: Wenn die Pandemie vorbei ist, dann soll die Schuldenbremse gelockert werden, aufgeweicht werden, um mehr zu investieren. Kann man das machen, wenn der Staat jetzt schon so viele Schulden auf sich lädt, noch mehr Schulden danach dann draufzupacken?
Habeck: Ja, das kann man machen. Ich würde sogar sagen, das muss man machen. Es geht nicht darum, eine Politik der Spendierhosen zuzulassen. Das wäre auch deswegen falsch, weil dann die Ausgabenkontrolle fehlt. Wenn das Geld wie Heu da ist, dann bauen Politiker alles Mögliche, auch unsinnige Sachen. Wir brauchen schon ein Regulativ. Das ist ein Wettbewerb um die besten Ideen, die dann hoffentlich zu Klimaschutz und Bildungsinvestitionen und so weiter führen und nicht zu neuen Flughäfen.
Aber zu schnell zu einer Sparpolitik zurückzukehren, wäre absolut falsch. Das würde den wirtschaftlichen Aufschwung gefährden, in Europa gefährden, und es würde dazu führen, dass die Ausgaben, die wir brauchen - auch, um aus der Krise gelernte Schlüsse dann umzusetzen, die nächsten Krisen, die Klimakrise soweit es noch geht zu verhindern -, unterbleiben. Dann haben wir zwar mehr Schulden in den Büchern, wenn wir das tun, aber weniger Schulden in der Wirklichkeit.
Meurer: Wo genau wollen Sie investieren?
Habeck: Der Hauptausgabenpunkt wird der Umbau der Wirtschaft, aber im breitesten Sinne, der Produktion wie des Verbrauches sein, der Mobilität wie der Energieproduktion. Das sind enorme Summen, die wir da brauchen, aber auch Summen, die dann wirtschaftlichen Aufschwung und Aufschwung mit einer Entkoppelung des Energieverbrauchs und des CO2-Ausstoßes in der Zukunft ermöglichen.
Der zweite große Bereich ist der jetzt so deutlich gewordene Bereich der öffentlichen Infrastruktur, also Schulen, Schwimmbäder, Innenstädte, Spielplätze, Bibliotheken, die Digitalisierung, die Krankenhäuser, Krankenhäuser und Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum, also all das, was jetzt unter einem Stresstest steht, als Räume der Gemeinschaft zu erhalten – sicherlich auch einer der besten Hebel, soziale Gerechtigkeit dann als Teilhabegerechtigkeit umzusetzen.
Der dritte große Punkt ist alles, was Forschung und Entwicklung und zukunftsfähige Technologien angeht.

"Es gibt ein Gerechtigkeitsproblem"

Meurer: Interessant ist ja, Herr Habeck, die Grünen setzen auf höhere Investitionen durch Lockerung der Schuldenbremse, aber nicht auf eine Vermögensabgabe. Warum nicht?
Habeck: Ich bin sehr dafür, dass höhere Vermögen einen größeren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwohls leisten, sowohl Vermögen wie auch höhere Einkommen. Aber aus sich selbst heraus ist das begründet. Das ist eine Gerechtigkeitsansage. Wer mehr verdient – wir haben das in den letzten Jahren gesehen -, verdient in Zukunft noch mehr. Die Reichen werden reicher und man sieht im unteren Bereich des Einkommens und des Vermögens, dass dort immer weniger verdient wird. Letztlich entwickelt sich die Gesellschaft auseinander – nicht so stark wie in angelsächsischen Ländern, aber doch stärker als zuvor, was die gesellschaftliche Mitte schädigt.
Meurer: Aber offenbar glauben Sie nicht, dass da genug Geld zu holen ist durch eine Vermögensabgabe.
Habeck: Die Vermögensabgabe, wie sie diskutiert wird, also eine Sonderabgabe zur Begleichung der Corona-Schulden, sagt, die Schulden sind ein Problem. Das sind sie aber nicht wirklich, denn wenn der Zinssatz null ist und der deutsche Staat kann sich noch immer zu null oder negativen Zinsen verschulden, man sehr lange Laufzeiten hat, die Inflation einen Teil der Schulden wegnimmt und die Wirtschaft prosperiert, dann reduziert sich der Rückzahlungssatz automatisch. Es ist eine gute Zeit, jetzt zu investieren. Deswegen gibt es bei der Rückzahlung eigentlich gar kein großes Problem, wenn man es klug macht. Es gibt ein Gerechtigkeitsproblem und das muss man trennen. Deswegen haben wir uns, ich mit dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann, den Sie zuvor im Interview hatten, gegen eine Vermögensabgabe zur Tilgung der Schulden ausgesprochen, wohl aber für eine höhere Besteuerung von Vermögen aus Gerechtigkeitsgründen.

Entschuldung wie nach der Finanzkrise

Meurer: Räumen Sie damit ein, dass letzten Endes die Vermögensabgabe, ich sage mal, eher eine symbolische Wirkung hat, aber von der Masse her und vom Tempo her da nicht so viel und schnell Geld zu holen ist?
Habeck: Vor allem haben wir uns angeschaut, wie die Entschuldung nach der Finanzkrise vorgenommen wurde, und da muss man sagen, dass der deutsche Staat, die Bundesregierung, die Große Koalition gegen ihre eigenen Ansagen mehr Geld ausgegeben hat. Sie haben gar nicht gespart in Wahrheit. Die Staatsausgaben sind gestiegen und die Schulden sind zurückgegangen durch Wachstum und einen niedrigen Null-Zinssatz. Dadurch hat sich der Staat entschuldet und das können wir in Zukunft auch weiter machen.

"Die anderen Parteien sind ermüdet und ausgelaugt"

Meurer: Noch eine kurze Frage natürlich, Herr Habeck. Die Grünen wollen über die Kanzlerkandidatur nach Ostern entscheiden. Haben Sie weiter dazu Lust, Bundeskanzler zu werden?
Habeck: Das hat mit Lust gar nichts zu tun. Wir sind in einer Situation, wo meine Partei die gesellschaftliche Verantwortung breiter wollen muss. Die anderen Parteien, ohne dass ich da jetzt zu tief reingehe, sind ermüdet und ausgelaugt und haben die Ideen für die Zukunft nicht programmatisch aufgearbeitet. Wir haben es! Wir haben den Zuspruch der Gesellschaft und dieser Verantwortung wollen wir uns stellen. Das schließt dann das Personelle Angebot mit ein.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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