Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Grundrente
"Warum sollen kleine Anleger kleine Rentner bezahlen?"

Es sei richtig, die Grundrente aus Steuermitteln zu bezahlen, sagte der Sven Giegold, für Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament. Er kritisierte allerdings, dass dafür die Finanztransaktionssteuer verwendet wird - diese sei mittlerweile ohnehin "leider ein Witz".

Sven Giegold im Gespräch mit Martin Zagatta | 16.11.2019
Der Grüne Europaabgeordnete und Kandidat für die Europawahl, Sven Giegold, von Bündnis 90/Die Grünen, spricht während der 43. Bundesdelegiertenkonferenz in Leipzig.
Sven Giegold kritisiert, dass die Finanztransaktionssteuer für die Grundrente verwendet werden soll. (dpa / Jan Woitas)
Die derzeitige Finanztransaktionssteuer sei eine Mogelpackung, denn der Finanzminister wolle nun nur noch Aktien besteuern. Finanzprofis hätten somit leichte Möglichkeiten, dieser auszuweichen. Sie sei zudem für die Bekämpfung der Armut in Afrika gedacht gewesen. "Die Finanztransaktionssteuer hatte eine großartige Idee: Länder tun sich zusammen und besteuern internationale Spekulation." Jetzt werde daraus ein Einnahmetöpfchen, welches nur einen Bruchteile der Einnahmen bringe. "Das ist leider ein Witz", sagte Giegold im Deutschlandfunk.
Es sei sehr, sehr bedauerlich, dass die SPD hier von ihrer eigenen Idee abkehre, anstatt mit anderen Ländern in Europa für die Idee zu streiten, dass es zu einer umfassenden Finanztransaktionssteuer komme, so Giegold. Das eigentliche Ziel, dass man hochspekulative Geschäfte verteuere und damit im Vergleich langfristige Engagements attraktiver mache, sei nicht erreichbar.
Warum sollen jetzt kleine Anleger kleine Rentner finanzieren, fragt Giegold. Es sei richtig, die Grundrente aus Steuermitteln zu bezahlen, sie sei auch überfällig. Warum man die Finanztransaktionssteuer dafür missbrauche und damit eine starke Idee aufgebe, sei unverständlich.

Das Interview in voller Länge:
Martin Zagatta: Die Finanzierung der Grundrente, auf die sich die Bundesregierung nach langem Hin und Her geeinigt hat, ist umstritten, aber sie belastet die Steuerzahler beziehungsweise die Rentenversicherung nicht allzu sehr, sagt jedenfalls Finanzminister Scholz. Deshalb nämlich, weil das Geld für diese Grundrente zum großen Teil aus der noch zu schaffenden Finanztransaktionssteuer kommen soll, eine – so ist es geplant – europäische Steuer, für die etwa Sven Giegold, der Europaabgeordnete der Grünen, schon seit Jahren kämpft. Guten Morgen, Herr Giegold!
Sven Giegold: Guten Morgen, Herr Zagatta!
"Alle wirklichen Finanzprofis werden die Steuer nicht zahlen"
Zagatta: Herr Giegold, um diese Finanztransaktionssteuer wird ja seit Jahrzehnten schon gerungen. Sind Sie der Bundesregierung jetzt dankbar, dass die jetzt endlich Nägel mit Köpfen macht?
Giegold: Sie haben Humor am frühen Morgen. Also: Es ist ganz anders. Diese Finanztransaktionssteuer ist ein reiner Etikettenschwindel. Zum einen war die ursprüngliche Idee, alle Finanzprodukte damit zu belasten. Was Herr Scholz jetzt will, ist eine reine Steuer auf Aktien. Das bedeutet, dass alle wirklichen Finanzprofis sie nicht zahlen werden, weil sie das einfach umgehen können durch die Schaffung von Derivaten, also abgeleiteten Finanzprodukten. Das Zweite ist, die Kampagne vieler Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und so weiter, an der ich mich eben auch seit Langem beteiligt habe und die wir Grünen auch unterstützen, wollte dieses Thema benutzen, die Einnahmen aus dieser Steuer benutzen, um damit international Armut zu bekämpfen, weil Entwicklungsländer besonders negativ betroffen sind von Spekulationen auf den Finanzmärkten. Und um eine Finanzierung der Renten von kleinen Leuten durch kleine Aktionäre ging es niemals.
Zagatta: Zwei Punkte, die Sie jetzt angesprochen haben. Wenn wir mit dem letzten da anfangen, also, dass die Steuer einmal gedacht gewesen sein soll für die Bekämpfung der Armut in Afrika. Jetzt wird es umgewidmet, jetzt ist es für die Bekämpfung der Armut in Deutschland.
Giegold: Ja, grundsätzlich ist natürlich das Thema der Grundrente völlig vernünftig, dass Menschen, die lange gearbeitet haben, weil die Löhne durch verfehlte Politik so tief abgefallen sind, das ist ja völlig nachvollziehbar. Aber die Finanztransaktionssteuer hatte eine großartige Idee: Länder tun sich international zusammen, besteuern die internationale Spekulation. Und mit den Einnahmen sorgen wir dafür, dass Entwicklungschancen steigen, so hat sich das in etwas anderer Form James Tobin, der Wirtschaftsnobelpreisträger, damals ausgedacht. Der wollte die Vereinten Nationen und ihre Gemeinwohlarbeit damit finanzieren. Und jetzt wird daraus ein Einnahmetöpfchen, das nur noch einen Bruchteil der ursprünglich geplanten Summen erbringt, weil man nur noch Aktien besteuert von Menschen, die sich leider nicht so geschickter Berater bedienen können, dass sie diese Steuer umgehen können, das ist einfach … Das ist leider ein Witz!
"Die SPD ist hier von ihren eigenen Ideen abgekehrt"
Zagatta: Mit dieser Steuer den ärmeren Menschen in Afrika zu helfen, war das jetzt – Sie sagen, das ist lange auf dem Markt –, haben Sie das unterstützt oder war das eigentlich auch mal eine Idee, die die SPD und die Union mitgetragen haben?
Giegold: Ja, in Deutschland gibt es eine Kampagne, die sich aus Protest gegen diese Vorschläge Ende letzten Jahres schon aufgelöst hat, die heißt "Steuer gegen Armut". Da waren Kirchen, Entwicklungsorganisationen, Gewerkschaften und als Unterstützer auch Parteien dabei. Und darunter auch die SPD, die SPD hat damit selber mitgetragen, eine umfassende Finanztransaktionssteuer durchzuführen und diese Gelder eben auch in die Armutsbekämpfung international zu stecken. Und deshalb ist es wirklich sehr, sehr bedauerlich, dass sich die SPD hier von ihren eigenen Ideen abgekehrt hat, statt in Europa mit anderen Ländern dafür zu streiten, dass es zu einer umfassenden Finanztransaktionssteuer kommt.
Zagatta: Herr Giegold, Stichwort andere Länder: Finanzminister Scholz sagt jetzt, das Gesetz könne innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen auf den Weg gebracht werden. Ist das so, ist das für Sie ausgemachte Sache, dass dieses Gesetz jetzt tatsächlich so schnell kommt?
Giegold: Nein, das zeigt ja, dass es ihm darum geht, im Zweifelsfall machen wir es eben national. Es gibt in der Tat andere Länder wie Frankreich und sogar Großbritannien und viele andere, die haben Börsenumsatzsteuern. Deutschland hatte das auch mal, und eine solche Steuer kann man national natürlich relativ schnell wieder ins Werk setzen, die Frage ist nur: Wozu? Weil das eigentliche Ziel, dass man hochspekulative Geschäfte verteuert und damit im Vergleich langfristige Finanzengagements attraktiver macht, dieses Ziel lässt sich so nicht erreichen, weil es eben die hochspekulativen Produkte gar nicht erfasst. Und zudem war das immer eine starke Idee, das mit möglichst vielen Ländern gemeinsam zu machen. Nun wollen das etliche Länder nicht, man kann das auch mit einer kleineren Gruppe machen, aber wenn Herr Scholz sagt, das geht jetzt alles ganz schnell, dann meint er damit einen nationalen Alleingang. Und auch das ist wiederum höchst bedauerlich.
"Eine gute Milliarde kann schon realistisch sein"
Zagatta: So wie ich ihn verstanden habe, meint er da schon zumindest eine Gruppe von europäischen Staaten. Die sehen Sie nicht?
Giegold: Doch, diese Gruppe gibt es, aber nicht innerhalb von so kurzer Zeit, wie Sie es eben gesagt haben. In den öffentlichen Äußerungen wurde ja angedeutet, man würde das auch national machen. Selbst das kann man im Zweifelsfall ökonomisch tun, die Frage ist nur, wozu soll das nützlich sein?
Zagatta: Und wenn man es national machen müsste – Sie gehen ja davon aus, dass es darauf hinausläuft –, wie viel Geld kommt da zusammen? Die Grundrente soll den Staat, so wird ja kalkuliert, jährlich 1,5 Milliarden Euro kosten. Ist denn für Sie abzusehen, was eine Finanztransaktionssteuer, wie sie jetzt geplant ist, für Deutschland einbringen würde?
Giegold: Wenn man das weltweit einführen würde, was das eigentliche Ziel war, dann reden wir über Hunderte von Milliarden Euro, das wäre ein wirklicher Schlag in die Einnahmenbereiche der hochspekulativen Instrumente. In Europa, der ursprüngliche Vorschlag sollte 44 Milliarden Euro einbringen. Wenn man das jetzt in Deutschland alleine macht und nur auf Aktiengeschäfte, dann hängt es natürlich wieder von der Ausgestaltung ab, aber die Größenordnung einer guten Milliarde, das kann schon, je nach Ausgestaltung, realistisch sein. Aber der Punkt ist: Warum sollen jetzt kleine Anleger kleine Rentner finanzieren? Es ist richtig, das aus Steuermitteln zu bezahlen, das ist auch überfällig, dass es eingeführt wird, aber warum man die Finanztransaktionssteuer dazu missbrauchen sollte, die eine so starke Idee ist, und aufzuhören, dafür international zu kämpfen, das ist mir völlig unverständlich.
"Die Finanztransaktionssteuer war Deutschland leider nie wichtig"
Zagatta: Vielleicht könnte man sagen, das ist ein erster Schritt, wenn man da jahrzehntelang um diese Steuer gekämpft hat und sie nicht auf den Weg gebracht hat. Wenn man es als ersten Schritt sieht, wie sehen Sie das, ist das jetzt unseriös, wie Finanzminister Scholz da vorgeht oder ist das entschlossen?
Giegold: Also, erst mal muss man sagen, seit der Finanzkrise hat diese Idee, die eine uralte ist, die es schon bei Keynes in wieder anderer Form gab, Dynamik gewonnen. Und in Europa gab es ja bis heute und gibt es bis heute eine Gruppe von Staaten, die grundsätzlich dazu bereit ist. Aber das war nie eine Priorität der deutschen Finanzpolitik, schon unter Herrn Schäuble, das wirklich durchzusetzen. Deutschland hat sich da engagiert für härtere Auflagen für Griechenland, andere Dinge waren in der Finanzpolitik Deutschlands in Europa wirklich wichtig. Die Finanztransaktionssteuer war es leider nie. Und natürlich hatte ich die Hoffnung, dass es mit einem SPD-Finanzminister Scholz hier jetzt einen Fortschritt gibt. Und deshalb ist es so bitter, dass man jetzt offensichtlich auf der europäischen Ebene auf diese Grundidee der Steuer, alle Produkte und die Einnahmen in die großen globalen Güter zu stecken, dass man auf diese Idee jetzt offensichtlich verzichtet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.