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75 Jahre Union Europäischer Föderalisten
Die Vereinigten Staaten von Europa bleiben ungewiss - noch

Ein föderaler Bundesstaat Europa – das ist das Ziel der Union Europäischer Föderalisten, die vor 75 Jahren gegründet wurde. Die Pläne der neuen deutschen Ampel-Regierung gehen in eine ähnliche Richtung. Gibt es bald die Vereinigten Staaten von Europa?

Von Christoph Schäfer |
1. Februar 1953: Mitglieder der Jungen Europäischen Föderalisten sammeln vor der Oper in Paris Spenden für die holländischen Flutopfer. - / Foto, 10. Februar 1953.
Junge Europäische Föderalisten 1953 in Paris – in Deutschland wurde die Europa-Union 1946 gegründet (picture alliance / akg-images)
Ankunft in Paris – zum Amtsantrittsbesuch des neu gewählten Bundeskanzlers Olaf Scholz. Dass seine erste Reise in den französischen Elysée-Palast führt, hat Tradition im deutschen Bundeskanzleramt. Es ist die erste Unterredung zwischen Regierungschef Scholz und dem französischen Präsidenten Macron. Auf ihrer gemeinsamen Pressekonferenz betonen sie den Willen zur Zusammenarbeit – und senden ein Signal in die EU:

„Es geht darum, wie wir Europa stark machen können und europäische Souveränität in all den Dimensionen, die dazugehören. Da geht es um ökonomische Fragen, um Sicherheitsfragen, um Fragen der Außenpolitik.”

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Und über all diesen Fragen steht die der Europäischen Integration. Wer auf Seite 131 ihres Koalitionsvertrags blickt, entdeckt: SPD, Grüne und FDP sprechen sich für eine weitreichende institutionelle Reform der Europäischen Union aus. Das Europäische Parlament soll gestärkt werden, indem – anders als derzeit – seine Abgeordneten ein Gesetzgebungsverfahren anstoßen können. Dieses Recht ist derzeit der Europäischen Kommission vorbehalten. Zu Europawahlen sollen länderübergreifende Wahllisten zur Abstimmung stehen – mit einem verbindlichen Spitzenkandidaten-System für die Präsidentschaft der Europäischen Kommission. Das sind beides Gedanken, die der französische Präsident Macron bereits in seiner vielbeachteten Sorbonne-Rede 2017 in Paris formuliert hat, in der er seine Vision für die EU skizziert. Unter all den Absichten der Ampel-Regierung sticht allerdings ein Punkt besonders hervor, denn eine Weiterentwicklung der EU soll, „zu einem föderalen europäischen Bundesstaat führen, der dezentral auch nach den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit organisiert ist und die Grundrechtecharta zur Grundlage hat.”

Damit scheinen die Vereinigten Staaten von Europa zum Greifen nah zu sein. Denn nichts anderes steckt hinter diesem technischen Ziel eines Bundesstaats – wenn er in all seinen Möglichkeiten umgesetzt wird. Die Ampel-Regierung will also eine echte Zäsur im grundsätzlichen Verständnis der EU einläuten. Der Gedanke an einen föderalen europäischen Bundesstaat hat dabei eine lange Ideengeschichte:

„Bei uns ist es in den Genen in der SPD”, betont Udo Bullmann, SPD-Europaabgeordneter. Für seine Partei ist er Verhandlungsführer in den Ampel-Gesprächen gewesen – für das Europa-Kapitel. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg sei die Idee der Vereinigten Staaten von Europa mit der Sozialdemokratie verbunden gewesen - und taucht nun in Form eines Bundesstaats im Programm der neuen Bundesregierung auf.

„Wir haben aber auch gespürt und gesehen, wie bei Grünen und bei Liberalen ein proeuropäischer Geist herrscht und wie wir alle zusammen ganz bewusst ein Signal setzen wollten trotz Brexit. Das wird uns jetzt nicht die Zukunft stehlen, trotz der Rechtspopulisten in Polen und in Ungarn. Wir sind proeuropäisch, wir wollen Europa voranbringen und wir formulieren das auch.”

Gemessen an ihren Ämtern, heben sich hierbei besonders die Grünen hervor: Mit dem Vorsitz des Europa-Ausschusses im Bundestag, einer EU-Staatsministerin und der Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Auf ihrer ersten Dienstreise in Brüssel hat sie betont, wie europäisch sie selbst und die Ampel-Regierung sei:

“I come here as a truly European by heart. And as a foreign minister of a truly European government in Germany.“

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Mit bundesstaatlichem Charakter

Die Idee eines europäischen Bundesstaats sei über Jahrhunderte transportiert worden, das macht die Historikerin Giuliana Laschi deutlich. Sie ist Expertin für europäische Integrationsgeschichte an der Universität Bologna. Das Konzept der europäischen Einigung reiche bis in das 18. Jahrhundert zurück, erklärt sie.

„Im Grunde geht es darum, eine Lösung für diese ständige Konkurrenz zwischen den europäischen Staaten zu finden, die vom Deutsch-Französischen Krieg des späten 19. Jahrhunderts bis eben zum Ersten Weltkrieg zu einer zunehmenden Aggression führt. Also es ist der Versuch gewesen, die europäischen Staaten in irgendeiner Weise zu zwingen, zusammenzuhalten. Es ist kein Zufall, dass die Idee eines föderalen Bunds nach dem Ersten Weltkrieg vorgeschlagen worden ist, dem ersten Krieg mit seinem grausamen Ausgang, mit seinen unendlich vielen Toten. Die eigentliche politische Form eines Bundes wurde jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen.”

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Ein wichtiger Vertreter dieser Idee war der italienische Politiker und Föderalist Altiero Spinelli.

„Selbstverständlich kann diese Verfassung für Europa nur einen reinen bundesstaatlichen Charakter haben – unter strenger Beachtung des Subsidiaritätsprinzips.”

So Spinelli im September 1976 im Radioprogramm des RIAS, also für die nach dem Zweiten Weltkrieg unter US-amerikanischer Verwaltung stehende Rundfunkanstalt in West-Berlin. In seinem Vortrag für die Sendung Rundfunkuniversität argumentiert er, warum zehn europäische Staaten Mitte der 1970er sich von der damaligen Europäischen Gemeinschaft zu der späteren Europäischen Union entwickeln sollten.

„Das heißt, ausschließlich das, was wirklich nur noch auf gemeinsamer Ebene geregelt werden kann, darf und soll Gemeinschaftskompetenz werden.“

Mit Gedanken wie diesen, avanciert Spinelli zu einem der Gründungsväter der Europäischen Gemeinschaft – und damit der späteren Europäischen Union. Das Gebot der Subsidiarität findet sich in den EU Verträgen wieder – und daran wollen auch die Ampel-Koalitionäre nicht rütteln. Spinellis föderale Gedanken liegen im italienischen Antifaschismus begründet. Die seinerzeit zu Aggression neigenden Nationalstaaten galt es für ihn zu überwinden. Als Kommunist in Italiens Regime unter Mussolini geriet Spinelli auf der Gefangeneninsel Ventotene in Haft. Dort schrieb er am “Manifest von Ventotene” mit – in welchem er für einen europäischen Föderalismus in Form eines europäischen Bundesstaats warb. Ein Ziel, auf das sich die heutige Union Europäischer Föderalisten beruft, die vor 75 Jahren in Paris gegründet wurde, woran Altiero Spinelli und Föderalisten um ihn herum aus ganz Europa beteiligt waren.

Spinelli wirkte in den 1970er Jahren in der Europäischen Kommission mit und war anschließend Abgeordneter im Europaparlament in Straßburg. Dort hat er im Februar 1984 die Abstimmung über einen Verfassungsvertrag für eine Europäische Union begleitet. Dieser stammte auch aus seiner Feder und wurde auch Spinelli-Entwurf genannt. Die Abstimmung im Europaparlament fand zwei Jahre vor seinem Tod statt.

Corona-Pandemie belebt den Föderalismus-Gedanken

Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse könnten nur durch eine gemeinsame Machtausübung gehandhabt werden, stellte er damals klar. Der Entwurf wurde mit großer Mehrheit im Parlament angenommen und prägte institutionelle Reformen in der Europapolitik in den 1990er Jahren. Aber wo steht die Idee eines europäischen Föderalismus heute? Nach zahlreichen EU-Verträgen und Integrationsschritten. Nach einer EU-Verfassung, die 2005 in Referenden in Frankreich und den Niederlanden durchgefallen ist. Angesichts unüberwindbar anmutenden Konfliktthemen zwischen den EU-Mitgliedern, wie eine gemeinsame Migrationspolitik? Der europäische Föderalismus sei noch nicht am Ende, sagt die Historikerin Giuliana Laschi von der Universität Bologna. Die Pandemie habe durch die Corona-Politik der EU-Kommission, etwa der Impfstoffbeschaffung, dem Föderalismus wieder Aufschwung verliehen.

„Er funktioniert noch. Wenn Sie sich die Situation vor der Pandemie anschauen, war sie viel schlechter. Meiner Meinung nach hat die Pandemie die Situation verbessert – tragischerweise. Das hat vor allem die Europäische Kommission begriffen.”

„Also was wir ja nun schon ein Stück weit auf die Schiene gebracht haben, ist, dass Europa nicht ertrinken darf in den Auswirkungen der gegenwärtigen Corona-Krise, weder gesundheitspolitisch, aber auch wirtschaftlich und sozial,” fügt der SPD-Europaparlamentarier Udo Bullmann hinzu. Hierfür sei das Corona-Wiederaufbauprogramm aufgelegt worden, an dem die schwarz-rote Bundesregierung samt Olaf Scholz als Finanzminister wesentlich mitgewirkt hätten. Mit dem Wiederaufbauprogramm würden föderale Zeichen gesetzt:

„Weil es das erste Mal auch neue Finanz-Spielräume dadurch schafft, dass man den europäischen Haushalt mit einbezieht. Aber auch dadurch, dass man Kriterien festlegt, in welche Richtung man investieren will, nämlich in Digitalisierung, Modernisierung, in Nachhaltigkeit und nicht in überkommene Industriestrukturen.”

Das 750 Milliarden Euro-Hilfspaket ist auch ein Erfolg der Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, wie Bullmanns Parlamentskollege Manfred Weber vermerkt. Der CSU-Politiker ist der Fraktionsvorsitzende der christdemokratischen EVP. Auch er begrüßt die europapolitischen Überlegungen im Ampel-Koalitionsvertrag - mahnt jedoch: Zunächst handele es sich nur um vereinbarte Texte:

„Sie müssen jetzt mit Leben gefüllt werden. Auch die letzte Bundesregierung, die schwarz-rote Bundesregierung, hatte ein ambitioniertes Europakapitel. Und dann ist diese Regierung genauso wie das bei der jetzigen sein wird in der Realität des Alltags angekommen - im Krisenmanagement Europas angekommen.”

Gleiches Steuerrecht, überall – und eine europäische Armee

An anderer Stelle in Brüssel werden die Ampel-Pläne ausdrücklich als mutig bezeichnet.

“It is very brave.”

Sandro Gozi, italienischer Europaabgeordneter in der liberalen Renew-Europe-Fraktion. Er ist der Präsident der Union Europäischer Föderalisten, die den Zielen Spinellis folgt - wie dem Ziel eines europäischen Bundesstaats.

„Die Antwort aus Berlin auf die Sorbonne-Rede von Präsident Macron und auf Teile unserer Forderungen ist endlich gekommen. Mit diesem Koalitionsvertrag ein wenig spät. Ich denke, dass es möglich ist, viele Ziele für Europa aus diesem Koalitionsvertrag umzusetzen – wenn es dazu einen starken Willen und eine Zusammenarbeit gibt - besonders zwischen Berlin, Paris und Rom.”

Ähnlich bewertet Janis Emmanouilidis vom Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre, die Ampel-Pläne: Während Reaktionen von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Macrons Visionen ausgeblieben seien, setze Berlin nun ein ähnlich starkes europapolitisches Signal wie damals Paris mit der vielbeachteten Sorbonne-Rede. Er benennt jedoch Schwierigkeiten für die Umsetzung eines europäischen föderalen Bundesstaats, denn ein solcher würde das bisherige institutionelle Gefüge der EU weitreichend verändern:

„Sie ist ein Verbund von Staaten und von Bürgern. Sie ist kein föderaler Staat, wie wir das jetzt kennen, beispielsweise von der Bundesrepublik oder von den Vereinigten Staaten von Amerika. Sie hat also staatsähnliche Qualitäten und auch Funktionen. Aber sie ist bei weitem kein staatliches Gebilde.”

Hierfür fehle ihr mitunter eine Regierung und Entscheidungsfindungen, die nach dem Mehrheitsprinzip möglich sind. Letzteres möchte die Ampel-Regierung ebenfalls angehen, indem sie für außen-, verteidigungs- und sicherheitspolitische Entscheidungen das Einstimmigkeitsprinzip abschafft – und durch qualifizierte Mehrheitsentscheide ersetzt. Für diese Politikbereiche soll nach dem Ziel Berlins auch das Amt eines EU-Außenministers eingeführt werden, welches das Amt des Hohen Vertreters dann ersetzt. Der Vorteil einer zunehmend föderalen EU für deren Bürger: Lebensbereiche würden EU-weit vermutlich vereinheitlicht werden, glaubt der EU-Experte Janis Emmanouilidis und nennt Beispiele:
                                                                                                                                                                             „Dass man tatsächlich als Bürger der Europäischen Union, egal wo man in Europa lebt, die gleichen Rechte und die gleichen Verpflichtungen hat. In Fragen der Steuerpolitik haben wir momentan nationale Steuersysteme. Es sind die Mitgliedstaaten, die dafür verantwortlich sind. Hätten wir einen europäischen Bundesstaat, würden wir das harmonisieren. Würden die gleichen Steuern eventuell dann auch gelten – für jedes Unternehmen, egal wo es in der Europäischen Union angesiedelt ist. Im Bereich der Außenpolitik, würden wir nicht mehr 27 nationale Armeen haben, sondern eine europäische Armee, wo dann auch bestimmt wird, wann diese Armee eingesetzt wird. Also von daher, es würde alle Lebensbereiche beeinflussen, wenn Europa sich tatsächlich entwickeln würde in Richtung eines Bundestaates.”

Künftige Abspaltungen wie den Brexit vermeiden

In einer weiter föderalisierten Außen-, Verteidigungs-  und Migrationspolitik sieht auch der Ökonom Achim Wambach Vorteile. Bei den Ampel-Plänen spricht er von einer Zäsur für die europäische Integration. Der Leiter des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim warnt jedoch vor “zu viel gemeinsam” – etwa in der Sozialpolitik:

„Weil es nicht diesen grenzüberschreitenden Charakter hat. Also den Jugendarbeitslosen in Portugal denen ist natürlich auch mal ein Job in Deutschland hilfreich. Wir haben ja Freizügigkeit in Europa. Aber die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit: Wie ist das Schulsystem? Wie werden die ausgebildet? Wie werden die in den Arbeitsmarkt integriert? Das muss vor Ort erfolgen.”
Eine Kundgebung unter dem Motto Für die Deutsch-Französische Freundschaft an der Freundschaftsbrücke in Kleinblittersdorf findet am Samstag 09.05.2020 statt.
Glauben an die deutsch-französische Freundschaft und einen europäischen Bundesstaat: die Jungen Europäischen Föderalisten JEF Saarland (imago / Becker&Bredel)

Für ihn bedarf es eines europäischen Mehrwerts, der sich für Länder ergeben muss, sobald die EU maßgeblich für Politikfelder zuständig ist. Andernfalls könnten Abspaltungen die Folge sein – wie in Form des Brexits. Dass Europa mehr Integration brauche, macht die neue Bundesregierung deutlich. Nur in welchen Bereichen dies neben der Außenpolitik geschehen soll, steht noch nicht fest – dies dürfte auch vom “Wie” weiterer Integration abhängen. Hierzu soll ein Gremium zum Tragen kommen, das bisher wenig öffentliche Aufmerksamkeit erhalten hat:

„Die Konferenz zur Zukunft Europas wird ein wichtiger Meilenstein für unsere Europäische Union sein,“ so hat es Bundesaußenministerin Annalena Baerbock beim Antrittsbesuch bei ihrem französischen Amtskollegen erklärt. Die Konferenz soll in einen verfassungsgebenden Konvent münden, so halten es die Ampel-Koalitionäre in ihrem Vertrag fest. Die Konferenz hat im Mai ihre Arbeit aufgenommen – als Projekt mehrerer EU-Institutionen. Hunderte zufällig ausgewählte Menschen in Europa erarbeiten Leitlinien dazu, wie die Europäische Union ihren Vorstellungen nach handeln soll – im Bereich, Umwelt, digitaler Wandel oder Bildung. Bis kommenden April sollen erste Ergebnisse der Konferenz vorliegen. Für den Föderalisten Sandro Gozi stellen sich hierbei noch Fragen.

„Wie sollen wir in der Konferenz entscheiden? Denn momentan gibt es noch viele Ideen und Debatten zur Orientierung. Aber am Ende des Tages soll das Plenum der Konferenz – Bürger, Parlamentarier, Minister – festlegen, welche Reformen wir umsetzen oder welche Initiativen wir ergreifen sollen.“

Er fordert vor allem, dass die auf der Konferenz beschlossenen Vorhaben auch verbindlich sind.

„Das ist ein sehr hoher Anspruch. Und ja, die Konferenz, die Zukunftskonferenz wird bisher nicht wahrgenommen. Sie hat auch keine starke politische Unterstützung. Viele Mitgliedstaaten sind entweder ihr unaufgeschlossen, oder sie interessieren sich nicht dafür,” gibt Emmanouilidis vom European Policy Centre zu Bedenken. Denn Mitgliedsstaaten würden befürchten, „dass die Zukunftskonferenz eventuell aus ihrer Perspektive außer Kontrolle geraten könnte. Also, dass da Vorschläge herauskommen, wo man dann, wo viele Mitgliedstaaten sich nicht in der Lage sehen oder nicht wollen, dass diese umgesetzt werden.”

Widerstand kommt von antieuropäischen Regierungen wie in Polen

Widerstand gegen die Ampel-Pläne für Europa – auf welche Weise auch immer – kommt bereits aus Warschau. Zum Antrittsbesuch von Olaf Scholz ließ der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki diesen wissen: einen europäischen Bundesstaat lehne er ab. Bedeutet solcher Widerstand bereits das Ende für die langfristigen europapolitischen Absichten in Berlin? Für eine Vertragsänderung in der EU bedarf es Einstimmigkeit unter ihren Mitgliedern. SPD-Politiker Udo Bullmann zeigt sich optimistisch:

„Nirgendwo sind Regierungen in Stein gemeißelt. Es kann auch andernorts Regierungswechsel geben, wie wir das gerade in der Bundesrepublik Deutschland gesehen haben. Es gibt sehr viele Befürworter Europas, in Polen wie in Ungarn.”
Bundeskanzler Scholz und Polens Regierungschef Morawiecki vor den Flaggen der beiden Ländern auf einem roten Teppich.
Die polnische Regierung lehnt die Pläne der Ampel-Koalition für Europa ab – erfuhr Olaf Scholz beim Antrittsbesuch in Warschau (picture alliance / dpa)


Politikexperte Janis Emmanouilidis hält eine Vertragsänderung für unvermeidlich. Sollte dieser Schritt scheitern, so müsse das allerdings nicht zwangsläufig auf anti-europäische Kräfte innerhalb der EU zurückzuführen sein:

„Es ist vor allem auch an den pro-europäischen Kräften, sich zu entscheiden, wie weit sie gehen wollen und dann auch tatsächlich bereit sind, den politischen Willen, die politische Energie einzusetzen, um das umzusetzen. Und da sehe ich, dass die politischen Führungen in diesen Ländern teilweise auch nicht sehr überzeugt sind, dass sie diesen Weg gehen sollen.“

Welche Form hat die EU in der Zukunft?

Für die Historikerin Giuliana Laschi von der Universität Bologna steht indes fest: So wie die EU derzeit verfasst ist, sei sie entscheidungsunfreudig – und handlungsunfähig. Das Europa-Programm der Ampel habe zumindest Signalwirkung:

„Ein Deutschland, das immer noch eine europäische Föderation vorschlägt, auch wenn dies vielen unmöglich erscheinen mag, gibt mir Hoffnung für die Zukunft Europas. Meiner Meinung nach ist das ein Zeichen für die Ernsthaftigkeit und Tiefe des europäischen Integrationsprozesses.”

Die Idee eines europäischen föderalen Bundesstaats ist historisch aufgeladen. Ob ein solcher Staat die Europäische Union in ihrer jetzigen Form ablösen könnte, bleibt vermutlich auch in dieser Legislaturperiode der Ampel ungewiss – zumal es in dieser Frage nicht nur auf die deutsche Regierung ankommt, sondern auch auf den Rest der EU.