Dirk-Oliver Heckmann: Die Bundesagentur für Arbeit, Monat für Monat wartet sie mit aktuellen Zahlen auf. Gestern war es wieder so weit. Ein Ergebnis: Noch nie waren so viele Menschen erwerbstätig wie im September dieses Jahres. Insgesamt sind es 42 Millionen. Die gute Beschäftigungslage wirkt sich auch auf die Sozialversicherungen aus. Die Kasse der gesetzlichen Rentenversicherung zum Beispiel, die ist prall gefüllt. Logische Folge müsste sein, dass die Politik den Rentenbeitrag absenkt. Die Deutsche Rentenversicherung hat berechnet, dass eine Senkung von 18,9 auf 18,3 Prozent möglich wäre. Das würde Beschäftigte und Arbeitgeber um rund sechs Milliarden Euro entlasten, und das Jahr für Jahr. Aber es könnte gut sein, dass diese Entlastung ausfällt, denn Union und SPD haben kostspielige Pläne. Darüber möchten wir reden mit Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK. Schönen guten Morgen, Frau Mascher!
Ulrike Mascher: Guten Tag!
Heckmann: Und mit Alexander Gunkel. Er ist Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, zugleich ist er Vorstandsvorsitzender der Deutschen Rentenversicherung im Bund und vertritt dort die Arbeitgeber. Guten Morgen auch Ihnen, Herr Gunkel.
Alexander Gunkel: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Gunkel, vielleicht fangen wir mit Ihnen an. Die Regierung muss den Beitragssatz für die Rente ja senken, sobald die Reserven das 1,5fache der üblichen Monatsausgaben überschreiten, und das ist der Fall. Sie gehen trotzdem nicht davon aus, dass es zu einer Entlastung kommt. Dabei ist die doch gesetzlich vorgeschrieben!
Gunkel: Ja wir hoffen und erwarten, dass der Beitragssatz entsprechend den gesetzlichen Vorgaben im kommenden Jahr auf 18,3 Prozent gesenkt wird. Eine solche Senkung würde Arbeitgeber und Beschäftigte um rund sechs Milliarden entlasten. Auch der Bund würde entlastet oder der Bundeszuschuss. Eine solche Entlastung ist wichtig, weil wir erstens in der Pflegeversicherung – das haben beide voraussichtlichen Koalitionspartner bereits erklärt, höhere Belastungen zu erwarten haben für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Beitragssatz soll dort steigen. Und auch bei den Steuern sieht es ja so aus, dass wir hier mit der höchsten Steuerquote seit der Wiedervereinigung eine hohe Belastung aktuell haben. Insofern ist die Entlastung in der Rentenversicherung für Arbeitgeber und Beschäftigte sehr notwendig und angemessen und entspricht den gesetzlichen Vorgaben. Höhere Reserven, die entstehen würden mit einem Beitragssatz in der aktuellen Höhe, würden nur Begehrlichkeiten schaffen. Wir sehen ja jetzt schon, wie die Koalitionsverhandlungen darauf ausgerichtet sind, dass das zusätzliche Geld ausgegeben werden soll.
Heckmann: Ich wollte gerade sagen: Sie hoffen und erwarten, dass diese Beitragssenkung stattfindet. Aber sicher sind Sie sich nicht?
Gunkel: Wir sind uns angesichts der Ankündigungen, die getroffen worden sind, da keinesfalls sicher. Es war ja schon im letzten Jahr sehr umstritten, ob diese Beitragssatzsenkung kommt. Das Auffällige ist ja nur, dass diejenigen, die immer sagen, wir sollten den Beitragssatz senken, um Reserven für die Zukunft zu schaffen, im gleichen Atemzug aber auch viele Leistungsausweitungen fordern. Es ist sicher richtig, wenn die Reserven in der Rentenversicherung hoch sind – und wir erwarten Ende des Jahres, dass 31 Milliarden Euro Reserven in der Rentenversicherung angesammelt sein werden -, dass man dann kurzfristig, ganz vorübergehend höhere Leistungen finanzieren könnte. Aber Rentenversicherung darf ja nicht in Legislaturperioden denken, sondern muss für Generationen handeln, und da wissen wir, dass zusätzliche Ausgaben, beispielsweise höhere Mütterrenten, eine Lebensleistungsrente, langfristig hohe Finanzierungslasten schafft, die nicht zu stemmen sind.
Heckmann: Die Mütterrente – Sie haben das Stichwort genannt -, Frau Mascher, Sie vertreten ja die Interessen von Millionen Rentnerinnen und Rentnern. Wenn jetzt ältere Mütter endlich gleichgestellt werden mit Müttern von Kindern, die nach ‘92 geboren sind, und dafür diese jetzt vorliegenden Finanzpolster verwendet werden, dann können Sie doch nicht viel dagegen haben, oder? Wozu haben wir denn sonst die Rentenbeiträge.
Mascher: Die Mütterrente, das ist, glaube ich, wirklich eine ganz grundlegende Frage von Gerechtigkeit und von Anerkennung der Lebensleistung von Müttern. Dass Müttern, die vor 1992 Kinder geboren haben, nur ein Erziehungsjahr angerechnet wird, während bei den anderen drei Jahre, das ist einfach nicht haltbar auf die Dauer. Auch wenn das vom Verfassungsgericht geprüft worden ist, das weiß ich auch. Und es gibt ja jetzt Erklärungen aller oder der beiden großen Parteien, dass sie da zumindest einen ersten Schritt gehen wollen, mindestens ein Jahr hier mehr anrechnen, und ich halte das auch für dringend notwendig, wenn man sich ansieht, wer vor allen Dingen von Altersarmut betroffen ist. Das sind alte Frauen, die viel Zeit, Lebenszeit für die Erziehung und Betreuung von Kindern aufgebracht haben.
Heckmann: Aber die Frage ist ja, wie es finanziert werden soll, ob dazu auf diese Reserven zurückgegriffen werden soll.
Ulrike Mascher: Guten Tag!
Heckmann: Und mit Alexander Gunkel. Er ist Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, zugleich ist er Vorstandsvorsitzender der Deutschen Rentenversicherung im Bund und vertritt dort die Arbeitgeber. Guten Morgen auch Ihnen, Herr Gunkel.
Alexander Gunkel: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Gunkel, vielleicht fangen wir mit Ihnen an. Die Regierung muss den Beitragssatz für die Rente ja senken, sobald die Reserven das 1,5fache der üblichen Monatsausgaben überschreiten, und das ist der Fall. Sie gehen trotzdem nicht davon aus, dass es zu einer Entlastung kommt. Dabei ist die doch gesetzlich vorgeschrieben!
Gunkel: Ja wir hoffen und erwarten, dass der Beitragssatz entsprechend den gesetzlichen Vorgaben im kommenden Jahr auf 18,3 Prozent gesenkt wird. Eine solche Senkung würde Arbeitgeber und Beschäftigte um rund sechs Milliarden entlasten. Auch der Bund würde entlastet oder der Bundeszuschuss. Eine solche Entlastung ist wichtig, weil wir erstens in der Pflegeversicherung – das haben beide voraussichtlichen Koalitionspartner bereits erklärt, höhere Belastungen zu erwarten haben für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Beitragssatz soll dort steigen. Und auch bei den Steuern sieht es ja so aus, dass wir hier mit der höchsten Steuerquote seit der Wiedervereinigung eine hohe Belastung aktuell haben. Insofern ist die Entlastung in der Rentenversicherung für Arbeitgeber und Beschäftigte sehr notwendig und angemessen und entspricht den gesetzlichen Vorgaben. Höhere Reserven, die entstehen würden mit einem Beitragssatz in der aktuellen Höhe, würden nur Begehrlichkeiten schaffen. Wir sehen ja jetzt schon, wie die Koalitionsverhandlungen darauf ausgerichtet sind, dass das zusätzliche Geld ausgegeben werden soll.
Heckmann: Ich wollte gerade sagen: Sie hoffen und erwarten, dass diese Beitragssenkung stattfindet. Aber sicher sind Sie sich nicht?
Gunkel: Wir sind uns angesichts der Ankündigungen, die getroffen worden sind, da keinesfalls sicher. Es war ja schon im letzten Jahr sehr umstritten, ob diese Beitragssatzsenkung kommt. Das Auffällige ist ja nur, dass diejenigen, die immer sagen, wir sollten den Beitragssatz senken, um Reserven für die Zukunft zu schaffen, im gleichen Atemzug aber auch viele Leistungsausweitungen fordern. Es ist sicher richtig, wenn die Reserven in der Rentenversicherung hoch sind – und wir erwarten Ende des Jahres, dass 31 Milliarden Euro Reserven in der Rentenversicherung angesammelt sein werden -, dass man dann kurzfristig, ganz vorübergehend höhere Leistungen finanzieren könnte. Aber Rentenversicherung darf ja nicht in Legislaturperioden denken, sondern muss für Generationen handeln, und da wissen wir, dass zusätzliche Ausgaben, beispielsweise höhere Mütterrenten, eine Lebensleistungsrente, langfristig hohe Finanzierungslasten schafft, die nicht zu stemmen sind.
Heckmann: Die Mütterrente – Sie haben das Stichwort genannt -, Frau Mascher, Sie vertreten ja die Interessen von Millionen Rentnerinnen und Rentnern. Wenn jetzt ältere Mütter endlich gleichgestellt werden mit Müttern von Kindern, die nach ‘92 geboren sind, und dafür diese jetzt vorliegenden Finanzpolster verwendet werden, dann können Sie doch nicht viel dagegen haben, oder? Wozu haben wir denn sonst die Rentenbeiträge.
Mascher: Die Mütterrente, das ist, glaube ich, wirklich eine ganz grundlegende Frage von Gerechtigkeit und von Anerkennung der Lebensleistung von Müttern. Dass Müttern, die vor 1992 Kinder geboren haben, nur ein Erziehungsjahr angerechnet wird, während bei den anderen drei Jahre, das ist einfach nicht haltbar auf die Dauer. Auch wenn das vom Verfassungsgericht geprüft worden ist, das weiß ich auch. Und es gibt ja jetzt Erklärungen aller oder der beiden großen Parteien, dass sie da zumindest einen ersten Schritt gehen wollen, mindestens ein Jahr hier mehr anrechnen, und ich halte das auch für dringend notwendig, wenn man sich ansieht, wer vor allen Dingen von Altersarmut betroffen ist. Das sind alte Frauen, die viel Zeit, Lebenszeit für die Erziehung und Betreuung von Kindern aufgebracht haben.
Heckmann: Aber die Frage ist ja, wie es finanziert werden soll, ob dazu auf diese Reserven zurückgegriffen werden soll.
Entlastung kaum spürbar?
Mascher: Nein, nein, nein! Das soll so finanziert werden, wie die Kindererziehungszeiten bisher finanziert werden, nämlich aus Steuermitteln. Da gibt es überhaupt keine vernünftige, nachvollziehbare Begründung, warum jetzt plötzlich ein Teil, wenn er denn kommen sollte, von den Beitragszahlern finanziert wird. Das ist eine familienpolitische Leistung, die muss von den Steuerzahlern finanziert werden, und da war man sich bisher auch immer völlig einig in der Frage.
Die andere Sache ist, ob man den Beitragssatz absenken soll. Sechs Milliarden Entlastung klingt natürlich wahnsinnig viel. Wenn Sie das aber runterrechnen auf den einzelnen Versicherten, aber selbst auf einzelne Betriebe, dann ist das nicht so wahnsinnig viel, und wir plädieren dafür, dass man hier zum Beispiel daran geht, endlich Rehabilitationsleistungen ordentlich zu finanzieren. Da gibt es bisher eine Budgetierung und wir alle wissen, dass wir, wenn wir die Menschen länger in Arbeit halten wollen, auch mehr Rehabilitationsleistungen brauchen. Nach dem Mechanismus der Rentenversicherung würde dieses Budget 2014 sogar abgesenkt werden. Also wir plädieren dringend dafür, dass das, was alle Parteien im Bundestag auch in der letzten Legislaturperiode gewollt haben, dass der Reha-Deckel entweder angehoben wird, wir fordern, er soll ganz wegfallen.
Heckmann: Die Absenkung des Rentenbeitrages gar nicht so eine sinnvolle Sache für den Einzelnen, Herr Gunkel, weil am Ende gar nicht so viel dabei herauskommt für die einzelne Person. Das heißt, lieber das Geld reinstecken in diese Rehamaßnahmen?
Gunkel: Nein. So gering ist die Entlastung nun nicht, wie Frau Mascher das eben dargestellt hat. Bezogen auf einen Durchschnittsverdiener und den Arbeitgeber bedeutet das immerhin eine Beitragsentlastung von über 200 Euro, wenn der Beitragssatz, wie das die gesetzlichen Vorgaben vorsehen, gesenkt würde.
Mascher: Im Jahr!
Gunkel: Im Jahr, ja.
Mascher: Nicht, dass da ein falscher Eindruck entsteht.
Gunkel: 200 Euro mehr oder weniger haben im Jahr ist für einen Durchschnittsverdiener, Frau Mascher, schon nicht ohne. Wenn Sie sich die zusätzlichen Belastungen in anderen Bereichen, beispielsweise Strom ansehen, ist dies nicht unerheblich. Aber im Bereich Reha gibt es einen Vorschlag, den auch die Arbeitgeber unterstützen, wie hier das Rehabudget künftig angepasst werden kann. Aber ich denke, wir müssen insgesamt bei den vielen Maßnahmen, die momentan diskutiert werden, Lebensleistungsrente, Mütterrente, höhere Erwerbsminderungsrenten, Ausnahmeregelungen für langjährig Beschäftigte, wir müssen insgesamt gucken, wie lässt sich das finanzieren.
Allein die Mütterrente würde bis zum Jahr 2030 nach den Plänen von Union, von CDU und CSU 130 Milliarden Euro zusätzlich für die Rentenkasse an Belastung bedeuten. Das ist eine Summe, die die Rentenversicherung stärker belasten würde, als die Rente mit 67 bis dahin an Einsparungen bringt. Und da stellt sich doch ernsthaft die Frage: Wir haben doch die Rente mit 67 deshalb eingeführt, weil wir damit die Finanzierbarkeit der Rentenversicherung sicherstellen wollen.
Heckmann: Das heißt, welchen Schluss ziehen Sie daraus?
Gunkel: Dass die notwendigen Maßnahmen, die ergriffen worden sind, um die Rentenversicherung dauerhaft finanzierbar zu machen, um den Beitragsanstieg, der demografisch ohnehin zu erwarten ist, zumindest zu begrenzen, dass wir diese Reformerfolge, die errungen sind, dass wir die nicht gefährden dürfen durch leichtfertige Reformversprechen, die jetzt vielleicht kurzfristig umzusetzen sind, aber langfristig die Beitragszahler überfordern würden.
Heckmann: Das heißt, man sollte sich das Projekt noch mal überlegen mit der Mütterrente?
Mascher: Ich bin dafür, dass man sich überlegt, wie man das finanziert, und zwar, dass man das so finanziert, wie bisher Erziehungszeiten finanziert worden sind: aus den Steuermitteln, aus dem Bundeszuschuss und nicht von den Beitragszahlern. Da bin ich ganz bei Herrn Gunkel. Das geht nicht, dass so eine familienpolitische Leistung von den Beitragszahlern gezahlt wird. Das ist eine Leistung, die alle Steuerzahler, auch die, die keine Versicherungsbeiträge zahlen, mit schultern müssen. Dafür sollten wir uns einsetzen, damit wir hier eine gute, ordentlich finanzierte Regelung finden.
Heckmann: In der vergangenen Woche wurden ja aktuelle Zahlen veröffentlicht – ich habe es gerade schon mal in meiner Anmoderation erwähnt – zur Altersarmut in Deutschland. Die befindet sich auf einem Rekordstand, obwohl wir auf der anderen Seite Rekordüberschüsse in der Rentenversicherung haben. Grundsätzlich gefragt, Frau Mascher, Herr Gunkel: Was läuft da falsch in Deutschland?
Mascher: Wir haben einfach die Situation, dass wir bestimmte Versichertengruppen haben, die sind besonders von Armut bedroht. Das sind einmal diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in Rente gehen müssen. Das sind die sogenannten Erwerbsminderungsrentner. Da plädieren wir dafür, dass endlich Reha vor Rente kommt und dass die ungerechtfertigten Abschläge für diese Erwerbsminderungsrentner wegfallen. Die zweite große Gruppe, die davon betroffen ist, sind alte Frauen, die unterbrochene Erwerbsbiografien haben, oder wie die Friseurin, die vorhin vorkam, so wenig verdienen, dass sie kein ordentliches Einkommen haben und damit dann auch später im Alter keine ordentliche Rente haben. Da muss angesetzt werden und ich finde, man muss hier wirklich alles daran setzen, dass es gar nicht zu Armutsrenten kommt. Aber für die heutigen Armutsrentnerinnen – vor allen Dingen sind es Frauen, auch Männer, aber vor allen Dingen Frauen -, da muss was geschehen.
Heckmann: Herr Gunkel, reichen solche Änderungen im Detail, oder muss das ganze System nicht noch mal stärker auf den Prüfstand gestellt werden?
Gunkel: Nein. Insgesamt, finde ich, läuft so viel nicht falsch bei unserem Alterssicherungssystem. Es ist im Gegenteil sehr gut in der Lage, Altersarmut zu begrenzen. Nur 2,7 Prozent der Bevölkerung oberhalb von 65 ist auf Grundsicherung angewiesen. Bei anderen Altersgruppen sind dies rund 15 Prozent, also deutlich mehr, und wir haben auch gute Aussichten, dass dies in der Zukunft so bleiben kann. Wenn an einer Stelle etwas getan werden kann, dann meine ich, dann sollte man diejenigen, die heute nicht in einem obligatorischen Alterssicherungssystem einbezogen sind, nämlich Soloselbstständige, zur Altersvorsorge verpflichten. Wir wissen, dass viele deshalb altersarm sind, weil sie niemals in die Rente eingezahlt haben, und nicht etwa, weil sie eine geringe Rente haben. Durch eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige könnte man daran etwas ändern und künftiger Altersarmut vorbeugen.
Heckmann: Altersarmut auf der einen Seite, Rekordüberschüsse bei der gesetzlichen Rentenversicherung auf der anderen Seite – was läuft da schief derzeit in Deutschland? Wir haben gesprochen mit Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbandes VdK, und mit Alexander Gunkel von der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände. Danke Ihnen herzlich für dieses Gespräch.
Mascher: Vielen Dank!
Gunkel: Auf Wiederhören!
Heckmann: Und einen schönen Tag noch.
Die andere Sache ist, ob man den Beitragssatz absenken soll. Sechs Milliarden Entlastung klingt natürlich wahnsinnig viel. Wenn Sie das aber runterrechnen auf den einzelnen Versicherten, aber selbst auf einzelne Betriebe, dann ist das nicht so wahnsinnig viel, und wir plädieren dafür, dass man hier zum Beispiel daran geht, endlich Rehabilitationsleistungen ordentlich zu finanzieren. Da gibt es bisher eine Budgetierung und wir alle wissen, dass wir, wenn wir die Menschen länger in Arbeit halten wollen, auch mehr Rehabilitationsleistungen brauchen. Nach dem Mechanismus der Rentenversicherung würde dieses Budget 2014 sogar abgesenkt werden. Also wir plädieren dringend dafür, dass das, was alle Parteien im Bundestag auch in der letzten Legislaturperiode gewollt haben, dass der Reha-Deckel entweder angehoben wird, wir fordern, er soll ganz wegfallen.
Heckmann: Die Absenkung des Rentenbeitrages gar nicht so eine sinnvolle Sache für den Einzelnen, Herr Gunkel, weil am Ende gar nicht so viel dabei herauskommt für die einzelne Person. Das heißt, lieber das Geld reinstecken in diese Rehamaßnahmen?
Gunkel: Nein. So gering ist die Entlastung nun nicht, wie Frau Mascher das eben dargestellt hat. Bezogen auf einen Durchschnittsverdiener und den Arbeitgeber bedeutet das immerhin eine Beitragsentlastung von über 200 Euro, wenn der Beitragssatz, wie das die gesetzlichen Vorgaben vorsehen, gesenkt würde.
Mascher: Im Jahr!
Gunkel: Im Jahr, ja.
Mascher: Nicht, dass da ein falscher Eindruck entsteht.
Gunkel: 200 Euro mehr oder weniger haben im Jahr ist für einen Durchschnittsverdiener, Frau Mascher, schon nicht ohne. Wenn Sie sich die zusätzlichen Belastungen in anderen Bereichen, beispielsweise Strom ansehen, ist dies nicht unerheblich. Aber im Bereich Reha gibt es einen Vorschlag, den auch die Arbeitgeber unterstützen, wie hier das Rehabudget künftig angepasst werden kann. Aber ich denke, wir müssen insgesamt bei den vielen Maßnahmen, die momentan diskutiert werden, Lebensleistungsrente, Mütterrente, höhere Erwerbsminderungsrenten, Ausnahmeregelungen für langjährig Beschäftigte, wir müssen insgesamt gucken, wie lässt sich das finanzieren.
Allein die Mütterrente würde bis zum Jahr 2030 nach den Plänen von Union, von CDU und CSU 130 Milliarden Euro zusätzlich für die Rentenkasse an Belastung bedeuten. Das ist eine Summe, die die Rentenversicherung stärker belasten würde, als die Rente mit 67 bis dahin an Einsparungen bringt. Und da stellt sich doch ernsthaft die Frage: Wir haben doch die Rente mit 67 deshalb eingeführt, weil wir damit die Finanzierbarkeit der Rentenversicherung sicherstellen wollen.
Heckmann: Das heißt, welchen Schluss ziehen Sie daraus?
Gunkel: Dass die notwendigen Maßnahmen, die ergriffen worden sind, um die Rentenversicherung dauerhaft finanzierbar zu machen, um den Beitragsanstieg, der demografisch ohnehin zu erwarten ist, zumindest zu begrenzen, dass wir diese Reformerfolge, die errungen sind, dass wir die nicht gefährden dürfen durch leichtfertige Reformversprechen, die jetzt vielleicht kurzfristig umzusetzen sind, aber langfristig die Beitragszahler überfordern würden.
Heckmann: Das heißt, man sollte sich das Projekt noch mal überlegen mit der Mütterrente?
Mascher: Ich bin dafür, dass man sich überlegt, wie man das finanziert, und zwar, dass man das so finanziert, wie bisher Erziehungszeiten finanziert worden sind: aus den Steuermitteln, aus dem Bundeszuschuss und nicht von den Beitragszahlern. Da bin ich ganz bei Herrn Gunkel. Das geht nicht, dass so eine familienpolitische Leistung von den Beitragszahlern gezahlt wird. Das ist eine Leistung, die alle Steuerzahler, auch die, die keine Versicherungsbeiträge zahlen, mit schultern müssen. Dafür sollten wir uns einsetzen, damit wir hier eine gute, ordentlich finanzierte Regelung finden.
Heckmann: In der vergangenen Woche wurden ja aktuelle Zahlen veröffentlicht – ich habe es gerade schon mal in meiner Anmoderation erwähnt – zur Altersarmut in Deutschland. Die befindet sich auf einem Rekordstand, obwohl wir auf der anderen Seite Rekordüberschüsse in der Rentenversicherung haben. Grundsätzlich gefragt, Frau Mascher, Herr Gunkel: Was läuft da falsch in Deutschland?
Mascher: Wir haben einfach die Situation, dass wir bestimmte Versichertengruppen haben, die sind besonders von Armut bedroht. Das sind einmal diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in Rente gehen müssen. Das sind die sogenannten Erwerbsminderungsrentner. Da plädieren wir dafür, dass endlich Reha vor Rente kommt und dass die ungerechtfertigten Abschläge für diese Erwerbsminderungsrentner wegfallen. Die zweite große Gruppe, die davon betroffen ist, sind alte Frauen, die unterbrochene Erwerbsbiografien haben, oder wie die Friseurin, die vorhin vorkam, so wenig verdienen, dass sie kein ordentliches Einkommen haben und damit dann auch später im Alter keine ordentliche Rente haben. Da muss angesetzt werden und ich finde, man muss hier wirklich alles daran setzen, dass es gar nicht zu Armutsrenten kommt. Aber für die heutigen Armutsrentnerinnen – vor allen Dingen sind es Frauen, auch Männer, aber vor allen Dingen Frauen -, da muss was geschehen.
Heckmann: Herr Gunkel, reichen solche Änderungen im Detail, oder muss das ganze System nicht noch mal stärker auf den Prüfstand gestellt werden?
Gunkel: Nein. Insgesamt, finde ich, läuft so viel nicht falsch bei unserem Alterssicherungssystem. Es ist im Gegenteil sehr gut in der Lage, Altersarmut zu begrenzen. Nur 2,7 Prozent der Bevölkerung oberhalb von 65 ist auf Grundsicherung angewiesen. Bei anderen Altersgruppen sind dies rund 15 Prozent, also deutlich mehr, und wir haben auch gute Aussichten, dass dies in der Zukunft so bleiben kann. Wenn an einer Stelle etwas getan werden kann, dann meine ich, dann sollte man diejenigen, die heute nicht in einem obligatorischen Alterssicherungssystem einbezogen sind, nämlich Soloselbstständige, zur Altersvorsorge verpflichten. Wir wissen, dass viele deshalb altersarm sind, weil sie niemals in die Rente eingezahlt haben, und nicht etwa, weil sie eine geringe Rente haben. Durch eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige könnte man daran etwas ändern und künftiger Altersarmut vorbeugen.
Heckmann: Altersarmut auf der einen Seite, Rekordüberschüsse bei der gesetzlichen Rentenversicherung auf der anderen Seite – was läuft da schief derzeit in Deutschland? Wir haben gesprochen mit Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbandes VdK, und mit Alexander Gunkel von der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände. Danke Ihnen herzlich für dieses Gespräch.
Mascher: Vielen Dank!
Gunkel: Auf Wiederhören!
Heckmann: Und einen schönen Tag noch.