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Haushaltsdebatte
"Wir brauchen eigentlich eine grüne Null"

Der nächste Haushalt der Bundesregierung stehe ganz unter dem Zeichen der schwarzen Null und setze damit keine guten Impulse für die Wirtschaft, sagte der Ökonom Peter Bofinger im Dlf. Wirklich wichtig wäre es, unseren Kindern und Enkelkindern keine Schulden im ökologischen Bereich zu hinterlassen.

Peter Bofinger im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 11.09.2019
Peter Bofinger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Wirtschaftsweiser).
Peter Bofinger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre (imago / IPON)
Tobias Armbrüster: Es ist die Haushaltswoche im Deutschen Bundestag und deshalb hören wir seit gestern, wie die Bundesregierung im kommenden Jahr das Geld ausgeben will. Ganz wichtig dabei: Olaf Scholz, der Finanzminister hat gestern wieder klargestellt, dass er vor allem keine neuen Schulden machen will. Die schwarze Null bleibt das oberste Gebot der deutschen Finanzpolitik. Am Telefon ist jetzt der Würzburger Ökonom und frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Schönen guten Morgen!
Peter Bofinger: Guten Morgen, Herr Armbrüster!
Armbrüster: Herr Bofinger, ist das ein guter Haushalt, den Olaf Scholz da plant?
"Der Bund bremst die deutsche Wirtschaft!
Bofinger: Ja, ich sehe das große Problem bei diesem Haushalt, dass er schon jetzt unter dem Zeichen dieser schwarzen Null steht und dass er damit aber auch keine guten Impulse für die Wirtschaft setzt. Wenn Sie sich die Ausgaben des Bundes ansehen, dann sollen die im nächsten Jahr um ein Prozent steigen. Nun haben wir eine Inflationsrate von deutlich über einem Prozent. Das heißt, wenn man die Preissteigerung berücksichtigt, sinken die öffentlichen Ausgaben real, und das heißt, in einer Phase, wo die deutsche Wirtschaft sowieso nicht gut läuft, bremst der Bund die deutsche Wirtschaft. Das ist immerhin zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts, was der Bundeshaushalt ausmacht. Er bremst die Wirtschaft, anstatt ihr Impulse zu geben. Das heißt, wir sehen schon jetzt, wie die schwarze Null sich negativ auswirkt, und wenn Sie genauer in den Haushaltsentwurf hineinsehen, dann stellt man fest, dass die Ausgaben für Bildung und Forschung sogar nominal um 0,5 Prozent gesenkt werden – in einer Zeit, wo wir doch wirklich Bildung und Forschung benötigen.
Armbrüster: Aber könnte das denn wirklich die Lösung sein, dass man sich von der schwarzen Null verabschiedet und neue Schulden macht? Oder würde man damit nicht viele andere Probleme schaffen?
Bofinger: Diese Fixierung auf die schwarze Null ist ja wirklich ein ganz deutsches Anliegen. In der ganzen Welt haben wir Staaten, die Defizite machen, in den Vereinigten Staaten, in Frankreich, in Japan, in China. Das heißt, wenn die anderen Staaten der Welt sich alle auch der schwarzen Null verschreiben würden und krampfhaft bremsen würden, dann würde die Weltwirtschaft wahrscheinlich in einem schwarzen Loch verschwinden.
"Wir konnten uns sozusagen als Trittbrettfahrer behaupten"
Armbrüster: Herr Bofinger! Entschuldigen Sie, wenn ich Sie da kurz unterbreche. Deutschland ist mit diesem Kurs doch in den letzten Jahren sehr gut gefahren. Alle diese Länder, die Sie aufzählen, blicken ja manchmal teilweise richtig neidisch in Richtung Deutschland.
Bofinger: Ja. Aber wir sind ja nur so gut gefahren, weil die anderen Länder Dampf gemacht haben, weil die anderen Länder mit ihrer Fiskalpolitik die Weltwirtschaft am Laufen gehalten haben. Deswegen konnten wir sozusagen als Trittbrettfahrer mit unserer schwarzen Null uns behaupten.
Jetzt haben wir eine Situation, wo die Weltwirtschaft schlechter läuft, wo wir diesen Handelskrieg haben, wo in China die Wirtschaft große Probleme hat, und dann können wir uns nicht einfach zurücklehnen und darauf hoffen, dass die Dynamik von außen kommt. Dann müssen wir die Dynamik selber schaffen und genau das tun wir nicht, wenn wir jetzt bei der schwarzen Null bleiben, wenn wir jetzt einen Haushalt fahren, der bremst, wo wir jetzt schon sehen, dass wir am Rande oder sogar in der Rezession schon stehen.
"Der Bund bekommt sogar noch Geld, wenn er sich verschuldet"
Armbrüster: Jetzt nehmen wahrscheinlich viele Leute an, diese schwarze Null leitet sich ja aus einem sehr einfachen Prinzip ab, das viele eigentlich aus ihrem persönlichen Leben kennen, dass Schulden machen eigentlich immer etwas Schlechtes ist, immer etwas, das man eigentlich um jeden Preis vermeiden sollte. Gilt das für Staatsfinanzen nicht?
Bofinger: Ich glaube, das ist ein ziemlich ökonomisch dummes Prinzip, denn natürlich nehmen doch auch private Haushalte Kredite auf, wenn sie sich beispielsweise eine Wohnung oder ein Haus kaufen. Das heißt, die Kreditaufnahme selbst im Privathaushalt ist etwas völlig Normales. Das Grundprinzip muss sein, dass ich mir überlege, welche Rendite bringt mir mein Investitionsprojekt und was muss ich an Zinsen dafür bezahlen.
Der Bund hat den enormen Vorteil, dass er jetzt auf zehn Jahre negative Zinsen hat. Er bekommt sogar noch Geld, wenn er sich verschuldet. Und ich bin überzeugt, es gibt unglaublich viele Investitionsprojekte im öffentlichen Bereich, die Renditen um die zehn Prozent bringen. Das heißt, wenn ich aufgrund der schwarzen Null jetzt solche Investitionsprojekte nicht vornehme, dann nutze ich nicht die Potenziale, die sich unserem Land bieten.
"Eine vernünftige Staatsverschuldung ist überhaupt kein Problem"
Armbrüster: Wenn Sie das als so logisch und vernünftig darstellen, wieso hat das dann in so vielen europäischen Ländern in den vergangenen Jahren überhaupt nicht funktioniert? Wenn wir uns nur mal Griechenland anschauen oder Italien – Länder, die ja wirklich in eine Schuldenfalle getappt sind.
Bofinger: Mit der Staatsverschuldung ist es auch wie mit der Medizin. Es kommt auf die Dosis an. Natürlich ist eine überzogene Staatsverschuldung problematisch, aber eine vernünftige Staatsverschuldung ist überhaupt kein Problem. Für Deutschland kann man das ja relativ einfach zeigen. Derzeit wollen wir die Staatsverschuldung absolut konstant halten.
Was ich für sinnvoll hielte, wäre, die Staatsverschuldung relativ zur Wirtschaftsleistung konstant zu halten, und das ist eigentlich auch das, was ökonomisch Sinn macht. Wenn wir dazu übergingen, eine schwarze Null dynamisch zu machen, Staatsverschuldung zur Wirtschaftsleistung konstant, könnten wir bei einem Wachstum nominal von etwa drei Prozent jedes Jahr 60 Milliarden Euro mehr für Zukunftsinvestitionen ausgeben. Das ist ein riesiges Potenzial, das wir einfach ungenutzt lassen, weil leider viele Politiker völlig unökonomisch denken.
Armbrüster: Aber die Zukunft, auch die wirtschaftliche Zukunft lässt sich leider immer nur schwer vorhersagen. Wir haben ja auch noch viele Unwägbarkeiten dazu. Wir wissen nicht, was aus diesen ganzen Handelskonflikten wird, wie sich der Brexit auswirken wird. Wäre es in so einer Situation nicht fatal, wenn wir da anfangen mit dem Schulden machen?
Bofinger: Nein. Es ist genau umgekehrt. Zum einen sehen wir, dass die deutsche Wirtschaft nach unten geht. Alle Indikatoren, die wir haben, deuten darauf hin, dass wir schon in einer Rezession stecken. Und darauf zu warten, bis die Rezession nun wirklich ganz stark da ist, ist sicher falsch. Genau deshalb wäre es jetzt dringend notwendig, dass der Staat Impulse setzt, Impulse vor allem für die Unternehmen, damit man rechtzeitig gegensteuert und nicht erst dann gegensteuert, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.
"Es gibt keine ökonomische Rechtfertigung für die schwarze Null"
Armbrüster: Wie würde das denn ankommen, zum Beispiel in Ländern wie Italien, wenn die auf einmal hören würden, in Berlin macht man jetzt auch wieder Schulden?
Bofinger: Ich glaube nicht, dass die Italiener sich dadurch jetzt in irgendeiner Weise beeinflusst fühlten. Ich glaube, wir müssen einfach sehen, welche schwierige Situation wir jetzt haben und dass Ökonomen in der Regel sich schwertun, Rezessionen zu prognostizieren. Deshalb ist es einfach wichtig, jetzt Gas zu geben, Impulse zu setzen, anstatt jetzt sich krampfhaft an dieser schwarzen Null festzuhalten. Ich wiederhole es: Es gibt überhaupt keine ökonomische Rechtfertigung für die schwarze Null. Die meisten großen Länder in der Welt haben Haushaltsdefizite und haben damit auch keine Probleme.
Armbrüster: Woher kommt denn, wenn Sie das so hinstellen, diese Fixierung der deutschen Finanzpolitiker auf diese schwarze Null?
Bofinger: Es entstammt einem sehr, sehr schlichten Denken, das einfach grundlegende ökonomische Sachverhalte außer Acht lässt. Es ist natürlich für jemand, der mit Ökonomie nichts zu tun hat, diese Grundidee da, dass Schulden schlecht sind. Aber wie gesagt: Sobald man sich als Privathaushalt überlegt, kaufe ich mir eine Immobilie, wenn das ein gutes Objekt ist, dann nimmt doch auch jeder Privathaushalt Schulden auf und kommt nicht auf die Idee, dass er sich nur dann ein Haus oder eine Immobilie kauft, wenn er das Geld schon angespart hat.
"Sicher keine gute Lösung für die zukünftigen Generationen"
Armbrüster: Was schätzen Sie denn, Herr Bofinger? Wie lange wird dieses Prinzip noch durchgehalten werden können, die schwarze Null?
Bofinger: Ich fürchte, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis dieses Umdenken kommt. Denn was wir eigentlich ja brauchen, ist nicht die schwarze Null, sondern eine grüne Null. Wirklich wichtig ist ja, dass wir keine Schulden im ökologischen Bereich unseren Kindern und Enkelkindern hinterlassen. Das müsste doch im Vordergrund stehen und alles, was in dieser Hinsicht getan werden muss, sollte getan werden. Und im Interesse der schwarzen Null die grüne Null zu beschädigen, das wäre doch sicher für die zukünftigen Generationen keine gute Lösung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.