Dienstag, 19. März 2024

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Helmut Höge: "Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung"
Wie ticken Tiere?

Schlaflose Regenwürmer, sturztrunkene Igel und vom Gift des Kugelfisches berauschte Delphine: Der Taz-Autor und ehemalige Tierpfleger Helmut Höge hat ein Buch voller lehrreich-kurioser Tier-Anekdoten geschrieben, das zugleich den menschlichen Forscherblick aufs Tier kritisch hinterfragt.

Walter van Rossum im Gespräch mit Gisa Funck | 21.01.2019
    "Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung" von Helmut Höge und im Hintergrund eine Kuh
    Kühe, schreibt Höge, seien kapriziös und liebten es, wenn man sie mit Vornamen anspricht (Buchcover Westend Verlag / Hintergrund imageBROKER)
    "Rentiere zum Beispiel fressen schon seit ewigen Zeiten Magic Mushrooms. (...) Delphine nehmen, um sich zu berauschen, einen Kugelfisch, den sie so lange quälen, bis er sein Gift Tetrodotoxin absondert. (...) Einmal seien mehrere Delphine dabei gefilmt wurden, als sie einen Kugelfisch wie einen Joint herumgehen ließen. (...) Ein massives Alkoholproblem haben nach Worten des Biologen Dr. Mario Ludwig auch die Igel. Der Grund seien die vielen sogenannten Bierfallen, mit denen Hobbygärtner ihre Blumen- und Gemüsebeete vor Schnecken schützten. (...) Weil Schnecken aber die Leibspeise von Igeln seien, würden sich diese regelmäßig auch über das Bier hermachen."
    Bedröhnte Delphine, sturztrunkene Igel
    Derart erschütternde Befunde von tierischem Drogenkonsum kann man in Helmut Höges Buch "Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung" nachlesen. Ein Buch, dessen 31 Kurzkapitel zwar alphabetisch geordnet sind (angefangen bei A wie "Ameise" bis hin zu Z wie "Zebra" und "Zitteraal") - das man aber nicht mit einem Tier-Lexikon verwechseln sollte. Denn der überzeugte Anti-Systematiker Höge schreibt assoziativ über eine von ihm persönlich getroffene Auswahl von Lieblingstieren samt deren teilweise erstaunlicher Verhaltensweisen. So berichtet Höge in seinem Tierbuch davon, dass Heringe Furzgeräusche machen, Regenwürmer nie schlafen, Zebras ihre Streifen zum Schutz vor der räumlich schlecht sehenden Tse Tse Fliege tragen - und Stockenten-Erpel manchmal sexuell so hyperaktiv sind, dass sie sogar tote Artgenossen begatten.
    Höges kleines Tier-ABC ist aber mehr als nur eine Sammlung kurioser Tier-Anekdoten. Denn der Autor nimmt darin auch unseren menschlichen Blick aufs Tier ins Visier. Vor allem die wissenschaftliche Erforschung der Tierwelt beurteilt Höge kritisch, etwa wenn er über die Drosophila schreibt:
    "Am Modellorganismus Fluchtfliege wird heute so ziemlich alles erforscht: vom freien Willen, der Schizophrenie und der Alkoholsucht, über Depressionen, Aggressivität und Rheuma bis zum Geruchssinn, dem Sexualverhalten und der Embryonalentwicklung. (...) Dieses ganze Zeug wird auf dem Rücken der armen kleinen Fruchtfliege ausgetragen."
    Kritischer Kommentar zur Tier-Forschung
    So lustig, wie sein Titel klingt, liest sich Höges Buch inhaltlich also gar nicht. Man kann es sogar als kritischen Kommentar zur Tier-Forschung verstehen, die sich in der Regel einer Fortschrittsideologie und nicht dem Tierwohl verpflichtet fühlt - und nach Höges Meinung zudem die unvoreingenommene, zweckfreie Tierbeobachtung vernachlässigen würde. Aus diesem Grund ist der ehemalige Tierpfleger Höge auch überzeugt davon, dass private Tierliebhaber häufig viel mehr über ihre Schützlinge wissen als die Wissenschafts-Profis in ihren Laboren. Gleich in der Einleitung seines Buches zitiert Höge die 2013 verstorbenene, britische Schriftstellerin Doris Lessing, die einmal feststellte: "Jeder aufmerksame Katzenbesitzer weiß mehr über Katzen als die Leute, die sie beruflich studieren."
    Nur Bakterien und Amöben werden dauerhaft überleben
    Die Zukunft der von ihm als "lustig" betitelten Tierwelt sieht Helmut Höge übrigens ausgeprochen düster. Außer Bakterien oder Amöben, so resümiert er, habe eigentlich keine Tierart angesichts der menschengemachten Natur-Zerstörung dauerhaft eine Überlebenschance.
    Helmut Höge: "Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung"
    Westend Verlag, Frankfurt a.M. 160 Seiten, 16 Euro.