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Herkunftsnennung eines Tatverdächtigen
"Die Polizei muss ein objektives Bild vermitteln"

Sebastian Fiedler, BDK-Vorsitzender, spricht sich dafür aus, die Phänomene von Kriminalität, wie die Mafia, zu benennen. Die Frage des Passes spiele dabei eine untergeordnete Rolle, sagte er im Dlf. Die derzeitige Erlasslage sei ohnehin ausdifferenziert und die Polizeibeamten gingen mit dem Thema professionell um.

Sebastian Fiedler im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter
Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (Deutschlandradio / Stroich)
Tobias Armbrüster: Es ist eine Forderung, die vor allem nach schweren Straftaten immer wieder laut wird, eine Forderung Richtung Polizei, nämlich öffentlich zu machen, welche Nationalität, welchen Pass ein Tatverdächtiger hat, ob der mutmaßliche Täter jetzt ein Deutscher war oder ein Ausländer. Es gibt viele Argumente, die dafür oder dagegen sprechen, mit diesen Informationen sehr vorsichtig umzugehen. Jetzt hat der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, eine sehr einfache neue Vorgehensweise für sein Bundesland vorgestellt. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen soll in Zukunft grundsätzlich die Nationalität von Tatverdächtigen nennen. Es soll dort nicht mehr wie bisher abgewogen werden, ob diese Information jetzt im öffentlichen Interesse liegt oder nicht.
Wir wollen hören, was man bei der Polizei dazu sagt. Am Telefon ist Sebastian Fiedler. Er ist der Vorsitzende beim Bund Deutscher Kriminalbeamter. Schönen guten Morgen!
Sebastian Fiedler: Schönen guten Morgen!
Armbrüster: Herr Fiedler, ist die Zeit der Geheimnistuerei zumindest bei der Polizei in NRW jetzt vorbei?
Fiedler: Die ist vorbei seit der berühmten Silvesternacht 2015 auf 2016. Das ist aus meiner Sicht die Zäsur. Ich kann mich an die damaligen Diskussionen sehr stark erinnern. Ich erkenne im Moment die Problemlage tatsächlich gar nicht und weiß auch deswegen nicht, mit Ausnahme von Wahlen, die im Moment im Osten stattfinden, wo tatsächlich jetzt Handlungsbedarf besteht. Das muss ich mal so deutlich sagen.
Armbrüster: Aber bisher ist es ja so, dass nicht in allen Fällen die Nationalität veröffentlicht wird, sondern nur in bestimmten, und das wird jetzt komplett freigegeben. Das ist sicher die Änderung.
Fiedler: Nee, das ist ein totaler Irrglaube. Ich habe extra noch mal nachgelesen, weil ich auch selber etwas verwundert gewesen bin. Es gibt überhaupt gar keinen Hinweis in der aktuellen Erlasslage auf die Verwendung von Nationalitäten. Das macht, ehrlich gesagt, auch gar keinen Sinn. Wenn Sie sich das Beispiel der Clankriminalität vorstellen, dann würden wir in vielen Fällen jetzt darauf hinweisen - und jetzt gerade in den aktuellen Schlägereien, die da stattgefunden haben -, dass es sich um so und so viele Deutsche und so und so viele andere Nationalitäten dort gehandelt hat. Viel sinnvoller ist es doch, das als Phänomen zu benennen, nämlich dass es sich um Clanangehörige handelt. Hier erkennen Sie schon, dass der Pass wie auch bei Doppelstaatlern und so natürlich auch nur einen sehr eingeschränkten Aussagegehalt hat. Unsere Erlasse und übrigens auch der deutsche Pressecodex beschäftigt sich mit Minderheiten. Das ist etwas ganz anderes.
"Mit Anti-Populismus-Strategien auseinandersetzen"
Armbrüster: Das heißt, wenn ich Sie da richtig verstehe, sagen Sie jetzt, die Polizei in NRW macht das sowieso schon längst, die Nationalität von Tatverdächtigen zu nennen?
Fiedler: Man muss vielleicht einiges sortieren. Es hat ganz offenkundig jetzt einen einzelnen Fall gegeben, der den Minister zum Handeln jetzt bringt und zu diesen Überlegungen bringt, wo ein Ehrenmord nicht als solcher betitelt worden ist. Solche Fehler können passieren, aber das muss man auch so benennen, denke ich. Auf der anderen Seite ist es so, dass wir durchaus eine sehr ausdifferenzierte Erlasslage derzeit haben in Nordrhein-Westfalen, Pressestellen, die sehr professionell arbeiten und die im Übrigen ja nicht alleine entscheiden dürfen. Auch der Minister hat das Heft des Handelns nur ganz eingeschränkt hier in der Hand, weil in allen Fällen schwerer Kriminalität die Justiz, namentlich die Staatsanwaltschaft, Herr des Verfahrens ist und entscheidet, wie mit einer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit umgegangen wird. Es gibt übrigens auch Sachverhalte, wo wir aus Ermittlungsgründen mit Informationen zurückhaltend umgehen müssen, und deswegen ist das auch gut und richtig so. Wenn der Minister jetzt suggeriert, die Polizei sei jetzt hier der einzige Akteur im Spiel, dann lässt er etwas Wesentliches weg an der Stelle. Unsere Aufgabe ist es, ein objektives Bild möglichst zu vermitteln.
Wir sollten aber durchaus, glaube ich, darüber reden, worum es Minister Reul tatsächlich geht. Das hat er ja auch tatsächlich so benannt. Es geht ihm darum, vermeintlich politische Bauernfängerei – so hat er es betitelt – zu begegnen. Dann hätte ich andere Vorschläge.
Armbrüster: Nämlich welche?
Fiedler: Ich hätte den Vorschlag, dass wir uns grundsätzlich da mit Anti-Populismus-Strategien auseinandersetzen, und da verwundert es dann umso mehr, dass ausgerechnet derselbe Minister sich einem periodischen Sicherheitsbericht – ich kann gleich erklären, was das ist – ausgerechnet verweigert. Was wir nämlich machen müssen ist: Wir müssen die Öffentlichkeit umfassender darüber informieren, wie die tatsächliche Lage aussieht. Das ist nämlich auch die Aufgabe der Polizei, ein objektives Bild der Situation zu vermitteln, und da reicht es eben nicht, auf diese schmale Statistik immer zu verweisen, oder sich jetzt mit Nationalitäten und Einzelsachverhalten auseinanderzusetzen. Wir müssen ein objektives Bild vermitteln. Wir müssen der Bevölkerung erklären, was stimmt und was nicht stimmt. Dann sitzen wir nicht wie das Kaninchen vor der Schlange, wenn einzelne AfD-Politiker – wir können das ja durchaus so aussprechen – durchaus mit Hetzreden durchs Land ziehen und aus Einzelsachverhalten Grundzusammenhänge konstruieren.
Armbrüster: Tatsache ist aber ja, Herr Fiedler, und in vielen Redaktionen überall in Deutschland wird man das bestätigen: Es gibt sehr viele Leute, die sagen, wir wollen das gerne wissen, nach welchem Tatverdächtigen die Polizei gerade sucht, ob das ein Deutscher ist oder ein Ausländer. Das ist für viele Leute sehr wichtig. Warum ist das dann so falsch, so etwas klar zu benennen? Warum ist es so falsch, diese Informationen preiszugeben?
Fiedler: Das habe ich gar nicht gesagt! Ich würde nur in Abrede stellen, dass das derzeit nicht stattfindet. Zumindest gibt es keinen Hinweis, es gibt keine Anweisung an die Polizei, das zu verheimlichen. Hier würde ich auch differenzieren. Es ist ein Unterschied, ob wir jetzt darüber diskutieren, dass die Presse eine Anfrage macht zu einem Sachverhalt bei der Polizei, und es ist etwas anderes, ob die Polizei aktiv eine Pressemitteilung nach außen gibt und dort bestimmte Informationen nach außen gibt. Aber auch hier noch mal der Hinweis auf die Staatsanwaltschaft. Sie müssten mir dann erklären, dass es tatsächlich derzeit einen Mangel gibt an solchen Informationen. Dann könnten wir dort etwas intensiver darüber diskutieren. Derzeit ist der mir nicht bekannt und ist mir auch nicht berichtet worden.
"Der Pressecodex ist diesbezüglich sehr ausdifferenziert"
Armbrüster: Kann es dann sein, dass viele Leute meinen, dass dieser Mangel an Informationen besteht, weil die Redaktionen, die Journalisten diese Informationen zurückhalten?
Fiedler: Das wird jedenfalls mindestens von einer Partei immer mal wieder verkündet. Sie kennen die Diskussionen darüber, dass wir hier eine Mainstream-Presse hätten und die hier tatsächlich Informationen zurückhält. Ich denke, der Pressecodex ist diesbezüglich sehr ausdifferenziert. Wir sollten nur die beiden Dinge auseinanderhalten. Wir sollten die Frage des Passes durchaus trennen von der Frage, ob denn bestimmte Minderheiten, seien es ethnische Minderheiten, religiöse Minderheiten oder auch nationale Minderheiten tangiert sind von einer Darstellung, oder ob es hier wirklich nur um den Pass geht. Mein Votum geht in eine eindeutige Richtung. Wir sollten die Phänomene benennen. Wenn wir über die Mafia sprechen, sollte allen Beteiligten klar sein, um welches Phänomen es geht. Ob der Mafiosi hier in Deutschland einen deutschen Pass hat, was häufig der Fall ist, oder einen italienischen, sollte von untergeordneter Bedeutung für das Verständnis des Problems sein.
Armbrüster: Aber viele Leute sagen jetzt, dass bestimmte Arten von Kriminalitäten bestimmten Nationalitäten zugeordnet werden. Ist das eine völlig falsche Wahrnehmung?
Fiedler: Es ist eine mehr als verkürzte Wahrnehmung. Ich hatte Ihnen gerade ein Beispiel genannt. Wenn wir über das durchaus signifikante Problem der Clankriminalität diskutieren, dann haben wir es vielfach mit Deutschen zu tun – vom Pass her. Jetzt stelle ich mal die Gegenfrage: Wie hilft uns diese Erkenntnislage jetzt weiter? Wir müssen als Polizei doch verstehen, wie das Phänomen funktioniert, und das müssen wir klar aussprechen und benennen. Dann sollten wir Sachverhalte, die dem Phänomenbereich Clankriminalität zuzurechnen sind, auch als solche benennen. Das hilft uns weiter. Wenn wir jetzt sagen, da haben sich 20 Leute auf der Straße geprügelt und von denen hatten zehn einen deutschen Pass, fünf einen türkischen und ein paar übrige einen libanesischen, dann hilft uns das in der Darstellung nicht weiter. Es hilft auch nicht bei Transparenz oder Ähnlichem. Ich würde eher meinen, dass der Pressecodex und die derzeitige Erlasslage sehr ausdifferenziert sind und die Polizeibeamte nach meiner Wahrnehmung derzeit sehr professionell damit umgehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.