Archiv


"Hinter jedem institutionellen Investor steht der Privatanleger"

Griechische Staatsanleihen halten in Deutschland vor allem Banken und Versicherungen. Die sollen sich jetzt am Schuldenschnitt für das Euro-Land beteiligen. Das könne "Bremsspuren in den Bilanzen der Unternehmen" hinterlassen, mit Folgen für den Aktienkurs, warnt Klaus Nieding, Vizepräsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.

Klaus Nieding im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Bis zum 11. März sind die Inhaber von griechischen Staatsanleihen aufgefordert, sie in neue Papiere umzutauschen. Das sind dann Staatsanleihen mit längerer Laufzeit und einem niedrigeren Zinssatz, als der Anleger sie bisher hatte. Er macht also Verlust, weil er weniger Zinsen bekommt und länger auf die Rückzahlung seines Geldes waren muss. So kommt in der Summe ein privater Schuldenerlass von über 100 Milliarden Euro für den griechischen Staat heraus - so ist es jedenfalls geplant. Michael Kemmer, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, ist dennoch zuversichtlich:

    "Das ist natürlich schon ein ganz enormer Betrag und bedeutet für jedes einzelne Haus einen schmerzhaften Einschnitt. Auf der anderen Seite ist die Ertragslage im Jahr 2011 gut gewesen und die Banken haben sich schon warm angezogen für die Griechenland-Risiken. Das heißt, das wird jetzt keine Bank umwerfen."

    Engels: Michael Kemmer vom Bundesverband deutscher Banken. Klaus Nieding ist Vizepräsident der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, der Verein versteht sich als die Vertretung für Kleinanleger. Guten Morgen, Herr Nieding.

    Klaus Nieding: Ich grüße Sie, Frau Engels. Guten Morgen.

    Engels: Sind Sie auch so optimistisch wie Herr Kemmer?

    Nieding: Na ja, wir warten lieber erst mal ab, bis wir die Fakten auf dem Tisch haben. So richtig klar sind die ganzen Sachen ja noch nicht. Es sind die rechtlichen Dinge noch nicht ganz übermittelt und informiert, insofern warten wir hier mal darauf, bis wir die entsprechenden Informationen bekommen. Das war bei anderen Schuldenschnitten früherer Zeit besser, zum Beispiel im Fall Argentinien, da hatten wir im Vorfeld genaue Informationen, welche Anleihengattungen ab welchem Nennwert betroffen sind und wie das Tauschangebot an die Kunden genau aussieht. Das fehlt im Augenblick noch.

    Engels: Sie vertreten die Interessen von Kleinanlegern. Trotzdem war gestern von Ihrem Verein zu hören, sie würden empfehlen, dass die Besitzer von Griechenland-Anleihen sich an diesem Umtausch beteiligen sollen, auch wenn die Eckdaten noch nicht ganz klar sind und sie natürlich Verlust damit machen. Warum denn eigentlich?

    Nieding: Na ja, es ist zu erwarten, dass möglicherweise wir neue Anleihen und alte Anleihen bekommen und die alten Anleihen dann irgendwann einmal wertlos werden. Und derjenige, der sich also nicht beteiligt, kann dann möglicherweise in die Röhre schauen, um es mal etwas salopp auszudrücken. Insofern ist es schon sehr wichtig, dass der Anleger sehr, sehr genau die Dinge weiterhin verfolgt, dass er sich informiert, etwa über uns, über die BSW, aber eben auch bei den Verbraucherzentralen und ähnlichem, auch über die Medien, damit er eben auch up to date ist.

    Engels: In Griechenland soll ja zudem ein Gesetz beschlossen werden, um die Anleger zum Umtausch zu bewegen. Spielt da nicht doch etwas sehr viel Zwang hinein?

    Nieding: Ja natürlich spielt da sehr viel Zwang hinein. Wir sehen das ja auch an anderen Stellen dieses Paketes, was da geschnürt worden ist. So sollen ja sogenannte Collective Action Clauses, also spezielle Vertragsklauseln, sicherstellen, dass die vollständige Beteiligung privater Gläubiger erzwungen werden kann, also auch derjenige, der nicht mitmacht, wird dann möglicherweise gegen seinen Willen mit diesem Schuldenschnitt beglückt. Also da ist schon eine Menge Zwang mit verbunden. Aber auf der anderen Seite ist das natürlich auch für die Macher dieses Paketes eine wichtige Voraussetzung dafür, dass dieses Gesamtpaket überhaupt funktioniert, denn wenn die angestrebte Beteiligungsquote dort nicht erreicht würde und man keine Möglichkeiten hätte, das entsprechend durchzusetzen, dann hätten wir ja den größten anzunehmenden Unfall.

    Engels: Aber ein zwangsweiser Umtausch in schlechtere Papiere, das ist ja genau etwas, was laut Definition eigentlich Zahlungsausfall ist, und dann müssten eigentlich die großen Ratingagenturen Griechenland auch als zahlungsunfähig bewerten und dann hätten wir ja doch die Staatspleite.

    Nieding: Also es sind nicht die großen Ratingagenturen, die diesen Ausfall feststellen; es ist das ISMA-Board, was dafür international zuständig ist.

    Engels: Was ist das genau?

    Nieding: Das ist diese internationale Stelle, die im Grunde genommen, sage ich mal, auch mit entsprechenden Autoritäten ausgestattet ist, um diesen Fall hier einheitlich rechtsverbindlich auch festzustellen. Ich warne davor, dass man zu sehr auf die Ratingagenturen schielt, auf deren Einschätzung konnten wir uns schon in der Vergangenheit nicht verlassen.

    Engels: Schauen wir auf einen anderen Aspekt. Die meisten Griechenland-Anleihen werden ja nicht von Kleinanlegern gehalten, sondern neben öffentlichen Trägern auch von großen Banken wie der Commerzbank und auch Versicherungen. Hier drohen ja nun durch diesen Umtausch Millionenausfälle. Was bedeutet denn das für die Aktien dieser Unternehmen?

    Nieding: Im Grunde genommen muss man immer wieder sagen: Hinter jedem institutionellen Investor steht der Privatanleger. Letztlich ist es der Privatanleger, dessen Geld in diesen institutionellen Kapitalsammelstellen vorhanden ist - seien es nun die von Ihnen bereits erwähnten Versicherungen, seien es Kapitalanlagegesellschaften, Investmentfonds und ähnliches. Das kann natürlich schon entsprechende Bremsspuren in den Bilanzen der Unternehmen hinterlassen - mit der Folge, dass das sich dann auch auf den Aktienkurs auswirken würde. Auch hier ist der Anleger gut beraten, wenn er sehr genau hinschaut, etwa ob in seinem Investmentfonds nach den Anlagebedingungen auch Griechenland-Anleihen in nennenswerter Stückzahl vorhanden sein können. Dann muss man sich schon die Frage stellen, ist das das richtige Anlagevehikel für mich, oder wenn ich es im Rahmen einer Anlageberatung durch die Bank bekommen habe, muss ich mich dann schon fragen: Was ist mir damals eigentlich zur Sicherheit oder zu den Risiken dieser Anlage gesagt worden, bin ich darauf hingewiesen worden, dass wir hier Staatsanleihen von Staaten drin haben, die als Wackelkandidaten gelten.

    Engels: Eröffnen sich also bei möglichen Kursverlusten oder gar Wertverlusten vielleicht Klagemöglichkeiten der Anleger und der Aktionäre der Banken gegen die Vorstände, weil die ein solches Verlustgeschäft wie Griechenland abgesegnet haben?

    Nieding: Direkte Ansprüche gegen Vorstände von Banken haben wir nach deutschem Recht jedenfalls nicht. Hier ist auch sehr genau zu schauen, welchem Rechtsregime diese Dinge unterliegen. Die Anleihebedingungen geben da entsprechende Auskunft, ob sich die Beurteilung der Rechtslage nach deutschem Recht oder nach ausländischem Recht richtet. Direkte Schadenersatzansprüche des Anlegers gegen Bankenvorstände gibt es nach deutschem Recht (leider) nicht, aber man muss natürlich schon die Frage stellen, ist dieses Anlageprodukt mir möglicherweise im Rahmen einer Anlageberatung verkauft worden, und dann kann man sich diese Anlageberatung einmal näher anschauen.

    Engels: Das heißt, Sie schließen nicht aus, dass zumindest im Einzelfall vielleicht doch ein Anspruch besteht, sich das Geld über die Bank dann zurückzuholen, oder die Versicherung, je nachdem über wen man angelegt hat?

    Nieding: Das kann ich als Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht niemals ausschließen, das werden Sie verstehen. Aber es ist natürlich schon so, dass man sich jeden Einzelfall getrennt und gesondert anschauen muss. Und man muss dann auch immer im Hinterkopf haben: Wir haben relativ kurze Verjährungsfristen, drei Jahre ab Kauf des jeweiligen Anlageproduktes. Auch darauf ist der Anleger hinzuweisen.

    Engels: Schauen wir noch aufs große Ganze. Sie haben es eben schon angedeutet: Eine echte Entlastung Griechenlands von Schulden kann nur erreicht werden, sagen Experten, wenn 90 Prozent der Privatgläubiger sich auch wirklich an dieser Umtauschaktion beteiligen. Wie sehen Sie die Chancen, dass das wirklich gelingt?

    Nieding: Na ja, es sind ja schon ein paar Daumenschrauben in dem Paket vorhanden. Und insofern denke ich, sind die Chancen eigentlich recht gut. Die Politik zeigt uns jedenfalls, dass sie ernsthaft bemüht ist, Griechenland zu retten, um eben hier auch einen Dominoeffekt für den Euro und für den gesamten Euro-Währungsraum auszuschließen.

    Engels: Zu Beginn dieser Sendestunde haben wir einen Originalton vom Bankenexperten Wolfgang Gerke gehört. Er sprach mit Blick auf Griechenland nur noch von Insolvenzverschleppung. Würden Sie auch so weit gehen?

    Nieding: Na ja, man sollte schon sehr vorsichtig sein, welche Begriffe man in diesem Zusammenhang mit hier in den Mund nimmt, denn ansonsten würden wir uns möglicherweise alle der Mittäterschaft schuldig machen und das ist bekanntlich auch nicht ganz so in Ordnung und gut. Aber im Ernst, Frau Engels: Es ist ausgesprochen wichtig, dass Griechenland im Euroraum bleibt. Stellen Sie sich vor, dieses Land würde aus dem Euroraum austreten, würde die Drachme wieder einführen, würde aber in Euro gleichzeitig verschuldet bleiben. Das würden die griechischen Banken nicht aushalten, dort wäre ein Reihenkollaps die Folge und unsere, ich sage mal, sonstigen europäischen Großbanken hätten da auch ganz ordentlich dran zu stemmen - denken Sie hier nur an deutsche Adressen, die auch ganz ordentlich Griechenland-Anleihen in ihren Portfolien haben. Also das, denke ich, kann sich kein Mensch wünschen. Insofern hoffe ich, dass wir mit einem geordneten Insolvenz-Planverfahren, um mal bei dem Bild von Herrn Gerke zu bleiben, Griechenland über Wasser halten können.

    Engels: Sagt Klaus Nieding, er ist Vizepräsident der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.

    Nieding: Ich danke Ihnen, Frau Engels.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.