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Hirsch: Deutschland sollte höherrangige Politiker nach Zagreb schicken

Kroatien sei sehr viel besser auf den EU-Beitritt vorbereitet als Bulgarien oder Rumänien zu ihren Beitrittszeitpunkten, sagt Nadja Hirsch (FDP). Die EU-Parlamentarierin bedauert, dass weder Kanzlerin Merkel noch Außenminister Westerwelle zu den Feierlichkeiten am Sonntag in Zagreb anwesend sein werden.

Nadja Hirsch im Gespräch mit Bettina Klein | 29.06.2013
    Bettina Klein: Mitgehört am Telefon hat die Europaabgeordnete Nadja Hirsch von der FDP, sie ist Mitglied der Kroatiendelegation des Europaparlamentes, die sich ja künftig auflösen wird. Ich grüße Sie, Frau Hirsch!

    Nadja Hirsch: Hallo, guten Tag!

    Klein: Wir haben es gerade noch mal gehört: Aus Termingründen hat Bundeskanzlerin Merkel offiziell ihren Besuch morgen bei den Beitrittsfeierlichkeiten in Zagreb abgesagt. Das bedeutet: Ganz oben auf der Prioritätenliste der Agenda steht der Beitritt dieses neuen Mitglieds offenbar nicht. Welches Signal wird da ausgesendet?

    Hirsch: Also ich persönlich finde es sehr schade, dass Frau Merkel dort zu den Feierlichkeiten nicht hinfährt. Es ist ja bekannt, dass wirklich sehr viele Regierungschefs hinkommen aus den unterschiedlichen Mitgliedsstaaten, aber auch Barroso, Van Rompuy, Schulz. Sogar aus Serbien, was ein sehr schönes Signal ist, kommt der Premier und der Präsident. Und ich glaube, Deutschland ist so eng mit Kroatien über die letzten Jahrzehnte verknüpft gewesen, dass das ein sehr wichtiges Signal gewesen wäre, wenn Frau Merkel dort erschienen wäre.

    Klein: Andererseits: Auch der Außenminister, der Ihrer Partei angehört, Frau Hirsch, wird nicht da sein, sondern durch seinen Staatsminister vertreten. Also ganz oben auf der Agenda steht das offenbar auch nicht fürs Auswärtige Amt.

    Hirsch: Also das ist richtig, Michael Link wird dort den Feierlichkeiten beiwohnen in Vertretung der deutschen Bundesregierung. Ich weiß, dass Herr Link sehr interessiert und engagiert auch in Kroatienfragen ist, insofern ist es sicherlich ein gutes Signal. Aber trotzdem hätte Deutschland hier sicherlich mit einer höheren Spitze noch repräsentiert werden können.

    Klein: Der kroatische Regierungschef, wir haben es gerade gehört, sagt ganz unumwunden: Klar, in Deutschland ist Wahlkampf, und da kommt es vermutlich nicht so gut an, sich morgen Abend in Zagreb sehen zu lassen. Klingt das in Ihren Augen auch etwas peinlich? Ein neues Land wird aufgenommen und dann schämt man sich am Ende?

    Hirsch: Also ich glaube, die Stimmung ist sehr unterschiedlich. Ich lese auch in sehr vielen Gesprächen, dass die Deutschen sich sehr wohl freuen, dass die Kroaten mit dabei sind, was eben gerade daraus auch resultiert, dass man sehr eng mit den Kroaten gut zusammengelebt hat oder zusammenlebt in Deutschland, man sehr viele enge Verbindungen hat, als noch ja viele von ihnen hier als Flüchtlinge auch da waren, aus Urlaubserfahrungen. Also ich glaube, dass insgesamt Kroatien durchaus ein sehr positives Bild in Deutschland hat.

    Klein: Aber es ist ja ein ganz klarer Vorwurf gegen die Bundeskanzlerin und die Frage ist ja auch: Hat das auch was mit dem Wahlkampf zu tun?

    Hirsch: Das ist das, was ich meine. Also ich glaube, dass eigentlich insgesamt die Stimmung sehr wohl positiv ist. Das kann jeder jetzt unterschiedlich bewerten. Ich glaube, die Diskussion generell um die Erweiterung der EU ist vielleicht eine Situation, die eher negative Stimmungen mit sich bringt. Aber ich muss auch ehrlich sagen: Das zeichnet eigentlich die EU aus, dass man in Dialog tritt und nicht sozusagen, ja, versucht, abwesend zu sein. Insofern – Wahlkampf hin oder her: Wir haben jetzt hier einen historischen Beitritt eines 28. Mitgliedsstaates, und da dürfen auch Wahlkämpfe letztendlich keine Rolle spielen, wobei ich persönlich nicht glaube, dass die Bevölkerung, die deutsche, das wirklich negativ anrechnen würde.

    Klein: Eine weitere Spekulation lautet in Kroatien offensichtlich auch, man wolle von deutscher Seite doch auch ein bisschen signalisieren, dass man nicht rundum zufrieden ist mit der Entwicklung in Kroatien auf dem Weg in die EU. Halten Sie das für gerechtfertigt?

    Hirsch: Also ich habe die Verhandlungen mitverfolgen können und ich habe gesehen, dass enorm viele Reformen, also im Bereich der Justiz aber auch Gebietsreformen, in der Wirtschaft, Privatisierung von Werften und so vorgenommen worden sind. Das waren massive Einschnitte. Man spricht ja auch von dem bestvorbereiteten Beitrittskandidaten. Es ist sehr viel getan worden. Dass es natürlich trotzdem nicht von 1:1, von einem Tag zum nächsten sich absolut alles ändert, ist auch klar.
    Also wir haben immer noch zum Beispiel das Thema auch mit Korruption, dass das noch nicht alles einwandfrei läuft. Das haben wir aber in anderen Mitgliedsstaaten auch. Also insofern: Ich denke, das, was man bisher gemacht hat, hat eine sehr, sehr gute Basis dafür geschaffen, dass Kroatien jetzt beitritt, aber wie man auch in vielen anderen Mitgliedsstaaten sieht: Es ist nie der Zeitpunkt, wo man sich zurücklehnen kann und sagen kann, es ist alles schon perfekt.

    Klein: Bei Bulgarien und Rumänien ist ja auch argumentiert worden, der EU-Beitritt sollte als Anreiz für Reformen verstanden sein. De facto hat sich die Europäische Union natürlich jetzt auch eine Menge Probleme in verschiedenen Bereichen dort auch hereingeholt. Kann sich die EU immer wieder weitere Mitglieder in dieser Verfassung leisten?

    Hirsch: Also ich persönlich bin überzeugt, dass Kroatien sehr viel besser vorbereitet ist als Bulgarien und Rumänien zu ihrem Zeitpunkt. Man muss auch sehen bei Kroatien: Die hatten den Antrag 2003 gestellt. Damals war das Ziel, 2007 sie aufzunehmen. Sie wissen, wir haben jetzt 2013. Also man hat auch gesehen, dass man den Beitritt verschoben hat, weil noch nicht das alles so erfüllt war, wie man wollte. Also es ist da bei den Kroaten durchaus auch drauf geachtet worden, nicht vielleicht Fehler zu machen, die man in der Vergangenheit bereits gemacht hatte.

    Klein: Ich habe es angedeutet: Die Kroatiendelegation des Europaparlamentes wird sich nun auflösen, wenn Kroatien Mitgliedsland ist. Wer begleitet diesen Prozess jetzt noch, wer schaut auf die Probleme, und wo muss da genau das Augenmerk hingerichtet werden, was die weiteren Reformen in Kroatien angeht?

    Hirsch: Also sicherlich werden die Abgeordneten wie ich, die der Delegation angehört hatten, weiterhin auch mit dem Land in Verbindung bleiben, auch mit Leuten, und wir haben ja jetzt dann auch Abgeordnete aus Kroatien im Europäischen Parlament. Also auf einer inoffiziellen Ebene wird man das weiter ganz normal begleiten, wie alle anderen Mitgliedsstaaten auch. Und offiziell ist natürlich die Kommission jetzt gefragt, darauf zu achten, dass Richtlinien umgesetzt werden und all diese Dinge wie bei jedem anderen Mitgliedsstaat auch. Und der erste Schritt ist sicherlich immer, im Dialog sich darum zu bemühen, dass diese Sachen alle umgesetzt werden. Ansonsten kennen wir, es gibt halt diverse Eskalationsverfahren mit letztendlichen Vertragsverletzungsverfahren und diese ganzen Dinge.

    Klein: Abschließend, Frau Hirsch, ich habe es angedeutet: Auch mit Serbien sollen Beitrittsverhandlungen nun geführt werden. Ist das vergleichbar, nach Ihrer Meinung?

    Hirsch: Also ich glaube, dass wir auf jeden Fall die ehemaligen jugoslawischen Staaten in die EU früher oder später mitaufnehmen sollten. Der Balkan gehört zu Europa. Und ich glaube, dass insofern Kroatiens Beitritt ein positives Signal auch sein kann hier, nach Serbien zu schicken, wenn man sich bemüht und wenn man Interesse hat, der Europäischen Union beizutreten, dann rentieren sich Reformen und dann soll das auch früher oder später möglich sein, ja.

    Klein: Die FDP-Europaabgeordnete Nadja Hirsch heute Mittag bei uns live im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch, Frau Hirsch!

    Hirsch: Auch von meiner Seite vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.