Donnerstag, 28. März 2024

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Höhenflug zum Tiefstpreis
Russlands Rohstoff-Prestige-Projekte in der Arktis

Weil der Friedensprozess in der Ostukraine keine Fortschritte macht, hat Europa seine Wirtschaftssanktionen gegen Russland verlängert. Betroffen sind auch die Erdölförderung in der Arktis und in der Tiefsee sowie die Produktion von Schieferöl. Doch anstatt einzulenken, präsentiert Moskau Prestigeprojekte im hohen Norden und fördert Öl auf Rekordniveau.

Von Andrea Rehmsmeier | 29.06.2016
    LNG-Behältnisse im Hafen Sabetta auf der Halbinsel Jamal.
    Das Großprojekt Jamál LNG am Hafen Sabetta. (picture alliance / Mikhail Voskresenskiy)
    "Wir brauchen ein offenes Gespräch darüber, wo wir heute stehen. Die illegale Annexion der Krim und Sewastopols und der Konflikt in der Ostukraine sind eine Prüfung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland. Russlands Aktionen haben die Prinzipien der europäischen Sicherheitsordnung erschüttert."
    EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg. Der Friedensprozess in der Ostukraine macht keine Fortschritte, die Krim ist noch immer fest in russischer Hand. Darum hat die Europäische Union ihre Wirtschaftssanktionen verlängert. In bestimmten strategisch wichtigen Branchen wie dem Finanz- und Verteidigungssektor dürfen Europas Unternehmen für weitere sechs Monate keine Geschäfte mit Russland abschließen. Besonders sensibel sind die Handelsbeschränkungen im Energiebereich. Ausgerechnet die innovativen, technologiegetriebenen Bereiche der Rohstoffförderung stehen unter Sanktion – eben diejenigen, auf die Russland angewiesen ist, wenn es auf dem Weltmarkt seine Position als Rohstofflieferant für die Zukunft sichern will: die Erdölförderung in der Arktis und in der Tiefsee sowie die Produktion von Schieferöl.
    Unumstritten ist die neue Sanktionsrunde auch in Europa nicht: Schließlich soll ein politischer Konflikt gelöst werden durch den Eingriff in Wirtschaftsbeziehungen, die für beide Handelspartner von strategischer Bedeutung sind – zumal in einer Zeit, in der die Märkte durch die niedrigen Rohstoffpreise und die allgemeine Krisenstimmung ohnehin erschüttert sind. Und tatsächlich: In Russland, Europas krisengeschütteltem Rohstofflieferanten, ist die Sanktionsstrategie ein Rezept mit Risiken und Nebenwirkungen.
    Jetzt will Russland die Tür nach Asien öffnen
    Der Hammer saust nieder, das Schweißgerät sprüht Funken: An die 50 Meter lang ist die Rohrleitung, die gerade von den Bauarbeitern zusammengesetzt wird. Der kritische Blick des Bauleiters wandert die fensterlose glatte Wand hinauf, an der das Rohr angebracht werden muss. Sergej Vatschúgin steht in der Mitte eines kreisrunden Innenraums mit 45 Meter hohen Wänden. Was aussieht wie eine überdimensionale Konservendose, ist in Wirklichkeit ein Tank für 160.000 Kubikmeter Erdgas. Genauer gesagt: Es ist eine Anlage für die Gas-Verflüssigung. Spätestens 2017, sagt Vatschúgin, soll sie in Betrieb genommen werden.
    "Die Betriebstemperatur hier drinnen wird bei etwa minus 160 Grad liegen. Um die Kälte zu halten, sind die metallischen Wände mit Nickel versetzt, das Dach besteht aus Aluminium. Die Schleusen, durch die wir hineingekommen sind, werden vor der Inbetriebnahme komplett geschlossen. Danach erfolgt ein Testlauf, und der Tank wird mit Wasser befüllt."
    Verflüssigtes Erdgas, "Liquefied Natural Gas", kurz LNG: Ein Verfahren, das in den vergangenen Jahren den Energiemarkt revolutioniert hat. Das Gas wird heruntergekühlt, bis es flüssig wird und sein Volumen um das 600-fache verringert. Auf diese Weise kann es in Spezialschiffen transportiert werden. Die Methode ist aufwendig, aber hochflexibel: Das Erdgas kann zu jeder Zeit an jedes Land ausgeliefert werden, das seinerseits über Anlagen zur Rückverwandlung der Flüssigkeit in Gas verfügt.
    Ein Achimgaz-Mitarbeiter mit Funkgerät steht an der neuen Gasaufbereitungsanlage im westsibirischen Nowy Urengoi (Russland, Foto vom 12.11.2008). Hier haben die russische Gazprom und Wintershall (Kassel) die Erdgasförderung aus der Achimov-Formation gestartet.
    Für die Gasförderung in der Arktis sind teure Spezialanlagen nötig. (picture alliance / dpa - Uwe Zucchi)
    Dass auch Russland neuerdings auf LNG setzt, kann nicht überraschen. Die traditionellen Energiebeziehungen zu Europa fußen auf einem Pipelinenetz, das die zur Neige gehenden Rohstofffelder Sibiriens an die zunehmend nach Unabhängigkeit strebenden Kunden im Westen fesselt. Jetzt will Russland die Tür nach Asien öffnen. Im hohen Norden der rohstoffreichen Halbinsel Jamál - vor wenigen Jahren noch eine menschenleere Eiswüste - stampfen 15.000 Arbeiter ein riesiges Gewerbegebiet aus dem Boden der arktischen Tundra. Bauleiter Vatschúgin:
    "Warum die Bauarbeiten hier so schnell voranschreiten? Weil alle technologischen Komponenten auf dem Festland gefertigt, und als Module bei uns angeliefert werden. Hier vor Ort brauchen wir also nur die Fundamente zu gießen. Darum geht am Ende alles sehr schnell."
    Jamál LNG wird von Russlands zweitgrößtem Gaskonzern, Nóvatek, betrieben. Auch die französische Total und die chinesische CPNC sind beteiligt. Journalisten aus China und Japan, aus Deutschland, Großbritannien und Frankreich sind im Mai der Einladung gefolgt, über Russlands strategische Neuausrichtung zu berichten. Jetzt stehen sie bei zwölf Grad minus im eisigen Polarwind, der über den Schiffsanleger im "Hafen Sabetta" fegt, und schlottern vor Kälte. Das Gewerbegebiet von Jamál LNG liegt direkt auf dem Gasfeld "Süd-Tambej", fast 500 Kilometer nördlich des Polarkreises – dort, wo der Strom Ob über eine lang gezogene Bucht ins Nordpolarmeer mündet.
    Russland präsentiert der Weltöffentlichkeit ein Projekt der Superlative
    Internationale Konzerne wie Shell und Exxon haben ihre Arktis-Pläne angesichts niedriger Rohstoffpreise und hoher Umweltrisiken stillschweigend auf Eis gelegt - Russland dagegen präsentiert der Weltöffentlichkeit ein Projekt der Superlative. Aus 208 Bohrlöchern sollen künftig 16,5 Millionen Tonnen Erdgas jährlich strömen, die direkt vor Ort verflüssigt und verschifft werden. Allein das Gasfeld Süd-Tambej könnte Deutschlands Jahresverbrauch 13 Jahre lang decken, haben Experten errechnet. Tatsächlich aber ist nur ein kleiner Teil für Europa reserviert, den Löwenanteil haben die Betreiber bereits den Staaten des asiatisch-pazifischen Raums zugesagt.
    Das Großprojekt Jamál LNG am Hafen Sabetta leitet eine neue Phase der Energiebeziehungen ein. Die Europäische Union, wenn sie Rohstoffe aus Russland beziehen will, wird künftig in direkter Konkurrenz mit den energiehungrigen Märkten Asiens stehen, bestätigt Kirsten Westphal, Energie- und Russlandexpertin von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Dass das Prestigeprojekt Jamál LNG seinen Standort in der Arktis hat, ist kein Zufall: "Die Arktis ist für die Russen das gleiche wie Mekka für die Saudis", diesen Leitspruch hat Russlands Vizepremier, Dmitrij Rogósin, geprägt. Tatsächlich hat die entlegene Weltgegend mehr als nur symbolischen Wert: Die Rohstoffe, die auf der Halbinsel Jamál und am Meeresgrund des Nordpolarmeers lagern, sagt Westphal, sollen die schwindenden Öl- und Gasreserven der alten Felder in Sibirien ausgleichen.
    Die Arktis ist zum Austragungsort für den Ukraine-Konflikt geworden
    "Russland hat gerade mit der Arktis wirklich den Wunsch verbunden, sich und seine Industrie zu modernisieren, also auf Zukunft hin mehr neue Öl- und Gasvorkommen zu erschließen. Und gerade in der Vergangenheit mit der Ölpreis-Hochphase zwischen 2004 und grob gesagt bis 2014 waren das so die Vorzeigeprojekte, wo Russland Projekte angeleiert hat mit den großen europäischen, aber auch US-amerikanischen Firmen. Parallel dazu hat Russland auch einen kooperativen Kurs gefahren. Und mit den Sanktionen, die eben auch mit der Krim-Annexion erfolgten, kam da natürlich ein Knick rein, weil Russland dreifach getroffen ist: einmal durch den Rubelverfall, durch den Ölpreisverfall und durch die Sanktionen."
    Die Arktis - traditionell ein Gebiet der internationalen Kooperation - ist nicht zuletzt durch die westlichen Sanktionen zum Austragungsort für den Ukraine-Konflikt geworden. Auch Jamál LNG war zeitweilig in den Strudel der Strafmaßnahmen geraten, denn die EU verwehrt russischen Energieunternehmen weitgehend den Zugang zu ihren Finanzmärkten. Der russische Staat musste einspringen, auch chinesische Banken halfen, die Finanzierungslücke zu schließen. Noch direkter als Russlands Gasindustrie sind die Ölkonzerne betroffen: Die Sanktionen verbieten europäischen Unternehmen Dienstleistungen und Zulieferungen von Hightech für neue Förderprojekte, nur Altverträge dürfen weitergeführt werden. Dabei lagern die bekannten Rohstoffvorkommen im hohen Norden dort, wo konventionelle Fördermethoden machtlos sind: unter Wasser oder in Ölschiefergesteinen. Das sind hohe Hürden für Russlands Rohstoffindustrie - so scheint es auf den ersten Blick. Doch die Strafmaßnahmen wirken paradox: Anstatt im Ukraine-Konflikt einzulenken oder seinen Rohstoff-fixierten Wirtschaftskurs zu überdenken, berichtet Energieexpertin Westphal, präsentiert Moskau Prestigeprojekte in der Arktis und fördert Bodenschätze auf Rekordniveau.
    Russlands Präsident Putin im Jahr 2011 bei der Inbetriebnahme einer Pipeline in Wladiwostock.
    Russlands Präsident Putin im Jahr 2011 bei der Inbetriebnahme einer Pipeline in Wladiwostock. (afp / Dimitry Astakhov)
    "In Russland ist das tatsächlich so, dass im Moment gefördert wird auf Teufel komm raus, vor allem beim Öl. Also, wir erwarten für 2016 sogar, dass das Rekordjahr von 1987, zu Sowjetzeiten, dass da die Rekordzahlen getoppt werden, oder zumindest erreicht werden. Und das ist alles nur deswegen, weil eben in hohem Maße Rohöl exportiert wird, um eben schnell an Einnahmen westlicher Währungen zu kommen. Zum anderen sehe ich aber, dass das Ziel aufrechterhalten wird, eben technologisch sich weiterzuentwickeln. Und ich sehe es im Moment eigentlich eher so, dass das rhetorisch aufrechterhalten wird und dass da gar nicht so viel tatsächlich in die Arktis bei der Ölförderung investiert wird, weil da greifen die Sanktionen."
    Öl-Devisen gegen den Verfall des Rubels, Marktöffnung nach Osten als Rezept gegen den Dauerstreit mit dem Westen. Das sind kraftvolle Signale der Regierung Putin: Russland ist ein Rohstoffriese und will es auch bleiben. Kirsten Westphal allerdings fragt sich: Wie lange wird die krisengeschüttelte und von Sanktionen blockierte russische Volkswirtschaft durchhalten, wenn sie ihre knapper werdenden Öl- und Gasbestände zum Billigpreis verschleudern muss?
    Die Krise ist längst da
    "Ich glaube schon, dass man viel stärker als es bisher passiert in Europa sich noch mal bewusst werden muss: Wenn die Sanktionen tatsächlich länger laufen, dass es dann nicht ohne Auswirkungen bleiben wird auf die Mengen, die Russland liefert an Erdgas und Erdöl für die Weltmärkte. Die Weltmärkte sind im Moment gut versorgt. Wenn wir aber fünf Jahre darüber hinausblicken, ist es schon nicht mehr so klar, weil die meisten großen Unternehmen enorm ihre Investitionen zurückgefahren haben. Also ich denke, wir sollten im Westen nicht das Ziel mit den Sanktionen verfolgen, Russland in eine Krise zu stürzen. Weil ein Russland in der Krise ist nichts, was wir uns wünschen sollten."
    Dabei ist die Krise längst da. 2015 ist die Volkswirtschaft um 3,7 Prozent geschrumpft, ein Ende der Talfahrt nicht in Sicht. Die Notlösung für Russlands Energiebranche: Rekordmengen fördern, aber an den notwendigen Investitionen sparen: Europa bezieht große Mengen an Öl und Gas von einem Rohstofflieferanten, der von seiner Substanz lebt. Und das, wo der Weltmarkt an fossilen Rohstoffen übersättigt und der Ausstieg seit der Pariser Klimakonferenz im Dezember 2015 beschlossene Sache ist. Die Folgen dieser wenig nachhaltigen Energiepolitik zeigen sich an Orten, die die Fernsehkameras der Journalisten nur selten zeigen.
    Das Dorf Ischma in der rohstoffreichen Republik Komi, Nordrussland. In diesem Jahr kam die Schneeschmelze für die Dorfbewohner mit einem Schrecken, erinnert sich der Fischer Stepán Artéev: Es war Ende April, und die Eisdecke des Flusses Ischma war unter der ersten Frühlingssonne zu Treibeis zersprungen: Saisonbeginn für Bootsfahrer und Fischer. Doch unter den Eisschollen erblickte Stepán statt klarem Wasser nur zähen, schwarzen Schlick.
    "Das Eis war schwarz - ja, tiefschwarz glitzerte es in der Sonne an diesem Nachmittag. Die Leute, die gerade von der Arbeit nach Hause gingen, waren starr vor Entsetzen. In diesen Tagen waren die Eisschollen noch dick, und wenn sich die Brocken im Fluss drehten, hat man von unten die Ölschicht gesehen. Sie war 10 oder 15 Zentimeter dick. Drei Tage ist im Fluss reines Öl geflossen. Und erst am fünften Tag war er wieder klar. Unsere Leute aber standen immer noch am Ufer und starrten ins Wasser."
    Schleichende Verseuchung durch lecke Pipelines
    Kein Einzelfall: Die Ölhavarie, die im April im Norden von Westrussland vier Flüsse verseuchte, ist nur eine von 25.000 insgesamt. 1,5 Millionen Tonnen Öl geraten in Russland alljährlich in die Umwelt, teilt das russische Ministerium für Umwelt und natürliche Ressourcen mit. Allein im Jahr 2015 seien durch geplatzte Pipelines über 1.000 Hektar Land verseucht worden. 60 Prozent der Pipeline-Infrastruktur seien mangels Investitionen überaltert, Unfälle würden vertuscht, klagt Umweltminister Sergej Donskój. Er kündigte eine Gesetzesverschärfung an, die die russischen Rohstoffkonzerne künftig stärker zur Verantwortung ziehen soll.
    Für den Fluss Ischma kommt das zu spät: Wie viel Öl freigeworden ist und wo es ausgelaufen ist, das ist auch Monate nach der Havarie noch nicht geklärt. Der Fischer Stepán fürchtet um seine Existenz.
    "Wie viel Öl ist da ausgelaufen! Dabei wandern die Fische gerade jetzt in den Flüssen Ischma und Petschóra zu ihren Laichplätzen - und das tun sie doch nur einmal im Jahr! Ich fürchte, das war's! Wenn die Fische nicht laichen, woher soll denn dann der Nachwuchs kommen? Leute wie ich, wir brauchen kein Fleisch, aber wir müssen jeden Tag Fisch essen! Und woher soll der jetzt kommen?"
    Die Umweltorganisation Greenpeace Russland weist seit Jahren auf die schleichende Verseuchung durch lecke Pipelines hin. Die vorhandene Infrastruktur ausbeuten, aber an Modernisierung und Instandsetzung sparen - nach diesem Prinzip wirtschafteten viele Konzerne seit Jahren, sagt Sergej Tschupróv, der bei Greenpeace Russland die Energiekampagne leitet. Die Schlupflöcher, die das russische Rechtssystem für Umweltsünder bietet, hätten sich zu einem regelrechten Standortvorteil entwickelt.
    "Nirgendwo auf der Welt haben Ölkonzerne eine höhere Rentabilität als in Russland. Die Ölbranche ist zurzeit das Beste, was die gesamte russische Volkswirtschaft zu bieten hat – dem niedrigen Ölpreis zum Trotz. Das hat seine Gründe: erstens die direkte finanzielle Förderung durch den russischen Staat, zweitens das Ökodumping. Die Ölfirmen verstecken ihre Havarien. Wenn Konzerne in Deutschland so wirtschaften würden, dann wären sie wegen Schadenersatzforderungen und Imageverlust längst bankrott. Zum Vergleich: Beim Deep Water Horizon-Unfall im Golf von Mexiko ist gut eine halbe Million Tonnen Öl ausgelaufen. In Russland hat die Ölpest ein Ausmaß von drei Deep Water Horizon-Havarien – jedes Jahr! Die Konzerne müssen nicht dafür bezahlen. Und damit kalkulieren sie."
    Eine Ölpest im tosenden Eismeer hätte verheerende Folgen
    Die russischen Steuergelder fließen nicht in die Nachhaltigkeit, sondern in teure Vorzeigeprojekte in der Arktis, das beklagt auch Tschupróv. Dabei gehört das Großprojekt Jamál LNG noch zu den weniger problematischen: Weil die Gasförderung auf dem Festland stattfindet, sind die Umweltfolgen halbwegs überschaubar. Mehr fürchtet Tschupróv die langfristigen Pläne der russischen Regierung: die Ölförderung im Nordpolarmeer, auf dem arktischen Schelf. Eine Ölpest im tosenden Eismeer hätte verheerende Folgen für das sensible Ökosystem - ein hohes Risiko für eine vergleichsweise geringe Ausbeute. Sergej Tschupróv:
    "Nach der Einschätzung des russischen Ministeriums für natürliche Ressourcen und der Internationalen Energieagentur könnte Russland in den kommenden 15 bis 20 Jahren auf dem arktischen Schelf etwa zehn Millionen Tonnen Öl fördern - zehn! Das ist sehr wenig. Zurzeit fördert Russland 520 Millionen Tonnen Öl - im Jahr! Über schadhafte Pipelines verliert Russland jedes Jahr etwa vier Millionen Tonnen Öl, sagen Studien von unabhängigen russischen Experten. In dieser Größenordnung könnte man sich die Förderung schon mal sparen."
    Die Förderung von Öl aus dem Nordpolarmeer: Zurzeit ist sie durch Europas Sanktionspolitik blockiert. Eine Langzeitlösung aber ist das nicht, denn es ist nur eine Frage der Zeit, wann sich Russland die notwendige Fördertechnik aus Asien besorgt. Wie also soll es jetzt weitergehen mit den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und Europa? Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik plädiert für einen kooperativen Kurs. Sie wünscht sich eine Energiepartnerschaft, die auch bei schweren politischen Konflikten das Ziel nicht aus den Augen verliert: den Kampf gegen den Klimawandel und den globalen Umbau der Energiewirtschaft im Sinne der Klimakonferenz von Paris. Das bedeutet: Energie sparen, Treibhausgase vermeiden, fossile Rohstoffe im Boden lassen. Es bedeutet nicht: Kapital schlagen aus billigem Öl.
    "Ja, ich hoffe ja, dass wir dann wirklich das Klima schonen. Ich will mir eigentlich nicht die Gedanken machen: Habe ich in 20 Jahre noch genug? Sondern ich will mir in 20 Jahren sagen: Ja, man hat diese Niedrigpreisphase eigentlich genützt, um zu sagen: Lass uns jetzt nicht mehr in so teure, ökologisch auch hochschwierige Projekte wie der Arktis zum Beispiel investieren, sondern lass uns wirklich jetzt gucken: Wie kann man das nutzen, um den Umschwung im Energieverbrauch hinzubekommen. Das ist bisher nicht absehbar."