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Hörerwelten: Holocaust-Überlebende
Retraumatisierung durch Abschiebungen?

Diskriminierung und Anfeindungen kennt sie bereits seit der Kindheit: Petra Rose gehört der Gruppe der Sinti an und ist Nachfahrin von Holocaust-Überlebenden. Sie fürchtet, dass die letzten Holocaust-Überlebenden retraumatisiert werden könnten – durch die Abschiebepolitik und auch durch die AfD im Bundestag.

Von Tobias Krone | 23.01.2018
    Petra Rose in der Stadtbibliothek Bayreuth.
    Petra Rose ist Sinteza und engagiert sich in Bayreuth in der Flüchtlingsarbeit (Tobias Krone / Deutschlandradio)
    Moosgrüne Strickjacke, weiße Handtasche, fränkischer Dialekt. Frau Rose ist waschechte Bayreutherin – und Mitglied der deutschen Sinti-Gemeinde.
    "Was an mir Sinteza ist? Ja, also ich würde sagen, mein Herz."
    Sinteza – das ist die weibliche Form von Sinto, erklärt Petra Rose. Als Sinteza fühlt sie sich in Bayreuth nicht überall wohl. Dazu später mehr. Aber hier in der hellen, modernen Stadtbibliothek an der Richard-Wagner-Straße ist sie gern. Für das Gespräch mit dem Reporter hat sich die 57-Jährige eine der Lernkabinen ausgesucht, da lässt es sich ungestört reden.
    Ich treffe sie heute in Bayreuth, weil sie sich telefonisch bei einer Deutschlandfunk-Redakteurin in Köln gemeldet und ihr geschildert hatte, wie beschämend sie es findet, wenn in unserem Land Menschen nachts aus ihren Betten geholt und abgeschoben werden. Der Auslöser für ihren Anruf war ein Internet-Artikel des Deutschlandfunks.
    "Ich habe ein kleines Tablet. Und da habe ich gelesen: Kalenderblatt, ja. Es ging um 1942, um den Auschwitz-Erlass."
    Mit dem Auschwitz-Erlass vom 16. Dezember 1942 ordnete SS-Reichsführer Heinrich Himmler die Deportation aller Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an.
    Petra Rose geht es um alle Holocaust-Überlebenden, nicht nur die Sinti und Roma. Ihrer Meinung nach werden die letzten noch lebenden Zeitzeugen traumatisiert. Und zwar durch die Abschiebepolitik der Bundesregierung.
    "Diese Leute wohnen noch manchmal mitunter in Häusern, in denen Ausländer noch mit drin wohnen. Und manche sind Flüchtlinge, und die werden manchmal abgeschoben. Und wenn es dann vorkommt, dass von der Polizei eine Abschiebung vorgenommen wird… wenn jetzt so ein Holocaust-Überlebender aus dem Schlaf gerissen wird, dann erlebt er natürlich in diesem Moment noch einmal die Erinnerung an dieses furchtbare Erlebnis der eigenen Deportation."
    Die traumatisierende Rhetorik der AfD
    Ein konkretes Ereignis kennt Petra Rose nicht. Denkbar aber wäre ein solches Szenario, sagt sie. Ähnlich traumatisierend wirke auch die Rhetorik der AfD, einer Partei mit völkischem Gedankengut, findet Frau Rose.
    "Es kann möglich sein, dass manchmal so ein Holocaust-Überlebender sich das gar nicht zu sagen traut. Und dann seine Angehörigen darum bittet: Ich habe Angst, ich habe Angst, bitte sagt niemandem was, die holen mich wieder weg."
    Petra Rose legt ihre Stirn in Falten. Die Überlegungen hat sie nicht aus der Luft gegriffen. Ihre eigenen Eltern haben den Holocaust überlebt – der Vater als Zwangsarbeiter. Auch lange nach dem Krieg wirkte das Trauma nach.
    "Die Angst war immer da, dass Leute also zum Beispiel Soldaten kommen würden oder dass Polizei kommt und hier Menschen abführt. Diese Angst war da."
    Petra Rose hat keine Angst. Da sie in jungen Jahren schwer krank war, arbeitet sie heute nur noch ehrenamtlich – und zwar mit Geflüchteten, egal welcher Herkunft. Hier in der Stadtbibliothek gibt die Frau mit dem langen Rock und dem Dutt Deutschkurse. Auch wenn sie dafür von manchem angefeindet wird.
    "Mir werden zum Beispiel – auch durch die Flüchtlingsarbeit noch mal extra – Bilder zugeschickt von sterbenden Menschen, anonym.
    Mir werden die Wäscheleinen durchgeschnitten, mir werden meine Sachen beschädigt. Tja, immer anonym. Und dann wenn ich ausgegrenzt werde und es sind auch Zeugen dabei, sagt aber kein Zeuge für mich aus. Das ist mir auch schon passiert."
    Diskriminierungserfahrungen schon in der Kindheit
    Die 57-Jährige hat sich, was sie sagen will, sauber abgetippt und auf einem Blatt ausgedruckt, von dem sie aber im Laufe des Gesprächs kaum etwas abliest. Ihr ist wichtig, richtig verstanden zu werden. Diskriminierung kennt Petra Rose schon aus der Kindheit. Lehrer warnten Mitschüler davor, mit dem "Zigeunerkind" zu spielen. Dabei fühlte sich ihre Familie immer deutsch. Vater Rose war schließlich ein Vertriebener aus dem heute polnischen Stettin. Die Erfahrung, ungleich behandelt zu werden, nimmt Petra Rose als Antrieb, ihren Mitmenschen zu helfen.
    "Wir waren nach 1945 weiterhin bei den Behörden genauso schlecht behandelt worden. Und dann war ich das erste Mal 2012 auf dem Ausländeramt. Ich hatte noch nie was zu tun mit denen. Und in diesem Moment habe ich mich wiedergefunden in den 70er-Jahren, was ich ja kannte."
    Bei solchen Sätzen fixiert sie ihr Gegenüber eindringlich mit herausforderndem Blick – es ist die Sorge, auch der Reporter könnte ihr nicht glauben. Petra Rose ist in Bayreuth bekannt – und anerkannt als ehrenamtliche Streiterin für die Geflüchteten.
    "Die bayerische Ehrenamtskarte, über die habe ich mich gefreut."
    Stolz holt sie das Kärtchen aus ihrem Portemonnaie und legt es auf den weißen Bibliothekstisch, an dem sie sonst mit "ihren Jungs", wie sie sie nennt, Deutsch lernt. Petra Rose will als eine verstanden werden, die jedem hilft, der in Not ist, auch Obdachlosen ohne Migrationshintergrund. Am Ende des Gespräches kommt sie noch einmal auf das Thema Holocaust zu sprechen. Und auf die Forderung einer SPD-Abgeordneten, Geflüchtete in Deutschland zu einem Besuch der KZ-Gedenkstätte Auschwitz zu verpflichten.
    "Ich bin überhaupt nicht dafür, weil es sehr viele Flüchtlinge gibt, die aus Kriegsgebieten kommen. Sie haben selbst Folter und Misshandlungen erfahren, und diese Menschen kann man nicht dazu zwingen, dass sie noch einmal an so einen Ort gebracht werden, wo viele Menschen ermordet wurden."
    Menschlich und pragmatisch – so geht Frau Rose aus Bayreuth mit dem Vermächtnis ihrer Eltern um, die dem Schrecken des Holocaust entkommen sind.