Freitag, 03. Mai 2024

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Hofreiter zum Sozialpaket
"Die Koalition springt leider vollkommen zu kurz"

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter lässt kein gutes Haar am Sozialpaket der Großen Koalition. Die Bundesregierung drücke sich um die Frage, wie das Rentensystem ab 2025 funktionieren solle, sagte Hofreiter im Dlf. Der Grüne fordert Reformen für Geringverdiener und Frauen.

Anton Hofreiter im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 30.08.2018
    ANTON HOFREITER, Bündnis 90/ Die Grünen, Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag, DLF, Funkhaus Köln, 29.08.2018
    Anton Hofreiter ist Co-Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Bundestag (Deutschlandradio / Bettina Fuerst-Fastre)
    Jörg Münchenberg: Schwarz-Rot hat sich jetzt auf ein Renten- und Sozialpaket einigen können. Schlechte Nachricht für die Opposition - Koalition ist doch handlungsfähig?
    Anton Hofreiter: Na ja. Wenn es schon eine große Erfolgsmeldung ist, dass eine Regierung regiert, dann, glaube ich, ist der Zustand einer solchen Koalition schon armselig. Und es kommt ja nicht nur darauf an, dass eine Koalition überhaupt irgendwas zustande bringt, sondern was sie zustande bringt, und da sieht man, dass sie sich um die großen Probleme im Rentensystem herummogelt, nämlich damit hatte die SPD ja ursprünglich recht: Die Probleme kommen vor allem nach 2025, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen wollen.
    Münchenberg: Auf der anderen Seite, wenn man sich jetzt mal die Reaktionen anschaut: Die Gewerkschaften zum Beispiel sind ganz zufrieden. Es geht ja um diese doppelte Haltelinie: Bis 2025 bleibt das Rentenniveau stabil bei 48 Prozent. Der Beitragssatz soll nicht über 20 Prozent steigen. Das ist doch eine gute Nachricht für die Rentner, aber auch die Beitragszahler.
    Hofreiter: Na ja. Das ist ja erst mal nur eine Absichtsbekundung. Das kann ich auch sagen, das Beitragsniveau soll stabil bleiben und die Menschen sollen vernünftiges Geld kriegen. Es stellt sich die Frage, ob die Maßnahmen dafür geeignet sind, vor allem langfristig, und da sehen wir nicht, dass die Maßnahmen dafür geeignet sind. Wir glauben, dass man mutigere Reformen machen müsste im positiven Sinne. Das heißt eine Bürgerversicherung, angefangen zum Beispiel bei den kleinen Selbständigen, die oft sozial ganz schlecht abgesichert sind, dass man die in die Rente mit reinnimmt, dass man dafür sorgt, dass Frauen noch besser in den Arbeitsmarkt integriert werden, und auch, dass man dafür sorgt, dass Menschen, die länger arbeiten wollen, das auch können, indem man ihnen vernünftige und gute Arbeitsplätze anbietet. Da geht es vor allem auch um Weiterbildungsfragen.
    Ein Arbeitsmarkt, der Frauen besser integriert
    Münchenberg: Die Koalition springt Ihrer Meinung nach vollkommen zu kurz?
    Hofreiter: Die Koalition springt leider vollkommen zu kurz. Die SPD hatte wie gesagt am Anfang eine teilweise richtige Analyse, dass das ganz Schwierige erst nach 2025 kommt, und jetzt drückt man sich darum herum, und wie man das als Erfolg verkaufen kann, insbesondere als SPD, ist für mich schon etwas rätselhaft.
    Münchenberg: Auf der anderen Seite muss man sagen: Die Absicherung des Rentenniveaus ist ein großes Thema. Wir haben angesichts des demographischen Wandels auch immer mehr Rentner. Gerade dieses Thema treibt ja doch viele Menschen um und hier schafft die Koalition ja immerhin Sicherheit bis 2025.
    Hofreiter: Ja, sie behauptet, dass sie Sicherheit schafft bis 2025. Beim Rentenniveau geht es am Ende darum, wie viel Geld bekommen die Menschen, und deshalb ist das ein ganz zentrales Thema. Aber man muss rechtzeitig vorsorgen, nämlich die Rente ist ein Thema, das auch für Menschen, die jetzt jünger sind, von großer Bedeutung ist. Die wollen dann ja auch noch Rente bekommen. Deshalb, damit das dann auch nach 2025 funktioniert, unser Vorschlag: Bürgerversicherung, möglichst viele Menschen reinnehmen, Arbeitsmarkt so gestalten, dass Frauen besser noch integriert werden können - da geht es um viele einzelne Punkte – und wie gesagt gute Arbeit schaffen, dass Menschen, die lange arbeiten wollen, das auch können.
    Münchenberg: Aber die SPD - Sie haben sie ja schon angesprochen - wollte ja ursprünglich viel mehr, hat gesagt, wir müssen eigentlich bis in die 2040er-Jahre planen. Bis dahin wollte Finanzminister Scholz dann das Rentenniveau auch bei 48 Prozent festschreiben. Das Problem ist nur: Das kostet eine Menge Geld, dreistellige Milliardenbeträge. Und wie er das finanzieren will, das hat der Finanzminister ja nicht gesagt.
    Hofreiter: Das war ja genau das Problem am Agieren der SPD. Die Analyse war richtig, dass die Probleme nach 2025 auftreten und es sinnvoll ist zu versuchen, das Niveau, die Höhe am Ende, was die Menschen an Geld bekommen, länger zu versuchen zu halten. Aber er hat keinerlei Finanzierungsvorschläge gemacht und unser Finanzierungsvorschlag ist, mehr Menschen ins System, Frauen besser in den Arbeitsmarkt integrieren und dafür sorgen, dass Menschen, die länger arbeiten wollen, das auch können. Nämlich dann müsste man auch nicht mit so gigantischen Summen agieren, die das Ganze kostet, nämlich man hat einfach mehr Beitragszahler dann.
    Für grundlegende Reform der Arbeitslosenversicherung
    Münchenberg: Stichwort Beitragszahler. Da hat die Koalition jetzt auch beschlossen, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung sinken soll. Die Union wollte da deutlich mehr als die SPD. Würden Sie sagen, das ist wenigstens auch was, wo man jetzt auch die Beitragszahler entlastet, oder springt die Koalition da auch zu kurz?
    Hofreiter: Da stellt sich die Frage, was man insbesondere erreichen will. Im Moment haben wir eine relativ gute Konjunktur, aber wir haben immer noch einen Sockel von langzeitarbeitslosen Menschen, die selbst in sehr guter Konjunktur es nicht schaffen, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren, und wir stehen vor ganz großen Umbrüchen, wenn man an die Auseinandersetzung um die Braunkohle denkt, wenn man an die Auseinandersetzung um die Automobilindustrie denkt. Deshalb würden wir gerne die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickeln – eine Arbeitsversicherung, die sich um die Menschen kümmert, schon bevor sie arbeitslos werden. Das würde etwas Geld kosten, aber mittelfristig vielen Menschen in diesem Land nutzen. Deswegen glauben wir, dass es klüger wäre, dieses Geld gut zu investieren, dass man die Sockelarbeitslosigkeit noch mal weiter senken kann und die Arbeitslosenversicherung weiterentwickelt.
    Münchenberg: Herr Hofreiter, jetzt reden wir hier ganz speziell über grüne Pläne. Wir müssen erst mal mit dem zurande kommen, was schon existiert. Also noch mal die Frage: Sollten die Beitragszahler nicht auch einfach stärker entlastet werden? Die Steuereinnahmen sprudeln, die Einnahmen für die Sozialkassen sind gewaltig gestiegen in den letzten Jahren, auch angesichts der guten Beschäftigungslage. Ist es da nicht auch notwendig, nicht nur an die Rentner zu denken, sondern auch an die Beitragszahler?
    Hofreiter: Es stellt sich die Frage, ob die Entlastung der Beitragszahler wirklich gut angelegtes Geld ist, oder ob man mittelfristig mit dem Geld Sinnvolleres macht. Da ist unser Vorschlag, mit dem Geld Sinnvolleres zu machen, anstatt diese Summen - das ist aufsummiert eine hohe Summe, für den Einzelnen dann gar nicht so eine große Summe -, anstatt diese Summen dann nicht zu investieren, sondern diese Summen würden wir gerne investieren in die Weiterentwicklung der Arbeitslosenversicherung in eine Arbeitsversicherung.
    Wenn man entlasten will, hätten wir einen Vorschlag, der insbesondere auch den Geringverdienern hilft. Nämlich der Vorschlag wäre, dass man den Steuerfreibetrag erhöht. Das würde insbesondere den Menschen, die wenig Steuern zahlen, die wenig Einkommen haben, helfen.
    Münchenberg: Nun geht aber die Debatte gerade eher in eine andere Richtung - Stichwort Abschaffung des Soli. Da macht die CDU jetzt Druck. Auch die CSU sagt, wir sollten das Ganze schon früher abschaffen, als eigentlich ursprünglich geplant, und es soll ja auch nicht komplett abgeschafft werden. Ist auch das nicht eigentlich eine gute Idee, denn der Soli wurde ja in den 90er-Jahren einmal eingeführt - Stichwort deutsche Einheit. Wir schreiben jetzt das Jahr 2018. Und wenn man das im Zusammenhang sieht mit der Glaubwürdigkeit der Politik, ist es nicht an der Zeit, dass der Soli endlich weg muss?
    Steigende Staatseinnahmen investieren
    Hofreiter: Wenn man sagt, der Soli muss endlich weg, dann entlastet man Menschen, die so viel Geld verdienen wie ich und noch mehr, am stärksten. Da stellt sich schon die Frage, ob man viele Milliarden ausgibt, um Menschen mit einem Einkommen, wie ich es habe, wirklich zu entlasten. Ich brauche diese Entlastung nicht und ich glaube, eine ganze Reihe von Menschen, die so viel verdienen wie ich, brauchen die Entlastung nicht. Was wir allerdings haben ist: Wir haben ein Qualitätsproblem in unseren Kitas. Wir haben bröckelnde Schulen. Wir haben eine ganze Reihe von Problemen bei der Investition des Staates. Da bräuchten wir das Geld. Und wie gesagt: Wenn man Menschen entlasten will mit unteren und mittleren Einkommen, dann muss man insgesamt an die Einkommenssteuer ran, und da kann man zum Beispiel den Freibetrag erhöhen. Das würde insbesondere diesen Menschen helfen. Das was die Große Koalition oder gerade die Union da vorschlägt, hilft Menschen mit hohen Einkommen, die eh sehr viel Geld haben.
    Münchenberg: Dann will ich Ihnen einmal eine Zahl entgegensetzen. Auf das ganze Jahr gerechnet betragen die Einnahmen des Soli 18,75 Milliarden Euro. Der Überschuss des Bundes lag jetzt allein in den ersten sechs Monaten 2018 bei 19,5 Milliarden Euro. Da sind doch ganz offenkundig Spielräume vorhanden. Und weil Sie gerade gesagt haben, hohe oder mittlere Einkommen sollen eher nicht entlastet werden, sondern die kleinen – auch die Grünen haben ja eine Wählerschicht, die kommt aus der Mittelschicht vielfach - Stichwort Kalte Progression. Haben auch nicht solche Menschen ein Anrecht auf Entlastung?
    Hofreiter: Wenn ich eine hohe Summe zur Verfügung habe und feststelle, dass der Staat eine ganze Reihe von Problemen hat - wir stellen zum Beispiel gerade fest in Sachsen, dass da offensichtlich die Polizei nicht immer in allen Fällen Herr der Lage ist.
    Münchenberg: Bleiben wir bei der Steuer.
    Hofreiter: Wir haben die Steuern, um sie auszugeben für sinnvolle Maßnahmen, unter anderem für Polizei, unter anderem zur Sanierung der Schulen, unter anderem für vernünftige Kindergärten, unter anderem für eine funktionierende Pflege. Wenn wir da überall gigantische Probleme haben, dann stelle ich die Frage: Investiere ich das Geld sinnvoll, oder lasse ich die Probleme weiter eskalieren. Und wenn ich schon die Bürger entlasten will, stellt sich für mich die Frage: Warum fängt man ausgerechnet bei den Menschen mit einem sehr guten Einkommen an? Warum fängt man nicht bei den Menschen an, die ein Einkommen haben wie die berühmte Krankenschwester?
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.