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Horst Teltschik zu INF-Vertrag
CDU-Außenexperte warnt vor atomaren Gefechtswaffen

Nach dem Aus des INF-Vertrags sei die Entwicklung nuklearer Gefechtswaffen zu befürchten, sagte Horst Teltschik (CDU), ehemaliger Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, im Dlf. Solche Waffen wären einfacher einzusetzen. Wichtig sei nun, im Gespräch zu bleiben – und vorhandene Foren zu nutzen.

Horst Teltschik im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 03.08.2019
Horst Teltschik, früherer Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz
Horst Teltschik (CDU), früherer Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, war als CDU-Politiker enger außenpolitischer Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl. (imago stock&people)
Jürgen Zurheide: Es gibt eine Zuspitzung an Konflikten, die Eskalation überall: Der INF-Vertrag ist passé, er ist Geschichte, wie die Kollegen der "Süddeutschen Zeitung" gerade geschrieben haben, es gibt immer mehr Nachrichten aus der Welt der nuklearen Unvernunft. Zuspitzung überall, INF-Vertrag weg, das ist das eine – und die Straße von Hormus muss ich in diesem Zusammenhang nicht erwähnen. Die Atomwaffenangst ist zurück.
Über all das wollen wir reden mit Horst Teltschik, einem, der mitgeholfen hat, dass es auch anders gehen kann in einer anderen Zeit der Geschichte. Guten Morgen Herr Teltschik!
Horst Teltschik: Guten Morgen!
Zurheide: Fangen wir doch mal damit an: Herr Gorbatschow hat gesagt, es steht ein neues Wettrüsten bevor. Ist das aus Ihrer Sicht zu alarmistisch oder sagen Sie, ja, die Gefahr droht?
Teltschik: Ja, leider hat Michael Gorbatschow recht, denn es geht ja nicht nur um den INF-Vertrag, sondern 2021 steht die Verlängerung des START-Abkommens über die strategischen Nuklearsysteme an, und die Frage ist, wie werden dann die beiden Weltmächte USA und Russland reagieren.
Dann hat unser Außenminister ja zurecht darauf hingewiesen, wir haben den Begriff des Cyberwars, also neue Gefährdungen. Dann haben USA, Russland und auch dritte Spieler – jetzt China – Weltraumwaffen angekündigt. Dann geht es um den Einsatz von Drohnen als Kampfmittel.
Wir haben eine breite Palette von Themen, von bisherigen Waffensystemen und neuen Waffensystemen, wir haben aber keine Struktur, die in der Lage ist, im Augenblick diesen ganzen Komplex zu verhandeln.
"Wir haben eine Fülle von Themen auf der Agenda"
Zurheide: Wir kommen gleich noch mal darauf, wie das vielleicht aussehen könnte. Ich habe hier eine Meldung gefunden, demnach haben die Amerikaner alleine in den drei Monaten nach der Aufkündigung des INF-Vertrags neue Raketen im Wert von einer Milliarde Dollar bestellt. Das zeigt, wohin die Reise geht oder?
Teltschik: Ja, die Frage ist natürlich, welche Art von Raketen sind das. Meine größte Besorgnis wäre, wenn jetzt die Großmächte in der Tat anfangen, Nuklearsysteme als Gefechtsfeldwaffen zu entwickeln, mit geringerer Sprengkraft, und damit solche Systeme einsatzfähiger werden. Solche Überlegungen gibt es ja auch, gerade auch auf amerikanischer Seite, aber auch auf russischer Seite.
Und das ist ja das Problem, wir haben eine Fülle von Themen auf der Agenda, ich meine, Gorbatschow, den Sie eingangs erwähnt haben, und Reagan, der ursprünglich mal als kalter Krieger galt, beide haben sogar von der Vision einer nuklearfreien Welt gesprochen. Heute sind wir an dem Punkt angekommen, wo genau das Gegenteil diskutiert wird – mit zusätzlichen Spielern.
China ist dazugekommen, potentiell der Iran, Nordkorea, das heißt, die Situation wird immer unübersichtlicher und komplexer, und die Instrumente, die wir haben, werden nur begrenzt, wenn überhaupt, genutzt.
"Sind wir bereit die vorhandenen Foren effizient zu nutzen?"
Zurheide: Jetzt lassen Sie uns zurückkommen auf die Zeit, auch wenn Geschichte sich nicht wiederholt. Sie haben damit wichtige Spieler genannt, aber natürlich auch die Europäer, die in der Phase von 1981, 1982 bis 1987 mitgewirkt haben, weil die Gefechtsfeldwaffen, die Sie ansprechen, wären ja damals vor allem in Europa zum Einsatz gekommen.
Wie kann man wieder eine Vertrauenskultur, eine Basis schaffen, dass das, was da im Moment passiert, dass diese Spirale der Eskalation zurückgedreht wird? Was müsste passieren?
Teltschik: Ja, Herr Zurheide, das Problem ist, sind wir bereit die Foren, die vorhanden sind, effizient zu nutzen oder nicht. Ich erinnere an den Nato-Russland-Rat, der, wie der Nato-Generalsekretär gesagt hat, mehrfach getagt hat, sechsmal, aber immer nur auf Botschafterebene, und Botschafter können nichts entscheiden.
Warum ist dieser Nato-Russland-Rat nicht auf Ministerebene oder sogar auf Ebene der Regierungschefs einberufen worden, die Entscheidungen treffen können? Wir haben die OSZE, wir haben dort sogar ein Konfliktverhütungszentrum, von dem man nur bei Wahlbeobachtungen etwas hört.
Wir haben die Vereinten Nationen, unser Außenminister hat ja mal zu Recht davon gesprochen, dass eigentlich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, wo wir zurzeit sogar den Vorsitz haben, eigentlich eine Strategie für Abrüstung im nuklearen Bereich erarbeiten und entwickeln müsste. Und darüber hinaus bilaterale Gespräche.
Ich habe das in den 80er-Jahren erlebt, wie pausenlos Gespräche zwischen Reagan und später Bush und Gorbatschow stattfanden, Bundeskanzler Kohl mit den Politikern, die Margaret Thatcher, alle haben miteinander gesprochen und Vertrauen aufgebaut – und zwar nicht nur über Abrüstung und Rüstungskontrolle, sondern über Zusammenarbeit schlechthin.
"Aber ohne Gesprächsbereitschaft läuft sowieso nichts"
Zurheide: Sie haben gerade den Nato-Russland-Rat angesprochen. Was könnte die Bundesregierung tun oder gibt es eine europäische Spielebene – angesichts des Zustand in Europa wage ich das kaum zu fragen.
Teltschik: Die Bundesregierung ist Mitglied des Nato-Russland-Rates, und aus meiner Sicht müsste die Bundeskanzlerin und jetzt dann auch die europäische Kommissionspräsidentin mit Stoltenberg auch sprechen und zusammen mit dem französischen Präsidenten überlegen: Welche Strategie sollte man erarbeiten, entwickeln, um jetzt zu einem neuen Vertrauensverhältnis mit Russland zu kommen und diese Spannungen abzubauen.
Zurheide: Da kommt natürlich sofort immer das Gegenargument, so wie sich Putin im Moment verhalte, ich rede im Konjunktiv, geht das alles nicht, weil wir da unsere Sanktionen und andere Dinge noch stehen haben. Wie sehen Sie das, ich weiß, Sie sind da sehr skeptisch?
Teltschik: Ja, natürlich ist Grund zur Skepsis da, aber ich erinnere an 1983, da hatte uns der sowjetische Regierungschef und Generalsekretär Andropov mit dem Dritten Weltkrieg gedroht, trotzdem ist der Bundeskanzler Helmut Kohl mit Außenminister Genscher nach Moskau gereist und hat versucht, eine vernünftige Beziehung zu entwickeln und Gespräche zu führen, auch mit dessen Nachfolger. Und dann kam glücklicherweise natürlich Gorbatschow, dann wurde es ja auch wirklich fruchtbar dieser Dialog. Aber ohne Gesprächsbereitschaft läuft sowieso nichts.
"Die größte Dummheit"
Zurheide: Jetzt haben wir natürlich, ich will das fast nicht weiter aufmachen, aber mindestens noch mal daran erinnern, bei der Straße von Hormus haben wir gerade eine Situation, ich habe es auch vorhin erwähnt, wo manche Leute sagen, das ist wie so ein Pulverfass, das erinnert möglicherweise an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, wo eine kleine, unbedachte Aktion dazu führen kann, dass hier richtig etwas losgeht. Wo sind die Akteure, die im Moment nicht zuspitzen, drohen, sondern die ein Stück Rationalität und Vernunft walten lassen?
Teltschik: Das ist eine berechtigte Frage. Ich meine, die einfachste Lösung, was die augenblickliche Situation betrifft, wäre die, dass die Briten und die Iraner die beiden Tanker austauschen. Jeder hat von der anderen Seite einen Tanker, also tauscht man den aus und sagt, okay, das war es und nicht wieder. Das wäre die einfachste Lösung.
Ansonsten stehen wir vor dem Problem, dass wir einen unberechenbaren amerikanischen Präsidenten haben, der gegenüber dem Iran ständig Drohungen ausstößt, und ich meine, die größte Dummheit, die die Amerikaner jetzt gemacht haben, ausgerechnet dem iranischen Außenminister Sanktionen aufzuerlegen und gleichzeitig zu sagen, dass der amerikanische Außenminister Gespräche mit Teheran führen möchte. Wie das zusammenpassen soll, das versteht außer den Amerikanern niemand.
Zurheide: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.