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Hüppe: PID "eine Art Menschenversuch"

Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, warnt davor, Frauen einzureden, dass sie mit einer PID eine bessere Chance hätten, ein gesundes Kind zu bekommen. Diese Rechnung gehe "meistens nicht auf, im Gegenteil".

Hubert Hüppe im Gespräch mit Silvia Engels | 21.12.2010
    Silvia Engels: Es ist eine vielschichtige ethische Frage, mit der sich der Bundestag im kommenden Jahr auseinandersetzen muss. Dürfen Menschen mit Kinderwunsch, die eine künstliche Befruchtung vornehmen lassen, die befruchtete Eizelle vorab auf mögliche genetische Schäden untersuchen lassen? Die Methode heißt Präimplantationsdiagnostik, kurz PID. Die Mehrheit der Union sagt Nein, doch viele in der CDU wollen sie in Einzelfällen doch ermöglichen. Gemeinsam mit Abgeordneten anderer Fraktionen hat diese Gruppe heute einen Antrag vorgelegt. Am Telefon mitgehört hat Hubert Hüppe (CDU). Er ist Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Guten Tag, Herr Hüppe.

    Hubert Hüppe: Schönen guten Tag, Frau Engels.

    Engels: Sie lehnen die PID grundsätzlich ab. Welches sind Ihre Argumente?

    Hüppe: Natürlich lehne ich PID grundsätzlich ab, denn es geht ja hier um die Tötung menschlichen Lebens, und zwar ist das Kriterium die Qualität des Menschen, hat er eine Behinderung, oder hat er keine Behinderung, und dieses Urteil einer Kommission zum Beispiel zu übergeben, lehne ich natürlich ab, weil das ist eine Selektionsmethode und sie entscheidet über Wert oder Unwert menschlichen Lebens.

    Engels: Haben Sie auch Sorge, dass möglicherweise der Druck wächst auf Menschen, die sich testen lassen könnten, wenn sie anschließend das nicht tun und ein behindertes Kind zur Welt bringen?

    Hüppe: Zumindest kann ich mir vorstellen, dass es bei den Eltern so ist, die sowieso eine künstliche Befruchtung machen. Wir erleben das zum Teil schon bei der Pränataldiagnostik, also im späteren Zeitpunkt, wenn es da um das Thema Abtreibung geht, dass ein Druck auf die Eltern ausgeübt wird, doch gefälligst alle Methoden wahrzunehmen, ansonsten sind sie selber Schuld. Wir haben ja ähnliche Urteile, wo dann sogar, wenn nicht über alle Möglichkeiten der Pränataldiagnostik hingewiesen wurde, Schadensersatzforderungen gestellt worden sind. Also dieser Druck ist heute schon da. Er wird sich da natürlich noch verstärken.

    Engels: Nun hat gerade auch im Beitrag wieder Peter Hintze, Ihr Parteifreund, gesagt, der sich für begrenzte Ausnahmefälle bei der PID ausspricht, die Integration behinderter Menschen sei in den letzten Jahren eigentlich besser geworden, trotz der verbesserten Diagnosemöglichkeiten. Das heißt, da gibt es doch auch den anderen Trend, dass Behinderte nicht diskriminiert werden.

    Hüppe: Ich sehe dies nicht so. Wir sind am Anfang eines Prozesses, das nennt man Inklusion, dass Menschen mit Behinderung wieder zurückgeholt werden in die Gesellschaft, nicht in Sonderwelten leben, und darüber sind sich auch alle einig. Wir haben zwar große Einrichtungen und wir haben auch wirklich hervorragende therapeutische Maßnahmen, aber wir haben natürlich auf der anderen Seite auch Sonderwelten, wo Menschen mit Behinderung und ohne Behinderung getrennt voneinander leben. Das versuchen wir, jetzt aufzuheben.
    Aber es geht ja bei der PID nochmals um die Tötung menschlichen Lebens, und das ist der entscheidende Punkt. Wenn es hier nicht um menschliches Leben gehen würde, dann wäre das eine andere Diskussion, denn natürlich wünscht sich nicht als Erstes jeder, ein behindertes Kind zu gebären, aber hier geht es darum: Es ist schon menschliches Leben da und dann wird man entscheiden. Und wir sehen in anderen Ländern, dass das nicht eingrenzbar ist, schon gar nicht, wenn man, wie dieser Antrag, sich nicht traut, wen man denn eigentlich damit meint, wer denn wirklich ausgegrenzt werden soll und wer nicht geboren werden soll.

    Engels: Und wie sehen Sie die ethische Verantwortung gegenüber Frauen, die dann künftig, wenn es bei der harten Regelung bleibt, ein schwerstbehindertes, wo möglich nicht lebensfähiges Kind in einer Schwangerschaft austragen müssten, obwohl es nicht lebensfähig ist?

    Hüppe: Zunächst einmal müsste man das ja nicht, sondern man steht vor der Entscheidung, begebe ich mich bewusst in dieses Risiko, in diesen Konflikt hinein, oder verzichte ich darauf. Das ist auch der große Unterschied zur Spätabtreibung, dass man ja dort schon einen Konflikt hat. Diesen Konflikt führt man erst herbei. Und jetzt muss man eines sagen: Nur jede fünfte, einige sagen sogar nur jede siebte Frau hat auch selbst nach mehreren Versuchen überhaupt die Chance eines Kindes. Die meisten werden viel enttäuschter aus dieser PID rausgehen, als sie reingegangen sind. Und wir erleben im Ausland, dass es trotzdem noch Abtreibungen gibt, weil es eben auch da Fehldiagnosen gibt. Und jetzt überlegen Sie sich: man verspricht einer Frau ein gesundes Kind und dann kommt es trotzdem zu einer Spätabtreibung oder trotzdem zu einer Totgeburt. Und wie die Methode wirklich hinterher aufs menschliche Leben, auf den geborenen Menschen sich auswirkt, wissen wir doch bis heute nicht, ob nicht auch Spätfolgeschäden kommen. Es ist insofern noch eine Art Menschenversuch, von dem man nicht weiß, welches Ende er überhaupt finden wird.

    Engels: Was raten Sie denn Menschen, die wissen, dass sie die Anlagen zu schweren Erbkrankheiten tragen, denn da sagte ja auch gerade noch mal Ihr Parteifreund Peter Hintze, ihnen würde die Entscheidung, es doch zu versuchen, ein Kind zu bekommen, deutlich erleichtert werden?

    Hüppe: Zunächst einmal ist die Frage, ist das alles planbar, kann man wirklich das alles planen, und das, wissen wir, geht auch mit PID nicht. Das habe ich gerade erklärt. Das Zweite ist: Es ist die eine Frage, ob man einen Verzicht hat, ob man die Möglichkeit der Adoption hat. Das ist interessant in dem Antrag, dass man dies auch erwähnt, wenn man weiß, das Risiko liegt bei der Frau, ob man dort dann die Polkörperchendiagnostik nimmt. Das ist ein genetischer Test allein an der Eizelle, also es wird kein Embryo getötet. Und damit hätte man schon drei Viertel aller Erkrankungen oder Behinderungen, ganz wie man darauf kommt, ausgeschlossen. Also von daher: Es gibt Alternativen. Und noch einmal: Man sollte Frauen nicht einreden, dass sie wirklich eine gute Chance hätten, danach ein gesundes Kind zu bekommen. Diese Rechnung geht meistens nicht auf, im Gegenteil: viele Menschen – und ich kenne persönlich auch Frauen, die sich in diesen Bereich hineinbegeben haben – werden hinterher noch viel schlechter dran sein als vorher, weil sie merken, dass nicht alles technisch machbar ist.

    Engels: Hubert Hüppe (CDU). Er ist Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Wir sprachen mit ihm über die PID, die er grundsätzlich ablehnt. Vielen Dank für das Gespräch.

    Hüppe: Ja, danke auch.

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    Juli 2010: "Da wird jetzt eine neue Debatte in Gang kommen" - Zum Urteil des BGH zur Präimplantationsdiagnostik

    Für die PID:

    November 2010: "Ein Akt für Menschlichkeit" - CDU-Politikerin Heinen plädiert für Zulassung der Präimplantationsdiagnostik in engen Grenzen

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    Contra die PID:

    Dezember 2010: "Die Erfahrung zeigt, man kann es begrenzen" - Ethikratvorsitzender über die Präimplantationsdiagnostik

    November 2010: CDU votiert gegen Gentests an Embryonen

    Oktober 2010: "Eigentlich bräuchte man kein Gesetz" - Präimplantationsdiagnostik erneut in der Kritik

    Oktober 2010: "Dann kann man nicht sagen: Den sortiere ich jetzt aus" - Behindertenbeauftragter kritisiert Präimplantationsdiagnostik

    Juli 2010: "Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich Ärzte für so was hergeben"

    Januar 2007: "Wir wollen ein nicht behindertes Kind!" - Präimplantationsdiagnostik-Tourismus nach Belgien