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Humanist Ralf Schöppner
"Konfessionsfreie werden strukturell diskriminiert"

Eine Gleichbehandlung von Religionen und Weltanschauungen gebe es in Deutschland nicht, sagte der Philosoph Ralf Schöppner im Dlf. Schulen oder Kitas für nichtreligiöse Kinder suche man beispielsweise vergeblich. Humanistische Verbände müssten in der Bundesrepublik mehr Anerkennung bekommen.

Ralf Schöppner im Gespräch mit Pascal Fischer |
Auf einem blauen Regenschirm sind u.a. die Worte Frieden, Mut, Toleranz und Liebe zu lesen.
Toleranz, Selbstverantwortung und Frieden sind Werte, für die Humanisten eintreten (picture alliance / dpa / Daniel Kubirski )
Etwa 40 Prozent der Deutschen gelten als konfessionsfrei und gehören offiziell keiner Religion an. Laut Prognosen werden diese Menschen wegen der anhaltenden Kirchenaustritte im Jahr 2040 die Mehrheit in Deutschland stellen.
Diese Gruppe sei sehr heterogen, sagte der Philosoph und Humanist Ralf Schöppner im Interview. "In der Gruppe der Konfessionsfreien finden Sie auch Religiöse, Sie finden Esoteriker, Sie finden Gleichgültige, Sie finden auch Nazis, und Sie finden aber selbstverständlich auch jede Menge Atheisten, Agnostiker und Humanisten."
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Den Humanismus definierte Schöppner im Gespräch als Weltanschauung, die für Werte wie Lebensfreude, soziale Verantwortung und Toleranz eintrete. Er sei ein Sinn- und Orientierungsangebot für alle Bürgerinnen und Bürger. Humanistische Verbände engagierten sich in vielen Bereichen der Gesellschaft, etwa in Schulen, Hospizen oder in der Flüchtlingsarbeit.
In der Bundesrepublik seien sie aktuell trotzdem noch nicht stark und anerkannt genug. Das Religions- und Weltanschauungsrecht in Deutschland sei kirchenförmig und müsse dringend reformiert werden, so Schöppner. Konfessionsfreie Gruppen würden strukturell diskriminiert. Der Philosoph tritt für eine Gleichbehandlung der unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen in Deutschland ein.
Dr. Ralf Schöppner, geboren 1968, ist Philosoph, Politik- und Literaturwissenschaftler. Er ist Geschäftsführender Direktor der Humanistischen Akademie Deutschland und der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg.

Das Interview in voller Länge:

Pascal Fischer: 40 Prozent sind konfessionslos in Deutschland. Fühlen Sie sich eigentlich jetzt schon komfortabel in einer Mehrheit oder ist die noch zu still?
Ralf Schöppner: Ja, zunächst mal, Sie haben jetzt auch konfessionslos gesagt, das ist auch gängig, wir sagen lieber konfessionsfrei. Das hat den Grund, konfessionslos, da ist das Defizitäre schon drin oder beziehungsweise klingt so nach "das Fehlende". Wenn wir von Humanismus sprechen, sprechen wir von einer Weltanschauung mit Werten und Normen, deshalb sprechen wir da lieber auch von Konfessionsfreien als von Konfessionslosen. Ja, 40 Prozent, und es werden immer mehr.
Gleichwohl wird man nun nicht sagen können, dass das eine homogene Gruppe ist, das ist eine ganz heterogene Gruppe. In der Gruppe der Konfessionsfreien finden Sie auch Religiöse, Sie finden Esoteriker, Sie finden Gleichgültige, die das mit Weltanschauung und Religion sowieso erst gar nicht interessiert. Sie finden auch Nazis, und Sie finden aber selbstverständlich auch jede Menge Atheisten, Agnostiker und Humanisten. Also für uns, das sind im Grunde die Humanisten, sind das schätzungsweise sehr solide und niedrig geschätzt vier bis fünf Millionen Menschen in der Bundesrepublik.

"Humanismus ist eine Weltanschauung"

Fischer: Vielleicht nur, um das noch einmal zu erklären: Also der Atheist ist jemand, der gar nicht an Gott glaubt, der Agnostiker sagt vielleicht eher, ich kann diese Frage nicht entscheiden, es gibt Gründe dafür oder dagegen, und der Humanist, ist das ein Ungläubiger, der eben nicht nur einen Glauben negiert? Wofür steht der Humanist, woran glaubt der, wenn er an etwas glaubt?
Schöppner: Ich würde beim Agnostiker noch hinzufügen, der Agnostiker sagt, kann sein, kann auch nicht sein, ist aber auch nicht so wichtig, es gibt wichtigere Dinge, mit denen ich mich beschäftigen muss. Bei den Humanisten ist es dann erst mal so: Die Humanisten treten ein für ganz bestimmte Werte: für Lebensfreude, für Selbstbestimmung, für soziale Verantwortung, Humanität, Toleranz und Weltlichkeit. Das sind meistens auch Atheisten oder Agnostiker, aber das steht für die gar nicht so sehr im Vordergrund, ist eher so was wie eine Selbstverständlichkeit, denn wichtiger ist ihnen der Einsatz für ein glückliches und gerechtes Leben und Zusammenleben der Menschen.
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Während der Atheismus im Grunde ja nur eine negative Ablehnung eines bestimmten Glaubens ist, ist der Humanismus etwas, was sich positiv bestimmt mit den eben benannten Werten. Humanismus ist auch eine Weltanschauung, und als Weltanschauung ist er ein Sinn- und Orientierungsangebot für alle Bürger und Bürgerinnen – sowohl was jetzt, könnte man sagen, so einen kleinen irdischen Sinn anbelangt, also Freundschaft, Liebe, Humanität, Engagement, Wissen. Das sind alles Dinge, durch die Menschen ihr Leben als sinnvoll erleben können und für die wir eintreten. Aber vielleicht auch sogar in einem größeren kosmischen Sinn.
Wenn man guckt: das Weltall: düster, kalt, leer – im Grunde schlechte Bedingungen für Natur und menschliches Leben, kein Gott weit und breit, und unser Glück, besondere Umstände auf der Erde, eine wunderbare kosmische Chance, wenigstens auf diesem einen kleinen Planeten die notwendigen Lebensbedingungen erhalten und solche schaffen, die allen ein gutes menschliches Leben ermöglichen können.
Fischer: Aber trotzdem noch einmal zugespitzt: Ich glaube, viele Menschen denken immer noch, Religion, das ist etwas Positives, da kommt man aus einer gewissen Tradition, einer gewissen Kultur, während so etwas, was ohne Gott, ohne Religion auskommt, erst mal so wie eine Art Mangelgruppierung daherkommt, und zugespitzt gesagt sind das, wie unsere Kulturstaatsministerin Monika Grütters mal schrieb, "kulturell Unbehauste". Brauchen die überhaupt eine Eigenwahrnehmung als Gruppe, wenn sie doch erst mal so positiv religiös nichts haben?
Schöppner: Das eine ist ja die Frage nach der politischen Wahrnehmung, der politischen Organisation und ob die das haben wollen, und das andere ist ja die Frage danach, was die haben. Wie gesagt, das ist eine heterogene Gruppe, aber wenn man jetzt bei den Humanisten guckt, da ist das natürlich im Grunde eine Frechheit, wenn Frau Grütters von einer kulturellen Unbehaustheit aller nichtchristlichen Menschen spricht. Das ist sicherlich ein Unding, und man weiß das ja auch durch Befragungen, was die Konfessionsfreien denken. Es gibt jede Menge empirisches Material dazu, und immer wieder kann man daraus erfahren, das sind Menschen, die für ein sinnvolles ethisches Leben eintreten, sich dafür auch engagieren politisch und sozial und alles, ohne dabei an eine höhere Instanz zu glauben.
Und ein Teil dieser Menschen sagt auch, wir brauchen eine starke Interessenvertretung. Humanistische Verbände sind eine solche Interessenvertretung, aber sicherlich noch nicht stark genug und auch nicht anerkannt genug in der Bundesrepublik, trotz der vielen guten Arbeit, die die machen. Und ein Teil dieser Leute sagt aber auch – das muss man auch sagen –, ich brauche gar nicht so einen Verband, so einen Verein, das ist ja dann wie Kirche, da will ich gar nicht drin sein, aber ich find’s trotzdem gut, wenn es solche Gruppen gibt, die meine oder unsere Interessen vertreten.

"Humanismus ist auch Nachdenklichkeit"

Fischer: Was Sie vorhin gesagt haben zum Humanismus, könnte man ja eigentlich erst mal begreifen als ein schönes Angebot des kleinsten gemeinsamen Nenners in unserer Gesellschaft für ein ethisches Zusammenleben. Man muss sich nicht über Götter streiten, man redet über so etwas wie Freundschaft, Solidarität und so weiter, vielleicht auch über die Bewältigung von Lebenskrisen. Woran hapert es dann, wenn sich Politik und auch Medien gerne an Religionsvertreter wenden, wenn es um ethische Fragen geht?
Schöppner: Ich denke, man muss unterscheiden zwischen diesem kleinsten gemeinsamen Nenner – das ist Humanismus auch – und dem, was noch darüber hinausgeht. Sie haben natürlich recht: Erst mal, ich würde es umdrehen, ich würde sagen, der kleinste gemeinsame Nenner in einem säkularen Staat und einer pluralistischen Gesellschaft, der ist humanistisch, nämlich das ist die weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates, das sind die Menschen- und Bürgerrechte, das sind demokratische Willensbildungsprozesse. Das ist das allgemein Geltende und das für alle Verpflichtende, und das ist eher auf dieser gesellschaftspolitischen Ebene auch eine durchaus ethische Zurückhaltung.
Im öffentlichen politischen Raum halten sich alle mit ihrer partikularen Identität zurück zugunsten von politischen Lösungen für die Allgemeinheit. Aber das ist gewissermaßen, wo der historische Humanismus, der angefangen hat in der Antike, Renaissance, Aufklärung und so weiter, worin der gemündet hat, nämlich in dem säkularen weltanschaulich neutralen Staat, aber Humanismus als Weltanschauung ist noch ein Stück mehr.
Und das ist jetzt nichts, wo man sagen würde, das müssen wir auf jeden Fall für alle verbindlich machen, das soll für alle allgemein gelten. Wenn ich Ihnen jetzt zum Beispiel sage, Humanismus ist auch, sagen wir, Nachdenklichkeit, Humanismus ist auch Milde, oder wenn ich sage, Humanismus, das ist vor allen Dingen auch ein sinnlich erfülltes Leben, Genuss, Lebensfreude, dann würden viele sagen, das ist bei mir aber anders, ich will das gar nicht so, und das ist auch ganz richtig so. Das ist das spezifisch Weltanschauliche bei diesem Humanismus, was noch dazukommt zu diesem allgemein Verbindlichen. Und für diese letzten Dinge, für Humanität im Alltag, in den menschlichen Beziehungen, werben wir auch, aber das ist ja nichts, was auf dieser staatlichen Ebene für alle verpflichtend sein könnte.
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Fischer: Trotzdem noch einmal nachgefragt: Auch die Religionen kommen ja mit allgemeineren Vorstellungen und sehen sich als Brückenbauer, wenn wir an so etwas denken wie das Weltethos oder dass die Religionen letztlich auch Humanismus für sich in Anspruch nehmen, auch die Menschenrechte. Haben Sie da nicht genug gute Werbung für die eigene Weltanschauung gemacht, dass die Kirchen diesen Diskurs für sich vereinnahmen?
Schöppner: Na, man könnte auch umgekehrt sagen, der Humanismus hat in den vergangenen Jahrhunderten so viel gute Werbung für sich gemacht und ist so stark und überzeugend gewesen, dass auch die Religionen sich zunehmend humanisiert haben. Sie haben sich lange gegen Religionsfreiheit, Menschenrechte, Pluralismus und Demokratie gewehrt, und das ist natürlich in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel, viel besser geworden. Also die Religionen humanisieren sich auch, und das ist prinzipiell gut so.
Fischer: Ich würde gern wissen, wie in Ihrem Kopf die Toleranz gegenüber Religionen und anderen Weltanschauungen aussieht. Sie glauben nicht an Gott, und das tun Sie aus bestimmten Gründen, und wenn jemand, der jetzt religiös ist, diese Gründe offensichtlich nicht sieht oder nicht begreift, ja, dann muss dem doch aus Ihrer Sicht etwas fehlen, oder nicht?
Schöppner: Nee, also man kann die eigene Toleranz auch immer überschätzen, davor ist niemand gefeit, aber bei mir persönlich würde ich sagen, ich glaube nicht an Gott, ich bin Atheist, aber ich habe im Grunde nicht so ein großes Interesse am Rechthaben. Das Rechthaben, was ja im Übrigen oft auch ein sehr männliches Problem ist, das scheint mir eher für viele Konflikte und viel Herrschaft und Gewalt verantwortlich zu sein, also da hab ich nicht so ein großes Interesse dran. Interesse habe ich eher daran, dass in einer säkularen und pluralistischen Gesellschaft die unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen friedlich zusammenleben und dass sie staatlicherseits endlich gleichbehandelt werden, was ja nicht passiert. An diesem letztendlichen Rechthaben bei den allerletzten Fragen, da kann man meiner Ansicht nach unterschiedlicher Auffassung sein, das ist auch völlig gut so.

"Selbstverständlich muss Religion kritisiert werden"

Fischer: Das finde ich sehr interessant, denn wenn man an die ʹ70er-Jahre denkt, die mit Freud, mit Nietzsche, mit Marx argumentiert haben und zum Teil eine sehr spitze, sehr harte Religionskritik geäußert haben, dann hört sich das, was Sie mir jetzt sagen, doch geradezu handzahm an. Was ist denn passiert in den Diskursen seitdem, dass auch sich Religionskritiker so tolerant gerieren?
Schöppner: Ja, Toleranz heißt im Übrigen nicht, dass wir Religion nicht kritisieren, selbstverständlich muss Religion kritisiert werden, auch heute immer noch, aber es muss eine spezifische Religionskritik sein und keine pauschale, spezifische. Also, wenn Religion Menschen an ihrer freien Entfaltung hindert, dann muss sie kritisiert werden, wenn sie Menschenrechte verletzt, muss sie kritisiert werden. Wenn religiöse Menschen menschenverachtende Standpunkte vertreten, immer dann muss Religion auch kritisiert werden.
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Und in einem säkularen Staat muss kritisiert werden, wenn es keine Gleichbehandlung gibt von Religion und Weltanschauung, und wenn Religion und Kirche nach wie vor meinen, sie hätten in gewisser Weise da das Monopol auf Ethik und auf staatliche Unterstützung. Selbstverständlich muss das auch kritisiert werden, wenn eine Kulturstaatsministerin von kultureller Unbehaustheit spricht.
Vielleicht, um mal ein Beispiel zu nennen, ein konkretes Beispiel: Auch beim Suizidhilfegesetz haben wir ja gesehen, da musste auch massiv kritisiert werden, dass mit dem neu eingeführten Paragrafen im November 2015 im Grunde eine religiöse Weltanschauung für alle verbindlich gemacht werden sollte. Das hat das Bundesverfassungsgericht ja zu Recht gekippt, und das wurde auch massiv kritisiert. Also nach wie vor Religionskritik, selbstverständlich, aber nicht pauschal, sondern spezifisch, da, wo es nötig ist, und vielleicht auf eine gleiche Art und Weise, wie man auch Ideologien kritisiert.
Fischer: Ich begebe mich jetzt mal mit Ihnen auf die Suche nach Minderheiten, denn ich könnte ja durchaus sagen, diese Unsichtbarkeit, das macht Ungläubige immer noch in gewisser Weise zu einer Minderheit. Die Linke ist im Augenblick sehr stark unterwegs mit Identitätspolitik und ergreift das Wort für Minderheiten, und meines Erachtens kommt da die Religionskritik immer etwas zu kurz, vor allem die Kritik am Patriarchalischen der Religion, am Irrationalen, an diesem Freund‑Feind-Schema, das sich manchmal dort zeigt. Ist Ihnen die Linke da zu handzahm?
Schöppner: Gut, das ist jetzt schwer für mich, etwas so im Allgemeinen zu "der" Linken zu sagen. Ich sag vielleicht erst mal, Religionspolitik allgemein ist ein Stiefkind. Religionspolitik, ist etwas, was eigentlich von allen Parteien nicht besonders gerne angepackt wird. Der Hauptgrund ist, man möchte es sich nicht mit einer Seite der potenziellen Wählerschaft verderben. Es waren sogar zunächst die damals noch kleineren Parteien – Grüne und Linke, ja immer noch etwas kleiner, Grüne mittlerweile etwas größer geworden, aber die damals kleineren Parteien –, die überhaupt angefangen haben, sich mit Religionspolitik zu beschäftigen.
Aus Sicht dieser Parteien muss man den gesellschaftlichen Wandel auch zur Kenntnis nehmen. Die Gesellschaft hat sich zunehmend säkularisiert, sie hat sich pluralisiert und sie hat sich individualisiert, und christliche Religion in Deutschland ist heute ein weltanschauliches Angebot unter anderem, und da muss man sich politisch dann auch ändern. Also aus meiner Sicht geht es stärker in die Richtung Gleichbehandlung der unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen, und Religionskritik an dem Punkt, wo sie nötig ist und wo womöglich Kirchen oder andere Religionsgemeinschaften Privilegien und Monopole in der Gesellschaft haben.

"Sprachverbote sind uns fremd"

Fischer: Gleichbehandlung ist ein gutes Stichwort: Könnten Sie sich eine extreme Haltung vorstellen, in der Sie sozusagen Safe Spaces errichten, in denen man eben nicht mehr "Grüß Gott" sagt? Könnten Sie sich vorstellen, etwas zu haben wie Sprachverbote, indem wir nur noch sagen, wir sagen nicht mehr "Gott", wir sagen ganz demütig das G-Wort und mehr nicht, nach Art der Identitätspolitik, um einfach eine gewisse Dominanz der Religion im Diskurs abzubauen?
Schöppner: Nein, also das würde ich nicht in einen Topf werfen. Der Unterschied ist, Humanismus ist natürlich auch immer eine partikulare Identität, und deshalb sind die Fragen danach auch völlig berechtigt, aber Humanismus ist immer eine Mischung aus Identitätspolitik und Universalismus. Diese beiden Prinzipien gehören im Humanismus zusammen, und deshalb ist es gar nicht nur die Pflege der eigenen Weltanschauung, die den Humanisten interessiert, sondern Humanisten und Humanistinnen sind immer auch am großen Allgemeinen interessiert. Sprachverbote wie, "Grüß Gott" darf man jetzt nicht mehr sagen, die sind uns sowieso fremd.
Sigmund Freud seated in his study contemplating a carved figurine possibly Javanese on his desk in 1937 photography by Princess Marie Bonaparte. Courtesy Everett Collection PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xCourtesyxEverettxCollectionx HISL006 EC196
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Warum Menschen glauben, wollte Sigmund Freud wissen. Seine Antwort: Weil sie nicht erwachsen sind, sondern wie ein Kind Trost und Hilfe von einem Vater im Himmel erhoffen.
Fischer: Wir haben im Augenblick immer noch eine große Diskussion um Fake News, um Postfaktisches – ich frage mich dabei, ob gerade Humanisten oder Nichtgläubige da ein viel stärkeres Bollwerk sein könnten gegen solche Verschwörungstheoretiker, denn Ungläubige sind erst mal sehr kritisch gegenüber nicht belegten Aussagen. Um es mal ganz krass zu sagen: Gott ist nicht empirisch belegt, die Gottesbeweise sind alle Zirkelschlüsse oder falsche Schlüsse, Glaubenssysteme strotzen in fast allen Religionen von Widersprüchen. Ihr ungläubiger Kollege von der Giordano‑Bruno‑Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, der geht ja wirklich auch so weit und sagt: Religion, das ist Fake News. Wie würden Sie sich da positionieren?
Schöppner: Das kann man nicht in dieser Pauschalität sagen, würde ich sagen. Es gibt keine empirischen Befunde darüber, dass Menschen, die an Gott oder Götter glauben, auch anfälliger sind für Verschwörungstheorien. Es gibt empirische Befunde darüber, dass Menschen, die mit einer gewissen Vehemenz an die eigene und dann auch religiöse Anschauung beispielsweise glauben und diesen eigenen Glauben absolut setzen und nichts daneben gelten lassen wollen, dass solche Menschen stärker anfällig sind für Verschwörungstheorien. Das trifft dann natürlich auch zu auf religiöse Anschauungen, trifft aber im Grunde auch auf andere Ideologien zu, an denen man mit einer gewissen Starrheit und gedanklichen Unflexibilität klebt, dass man dann natürlich auch ganz anderen Dingen auf den Leim gehen kann.

"Religionskritik gilt selbstverständlich auch für den Islam"

Fischer: Religionskritik bedeutet ja auch Kritik nicht nur am Christentum, sondern zum Beispiel auch am Islam. Aber nun haben wir das Wort Islamophobie schnell bei der Hand, wenn man den Islam kritisiert. Wurde da die Religionskritik spezifischerweise am Islam eigentlich schon gekapert von den Rechten und als rechts geframt?
Schöppner: Das würde ich nicht so sehen. Es gibt natürlich dieses Schnelle, dass Islamkritik schnell als Islamophobie gebrandmarkt wird, diese Brandmarkung gibt es, aber man muss auch sogleich umgekehrt sagen. Umgekehrt gibt es auch Leute, die ihre Fremdenfeindlichkeit oder Intoleranz gerne als Islamkritik verkaufen wollen. Man muss auch in diese Richtung gucken. Also für mich gilt, und ich würde sagen, für den Humanismus gilt, die Religionskritik, so wie ich sie eben zusammengefasst habe, die gilt selbstverständlich auch für den Islam.
Fischer: Wenn wir jetzt ein bisschen stärker darauf gucken, wo sich Änderungspotenzial zeigen könnte in unserer Gesellschaft: Es gibt ja den alten Streit mittlerweile unter den Gottlosen, soll man Religion aus der Öffentlichkeit komplett verdrängen, also keine Kreuze mehr in den Schulen, nichts mehr zu sehen von Religion, keine Verflechtung mehr von Staat und Kirche, oder ist der Weg vielleicht umgekehrt zu denken, dass man als weltanschauliche Gruppierung mehr und mehr Rechte eingeräumt bekommt, eben die gleichen Rechte, die auch die Religionen besitzen. Wo stehen Sie da?
Schöppner: Ja, also meine humanistische Position ist da ganz klar: Ich denke, Staat und Gesellschaft können profitieren von den Angeboten der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, und es wäre jammerschade in Deutschland, wenn man das nicht tun würde und Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften völlig aus dem öffentlichen Raum verbannen würde.
Was macht zum Beispiel eine Weltanschauungsgemeinschaft wie der Humanistische Verband in Berlin? Er bietet Unterricht an, humanistische Lebenskunde, er macht humanistische Kitas, er bildet Lehrer*innen aus, er bildet Erzieher*innen aus, er hat eine große Vielzahl von sozialen Projekten, Hospizen, ein interkulturelles Hospiz beispielsweise, er macht Bildungs- und Kulturveranstaltungen.
Das alles sind Angebote, die von der Bevölkerung, beispielsweise in Berlin-Brandenburg, viel genutzt werden, und selbstverständlich bedarf es für eine Aufrechterhaltung dieser Angebote staatlicher Kooperation und staatlicher Unterstützung. Es wäre im Grunde jammerschade, wenn ein Staat auf dieses Bildungs- und Kulturpotenzial verzichten würde, denn das ist im Grunde eine entscheidende vorpolitische, zivilgesellschaftliche Ressource, auf die der Staat zurückgreifen muss.
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Fischer: Das Institut für humanistische Politik hat im Jahr 2020 ein kleines Heft rausgegeben mit dem Titel "Gläserne Wände. Bericht zur Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland", und da werden ganz viele Bereiche unserer Gesellschaft aufgeführt: das Arbeitsrecht mit Tendenzbetrieben, die Studienförderung durch Studienförderungswerke, Militärseelsorge, Kinderbetreuung, Rundfunkräte. Wie geht es Ihnen denn damit, würden Sie sagen, Sie werden als Weltanschauungsgemeinschaft, als Humanisten institutionell diskriminiert in der Bundesrepublik?
Schöppner: Ich würde sagen, die Gleichbehandlung von Religion und Weltanschauung und deren Gemeinschaften, deren Angehörigen, die laut Grundgesetz und Rechtsprechung geboten ist in der Bundesrepublik, die gibt es in der Bundesrepublik nicht. Es gibt so etwas wie eine – da würde ich noch mitgehen – strukturelle Diskriminierung. Ob wir hier auch von einer persönlichen Diskriminierung sprechen wollen, ist sicherlich Geschmackssache, weil die meisten Konfessionsfreien sich nicht in der Art und Weise diskriminiert fühlen, wie sich beispielsweise jemand aufgrund seiner Ethnie, seiner Hautfarbe oder vielleicht auch aufgrund einer Behinderung oftmals in unseren Landen diskriminiert fühlt, aber wir können auf jeden Fall sagen: ja, strukturelle Diskriminierung.
Das Religions- und Weltanschauungsrecht in Deutschland ist kirchenförmig, es muss dringend reformiert werden, und da gibt’s natürlich viele Beispiele, wofür das sein kann. Man könnte mit der Wohlfahrtspflege anfangen. Schon in der Wohlfahrtspflege ist es so, dass für nichtreligiöse Menschen häufig die Angebotslage viel, viel schlechter ist. In der Schule ist es nach wie vor noch so, dass es im Grunde zu wenig schulische Angebote für nichtreligiöse Kinder und Jugendliche gibt. Und auch – Sie haben das ja eingangs auch schon gesagt –, es gibt natürlich Gebiete in der Bundesrepublik, da findet man sicherlich keine humanistische Kita, wenn man nicht in eine religiöse Kita hineinwill. Aber auch in den Medien, in den Rundfunkräten, überall ist es so, dass diese Gleichbehandlung noch nicht durchgesetzt ist.
Fischer: Wo Sie von der Schule sprechen: Ist es klug, sich als Humanisten einfach nur zu positionieren als eine Weltanschauungsgemeinschaft unter vielen, denn eigentlich könnte ja gerade so ein Fach wie Ethik und Lebenskunde anstatt von Religion, die sich immer nur an die Angehörigen einer Religionsgemeinschaft wendet, eigentlich könnte ja so ein Fach alle zusammenbinden und genau dieses "Wir" und diese ethische Grundlage in einer Gesellschaft schaffen, die wir eigentlich dringend brauchen in einer multikulturellen pluralistischen Gesellschaft.
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In Baden-Württemberg soll der Ethik-Unterricht ausgeweitet werden - und zwar auch auf die unteren Klassenstufen aller Schularten, also ab Klasse 5. Einigen geht das nicht weit genug.
Schöppner: Ja, aber da bin ich ganz d’accord, das ist dieses Zusammen von Identitätspolitik und Universalismus. Die Position des Humanistischen Verbandes in Berlin-Brandenburg zur Schule ist ja ganz klar, humanistische Lebenskunde als fakultatives freiwilliges Fach, und zusätzlich Ethik für alle. Man braucht also beides – einerseits die Möglichkeit, die eigene Religion oder Weltanschauung kennenzulernen, und andererseits genauso wichtig natürlich die Auseinandersetzung mit den anderen Religionen und Weltanschauungen. Das ist die Position des Humanistischen Verbandes in Berlin-Brandenburg immer gewesen, sowohl als auch.
Fischer: Es gibt ja immer wieder Streit um das Arbeitsrecht bei kirchlichen Trägern, und da gibt es dann Streit darüber, wie weit ein kirchlicher Träger bestimmen darf über die Gesinnung seiner Angestellten – muss jemand einer Religion angehören, der verschiedene Funktionen in einer sozialen Einrichtung, in einem Krankenhaus, in einer Schule wahrnimmt. Wie würden Sie eigentlich damit umgehen? Muss jeder, der bei Ihnen arbeitet, muss der ausgewiesenermaßen Humanist sein?
Schöppner: Nein, das ist bei uns nicht so, wir gehen damit vorsichtig um. Es gibt einerseits natürlich einen legitimen Tendenzschutz, so nennen wir das, in bestimmten hochsensiblen Verkündigungsbereichen, in hoheitlichen Bereichen des Humanistischen Verbandes, aber das heißt nicht, dass alle Stellen sogenannte Tendenzstellen sind. Es ist sogar so, dass die große Minderheit der Stellen Tendenzstellen sind, also beispielsweise, wenn man in einem Sozialprojekt beim Humanistischen Verband arbeitet, dann ist das keine Tendenzstelle, und man ist auch nicht genötigt, aus der Kirche auszutreten.
Gewünscht ist das natürlich schon, aber es ist nicht zwingend erforderlich. Und dann gibt es andere Bereiche, zum Beispiel bei den Lebenskundelehrern ist das so, da ist es gewünscht und erforderlich, aus der Kirche auszutreten, und in Führungsbereichen ist das natürlich auch so, bei den Führungskräften. Aber ich glaube, ich kann sagen, anders als die Kirchen gehen wir damit sehr vorsichtig und sensibel um, diesen Tendenzschutz nicht über die Maßen auszuweiten und vor allen Dingen gar nicht auf dann Berufsfelder und Arbeitsplätze auszuweiten, wo das nicht erforderlich ist.

"Wir brauchen Humanistik-Lehrstühle an Universitäten"

Fischer: Ich frage mich, wo sich der Humanismus eigentlich institutionell selbst reflektiert. Die Kirchen haben ja Theologielehrstühle an den Hochschulen. Was ist mit den Humanisten? Das ist eine gewisse Asymmetrie, könnte ich mir vorstellen, denn man könnte ja sagen, nun gut, so etwas wird in der Geschichtswissenschaft oder der Philosophie geleistet, wir brauchen nicht extra noch einen Lehrstuhl für das Dogma der Ungläubigen.
Schöppner: Ja, ganz richtig. Wir fordern das seit Jahren, wir haben keine eigene Theologie, aber wir brauchen Humanistik-Lehrstühle an öffentlichen Universitäten, wo genau das passiert – wo die Ausbildung bestimmter Berufsgruppen noch mal auf einem akademisch anderen Niveau angesiedelt ist und wo die eigene Weltanschauung reflektiert werden kann. Das gibt es nicht, und das gehört sozusagen mit in den Bereich der Forderung nach Gleichbehandlung. In Berlin-Brandenburg ist ja in Planung eine humanistische Fachhochschule, und das ist sicherlich ein erster Schritt in die richtige und notwendige Richtung.

"Humanismus ist eine wichtige vorpolitische Ressource"

Fischer: Wenn wir uns so unterhalten, dann nehme ich Sie als sehr tolerant wahr, auch geradezu ruhig. Ich frage mich, ob so etwas reicht, um sich im immer schriller werdenden Kampf der Weltanschauungen genug Gehör zu verschaffen, um sozusagen diese institutionellen Forderungen irgendwann durchzusetzen. Der französische Soziologe Olivier Roy hat einmal geschrieben, dass in den USA seit 200 Jahren ein geradezu freier Markt der Weltanschauungen herrscht, und das macht dann eben einige dieser Protagonisten von Weltanschauungsgemeinschaften so laut und schrill. Wenn wir davon ausgehen, dass unsere Gesellschaft immer fragmentierter wird, immer multikultureller, müssen Sie dann nicht auch ein wenig lauter, aggressiver auftreten?
Schöppner: Ja, ich denke, dass das im Politischen durchaus erforderlich ist. Ich persönlich würde immer eher sagen, wir müssen gucken, dass wir weiterhin gute Arbeit machen, da, wo wir sie schon machen: in den Schulen, in den Kitas, mit der Feierkultur, mit den Hospizen, in der Flüchtlingsarbeit, mit den Bildungsveranstaltungen. Wir müssen weiter zeigen, dass wir gute Arbeit machen, das ist das Entscheidende, und wir müssen diese Arbeit sicherlich besser öffentlich kommunizieren.
Und das hat natürlich auch noch eine andere Seite, und die andere Seite ist die: Ich denke, auch Politik und Verwaltung in Deutschland müssen weiter und besser lernen, dass Humanismus eine wichtige vorpolitische Ressource ist, auf die sie zurückgreifen können, die für viele Menschen in der Bundesrepublik eine Rolle spielt und die immense Auswirkungen hat für die Fragen nach Glück, Humanität und Frieden in einer Gesellschaft.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.