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"Ich setze große Hoffnungen in Europa"

Valentino Achak Deng floh einst vor dem Bürgerkrieg im Südsudan. Nach dem erfolgreichen Referendum für die Unabhängigkeit vom Norden des Landes erhofft sich Deng - mittlerweile selber zum Entwicklungshelfer geworden - nun Unterstützung von der EU.

Valentino Achak Deng im Gespräch mit Jasper Barenberg | 09.02.2011
    Jasper Barenberg: Er gehörte zu den vielen, vielen sogenannten "Lost Boys" im Sudan. Auch Valentino Achak Deng floh vor dem Bürgerkrieg im Süden des Landes, lief zu Fuß über Tausend Kilometer, bis er ein Flüchtlingslager in Äthiopien erreichte, kam später in die USA. Bekannt wurde seine Geschichte, weil der amerikanische Schriftsteller Dave Eggers sie in seinem Roman "Weit gegangen" erzählt. Valentino Achak Deng hat daraus im besten Wortsinn Kapital geschlagen, er hat eine Stiftung gegründet, sammelt Geld, baut damit eine Schule in seinem Heimatort Muriel Buy. Und dort hat er gerade erlebt, wie die Menschen mit überwältigender Mehrheit für die Unabhängigkeit gestimmt haben. Vor der Sendung habe ich darüber mit Valentino Achak Deng über die Perspektiven für diesen bald jüngsten Staat Afrikas gesprochen und über seine Arbeit in seiner Stiftung.

    Valentino Achak Deng: Eine meiner Aufgaben im Sudan ist es, die Bildungsprogramme voranzubringen. Im Sudan haben wir Millionen von jungen Menschen, die keine Schule besuchen, oder Schulen, die nur unzureichend arbeiten. Im Jahr 1999 habe ich deshalb eine der ersten weiterführenden Schulen im nördlichen Schak Bahar gegründet. Wir haben dort 250 Schüler, Unterrichtssprache ist Englisch, wir beschäftigen freiwillige Lehrer aus allen Ländern der Welt. Erst letzten Sommer hatten wir zwei Lehrer aus Deutschland da und viele aus den USA und Kanada. Die hohe Zahl der Schüler ist für uns natürlich eine Herausforderung, insbesondere weil wir eben nicht genügend ausgebildete Lehrer haben und weil wir noch weitere Schulen einrichten wollen.

    Barenberg: Valentino, Sie waren in den Tagen des Referendums im Südsudan. Was für eine Erfahrung war das für Sie?

    Deng: Das war eine Zeit voller Aufregungen, voller Emotionen. An den Wahllokalen bildeten sich lange Schlangen von Wählern. Alle waren erfüllt von diesem Glück. Sie fingen an zu tanzen. Sobald jemand seine Stimme abgegeben hatte, schloss er sich der tanzenden Menge an. Man feierte miteinander, es war wirklich für mich eine der ergreifendsten politischen Situationen, die ich überhaupt im Sudan und auch weltweit je irgendwie mitbekommen habe. Die Menschen waren nicht nur glücklich, nein, sie waren aufgewühlt, sie liefen umher, sie tanzten miteinander und sie sprachen endlos miteinander.

    Barenberg: Das Referendum und die Perspektive der Unabhängigkeit, was bedeutet das den Menschen im Süden des Sudan?

    Deng: Die Volksabstimmung bedeutete für uns das Ende von jahrelangen Erfahrungen, von Jahrhunderten an Erfahrungen. Das Volk von Südsudan wollte frei sein, es wollte endlich von den Regierenden, die es selbst wählt, beherrscht werden, und es wollte einfach seinen Beschäftigungen in der Wirtschaft nachgehen können. All dies war uns so lange verweigert worden. Sie müssen wissen, dass mehr als zwei Millionen Südsudanesen von den aufeinanderfolgenden Regierungen getötet worden waren. Mehr als vier Millionen Südsudanesen waren im Lande als Flüchtlinge vertrieben worden. Sehr wenig ist davon in der Außenwelt berichtet worden. Deshalb haben wir dieser Volksabstimmung entgegengefiebert. Es war unser größter Wunsch, unabhängig zu werden. Das Volk von Südsudan wollte seine Freiheit.

    Barenberg: In Khartum hat Präsident Bashir immer wieder gesagt, dass er das Votum für die Unabhängigkeit akzeptiert. Trauen Sie ihm?

    Deng: Kein Mensch ist so verworfen, dass man ihn einfach völlig abschreiben könnte, oder ihn so weit hassen müsste. Bashir hat seine guten Seiten, er hat seine schlechten Seiten. Ich würde sagen, im Zweifel für den Angeklagten. Wir gewähren ihm diesen Vorschuss an Vertrauen, bis die Unabhängigkeit von Südsudan tatsächlich auch verkündet wird. Bisher hat Bashir sich an die Abreden gehalten und wir werden ihm tatsächlich diesen Vertrauensvorschuss entgegenbringen, bis alles erreicht ist.

    Barenberg: Es gibt immer noch einige Streitpunkte, zum Beispiel über den Grenzverlauf, oder die Ölförderung. Wie groß ist die Gefahr neuer Konflikte, vielleicht eines neuen Bürgerkrieges?

    Deng: Die ausstehenden Fragen haben tatsächlich genug Sprengstoff, um wieder neue Zwistigkeiten und Missverständnisse aufzuwühlen. Es gibt sicherlich Konfliktpotenzial zwischen der sudanesischen Befreiungsbewegung einerseits und der nationalen Kongresspartei andererseits. Aber ich hoffe, dass die Parteien sich bewusst sind, dass das letzte Wort beim Volk liegt, dass dieses Recht nicht eingeschränkt werden darf, und ich glaube, dass die Themen, die jetzt noch ungelöst sind, sich durchaus am Verhandlungstisch werden lösen lassen. Es war ein außerordentlich dorniger Kampf, bis wir so weit gekommen sind, und ich glaube, nur ganz wenige Menschen wünschen sich diese schlimme Zeit zurück, und ich glaube, es lässt sich alles schiedlich friedlich lösen.

    Barenberg: Sie sprechen von fehlender Bildung im Süden und Sie arbeiten ja auch daran, dies zu ändern. Würden Sie sagen, dass die Menschen schon bereit sind für die Unabhängigkeit?

    Deng: Es ist der Wille des Volkes von Südsudan, der jahrhundertelang unterdrückt war. Das zeigt sich im Ausgang dieser Volksabstimmung. Sie wissen ja, dass mehr als 98 Prozent der Wähler für die Unabhängigkeit gestimmt haben. Das erinnert mich an die Situation in den frühen 60er-Jahren, als viele afrikanische Staaten ihre Unabhängigkeit erlangten. Wir sind im Sudan jetzt an diesem Punkt, wir müssen sozusagen bei Null anfangen. Die Aufgaben sind beträchtlich, die vor uns liegen. Die Unabhängigkeit alleine genügt ja nicht. Ich hoffe deshalb, dass wir aus befreundeten Staaten Investoren gewinnen können. Wir hoffen ferner auf Rückenwind und Unterstützung durch andere befreundete Länder, um unser Land wieder von Grund auf aufzubauen. Ich hoffe auch, dass die Regierenden im Südsudan genug Offenheit mitbringen, um Chancen zu erkennen, die vor uns liegen und die insbesondere auch im Aufbau des Bildungswesens liegen.

    Barenberg: Stichwort guter Wille mit Blick auf die internationale Staatengemeinschaft. Was brauchen die Menschen im Südsudan jetzt am nötigsten, politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich?

    Deng: Gerade im Bereich der Bildung besteht Handlungsbedarf. Wir haben Tausende, wenn nicht Millionen von Menschen, die jetzt wieder ins Land zurückgekehrt sind, sehr viele junge Menschen, die unbedingt beschult werden müssen. Wir haben also Tausende oder Millionen von Menschen, die jetzt danach lechzen, in Schulen gehen zu können, und hier hoffen wir, dass sich Investitionen auftreiben lassen, die speziell in die Schulen fließen. Wir brauchen viele weiterführende Schulen, wir brauchen Fachhochschulen, wir brauchen mehr Universitäten, über das hinaus, was der Staat schon hat. Hier gilt es, im Bereich der Wirtschaft auch neue Chancen zu eröffnen. Firmen müssen tätig werden im Bereich von Straßenbau, von Gebäudebau, von Errichtung öffentlicher Gebäude, im Immobiliensektor bieten sich jede Menge Chancen. Wir haben sehr viel zu bieten. Alle unsere Naturschönheiten, unsere Bodenschätze sind bisher nicht angepackt worden. Sie müssen jetzt ausgebeutet werden. Hier bieten sich jede Menge Chancen und ich hoffe, dass sich viele Unternehmen finden, die dann auch Arbeitsplätze schaffen.

    Barenberg: Denken Sie, dass die Europäische Union da hilfreich sein kann?

    Deng: Der Europäischen Union kommt hier eine Schlüsselrolle zu. Sie war ja auch eine der entscheidenden Kräfte, die zu diesem umfassenden Friedensabkommen geführt haben. Ich setze große Hoffnungen in Europa, in die Länder wie Deutschland, England, Frankreich. Sie alle haben, so hoffe ich, die Kraft und die Fähigkeit, uns zu helfen.

    Barenberg: Valentino Achak Deng. Als Kind ist er aus dem Sudan geflohen, heute baut er dort Schulen auf.