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Ilinca Florian: „Das zarte Bellen langer Nächte“
Verspäteter Rave

Hannah lebt in Berlin, hat ihr Studium gerade beendet, kein Geld und entfremdet sich immer mehr von ihrem Freund Moritz. In Ilinca Florians Roman klingt alles wie schon einmal gehört. Die Autorin versucht sich an einem Generationenroman – und findet doch nur Stereotype und Klischees.

Von Isabelle Bach | 11.03.2020
Die Schriftstellerin Ilinca Florian und ihr Roman „Das zarte Bellen langer Nächte“
Die Werbetexterin und Autorin Ilinca Florian wurde 1983 in Bukarest geboren und lebt wie die Hauptfigur ihres Buches in Berlin (Cover Karl Rauch Verlag / Autorenportrait © Heike Rost)
Hannah ist auf der Suche nach einem Job, nach Zufriedenheit, Erfüllung, dem Sinn des Lebens. Die junge Frau aus gutbürgerlichem Elternhaus dachte – dem Stereotyp entsprechend – dass ein Studium in Berlin die Antwort auf alle offenen Fragen sei. Zu diesem Zeitpunkt ahnte sie noch nichts von aufdringlichen Verkäufern in kleinen Supermärkten, von unfreundlichen Kunden im KaDeWe und trostlosen Gelegenheitsjobs.
"Hannah fühlt sich wie eine Arbeiterin aus diesem Film, den sie neulich mit Moritz gesehen hat: Die rote Wüste von Antonioni, obwohl das Lager, das sie betreten soll, keine Hafenanlage und sie nicht so schön ist wie Monica Vitti. Im nächsten Moment erscheint ihr die Assoziation überhaupt nicht mehr passend. Kein Ort der Welt ist so unsinnlich und tot wie das Zalando-Logistikzentrum, das vor Hannahs Augen emporragt."
Typische Berliner Hipsterszene
Nach dem Abschluss ihres Soziologie Masters, kann Hannah sich nicht festlegen, sich nicht für eine Richtung entscheiden. Die Gemütsschwankungen von Ilinca Florians Protagonistin bedienen Vorurteile, mit denen sich junge Großstädter heute immer wieder konfrontiert sehen. Die Autorin versucht sich am Porträt einer ganzen Generation – wie so oft ein krachend scheiterndes Unterfangen. In abgegriffenen Bildern beschreibt Ilinca Florian eine Generation, die sich mit Banalitäten nicht zufriedengeben will, sich aber dennoch regelmäßig in solche verstrickt. So auch Hannahs frühere Freundin Paula. Frisch geschieden eröffnet sie eine hippe, aber illegale Bar. Das Ambiente beinhaltet alles, was von der typischen Berliner Hipsterszene zu erwarten ist.
"Paulas bester Freund, ein Installationskünstler, hat zur Eröffnung die rechte Ecke des langen Tresens gestaltet. Ein Glaskasten, in dem drei Modellautos, ein Werbefoto für Hundefutter und eine große Brust aus Plastik hausen, zieht die trägen Blicke derTrinker, der schüchternen Freaks und der energiegeladenen Frauenauf sich, die aus dem Hinterraum für euphorisierendes Pulver staksen und ihre Lippen nachziehen."
Haltlosigkeit und gebrochene Herzen
Solche Stereotypen sind in "Das zarte Bellen langer Nächte" immer wieder zu lesen. Menschen versuchen ihrem Leben einen Sinn zu geben. Letztendlich kommen sie über einen Gin Tonic am selbstgebauten Tresen und den Bericht über ihr nächstes "Projekt" aber nicht hinaus. Dabei werden die Figuren des Romans geplagt von Haltlosigkeit und gebrochenen Herzen, von Selbstzweifeln und Sehnsüchten. Beim Raven versuchen sie auf andere Gedanken zu kommen. Bars und Partys sind Schauplätze, über die schon so viel erzählt wurde, dass nur noch wenig überraschen kann. Ilinca Florian überrascht nicht.
"Könnte sie doch bloß noch einmal zweiundzwanzig sein. Ja, und dann. Was würde sie dann tun. Alles, einiges anders machen? Weniger ausgehen, weniger ins Theater gehen, weniger bekiffte Unterhaltungen über Bukowski führen? Sich doch mal in eine Marketing-Vorlesung setzen? Wohl kaum."
Von Reflexion keine Spur
Hannah verstrickt sich immer tiefer in Konflikte, für die sie selbst verantwortlich ist. Sorgen und Ängste bestimmen ihr alltägliches Leben. Trotzdem bleiben Hannahs Handlungen zu jedem Zeitpunkt oberflächlich und erwartbar. Von Reflektiertheit fehlt jede Spur. Je weiter der Roman voranschreitet, umso mehr trieft er von Plattitüden. Ein Skandal reiht sich an den nächsten, kein einziger wird elaboriert. Sexuelle Belästigung, die Fehlgeburt eines ungewollten Kindes und eine gescheiterte Beziehung verschmelzen mit kleineren, augenscheinlich viel unwichtigeren Problemen. Unabhängig von seiner Tragweite, verdrängt Hannah jedes negative Erlebnis nach sehr kurzer Zeit aus ihrem Gedächtnis. Sie klammert sich an ihren Hund Robby, von dem sie sich nicht trennen kann.
"Hannah hätte über Nacht ein unkomplizierteres Leben haben können, doch sie hätte immerzu gedacht, dass dieser schöne Hund, der so unerwartet in ihr Leben gekommen und ihr Hund geworden ist, jetzt bei Nazis leben würde oder bei Anhängern seltsamer Erziehungsmethoden. Kurz darauf hat Hannah Moritz bei Wodka und Zigaretten in der Morgendämmerung am Spreeufer verflucht."
Ilinca Florians Protagonistin scheitert immer wieder daran, den vermeintlichen Ansprüchen der Gesellschaft und ihrer selbst gerecht zu werden. Der Autorin gelingt es nicht, dieses Schicksal jenseits der abgegriffenen Oberfläche zu beschreiben. Natürlich dürfen und sollen Romane Klischees thematisieren und verhandeln. Bei Ilinca Florian werden sie allerdings nur reproduziert.
Ilinca Florian: "Das zarte Bellen langer Nächte"
Karl Rauch Verlag, Düsseldorf, 160 Seiten, 20 Euro