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Immuntherapie soll körpereigene Abwehr gegen Krebs aktivieren

Impfungen bringen dem Körper bei, Krankheitserreger zu erkennen und unschädlich zu machen. Eine solche Abwehr lässt sich gegen kranke Zellen aber nicht so leicht aktivieren. Herkömmliche Impfkonzepte haben wenig Erfolg gebracht. Vielversprechender scheint es zu sein, Immunzellen direkt so zu manipulieren, dass sie Krebszellen erkennen und abtöten.

Von Martin Winkelheide | 30.01.2013
    Krankheitserreger, die von außen in den Körper eindringen, erkennt unser Immunsystem sehr zuverlässig. Schwierigkeiten aber hat die körpereigene Abwehr damit, Krebszellen aus eigener Kraft zu erkennen. Versuche, dem Immunsystem dabei zu helfen und für Krebszellen typische Oberflächenstrukturen wie einen Impfstoff zu spritzen, haben nicht den erwünschten Erfolg gebracht, sagt Michel Sadelain vom Memorial Sloan Kettering Krebsforschungszentrum in New York.

    "Der entscheidende Grund dafür ist wohl: Krebszellen sind keine fremden Eindringlinge, keine Viren, Parasiten oder Bakterien. Es sind unsere eigenen Zellen."

    Die Unterschiede zwischen gesunden Zellen und Krebszellen sind klein, das ist ein Problem. Das andere: Die von einer Krebsimpfung ausgelöste Immunantwort ist nicht stark genug, um einen Tumor zum Verschwinden zu bringen.

    "Wenn es so nicht gelingt, gibt es noch die Variante, Zellen des Immunsystems direkt zu manipulieren. Wenn wir Patienten sogenannte T-Zellen entnehmen und im Labor ein oder zwei zusätzliche Gene einschleusen, lernen diese Zellen, Krebszellen zu erkennen und den Tumor anzugreifen."

    Die manipulierten T-Zellen tragen außen eine neue Struktur, einen so genannten chimärischen Antigen Rezeptor. Dieser erkennt ein spezielles Eiweiß auf der Oberfläche von bösartigen Leukämie- und Lymphom-Zellen. Die manipulierten T-Zellen docken fest an dieses Eiweiß an. Das Andocken löst das Signal aus, die Krebszelle zu zerstören.

    Wie zuverlässig solche manipulierten T-Zellen ihre Aufgabe erfüllen, zeigt der Fall der siebenjährigen Emily Whitehead. Nach zwei erfolglosen Chemotherapien hatten Ärzte in Philadelphia das leukämiekranke Kind mit der neuartigen Immuntherapie behandelt. Die Therapie schlug an.

    "Der Behandlungs-Erfolg bei dieser Patientin ist wirklich bemerkenswert. Die manipulierten T-Zellen haben offenbar alle Leukämiezellen zerstört. Die Ärzte können in ihrem Körper zumindest keine Krebszellen mehr nachweisen."

    Der Fall Emily Whitehead zeigt auch, wie riskant die neuartige Immuntherapie ist. Die manipulierten Zellen lösten eine so heftige, lebensbedrohliche Immunantwort gegen den Tumor aus, dass das Mädchen auf der Intensivstation behandelt werden musste. Haben die Ärzte vielleicht zu viel des Guten getan, ihr zu viele manipulierte Zellen gespritzt?

    Michel Sadelain sieht ein grundsätzliches Problem. Bei herkömmlichen Medikamenten können sich Ärzte an die ideale Dosis herantasteten.: Bei einer Therapie mit genetisch veränderten T-Zellen aber ist das anders.

    "Unsere Zellmedikamente, das sind "lebende" Medikamente. Selbst wenn Sie zunächst wenige Zellen geben, vermehren sie sich im Körper und damit steigt die Dosis zwangsläufig an. Und dann bleiben die Zellen ja auch für eine gewisse Zeit im Körper. Wie sich manipulierte T-Zellen vernünftig dosieren lassen, das ist für uns noch so etwas wie ein unerforschter Kontinent. Und die verschiedenen medizinischen Zentren gehen hier jeweils unterschiedliche Wege."

    Weltweit sind bislang etwa 40 Patienten mit einer Leukämie oder einem Lymphdrüsenkrebs mit der neuen Immuntherapie behandelt worden. Prinzipiell eignet sich da Verfahren auch zur Behandlung anderer Tumoren wie Dickdarmkrebs, Hautkrebs oder Brustkrebs. Das Forscher suchen aber noch nach idealen Angriffspunkten für die Therapie - vergleichbar mit dem speziellen Protein auf Leukämie- und Lymphomzellen. Bei den meisten anderen Tumoren fehlt eine solche einzigartige Struktur, die sie klar von gesunden Zellen unterscheidet. Vielleicht aber, hofft Michel Sadelain, lassen sich auf den Oberflächen von Tumorzellen typische Signaturen ausmachen. Kombinationen von Oberflächen-Proteinen, die nur auf bösartigen, nicht aber auf gesunden Zellen zu finden sind.

    "Wir müssen nur eine pfiffige Lösung finden. Wenn es typische Kombinationen auf der Oberfläche der Krebszellen gibt, dann könnten wir die T-Zellen mit zwei oder mehr unterschiedlichen Rezeptoren ausstatten. Und nur wenn die T-Zelle dann an allen beiden oder drei Strukturen auf den Krebszellen festmacht, wird das Programm zur Zerstörung der Krebszelle gestartet."

    Das Potenzial der neuartigen Immuntherapie gegen Krebs ist längst noch nicht ausgereizt. Es wird auf absehbare Zeit aber auch ein experimentelles Verfahren für wenige Patienten bleiben -die Risiken der Therapie sind noch zu groß.