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Incirlik und die Folgen
Türkei, NATO und Kampf gegen Terror

Noch ist nicht klar, wie der Streit um den Luftwaffenstützpunkt Incirlik zwischen der Türkei und Deutschland ausgehen wird. Doch auch die NATO und der Kampf gegen den Terror könnten dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden.

Von Kai Küstner | 17.05.2017
    Ein Tornado spiegelt sich in einer Pfütze in Incirlik im Rahmen der Mission Counter DAESH in Incirlik, (Türkei).
    Ein Tornado der Luftwaffe in Incirlik. (Bundeswehr / Oliver Pieper / dpa)
    Dass zwei ihrer wichtigsten Mitglieds-Staaten gerade einen offenen Streit austragen, kann der NATO nicht behagen. Mit allen Mitteln versucht die Militärallianz daher, mögliche Kollateral-Schäden von sich fernzuhalten. Auf Anfrage des ARD-Europastudios Brüssel erklärt denn auch ein NATO-Offizieller zur Auseinandersetzung der Bundesregierung mit der türkischen: "Dies ist eine bilaterale Angelegenheit zwischen Deutschland und der Türkei. Wir hoffen, dass sie im Dialog zwischen diesen beiden Ländern gelöst werden kann."
    So wenig sich die NATO also selbst in der Pflicht sieht, hier in irgendeiner Form einzugreifen, so sehr könnte sich dieser Streit als langsam wirkendes Gift auch für das Bündnis erweisen:
    "Es verschlechtert einmal mehr die Atmosphäre und die Chemie zwischen der zweitgrößten konventionellen Armee in der NATO, der Türkei also, und den anderen."
    Warnt der ehemalige EU-Botschafter in der Türkei, Marc Pierini. Sollten sich die Deutschen in der Tat entscheiden, ihre Tornado-Aufklärungs-Flugzeuge von der türkischen Basis Incirlik zu verlegen, so würde es vermutlich ein paar Monate dauern, bis man sich an einem anderen Ort eingerichtet hätte. Alles machbar, vor allem die Variante Jordanien, meint Pierini im Interview mit dem ARD-Europastudio Brüssel, aber nicht ohne Nebenwirkungen:
    "Incirlik ist sehr groß, die Basis in Jordanien dagegen viel kleiner und überfüllt. Incirlik ist auch besser gesichert als jeder andere Stützpunkt in der Region: Dort gibt es US-Jets und auch einen Vorrat nuklearer Sprengköpfe."
    Vertrauens-Verlust zwischen der türkischen Führung und deren Partnern in der Allianz
    NATO-Missionen wären von einem Rückzug der Deutschen aus der Türkei direkt zunächst nicht betroffen. Denn die Tornados fliegen zwar Einsätze für die breite ‚Anti-IS-Koalition‘, sind als solche jedoch nicht im Auftrag der NATO unterwegs. Was nicht heißt, dass dies völlig ohne Auswirkungen im Kampf gegen den Terror bliebe. Die größten Sorgen bereitet jedoch Sicherheits-Experten der Vertrauens-Verlust zwischen der türkischen Führung und deren Partnern in der Allianz. Und die politische Unberechenbarkeit Ankaras. Als Beispiel führt der heute als Forscher für die Denkfabrik Carnegie Europe tätige Türkei-Kenner Pierini den Fall des Piloten an, der Ende 2015 einen russischen Jet abschoss:
    "Der Mann war damals ein Held. Wurde in den türkischen Medien als Verteidiger der Nation dargestellt. Nach dem Militär-Coup dann war Präsident Erdogan aber auf einmal isoliert, musste auf den russischen Präsidenten Putin zugehen. Am Tag vor der Abreise wird der Pilot als angeblicher ‚Gülenist‘ verhaftet."
    Dass die Türkei für die NATO ein ebenso schwieriger wie wichtiger Alliierter ist, macht die Sache für die Allianz so verzwickt. Zu altbekannten Problemen kommt neuerdings hinzu, dass sich die Türkei in Richtung einer Ein-Mann-Herrschaft bewegt. Und: Dass Ankara mit der Entlassung fast der Hälfte seines Generalstabs Zweifel gesät hat, ob es wirklich noch im Vollbesitz seiner militärischen Kräfte ist. Ernsthafte Konsequenzen hat Erdogan von NATO-Seite trotz allem nicht zu befürchten: Über ein Sanktions-Instrumentarium - wie etwa die EU es besitzt – verfügt das Militär-Bündnis nicht. Und in die Arme Russlands will man die Türkei auch nicht treiben.