Samstag, 04. Mai 2024

Parlamentswahlen in Indien
Premier Modi auf dem Weg zum Hindu-Staat

Bei den Parlamentswahlen in Indien gilt Narendra Modi als Favorit. Kritiker werfen dem seit 2014 regierenden Premier vor, die Demokratie auszuhöhlen, das Land zu einem hindunationalen Staat umzubauen und einen Personenkult zu etablieren.

21.04.2024
    Indiens Regierungschef Narendra Modi bei einer Wahlkampfveranstaltung.
    Indiens Regierungschef Narendra Modi bei einer Wahlkampfveranstaltung. Modi gilt bei den Parlamentswahlen als Favorit und kann vor allem aufgrund seiner Wirtschaftspolitik punkten. (picture alliance / NurPhoto / David Talukdar)
    Ein „Festival der Demokratie“ sollen die indischen Parlamentswahlen sein, die größten auf der ganzen Welt. So hat es Indiens Wahlleiter angekündigt. Es gibt 970 Millionen Wahlberechtigte und eine Million Wahllokale. Am 19. April 2024 hat die Abstimmung begonnen und dauert sechs Wochen. In 543 Wahlkreisen werden die Abgeordneten für die zweite Parlamentskammer – das „Haus des Volkes“ – über das einfache Mehrheitswahlrecht bestimmt.
    Großer Favorit ist die regierende BJP von Premierminister Narendra Modi. Sie dominiert vor allem im Norden des Landes.

    Inhalt

    Welche Erfolge reklamiert Modi für sich?

    Seit 2014 ist Narendra Modi der Premierminister Indiens. Diese zehn Jahre im Amt verkauft er als eine einzigartige Erfolgsgeschichte – mit einiger Berechtigung zumindest in Bezug auf den Boom der indischen Wirtschaft. Das Land ist derzeit die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt und die am stärksten wachsende. Modi stellt in Aussicht, dass Indien schon bald auch Japan und Deutschland überholen werde. Die Mittelklasse hat sich rasant vergrößert, auch wenn die Verteilung des neuen Wohlstandes sehr unterschiedlich ausfällt.
    Auf der Habenseite steht für Modi auch der massive Ausbau der Verkehrsinfrastruktur: Autobahnen, Bahnstrecken und Flughäfen. Nur noch ein Drittel der Bevölkerung hat keinen Strom - bei Modis Amtsantritt war es noch fast die Hälfte. Das Land erlebte zudem eine beispiellose Digitalisierung: Jeder Mensch in Indien kann ein Bankkonto bekommen, selbst kleinste Beträge können digital bezahlt werden.

    Welche Probleme hat Indien?

    Indien leidet trotz aller Modernisierung unter einer überbordenden Bürokratie. Die Arbeitslosigkeit ist zwar den offiziellen Zahlen zufolge auf unter fünf Prozent gesunken. Doch die Statistik wird dadurch verzerrt, dass in Indien häufig zwei oder drei Menschen zu niedrigen Löhnen das arbeiten, was einer allein machen könnte. Für die Opposition gibt es durchaus Angriffspunkte, etwa die soziale Ungleichheit und die weiterhin verbreitete große Armut. Aber es ist wenig wahrscheinlich, dass sie gegen Modis BJP und ihre Verbündeten die Wahl gewinnen kann.
    Bekanntester Politiker des von der Kongresspartei angeführten Parteienbündnisses ist Rahul Gandhi, ein Enkel der ehemaligen Regierungschefin Indira Gandhis und der Sohn des ehemaligen Premierministers Rajiv Gandhi. Er wirft Modi vor, Indien immer mehr zu einem autoritären Staat umzubauen, die Freiheit von Presse und Justiz einzuengen. Die effiziente PR-Maschine der Regierung lastet der früher so mächtigen Kongresspartei im Gegenzug lange Jahre der Stagnation und Korruption an. Dies verfängt bei vielen Menschen in Indien.

    Wie hindunationalistisch ist Modis Politik?

    Modi steht für eine selbstbewusste Außenpolitik, die Indiens Größe und Bedeutung betont. Er beansprucht eine Führungsrolle im sogenannten „Globalen Süden“. Im Land selbst gibt er sich sehr religiös, aber auch pragmatisch. Modi spricht zwar von Vielfalt und Indien als der „Mutter der Demokratie“, doch er ist geleitet von der Vision einer Nation vor allem für Hindus, die vier Fünftel der indischen Bevölkerung stellen. Die 200 Millionen Muslime, immerhin 14 Prozent der Bevölkerung Indiens, haben sich aus Sicht der Hindutva-Ideologie, deren radikale Vertreter großen Einfluss auf die BJP ausüben, dem Hinduismus unterzuordnen. Sie dürfen ihre Religion nur unter Einschränkungen ausüben und fühlen sich in ihren Rechten unterdrückt.
    Der Islam dient der indischen Regierung auch als Feindbild, wenn es um Terrorismus geht oder um das islamische Pakistan, das Nachbarland und der Erzfeind Indiens. Die Opposition wirft Modi und seiner Partei vor, gegen Muslime Stimmung zu machen und das Land über bewusst geschürte religiöse Konflikte zu spalten. Ein jahrelang umstrittenes Gesetz schließt Muslime aus Nachbarländern vom Erwerb der indischen Staatsbürgerschaft aus. Dagegen protestieren indische Muslime, die sich mehr und mehr als Bürger zweiter Klasse fühlen. Die Regierung Modi behandle die Muslime im Land wie eine fremde Spezies, kritisieren Abgeordnete der Kongresspartei.
    Die Trennung zwischen Politik und Religion im säkular verfassten Indien verschwimmt jedenfalls immer mehr. Manche Inder sehen in Modi eine Art Messias, und schon heute wird ein entsprechender Personenkult um den Politiker betrieben. Eines seiner Prestigeprojekte: der Ayodhya-Tempel - ein umstrittenes Gebäude, denn es wurde auf den Ruinen einer Moschee erbaut. Bei der Einweihung im Januar 2024 trat Premier Modi wie der oberste Priester auf. Er stellt sich bei solchen Auftritten als eine Mischung aus politischem und religiösem Führer dar.

    Was hieße ein Wahlsieg Modis für die Zukunft Indiens?

    Kritiker Modis befürchten, dass ein bestätigter Premierminister nach einem dritten Wahlsieg die Freiräume der Presse weiter beschneiden, die Unabhängigkeit der Justiz angreifen und seine Macht nutzen werde, um die Opposition weiter zu marginalisieren. Außerdem könnte er die autoritäre, auf die Mehrheit der Hindus ausgerichtete Politik weiterführen.
    Schritt für Schritt könnte Modi Indien zu einer Hindu-Nation umbauen, in der Minderheitenrechte beschnitten werden. Symbol für diese Entwicklung: der Versuch, den Hindi-Namen Bharat als neuen Staatsnamen – anstelle des Namens Indien – zu etablieren. Seit dem G-20-Gipfel 2023 wird der Name peu à peu von der Regierung lanciert.

    Die Wahl in Indien ist frei - aber auch fair?

    Die Ereignisse der vergangenen Monate lassen daran zweifeln, dass diese Wahlen fair sind. Die Opposition wurde massiv unter Druck gesetzt – durch Justiz, Ermittlungsbehörden und Finanzämter. Oppositionsführer Rahul Gandhi wurde 2023 für einige Zeit aus dem Parlament geworfen. Der Vorwurf lautete, er habe Jahre zuvor Modi beleidigt. Dann wurden die Konten der Kongresspartei mitten im Wahlkampf eingefroren. Der Vorwurf hier: Sie habe vor längerer Zeit bei Steuererklärungen Fehler gemacht.
    Höhepunkt war die Festnahme des Regierungschefs der Hauptstadt Delhi, des Modi-Gegners Arvind Kejriwal, wegen des Vorwurfs der Korruption. Die Beweislage ist schwach. Recherchen indischer Medien belegen: Die Razzien, die eine der Regierung Modi unterstellte Ermittlungsbehörde vornahm, haben sich in 95 Prozent der Fälle gegen Oppositionspolitiker gerichtet.
    Strafverfahren gegen Politiker, die wegen Korruption verfolgt wurden, dann aber zur Modi-Partei BJP wechselten, wurden in den allermeisten Fällen eingestellt. Umgekehrt zeigte ein Parteispendenskandal, wie sehr gerade die Hindunationalisten heimlich von großen Konzernen finanziert wurden.
    Wichtig für eine demokratische Wahl sind auch unabhängige Medien. Die Journalistin Kulsum Mustafa schildert jedoch: Es werde Druck ausgeübt, im Sinne der BJP zu berichten. Trotzdem gibt es unabhängige Redaktionen, die Skandale aufdecken.
    Allerdings bestimmten Pro-Modi- und Pro-BJP-Sender die Medienlandschaft in Indien, erklärt Politikwissenschaftler Vikram Visana von der Universität Leicester. „Sie gehören im Wesentlichen großen Konzernen, die von Modi selbst stark profitiert haben.“
    Modi und seine Partei würden diese Wahlen aber wohl auch ohne politisches Foulspiel gewinnen. Der Rückhalt ist groß. Modi und seine Partei können mit einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik punkten, mit dem Ausbau der Infrastruktur, mit großen Sozialprogrammen und einer Politik, die die Mehrheit der Hindus in den Mittelpunkt stellt. Indien dürfte deshalb so oder so Modi-Land bleiben.
    scr