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Indien
Zweifel an Modis Mut zu Wirtschaftsreformen

Die Inder erwarten von Wahlsieger Narendra Modi eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage. Für ausländische Investoren seien vor allem der mangelnde Ausbau der Infrastruktur, die Arbeitsgesetze und die Bürokratie ein Hemmnis, sagte Indien-Experte Joachim Betz vom Leibnitz-Institut für Globale und Regionale Studien im Deutschlandfunk. Trotz absoluter Mehrheit könnte Modi Schwierigkeiten haben, Wirtschaftsreformen durchzusetzen.

Joachim Betz im Gespräch mit Andreas Kolbe | 16.05.2014
    Auf dem größten Marktplatz der indischen Stadt Chennai, dem Koyembedu-Markt, arbeitet ein Mann auf einem Bananen-Laster.
    Wachstum, Arbeit und Entwicklung hat Modi den Indern versprochen. (picture alliance / dpa/ Heiko Lossie)
    Andreas Kolbe: Die Lebensmittelpreise steigen rasant, Korruption ist an der Tagesordnung und Jobs sind Mangelware in Indien. Die größte Demokratie der Welt hat gewählt und die Inder hoffen auf eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage. Mitgehört am Telefon hat jetzt Joachim Betz, Indien-Experte am Leibnitz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg. Guten Tag, Herr Betz.
    Joachim Betz: Guten Tag.
    Kolbe: Wachstum, Arbeit und Entwicklung hat Modi den Indern versprochen. Wird er das einlösen können?
    Betz: Das ist eine schwierige Frage. Die Hoffnungen an neue Regierungen, die werden ja meistens ein bisschen überzeichnet. Der Optimismus speist sich ein bisschen, das wurde schon gerade in der Sendung gesagt, aus der relativ guten Wachstumsentwicklung in Gujarat selber - ein Staat, den Modi ja mehr als zwei Legislaturperioden regiert hat. Und nun ist er natürlich die Meinung, er könnte das übertragen auf ganz Indien. Das ist natürlich eine Frage, ob das möglich ist, könnten wir gleich diskutieren.
    In Gujarat hat Modi eine stabile Regierungsführung geboten
    Kolbe: Vielleicht können Sie uns kurz erläutern. Was hat er denn dort gemacht, dass die Wirtschaft so in Schwung gekommen ist, und wie könnte das auf das gesamte Land ausgedehnt werden?
    Betz: Man muss da ein bisschen relativieren. Gujarat war schon immer ein schneller wachsender Staat als das Rest-Indien. Das hat ein bisschen damit zu tun, mit der handwerklich-industriellen Tradition in dem Bundesstaat. Letztlich seit der Unabhängigkeit lagen die Wachstumsraten dort höher als im indischen Durchschnitt. Aus Gujarat kommen 25 Prozent der indischen Exporte bei einem Bevölkerungsanteil von ungefähr sechs, sieben Prozent, also deutlich überproportional.
    Was Modi nun gemacht hat? Er hat eine vergleichsweise stabile Regierungsführung geboten. Er hat vor allem versucht, Investitionen zu beschleunigen. Er hat dieses marode Stromsystem in seinem Staat deutlich verbessert. Sie wissen ja, das ist eines der großen Probleme, die mangelnde Energiesicherheit in Indien. Das ist in Gujarat deutlich besser wie woanders. Aber man muss jetzt auch kritischerweise sagen, die Wachstumsentwicklung in anderen Staaten, die ähnlich fortgeschritten sind wie in Gujarat, war auch nicht schlechter. Wenn Sie Maharashtra oder Tamil Nadu nehmen. Man fragt sich, ob sozusagen der persönliche Vorteil oder Anteil von Modi an diesem Wachstumserfolg wirklich so groß ist. Er wurde erkauft, teilweise jedenfalls, mit relativ bescheidenen Verbesserungen der sozialen Situation der Menschen. Die Gesundheits- und Bildungsindikatoren in diesem Staat sind nicht besonders berauschend.
    Narendra Modi begrüßt seine Anhänger in Gujarat, Indien.
    Narendra Modi hat mit seiner hindu-nationalistischen Partei BJP die Wahlen in Indien gewonnen. (Picture Alliance / dpa / EPA / Divyakant Solanki)
    Indische Arbeitsgesetze erschweren Entlassungen
    Kolbe: Sie haben die Energieversorgung angesprochen. Was fehlt denn noch konkret, um ausländische Investoren für Indien zu begeistern?
    Betz: Na ja, wir haben zunächst einmal dieses unhandliche Gewirr aller möglichen, relativ antiquierten Gesetze. Da werden als Erstes immer gerne angeführt die indischen Arbeitsgesetze, die aus 50 Einzelgesetzen bestehen und letztlich die Arbeitsaufnahmen oder die Arbeitsplatzschaffung deutlich erschweren, weil Entlassungen mehr oder weniger unmöglich sind und die Flexibilität der Unternehmen untergraben. Das halte ich in der Realität nicht für so schlimm, weil die Arbeitsgesetze vielfach nicht eingehalten oder umgangen werden. Aber sie sind natürlich für größere Betriebe ein Problem.
    Zweitens: Auch ein gravierendes Problem ist der mangelnde Ausbau der Infrastruktur, vor allem der Straßen, der Häfen, der Eisenbahn und der Stromnetze, was ich schon gerade sagte. Das alles führt dazu, dass die an sich günstigen indischen Arbeitskosten sich durch die Defizite der Infrastruktur deutlich erhöhen und Indien im internationalen Konkurrenzkampf zurückwerfen. Letztlich – und das ist auch ein wichtiger Punkt – sind es auch die bürokratischen Hemmnisse für Investitionen. Bis ein Investitionsvorhaben genehmigt und durchgewunken wird durch alle möglichen Klärungen der Umwelt- und sonstigen Auflagen, dauert in Indien einfach entsetzlich lange.
    Kolbe: Wirtschaftsreformen in Indien hat es in den vergangenen Jahren oft gegeben, zumindest Versuche, die dann an komplizierten politischen Konstellationen gescheitert sind. Wird Modi es einfacher haben, das aufzubrechen?
    Betz: Das bezweifele ich. Nehmen wir die von mir gerade genannten Arbeitsgesetze: Die fallen in die Kompetenz sowohl des Zentralstaates wie der einzelnen Unionsstaaten. Das ist so ähnlich wie in der Bundesrepublik. Sprich: Wenn die neue Regierung versucht, da Reformen durchzusetzen, muss sie die Länder mitnehmen. Die werden aber nicht von ihrer Partei, in der Mehrzahl jedenfalls nicht, regiert. Und dort gibt es durchaus populistische oder wie auch immer geartete Widerstände gegen eine Politik, die sich natürlich in erster Linie gegen die organisierte Arbeiterschaft, also gegen Gewerkschaften in Indien richten würde. Es ist die Frage, ob die neue Regierung den Mut aufbringt, Reformen durchzusetzen, die sie bisher schon nicht durchsetzen konnte. Nämlich in der Zeit, als sie von 1998 bis 2004 regiert hat, und noch viel weniger die nachfolgende, unter der Kongresspartei stehende Regierung. Die Schwierigkeiten der Reformdurchsetzung haben sich durch den Wahlsieg zwar etwas verringert, vor allem, weil er ja die absolute Mehrheit errungen hat, aber nicht gänzlich in Luft aufgelöst.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.