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Ingenieure kriegen "unter Wasser die tollsten Dinge zustande"

Hoher Wellengang könnte das Wrack abrutschen lassen, befürchtet Stefan Krüger vom Hamburger Institut für Entwerfen von Schiffen und Schiffssicherheit. In diesem Fall wäre der Einsatz von Unterwasserrobotern nötig, um den Treibstoff aus den Tanks der Costa Concordia zu entfernen.

Stefan Krüger im Gespräch mit Christiane Kaess | 19.01.2012
    Christiane Kaess: Zunächst hieß es, die Rettungsarbeiten bei der havarierten Costa Concordia stünden kurz vor dem Aus. Es gebe ein Zeitfenster von 12 bis 24 Stunden, um die Operation abzuschließen. Das sagte der Einsatzleiter der Feuerwehrtaucher vor Ort. Dem widersprach aber jetzt ein Sprecher der Feuerwehr: für die Sucharbeiten sei keine Frist gesetzt worden, es sei noch unklar, wie sich die Situation weiter entwickle.

    Am Telefon begrüße ich jetzt Stefan Krüger, er ist Schiffbau-Professor an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Guten Tag, Herr Krüger.

    Stefan Krüger: Moin!

    Kaess: Herr Krüger, offenbar überlegt man, die Rettungsarbeiten demnächst abzuschließen. Es werden aber immer noch mehr als 20 Menschen vermisst. Bei solchen Unglücken nach mehreren Tagen, gibt es da noch Chancen, Überlebende zu finden?

    Krüger: Chancen, Überlebende zu finden, gibt es natürlich theoretisch immer, obwohl sie natürlich kleiner werden. Der Beitrag jetzt gerade sagte, dass die den Teil durch haben, der über Wasser ist. Es ist natürlich so, dass es unter Wasser natürlich jetzt deutlich unwahrscheinlicher wird, noch jemanden zu finden.

    Kaess: Wie groß beurteilen Sie das Risiko, dass das Schiff bald abrutschen könnte?

    Krüger: Das Risiko halte ich für ziemlich groß, weil der offensichtlich sich jetzt bewegt. Das heißt, er liegt dann nicht wirklich stabil. Es ist ja auch offensichtlich noch relativ unklar, ob es technisch ein extrem schwieriges Problem ist und mit welcher Kraft der wirklich auf dem Felsen sitzt. Dazu muss man natürlich genau wissen, wie viel bei dem Dampfer nun alles vollgelaufen ist. Aber er scheint sich offenbar jetzt schon zu bewegen bei glattem Wasser. Und wenn man jetzt, wie der Wetterbericht avisiert, Wellenhöhen sich überlegt bis zu vier Metern, dann üben die auf den Rumpf natürlich derartige Kräfte aus, dass es wahrscheinlich ist, oder was heißt wahrscheinlich, aber dass ein sehr hohes Risiko besteht, dass der dann wirklich runterrutscht. Und wenn er erst mal unten ist, ist natürlich alles ganz schön schwierig.

    Kaess: Das wäre meine nächste Frage. Es gibt eine erfahrene Firma aus den Niederlanden, die vor Ort ist, um eine Umweltkatastrophe zu vermeiden. Kann die auch noch verhindert werden, wenn das Schiff tatsächlich abgerutscht ist?

    Krüger: Na ja, theoretisch geht das immer. Die entscheidende Frage ist, wenn der runterfällt: solange der sich die Tanks nicht aufschlägt, kriegt man das Zeug da im Prinzip immer noch raus. Nur die Frage ist, wenn der jetzt tatsächlich da den Abhang runterstürzt, wenn es denn so wäre, ob dann die Tanks, in denen der Kraftstoff drin ist, wirklich heil bleiben. Die sind ja alle noch irgendwie in Außenhautnähe.

    Kaess: Sie sagen, man muss das Zeug rauskriegen. Also es geht darum, das Öl abzupumpen. Wie muss man sich das vorstellen? Wie wird denn da vorgegangen?

    Krüger: Ja, das ist extrem kompliziert, weil die wohl offensichtlich so in der Größenordnung 2.000 Tonnen Heavy Fuel Oil an Bord haben und ungefähr 500 Tonnen Diesel. Diesel ist nicht so ein Problem, das können sie pumpen, aber dieses Heavy Fuel Oil, das ist so zähflüssig und es ist ja auch kalt, dass sie das gar nicht pumpen können. Das heißt, sie müssen im Prinzip erst mal Dampf in die Tanks drücken, um das Zeug zu erwärmen, damit es überhaupt pumpfähig wird, und dann muss man es irgendwie abpumpen.

    Kaess: Und das ginge nur, solange das Schiff nicht abgerutscht ist?

    Krüger: Nein. Das geht im Prinzip auch unter Wasser, nur ist es natürlich alles extrem viel komplizierter, weil dann die Frage ist, rutscht der so tief, dass man noch hintauchen kann oder nicht. Spätestens dann, wenn sie alles mit Unterwasser-Robotern machen müssten, wird es natürlich extrem aufwändig. Aber man hat ja im Prinzip gesehen bei der Ölbohr-Plattform Deepwater Horizon, dass man unter Wasser auch die tollsten Dinge zustande kriegt, wenn man den richtigen Ingenieur fragt.

    Kaess: Also man hat Vorerfahrungen mit solchen Fällen?

    Krüger: Ja, im Prinzip geht das. Im Prinzip geht das, nur die Technik, die sie brauchen, ist natürlich eine ganz andere, und die Kosten sind natürlich auch ganz andere.

    Kaess: Zusammengefasst von allem, was wir jetzt wissen: Welche Chancen sehen Sie, eine Umweltkatastrophe zu vermeiden? Wie optimistisch sind Sie da?

    Krüger: Das kann man schlecht sagen. Das kann man schlicht und ergreifend schlecht sagen. Zunächst mal liegt ja der Fokus erst mal auf der Menschenrettung, und die entscheidende Frage ist, bleibt das Schiff da liegen oder nicht, und solange das erst mal da liegen bleibt, sind die Chancen, das Öl da rauszukriegen, ziemlich gut. Und dann ist die nächste Frage, wie wahrscheinlich ist es, dass er da runterfällt. Und wenn er runtergefallen ist: Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Öltank aufgeht. Das kann man in der Summe schlecht quantifizieren. Es ist jedenfalls nicht null.

    Kaess: Schauen wir noch mal auf die Ursachen, über die ja jetzt auch hinreichend diskutiert und auch spekuliert wird. Ist es denn notwendig, die Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen?

    Krüger: Das würde ich erst mal noch gar nicht so diskutieren wollen, weil wir ja noch gar nicht wirklich wissen, was passiert ist. Es gibt nur eine Sache, die man vermutlich relativ sicher sagen kann: Das Schiff ist ein sogenanntes Zwei-Abteilungs-Schiff. Das heißt, er muss im Prinzip laut Vorschriften das Beschädigen von zwei Abteilungen überleben. Wenn man jetzt die Schadensbilder da so auswertet und mal so ganz vorsichtig auf die Pläne von Schwesterschiffen guckt, die ähnlich gebaut sind, dann ist die Vermutung, sagen wir mal, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die, dass der mindestens drei Abteilungen aufgemacht hat. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass er deswegen sinken muss, sondern nur, dass dann die Lage nicht mehr den gesetzlichen Vorschriften entspricht, und zurzeit fragen sich eben alle Beteiligten, wie der überhaupt so versinken konnte.

    Und das stellt sofort unmittelbar die Frage, ob denn in den wasserdichten Schotten, die da unter Deck waren, alle Türen wirklich geschlossen waren. Denn von vorangegangenen Unfällen wissen wir, dass die Besatzung eben die Türen nicht immer zu hat. Vielleicht waren sie vorher nicht zu, und spätestens wenn die da unten flüchten wollen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die eben so eine wasserdichte Schott-Schiebetür aufmachen, relativ groß. Das weiß man aber wie gesagt noch gar nicht, und solange alle Begleitumstände nicht geklärt sind, kann man überhaupt nicht sagen, ob man an der Sicherheit nun was verbessern muss oder nicht.

    Kaess: Aber das heißt auch, die einfache Erklärung, der Kapitän ist einfach zu nahe an der Insel vorbeigefahren, die reicht nicht aus?

    Krüger: Nein. Das ist doch völlig unvernünftig. Dass der Kapitän zu dicht an der Insel vorbeigefahren ist, hätte er natürlich nicht tun sollen, aber letzten Endes ist jedes Schiffsunglück immer eine Kausalkette von mehreren unglücklichen Umständen. Der Felsen ist zum Beispiel relativ kurz hinter dem hinteren Maschinenraum-Schott. Das heißt, wäre das Leck ein bisschen kürzer gewesen, wäre es vielleicht auch nicht so schlimm gewesen. Andererseits: wenn die jede Menge Türen aufgelassen haben, was man eben nicht weiß, dann hätte man auch einen Zwei-Abteilungs-Fall nicht überlebt. Solche Fälle hat es ja auch schon gegeben. Und bevor man jetzt irgendwie anfängt, sich zu überlegen, was man alles verbessern muss, muss man das halt eben alles sauber aufarbeiten. Das kostet eben Zeit und Fachkompetenz und das geht einfach nicht so schnell.

    Kaess: Und das heißt auch in der Konsequenz, die Schuld liegt nicht rein und in erster Linie beim Kapitän, so wie das jetzt von außen aussieht?

    Krüger: Über Schuld können wir noch gar nicht reden, weil wir noch gar nicht wissen, was ist wirklich passiert. Man muss natürlich zunächst überhaupt mal eine technisch plausible Kausalkette finden, was letztendlich zu der schlimmen Lage auf dem Felsen geführt hat. Und erst wenn man das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen kann, aus technischer Sicht, kann man überhaupt darüber reden, wer denn für was zuständig ist.

    Kaess: Stefan Krüger war das, er ist Schiffbau-Professor an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Vielen Dank für diese Einschätzungen.

    Krüger: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.