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Integrationserfolg
Flüchtlinge mit Lehrerausbildung erteilen Unterricht

Seit 2016 versucht die Universität Potsdam geflüchtete Lehrerinnen und Lehrer mit einem Qualifizierungsprogramm in den deutschen Schuldienst zu bringen. Rund 40 erteilen mittlerweile Unterricht in Brandenburg. Einer von ihnen ist Mohammad Shekho aus Syrien - ein Gewinn für die Schule.

Von Amelie Ernst | 17.01.2019
    Im April 2016 begann an der Universität Potsdam das Qualifizierungsprogramm für geflüchtete Lehreinnen und Lehrer
    Im April 2016 begann an der Universität Potsdam das Qualifizierungsprogramm für geflüchtete Lehrerinnen und Lehrer (picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert)
    962.443 minus 234.838 – Rechnen mit sechsstelligen Zahlen ist nicht so Martens Ding. Aber zum Glück gibt es ja Herrn Shekho. Während Mathelehrerin Birgit Fiedler vorn am Smartboard schon die nächste Aufgabe anklickt, erklärt der Syrer dem Viertklässler nochmal, wie das mit dem Überschlag funktioniert.
    Shekho lächelt fast die ganze Zeit, geht von Tisch zu Tisch, wirft ab und an seinen weinroten Schal gekonnt über die Schulter. Wie Unterricht in Deutschland funktioniert, das musste der 27-Jährige erst lernen. Einzelbetreuung wie hier – in Syrien undenkbar.
    "Die Schüler sitzen dort in Reihen und schreiben, was der Lehrer schreibt oder was an die Tafel kommt. Da gibt es keine Diskussionen. Laut sein oder komische Fragen stellen – das ist bei uns nicht erlaubt."
    Doch Shekho hat sich umgestellt, hilft geduldig weiter – und das kommt an in der 4b:
    Herr Shekho ist voll nett
    Schüler*innen: "Ich mag Mathe, weil Herr Shekho uns immer hilft, wenn wir Probleme haben mit Rechnen oder so."
    "Wir spielen mit ihm Spiele, 'Die böse Drei' und Fußball."
    "Herr Shekho ist ein cooler Lehrer."
    "Aber manchmal kann er auch meckern."
    Die Klasse lacht.
    "Aber er meckert nicht so oft. Nur wenn wir was Blödes gemacht haben."
    "Herr Shekho ist voll nett – und er ist auch witzig."
    Der eine oder andere hat sich auch schon Gedanken darüber gemacht, warum der neue Lehrer hier ist. Auch wenn Mohammad Shekho selbst nur ungern darüber redet: "Ich wollte etwas Schönes (über Syrien) erzählen. Aber es gab nur schlimme Sachen. Und das wollte ich nicht erzählen."
    Schülerin: "Weil da bestimmt ganz oft Krieg ist oder so. Und das mag ja keiner wenn Krieg ist. Dann ist er vielleicht hergekommen deswegen und wollte einen Job, um Geld zu verdienen und sich hier eine neue Welt aufzubauen."
    Qualifizierungsprogramm für geflüchtete Lehrer
    Ziemlich genau so war es: 2015 floh Mohammad Shekho mit seiner Frau aus Nordsyrien - dort hatten beide gerade ihr jeweiliges Lehramtsstudium abgeschlossen. Aber einen geregelten Schulbetrieb gab es da schon lange nicht mehr, auch keine Sicherheit im Alltag. Sie machten sich auf den Weg nach Europa, landeten irgendwann in der Nähe von Berlin und Shekho hörte vom Qualifizierungsprogramm für geflüchtete Lehrer an der Uni Potsdam. Es folgten anderthalb Jahre Intensivunterricht; die anschließende Prüfung bestand der Mathe-Lehrer – ebenso das Bewerbungsgespräch bei Schulleiterin Claudia Schröter in Königs Wusterhausen.
    "Da gibt es schon große Unterschiede, und die zu überwinden ist natürlich erstmal ein Meilenstein. Deshalb haben wir hier bei uns versucht, das über so einen Stufenplan zu regeln. Also wir haben jetzt nicht gesagt 'Herr Shekho: Rein, 27 Stunden Unterricht!', sondern wir haben gesagt, erstmal drei Stunden Unterricht, ansonsten hospitieren bei zwei festen Kolleginnen, die in Mathematik arbeiten. Und so gibt es so ein Verzahnen."
    Gewinn für die Schule
    Auch wenn Mohammad Shekho zunächst nur wenige Stunden pro Woche allein vor der Klasse steht: Der Gewinn für die Schule sei deutlich zu spüren, betont die Schulleiterin. Vor allem schwächere und nicht-deutsche Schüler profitierten vom neuen Lehrer.
    Schröter: "Herr Shekho ist zusätzlich, und das ist für eine Grundschule wirklich was ganz Tolles. Es geht nicht darum, ihn für Vertretungsunterricht einzusetzen, sondern einfach sein Potential zu nutzen, was er uns in Bezug auf Schüler anderer Herkunft, arabischsprachige Schüler und Eltern einfach geben kann. Was ich noch ganz toll finde, dass zum Beispiel in einer sechsten Klasse Herr Shekho die Schüler ganz stark individuell unterstützt. Das hat denen jetzt doll geholfen, weil die gehen ja ins Ü7-Verfahren."
    Gleichzeitig sammelt Mohammad Shekho Erfahrungen mit dem deutschen Schulsystem. Vor allem auch mit Hilfe seiner Kollegen an der Wilhelm-Busch-Grundschule.
    "Als ich kam, habe ich die Willkommenskultur hier erlebt. Wenn jemand zu Dir kommt und fragt 'Wie fühlst Du Dich? Brauchst Du noch etwas?' – die Frage habe ich einen Monat lang jeden Tag gehört. Und die sagen auch 'Herr Shekho, hier musst Du die Notenlisten verwalten' oder die Briefe an die Eltern. Also sie erzählen mir, was ich machen kann. Das war super."
    Im Sommer läuft Shekhos Jahresvertrag in Königs Wusterhausen aus – danach möchte er Sport studieren, als zweites Fach, um irgendwann auch gleichwertig als Lehrer arbeiten zu können.
    "Mein Wunsch bleibt immer, Deutscher zu werden – wirklich. Und da bin ich sicher: Wenn man sich so bemüht, dann kommt das mit der Zeit. Man braucht nur ein paar Jahre."