Dienstag, 30. April 2024

Invasive Arten
Weltweite Bedrohung für Biodiversität

Pflanzen, Tiere und Mikroben aus anderen Erdteilen, die sich hier ausbreiten und heimische Arten verdrängen, werden invasiv genannt. Und diese invasiven Arten spielen eine Schlüsselrolle beim Artensterben, warnt der Weltbiodiversitätsrat.

17.04.2024
    Zwei junge Waschbären schauen unter einem Dach hervor. Waschbären Welpen verlassen im Alter von sechs bis neun Wochen zum erstmal ihr Versteck.
    So niedlich sie aussehen, können Waschbären rund ums Haus viel Schaden anrichten. 2016 erklärte die EU sie zur invasiven Art. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Niedliche Waschbären, duftende Kanadische Goldruten, edle Pazifische Austern: Sie gehören zu den invasiven Arten in Deutschland. Von insgesamt 37.000 Pflanzen, Tier- und Mikrobenarten weltweit, die sich in der Fremde etabliert haben, gelten mehr als 3.500 Arten als invasiv.
    Invasive Arten spielen dem bislang umfassendsten Bericht des Weltbiodiversitätsrats zufolge eine Schlüsselrolle beim Artensterben. Sie stellen eine „ernste globale Bedrohung“ dar, so der Bericht.

    Überblick

    Wann wird von einer invasiven Art gesprochen?

    Der Begriff Invasion stammt aus dem Kriegskontext, ist aber laut dem Ökologen Arnulf Köhncke vom WWF Deutschland im Umweltschutz etabliert. Invasive Arten sind solche, die aus einer anderen Region oder Weltgegend stammen, und sich im neuen Lebensraum nicht nur etablieren, sondern sich so stark vermehren, dass sie einheimische Arten verdrängen, ihnen Licht und Nährstoffe streitig machen oder diese mit eingeschleppten Krankheitserregern infizieren.
    Laut dem Report des Biodiversitätsrats stellen sie eine „ernste globale Bedrohung“ dar, die unterschätzt und häufig nicht ernstgenommen wird.
    Invasive Arten können auch für Menschen zur Gefahr werden. Asiatische Tigermücken können Krankheiten wie Denguefieber oder West-Nil-Fieber übertragen, die es vorher in Deutschland nicht gab.
    Invasive Pflanzenarten wie die Ambrosia aus den USA, die sich mittlerweile in Europa ausgebreitet haben, produzieren nicht nur sehr viele und hochallergene Samen, sondern blühen spät und verlängern damit die Pollen-Saison für Allergiker bis in den Herbst hinein, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet.
    Der Schaden, den invasive Arten verursachen, hat sich seit den 1970er-Jahren jedes Jahrzehnt vervierfacht: Der Weltbiodiversitätsrat beziffert die Kosten auf gut 420 Milliarden US-Dollar.

    Warum gibt es so viele invasive Arten?

    Heute kennt man über 37.000 Pflanzen-, Tier- und Mikrobenarten, die sich in der Fremde etabliert haben. Von ihnen sind laut dem Report mehr als 3.500 invasiv, das heißt, sie haben negative Auswirkungen auf Ökosysteme, auf die menschliche Gesundheit und die Nahrungsmittelversorgung.
    Die meisten Neuzugänge bereiten also keine Probleme, sondern finden im Laufe der Zeit ihre ökologische Nische und werden zum Bestandteil der einheimischen Vegetation, heißt es beim Naturschutzbund Nabu.
    Ökosysteme, die nicht mehr intakt sind, machen es Neophyten - also gebietsfremden Pflanzen - allerdings leichter, sich anzusiedeln. Weitgehend intakte Biotope können sich hingegen vergleichsweise gut selbst regenerieren und beherbergen meistens weniger Neophyten, schreibt der Nabu auf seiner Website.
    Es gibt absichtliche Invasionen, die außer Kontrolle geraten, wie bei den Waschbären in Deutschland, sagt Ökologe Köhncke vom WWF Deutschland. Diese wurden 1927 für die Pelzzucht eingeführt, später wurde ein Pärchen für die Jagd in Hessen ausgesetzt. Heute gibt es mehr als eine Million Waschbären in Deutschland.
    Die Wollhandkrabbe ist laut dem WWF-Experten ein Beispiel für eine unabsichtliche Invasion – sie wurde vor hundert Jahren im Ballastwasser von Schiffen mitgeführt.

    Wie groß ist der ökologische Schaden durch invasive Arten?

    Der Report der Vereinten Nationen zeigt, dass invasive Arten eine Schlüsselrolle beim Artensterben spielen: In 60 Prozent aller beobachteten Fälle sollen sie in der Vergangenheit ein wichtiger Faktor gewesen sein, wenn Pflanzen- oder Tierarten verschwunden sind, und in jedem sechsten Fall sogar der alleinige Auslöser.
    Das bedeutet, dass invasive Arten angestammte, natürliche Arten häufig vollständig verdrängen. Sie tragen so einer Biodiversitätkrise bei, die durch Zerstörung natürlicher Lebensräume sowie Übernutzung durch Wilderei noch verschärft wird.

    Wie lassen sich invasive Arten bekämpfen?

    Aus Sicht der Autorinnen und Autoren des Reports sind die Gegenmaßnahmen, die bisher ergriffen werden, grundsätzlich ungenügend. Fast die Hälfte aller Länder unternimmt gar nichts gegen biologische Invasionen. Das müsse sich ändern, fordern die Wissenschaftler.
    Sie glauben aber, dass es möglich ist, bei der Bekämpfung invasiver, gebietsfremder Arten Fortschritte zu erzielen, schreiben sie in dem Report.
    Prävention ist die beste und kosteneffektivste Option, heißt es da. Der Handel müsse stärker kontrolliert werden, das Ballastwasser von Schiffen und Container desinfiziert und verhindert werden, dass importierte Pflanzen Schädlinge einschleppen. Aber auch Ausrottung, Eindämmung und Kontrolle sind in bestimmten Situationen wirksam.
    Wie eine Art Werkzeugkasten liefert der Bericht Beispiele und Fälle, in denen invasive Arten erfolgreich zurückgedrängt werden konnten. In Asien bekämpft man eine invasive Efeu-Art erfolgreich mit einem speziellen Pilzparasiten.
    In Afrika und Lateinamerika wiederum lernen Kleinbauern, invasive Arten zu erkennen und was gegen sie zu tun ist.
    Aus Sicht von Arnulf Köhnke vom WWF Deutschland braucht es Gesetzgebungen, um invasive, gebietsfremde Arten identifizieren zu können und damit eine präventive Handlungsgrundlage zu schaffen. Dabei sieht er die EU gut aufgestellt.
    Bei Arten, die als besonders invasiv gelten, müsse über Besitz- und Vermarktungsverbote nachgedacht werden, um der Verbreitung zuvorzukommen, so WWF-Experte Köhnke.
    Wenn Ausrottung nicht mehr möglich ist, sind Management-Maßnahmen gefragt. Dann geht es darum, die Verbreitung zu kontrollieren.
    Das gelingt nicht immer, sagt Köhnke. Als Beispiel nennt er die Waschbären: Jährlich wird ein großer Anteil an Waschbären in Deutschland geschossen, trotzdem bleibt der Bestand relativ stabil.

    Beispiele von Störungen durch invasive Arten

    Der Salamanderfresser, ein Pilz, rafft derzeit Salamander-Bestände in Deutschland dahin. Er löchert die Haut der Lurche. Viele befallene Tiere sterben schon eine Woche nach der Infektion. Seine Heimat ist Asien, aber durch den weltweiten Tierhandel ist er vermutlich eingeschleppt worden.
    Im Wattenmeer an der deutschen Nordseeküste wimmelt es von scharfkantigen Pazifischen Austern. Ursprünglich wollte man sie als Delikatesse in abgeschotteten Zuchtbetrieben päppeln, etwa auf Sylt seit den 80er-Jahren. Doch ihre Larven brachen aus und überwucherten Miesmuschel-Bänke. Nach einem Bericht des Weserkuriers geraten dadurch Nahrungsketten in dem Ökosystem durcheinander.
    Im Bodensee und am Genfer See explodieren die Bestände der Quaggamuschel und verdrängen andere Arten. Stellenweise siedeln Zehntausende Tiere auf dem Quadratmeter. Sie verstopfen Trinkwasser-Förderleitungen und verursachen dadurch Schäden in Millionenhöhe. Die Quaggamuschel stammt aus dem Schwarzmeerraum.
    Derzeit breitet sich auch die Asiatische Tigermücke in Deutschland, vor allem in Baden-Württemberg aus. Das Insekt überträgt durch Stiche Viren, die West-Nil- und Dengue-Fieber auslösen können, Krankheiten, die bislang hierzulande kaum vorkommen. Die Wasserhyazinthe aus Südamerika wuchert Pflanzen, Flüsse, Seen oder Häfen zu. Im Victoriasee in Afrika wird sie „grüne Pest“ genannt und mindert die Erträge der Fischer.

    Nosferatu-Spinne ist in Deutschland heimisch geworden

    Ein weiteres Beispiel ist die sogenannte Nosferatu-Spinne . Nach Angaben der nordrhein-westfälischen Umweltbehörden hat die Spinne ihr Areal in Deutschland wegen der für sie günstigen klimatischen Bedingungen deutlich ausgeweitet. Die Art gehört zu den Kräuseljagdspinnen und ist laut Experten hierzulande heimisch geworden. Bisher sind allerdings noch keine Auswirkungen auf Fauna und Flora nachgewiesen worden. Es wird erwartet, dass der Bestand zunimmt.
    Nicht zuletzt sind auch Agrar- und Forstschädlinge Zugereiste, zum Beispiel der Maiszünsler, ein Kleinschmetterling mit sehr gefräßigen Raupen, die Kirschessigfliege, die große Schäden im Obst- und Weinanbau verursachen kann oder das „falsche Weiße Stängelbecherchen“, ein Pilz, der Eschen absterben lässt.

    Volker Mrasek, Christiane Knoll, tha