Die Verhandlungen zwischen der Europäische Union und China über ein Investitionsabkommen sind nach jahrelangen Verhandlungen nun zu einem Abschluss gekommen. Nach Informationen aus EU-Kreisen könnte das Abkommen heute (30.12.) in einer Videokonferenz im Grundsatz vereinbart werden.
Es gäbe an vielen Stellen Fragezeichen, insbesondere in Bezug auf die Gleichbehandlung europäischer Unternehmen auf dem chinesischen Markt, kritisiert Reinhard Bütikofer im Dlf. Er ist seit 2009 für die Grünen Mitglied im Europäischen Parlament und dort stellvertretender Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zu China und für seine Fraktion Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und für internationalen Handel.
Keine Sanktionsmöglichkeiten der EU festgeschrieben
Ganz besonders wichtig sei die Frage nach den Standards wie etwa zur Nachhaltigkeit oder zum Arbeitnehmerinnenschutz. "Da ist einiges zu bemängeln", sagte Bütikofer. "China praktiziert im großen Umfang Zwangsarbeit." Die Europäische Kommission gebe sich hier "mit einem Geschwätz zufrieden". Wenn China hier zusichere, sich "andauernd bemühen" zu wollen, die Kernkonventionen gegen Zwangsarbeit der International Labour Organization (ILO) zu ratifizieren, dann sei dies eine diplomatisch höfliche Form, zu sagen, "ihr könnt uns mal kreuzweise". Warum nutze man die erst kürzlich aufgekommene Dynamik in den Verhandlungen nicht weiter, fragt Bütikofer. Das Europäische Parlament werde hartnäckig für seine Perspektive kämpfen.
Das Interview im Wortlaut:
Dirk-Oliver Heckmann: Herr Bütikofer, europäische Unternehmen erhalten damit einen besseren Zugang zum chinesischen Markt mit 1,4 Milliarden Menschen, das ist doch eigentlich eine gute Nachricht, oder?
Reinhard Bütikofer: Es gibt neue Angebote, Marktzugang zu finden, wo in der Vergangenheit zum Beispiel nur über Joint Ventures agiert werden konnte. Das ist für sich genommen eine positive Nachricht, aber die Frage ist natürlich bei so einem Deal, dass man alle Seiten sich angucken muss und dass man zum Beispiel auch drauf gucken muss, wie die Zugeständnisse, die da auf dem Papier gemacht werden, dann im Zweifel durchsetzbar sind. Das ist ja in der Wirtschaft eine breit geteilte Erfahrung, dass auf dem Papier manches in China wunderbar aussieht und in der Praxis sich dann ganz anders erweist.
"China praktiziert in großem Umfang Zwangsarbeit"
Heckmann: Können Sie es ein bisschen konkret machen, was meinen Sie genau, wo haben Sie da Bedenken?
Bütikofer: Na, wie wird zum Beispiel dafür gesorgt, dass im Streitfalle das Recht, das einem da im Vertrag eingeräumt worden ist, auch durchgesetzt werden kann in der chinesischen Realität. Da hat sich China zum Beispiel geweigert, die Streitbeilegungsverfahren, so wie wir sie in Verträgen mit Kanada oder Vietnam oder Singapur festgeschrieben haben, zu akzeptieren. Da bleiben Fragezeichen. Dann gibt es Fragezeichen bezüglich des Zugangs zu öffentlichen Beschaffungen, da ist gar nichts geregelt. Dann gibt es Fragezeichen mit Blick auf die Gleichbehandlung europäischer Unternehmen im chinesischen Markt. Es wird nach wie vor so sein, dass europäische Unternehmen unter einem Extragesetz gehalten werden, also nicht vom Gesetzgeber her dieselben Rechte haben wie chinesische Unternehmen. Das ist in unserem Markt völlig anders, da sind wir viel offener. Das heißt, da gibt es eine ganze Reihe von Fragezeichen, aber ganz besonders wichtig ist natürlich auch die Frage, welche Standards setzen wir durch dieses Abkommen, und insbesondere im Bereich der Nachhaltigkeitsstandards und des Schutzes von Arbeitnehmer*innen ist da aus meiner Sicht jedenfalls einiges zu bemängeln. Zum Beispiel hat China bis jetzt die Kernkonventionen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO gegen Zwangsarbeit nicht ratifiziert. China praktiziert in großem Umfang Zwangsarbeit, und wir haben im Europäischen Parlament gefordert, dass es da wirksame Garantien geben muss, dass diese Zwangsarbeit beendet wird, dass diese Konventionen ratifiziert werden. Dahinter bleibt die Kommission jetzt zurück, sie gibt sich da, muss ich leider sagen, mit einem Geschwätz zufrieden.
Diplomatisch höfliche Form von "ihr könnt uns mal kreuzweise"
Heckmann: Mit einem Geschwätz zufrieden, sagen Sie, die EU-Kommission sagt, Peking habe fest zugesagt und sage fest zu, mit diesem Investitionsabkommen dauerhafte und nachhaltige Anstrengungen zu unternehmen, diese Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation zur Zwangsarbeit zu unternehmen, und das sei mehr, als Peking jemals zugesagt habe. Was sagen Sie dazu?
Bütikofer: Wir wollen uns andauernd weiterhin bemühen, das Ziel der Ratifizierung zu verfolgen – das ist eine diplomatisch höfliche Form zu sagen, ihr könnt uns mal kreuzweise, wir machen, was wir wollen. Sie können irgendeinen Diplomaten fragen, der sich jemals mit solchen Fragen beschäftigt hat, er wird Ihnen genau dasselbe sagen. Warum sagt man nicht, wir ratifizieren bis zum 01.01.2022? Wir haben mit Vietnam dasselbe Problem gehabt, und dort haben wir einen Stufenplan verabredet: Die Konvention muss sofort ratifiziert werden und die andere bis spätestens 2023. Das macht Sinn, das sind Nägel mit Köpfen. Das, was wir hier haben, ist ein wertloses Gerede.
Heckmann: Jetzt sagt die EU-Kommission allerdings, wenn sich Peking an diese Zusage nicht hält, dann kann das mit Strafzöllen, mit Sanktionen beantwortet werden. Also insofern hat Europa ja schon ein Machtmittel in der Hand.
Bütikofer: Nein, das stimmt nicht, das ist einfach nicht wahr.
Heckmann: Woraus schließen Sie das?
Bütikofer: Das steht nirgends in diesem Vertrag.
Heckmann: Das heißt, an dieser Stelle ist diese Auskunft, die ja aus EU-Kommissionskreisen kommt, unrichtig?
Bütikofer: Ja.
"Torschlusspanik außerordentlich zweifelhaft"
Heckmann: Das heißt, würden Sie unterm Strich sagen, die EU-Kommission hat sich dann da über den Tisch ziehen lassen?
Bütikofer: Nicht in jeder Hinsicht, aber in der Gesamtbilanz ist diese Torschlusspanik, mit der man das jetzt kurz vor knapp zum Jahresende noch durchdrückt, außerordentlich zweifelhaft. Warum nimmt man sich nicht mehr Zeit, darauf zu drängen? Es ist ja interessant, wenn man feststellt, wann China angefangen hat, sich überhaupt zu bewegen, überhaupt Zugeständnisse zu machen, nachdem wir fast sieben Jahre lang im Wesentlichen ohne großen Erfolg verhandelt hatten. Die Zugeständnisse fingen an, als China feststellen konnte, in Amerika ist Joe Biden zum Präsidenten gewählt worden. Und als sie anfingen ernst zu nehmen, dass es vielleicht tatsächlich in Zukunft wieder zu einer vernünftigen transatlantischen Kooperation gegenüber China kommen wird. Da brach dann eine gewisse Sorge aus, dass das vielleicht die eigenen Handlungsmöglichkeiten beschränken würde. Denn China hat es wunderbar ausgenutzt, dass Trump auf Bündnisse und Kooperationen nichts gegeben hat. Da wollte man einen Spaltkeil reinsetzen, und dann hat man angefangen, den Europäern ein paar Angebote zu machen. Wenn das die Dynamik ist, warum nutzt man die Dynamik nicht weiter und sagt, dann reden wir jetzt erst mal auch mit Biden, sehen, wo wir gemeinsame Politik machen, und lassen uns jetzt nicht hektisch treiben, ohne dass wir an entscheidenden Stellen das erreicht haben, was wir uns vorgenommen hatten. Wir hatten uns vorgenommen Reziprozität, und das ist zum Beispiel nicht enthalten.
Heckmann: Kurz zum Schluss, Herr Bütikofer, das EU-Parlament muss ja einem Vertrag zustimmen. Wird es diesen Vertrag am Ende so schlucken?
Bütikofer: Da fragen Sie einen von 705. Das wird sicherlich noch Gegenstand vieler, vieler Diskussionen sein. Ich kann nur sagen, kurz vor Weihnachten hat das Europäische Parlament mit einer Resolution, die eine Mehrheit von knapp 90 Prozent hatte, ausdrücklich gesagt, wir wollen in diesem Investitionsabkommen Garantien gegen die Zwangsarbeit. Das ist nicht drin. Und ich glaube, das Europäische Parlament wird an dieser Stelle und auch an einigen anderen Stellen durchaus hartnäckig für seine Perspektive kämpfen. Wenn die Chinesen sich Zeit lassen können mit der Ratifizierung von Zwangsarbeitskonventionen, können ja auch wir uns Zeit lassen mit der Ratifizierung dieses Vertrages.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.