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Iran-USA-Konflikt
"Trump hat sich auf ein großes Spiel eingelassen"

Mit der Tötung von General Soleimani sei US-Präsident Donald Trump ein Risiko eingegangen, sagte der Nahost-Experte Gilles Kepel im Dlf. Sollten dadurch die USA in eine ungewollte Gewaltspirale verstrickt werden, "würde das die Wiederwahl gefährden", so der französische Sozialwissenschaftler.

Gilles Kepel im Gespräch mit Christoph Heinemann |
Der französische Sozialwissenschaftler und Islam-Experte Gilles Kepel
US-Truppen werden sich wohl in die Zone zurückziehen, die von den Kurden kontrolliert wird, meint Islam- und Nahostexperte Gilles Kepel (picture alliance / Horst Galuschka)
Es war Rache mit Ansage: Als Vergeltung für die Tötung von General Qasem Soleimani feuerte der Iran in der Nacht zum Mittwoch mehr als ein Dutzend Raketen auf die vom US-Militär genutzten Stützpunkte Ain al-Assad westlich von Bagdad und im nördlich gelegenen Erbil ab. Trotz der mehr als ein Dutzend Raketen blieben die Schäden offenbar vergleichsweise gering. Todesopfer wurden nicht gemeldet.
Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei bezeichnete den Angriff gegen die US-Militärstützpunkte als "Ohrfeige gegen die Amerikaner". Iran verfolge keine Kriegsabsichten, habe aber auf die Tötung Soleimanis reagieren müssen, so Chamenei, der auch oberster Befehlshaber der iranischen Streitkräfte ist.
Buchcover zu "Chaos" von Gilles Kepel.
Gilles Kepel - "Chaos. Die Krisen in Nordafrika und im Nahen Osten verstehen"
Sunniten gegen Schiiten, Islamisten gegen die "Ungläubigen" in aller Welt. Weiter reicht das Verständnis für die Krisen in der muslimisch geprägten Welt oft nicht. Wer die Konflikte genau verstehen will, findet in Gilles Kepels Buch alle nötigen Informationen.
Trotz dieses iranischen Vergeltungsangriffs scheint die unmittelbare Gefahr eines neuen Krieges im Nahen Osten zunächst gebannt. US-Präsident Donald Trump kündigte bei einer Ansprache an die Nation zwar neue Wirtschaftssanktionen gegen den Iran an, aber keine weiteren Militärschläge.
Trump gehe es am Ende allein um seine Wiederwahl im November, meint Professor Gilles Kepel vom Institut d`Études Politiques de Paris. Der Nahost-Experte ist Autor des Buches "Chaos. Die Krisen in Nordafrika und im Nahen Osten verstehen".
Christoph Heinemann: Welche Folgen hätte es, wenn die US-Truppen aus dem Irak zurückgezogen oder ausgewiesen würden?
Gilles Kepel: Wahrscheinlich werden die US-Truppen nicht das gesamte Gebiet des Iraks verlassen. Sie werden sich eher in die Zone zurückziehen, die von den Kurden kontrolliert wird, also in das Gebiete von Erbil und Sulaimaniyya. Dort befindet sich die gesamte westliche Infrastruktur der Region. Und dort wird man sich gegen iranische Angriffe wappnen müssen. Das ist aus meiner Sicht die wahrscheinlichste Lage.
USA und Iran haben sich Herrschaft im Irak geteilt
Heinemann: Werden die Kurden oder Sunniten im Irak jemals einen Rückzug oder eine Ausweisung der US-Truppen akzeptieren?
Kepel: Die Kurden mit Sicherheit nicht, ich meine die Kurden im irakischen Teil Kurdistans. Die Sunniten sind gespalten: Auch wenn die Amerikaner von den sunnitischen Dschihadisten als Feinde betrachtet werden, haben doch die Schiiten und vor allem diejenigen, die von General Soleimani kommandiert wurden, die meisten Sunniten in der Region während der jüngsten Zusammenstößen getötet. In gewisser Weise sorgen die Amerikaner im Irak für ein Gleichgewicht.
Der Irak ist ein seltsames Land. Während sich die Amerikaner und die Iraner überall in Konflikten gegenüberstehen, hatten sie im Irak einvernehmlich eine Art Kondominium geschaffen, eine gemeinsame Herrschaft: 85 Prozent des Landes für den Iran und 15 Prozent für die Amerikaner. Inzwischen und vor allem seit dem Bruch des Atomabkommens, das den Handel mit dem Iran gestattete und im Gegenzug den Verzicht auf Atomwaffen beinhaltete, ist dieses Gleichgewicht immer unsicherer geworden.
"Für Trump geht es nur um seine Wiederwahl"
Heinemann: Wer wird von der neuen Lage profitieren?
Kepel: Donald Trump hat sich auf ein großes Spiel eingelassen. Er hat aus mehreren Gründen so reagiert. Einmal, weil ein Angriff auf eine US-Botschaft in der Region die Erinnerung an den Angriff auf die US-Botschaft in Teheran in November 1979 wachruft, also vor 40 Jahren, eine sehr traumatische Erfahrung. Den damaligen Präsidenten Jimmy Carter kostete das die Wiederwahl. Donald Trump, der um seine Wiederwahl kämpft, möchte nicht "carterisiert" werden, wenn ich das so sagen darf. Für Trump geht es nur um seine Wiederwahl. Er hat alle kriegerischen Abenteuer im Mittleren Osten abgelehnt, die Truppen aus Syrien zurückgezogen, weil ein Teil seiner Wählerschaft, die jungen Weißen aus den Swingstates wie Wisconsin, Michigan oder Pennsylvania gesehen haben, dass viele junge Leute in Plastiksäcken heimgekehrt sind, getötet in dieser Region.
Trump ging jetzt ein Risiko ein, weil er glaubt, er könne einen - in Anführungszeichen sauberen Krieg - führen, also ohne Truppen, dank der hochentwickelten Drohnentechnik. General Soleimani und der Chef der irakischen Miliz, der ihn begleitet hat, wurden vaporisiert: Diese Drohnen entfalten eine enorme Hitze und verwandeln jedes Individuum in Wasserdampf. Von Herrn Soleimani hat man nur noch seinen Ring gefunden. Das Risiko besteht im iranischen Gegenschlag. Sollte dieser Gegenschlag die USA in eine ungewollte Gewaltspirale verstricken, würde das die Wiederwahl gefährden.
Die Iraner, die schon Jimmy Carter zu Fall gebracht haben, träumen heute davon, Trump zu bestrafen, indem sie seine Wiederwahl kippen. Haben sie die Mittel dazu: Die USA wetten, dass nicht, dass der Iran ruiniert ist. Die Sanktionen machen sich in dem Land sehr hart bemerkbar. Die jüngsten Krawalle im Irak richteten sich auch dagegen, dass der Iran mit proiranischen schiitischen Milizen irakische Erdöl-Ressourcen in den Iran gepumpt hat. Würden sich die Vereinigten Staaten aus dem Irak zurückziehen, und würden sie den Irak mit dem gleichen Embargo belegen, das für den Iran gilt, wäre die Islamische Republik Iran am Ende. Es steht also sehr viel auf dem Spiel. Der amerikanische Präsident pokert. Weder steht fest, ob er Erfolg haben wird, noch ob er scheitern wird.
"Iran hat ein schiitisches Reich geschaffen"
Heinemann: Welches Interesse verfolgt der Iran im Mittleren Osten?
Kepel: Der Iran benötigt Schutz. Und er hat daher vor allem durch General Soleimani eine Art schiitisches Reich geschaffen, das vom schiitischen Teil Afghanistans bis in die südlichen Vorstädte von Beirut reicht und durch den Irak und Syrien verläuft. Warum dieses Reich? Die iranischen Raketen können vom Süden des Libanon und vor allem von Syrien aus Israel treffen. Oder vielmehr: Sie konnten es, denn die Israelis und die Amerikaner haben Gegenschlags-Kapazitäten entwickelt. Immer wenn der Iran Raketen etwa Richtung Golan abgeschossen hat, wurden die iranischen Stützpunkte liquidiert. Der Iran betrachtete diese Fähigkeiten, über die er in der Levante verfügte, als Überlebensgarantie. Sie glaubten, dass die Amerikaner sie niemals angreifen würden, solange sie einen Gegenschlag gegen Israel ausführen könnten. Das erscheint aber inzwischen als obsolet, da Amerikaner und Israelis Waffen entwickelt haben, die den iranischen überlegen sind.
Tod Soleimanis eine Niederlage für den Iran
Heinemann: Hat der Tod von General Soleimani die Lage im gesamten Nahen und Mittleren Osten verändert?
Kepel: Ja, denn es hat erstens gezeigt, dass die Vereinigten Staaten vielleicht keinen Staatschef aber doch immerhin die Nummer 1 b in der politischen Hierarchie des Iran liquidieren können. Und das heißt natürlich sehr viel. Und zweitens bedeutet es eine große Veränderung auch für den Iran: General Soleimani hätte einen Übergang in eine stärker nationalistische und weniger islamistische Richtung im System der Islamischen Republik sicherstellen können. Seine Liquidierung sorgt für ein weiteres Machtspiel innerhalb des Klerus, und sie schwächt das Lager der Revolutionsgarden.
Heinemann: Das bedeutete eine Schwächung der Macht des Anführers Chamenei.
Kepel: Ja, denn für den Iran ist es eine schreckliche Niederlage. Der mächtigste Militär konnte einfach so ausgelöscht werden.
IS hat operationelle Kapazitäten verloren
Heinemann: Zum Schluss eine persönliche Frage: Der "Islamische Staat" (IS) hat ein Todesurteil gegen Sie ausgesprochen. Wie leben Sie mit dieser Bedrohung?
Kepel: Inzwischen ganz gut, denn alle diejenigen, die mich zum Tode verurteilt haben, sind inzwischen ebenfalls durch amerikanische, französische und andere Drohnen, wenn ich so sagen darf, vaporisiert worden, wie General Soleimani. Der IS hat seine operationellen Kapazitäten verloren. Die Attentate, die weiterhin durchgeführt werden, haben nicht mehr die gleichen Ausmaße.
Es gibt Messerangriffe, die meistens von Individuen durchgeführt werden, die in salafistischen oder anderen Moscheen einer Gehirnwäsche unterzogen wurden. Sie sind aber nicht mehr in der Lage, Anschläge wie den auf "Charlie Hebdo" durchzuführen. Der IS und die Islamisten, die sich für zugehörig erklären, suchen nach neuen Aktions-Formen. Gegenwärtig haben sie das aber noch nicht geschafft.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.