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Islamische Beerdigungen
Ende der Sargpflicht in Bayern?

Ohne Sarg, nur im Leintuch, ausgerichtet nach Mekka: So werden Muslime traditionell beerdigt. Auf deutschen Friedhöfen ist das nicht immer möglich. Bayern hat beschlossen: Verstorbene müssen nicht mehr grundsätzlich in einem Sarg beerdigt werden. Doch passiert ist bis heute nichts.

Von Burkhard Schäfers |
Verwelkte Rosen und Grabsteine stehen auf dem muslimischen Gräberfeld auf dem Friedhof Stöcken in Hannover (Niedersachsen).
Nach Mekka gerichtet, in ewiger Totenruhe - ein islamisches Gräberfeld in Hannover (dpa / Hauke-Christian Dittrich)
"Jede Seele wird den Tod kosten. Und erst am Tag der Auferstehung wird euch euer Lohn in vollem Maß zukommen." So heißt es in der dritten Sure im Koran, der Muslimen Hoffnung macht für die Zeit nach dem Tod. Bei einer islamischen Bestattung wird auch aus dem Koran zitiert.
Die religiöse Tradition sieht besondere Rituale vor, wenn ein gläubiger Muslim gestorben ist, sagt die Religionspädagogin Gönül Yerli und verweist auf die Waschung oder das Totengebet: "Die Frage, die sofort kommt, ist: Wo können wir bestatten? Wie kann eine muslimische Bestattung in der Tradition auch hier in Deutschland funktionieren? Das heißt: Kommt der Imam, liest er am Grab aus dem Koran? Und vor allem, wo können wir uns versammeln, damit die Trauergemeinde auch Anteil an diesem Tod hat?"
Bestattung im Leintuch
Yerli ist Vizedirektorin der islamischen Gemeinde im oberbayerischen Penzberg. Zur Gemeinde gehören etwa 1000 Muslime. Ein Thema, das Angehörige immer wieder umtreibt: Können wir unsere Verstorbenen ohne Sarg bestatten – im Leintuch, so wie es die islamische Tradition vorsieht? Yerli:
"Muslime werden ja in weißen Tüchern beerdigt. Und weiß steht für die Reinheit. Der Mensch soll mit einem reinen Gewissen wieder zu Gott zurückkehren. Und vor der Einhüllung in dieses weiße Tuch wird ja auch der Körper gewaschen. Also es hat eine sehr schöne Symbolik."
Selbstbestimmt am Lebensende: Islam
Allah entscheidet über den Todeszeitpunkt, der Mensch kann nicht frei über seinen Körper verfügen. Selbsttötung ist eine große Sünde. So sagt es die reine Lehre. Aber sollte Gottes Barmherzigkeit auf dem Sterbebett enden?
Muslimen ist nur die Erdbestattung erlaubt. Im Grab werden die Verstorbenen auf die rechte Seite gebettet, mit Blick in Richtung Mekka. Muslimische Gräber sollen in der Regel möglichst schlicht und unauffällig aussehen. Die sarglose Bestattung habe eine jahrhundertelange Geschichte, erklärt Gönül Yerli:
"Die Ursprungsform, wenn wir wieder zurückgehen auf die Erstgemeinde des Islams im siebten Jahrhundert: In der Zeit des Propheten Mohammed gab es schlichtweg auch wenig Gehölz in der Wüste. So dass man nicht nur Muslime ohne Sarg beerdigt hat, sondern die gesamte Gesellschaftsordnung der damaligen Zeit hat diese Art der Beerdigung bekommen, also ohne Sarg."
Sargbestattung - theologisch umstritten
Heute, in Deutschland, sehen die Gesetze hingegen im Normalfall einen Sarg vor. Bestatter sagen, das habe kulturelle und hygienische Gründe. Zudem sei der geschlossene Luftraum hilfreich für die Verwesung. Indes: Unbedingt notwendig, etwa um andere vor Infektionen zu schützen, seien Särge meistens nicht.
Umgekehrt gibt es auch Muslime, die kein Problem damit haben, in einem Sarg beerdigt zu werden, so die Erfahrung des bayerischen Bestatterverbandes. Die Penzberger Religionspädagogin Yerli bestätigt das:
"Die Sargbestattung ist theologisch eine umstrittene Sache. Es gibt Theologen, Theologinnen, die sich dazu äußern und sagen, Sarg ist eigentlich gar nicht so das Ausschlaggebende. In den muslimischen Ländern selbst ist tatsächlich eine Bestattung ohne Sarg vorgesehen."
Im Vordergrund ein Grabstein mit arabischer Schrift, dahinter weitere Grabsteine (unscharf).
Sterben im Islam
Im Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit zu leben – das spielt im Islam eine zentrale Rolle. Doch unter heutigen Muslimen in Deutschland nimmt der Glaube an Jenseits und Auferstehung ab, sagen Experten. Der islamische Umgang mit dem Tod wandelt sich.
Wie emotional also ist das Thema wirklich? In jüngerer Zeit haben fast alle Bundesländer ihre Verordnungen überarbeitet, so dass sarglose Bestattungen einfacher möglich sind. Nur Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt haben strengere Regeln. Der bayerische Landtag hatte ein Jahrzehnt lang immer wieder darüber debattiert. Bis die Abgeordneten vor einem Jahr beschlossen, die Pflicht zur Sargbestattung zu lockern. Allerdings hat die Staatsregierung die dafür notwendige Verordnung immer noch nicht fertig. Erst Anfang kommenden Jahres soll sie in Kraft treten.
Richtig und falsch
Kommt die Liberalisierung womöglich zu spät? Sprich zu einem Zeitpunkt, an dem sich mehr und mehr Muslime ohnehin der hiesigen Bestattungskultur annähern? Auf lange Sicht betrachtet sei islamisches Recht bis zu einem gewissen Grad flexibel, sagt Robert Langer, Professor für Religionswissenschaft an der Münchner Universität der Bundeswehr. Aber:
"Man muss berücksichtigen, dass der Tod ein ganz einschneidender Punkt ist. Ich glaube, dass man deshalb ganz besonders darauf achtet und vor allem auch angewiesen ist auf Spezialisten, die einem sagen, was richtig und falsch ist, weil das ja nicht alle Tage vorkommt. Und insofern da auch die stärkste Kraft wirkt, die Tradition aufrechterhalten will – im Vergleich zu anderen mit Religion verbundenen lebenszyklischen Momenten."
Nach wie vor würde eine Mehrheit der deutschen Muslime ihre Verstorbenen im Herkunftsland beerdigen, so der Religionswissenschaftler. Es gibt dazu keine genauen Zahlen – Experten gehen von 50 bis 80 Prozent aus, die in die Herkunftsländer überführt werden.
"Zumal – man kann es vielleicht von der Seite etwas empirisch fassen – es nach wie vor diese Begräbnisversicherungen gibt. Bestimmte Fonds, die von islamischen Gruppen und Gemeinschaften bis hin zu den Aleviten angeboten werden. Die eben gerade dazu da sind, die Überführungskosten und die Kosten des Begräbnisses im Herkunftsland zu decken."
Wildwuchs statt Gräberpflege
Allerdings dürfte sich künftig eine wachsende Zahl von Muslimen für eine Beerdigung hierzulande entscheiden. Insbesondere diejenigen, die in zweiter und dritter Generation in Deutschland leben. Manche Friedhöfe, gerade in Großstädten, richten für islamische Bestattungen eigene Grabfelder ein. Auch im oberbayerischen Penzberg hat die islamische Gemeinde auf dem kommunalen Friedhof einen eigenen kleinen Bereich mit derzeit vier Gräbern, erzählt Vizedirektorin Gönül Yerli.
"Es musste ja auch die Richtung nach Mekka stimmen auf diesem Platz. Das andere ist, dass wir die Möglichkeit haben, direkt am Friedhof die Totenwäsche vorzunehmen. Eine andere wichtige Sache ist, dass wir erklären mussten, dass die Gräberpflege bei den Muslimen vielleicht nicht dem entspricht, was man sonst hier in Deutschland sieht. Sondern, dass es tatsächlich auch eine Art Wildwuchs gibt über die Grabstellen hinweg."
Tod in Zeiten von COVID-19
Berührung ist wichtig, auch für sterbende Menschen. Religiöse Sterberituale sind mit Hautkontakt verbunden. In Pandemiezeiten ist diese Praxis in Gefahr. Drei Mitglieder des Deutschen Ethikrates haben diskutiert, wie die Sterberituale zu retten sind.
Und noch etwas sei Muslimen wichtig: Das unbegrenzte Ruherecht.
"Es hat auch hier einen theologischen Grund: Dass der Körper wieder zur Ewigkeit erweckt wird, genau an dem Ort, wo ich hier auf der irdischen Erde meinen Tod fand. Und Gott wird diesem Körper die Seele wieder zuführen. Deshalb ist diese ewige Totenruhe auch tatsächlich zumindest in den muslimischen Herkunftsländern bis heute gewährt."
Mehr Bestattungen vor Ort
Sarglose Bestattung, Totenwaschung, schlichte Gräber ohne Grabstein und ewiges Ruherecht: Ob all das hierzulande auf öffentlichen Friedhöfen möglich ist, hängt im Einzelfall von der örtlichen Friedhofssatzung ab. Denn jedes Bundesland und jede Gemeinde regelt das Bestattungswesen unterschiedlich. Religionswissenschaftler Robert Langer plädiert daher für spezielle muslimische Friedhöfe:
"Man muss sehen, dass die Muslime in der Diaspora oftmals auf den Goodwill von Behörden und einzelnen Personen in Behörden angewiesen waren. Es gab ja schon immer eine gewisse Flexibilität. Aber es ist dann auch immer mit einem gewissen Stress verbunden, ob man das Begräbnis so durchführen kann, wie man es als notwendig ansieht. Und insofern ist es wahrscheinlich für alle Beteiligten eine Erleichterung, wenn das zustande käme."
Wobei die Frage ungeklärt ist, wer die Trägerschaft für muslimische Friedhöfe übernehmen könnte. Denn kaum eine islamische Gemeinde hierzulande ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt.
Unabhängig von den rechtlichen Hürden prognostiziert Gönül Yerli: Die Zahl der Überführungen in die Herkunftsländer werde sinken.
"Ich denke da jetzt an meine eigenen Kinder und vielleicht sogar auch an meine Enkelkinder. Dass unsere Kinder zum Beispiel sagen: Mama, Papa, wir wollen schon, dass wenn’s denn mal so weit ist, dass wir euch gerne weiterhin hier haben wollen. Im Sinne von, dass ich da eine Heimat habe, wo ich vielleicht auch diese Trauer verarbeiten kann."
Immer mehr deutsche Muslime dürften sich also künftig für einen Trauerort in der Nähe entscheiden.