
Island ist Gründungsmitglied der North Atlantic Treaty Organisation, der NATO – hat aber weder ein eigenständiges Verteidigungsministerium noch eine Armee. Für den Ernstfall hat die etwa 400.000 Einwohner zählende Insel im Nordatlantik ein Verteidigungsabkommen mit den USA.
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine stellt sich in Island zunehmend die Frage, ob das Land eine eigene Armee benötigt. Der Großteil der Bevölkerung möchte aber lieber ohne eigene Armee bleiben. Experten sehen das kritisch – und bringen auch eine EU-Mitgliedschaft ins Spiel.
Land ohne Armee, nicht ohne Verteidigung
Die USA haben sich in einem bilateralen Abkommen verpflichtet, Island im Fall eines Angriffs zu verteidigen. Im Gegenzug dürfen US-Streitkräfte und Militäreinrichtungen auf der Insel stationiert werden.
Innerhalb der NATO genießt das nordische Land einen Sonderstatus, auch bei den Rüstungsausgaben: Island gibt lediglich 0,15 Prozent seines Bruttosozialprodukts für Verteidigung aus. Zum Vergleich: Deutschland investierte im Jahr 2024 1,9 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts. Die Sicherung des isländischen Luftraums übernehmen nach Angaben der Bundesregierung im Wechsel NATO-Partner.
Wegen seiner geografischen Lage ist Island demnach von großer Bedeutung für die Frühwarnfähigkeit der NATO. Die Insel dient zudem als wichtiger Logistik- und Anlaufpunkt – auch für die Deutsche Marine.
Island diskutiert über eine eigene Armee
Infolge des Ukraine-Kriegs werden höhere Verteidigungsausgaben und eine Umwandlung der Küstenwache in eine Armee gefordert. Die isländische Regierung reagierte bereits: Künftig sollen 1,5 Prozent des Bruttosozialprodukts in verteidigungsbezogene Investitionen fließen, erklärt Verteidigungsdirektor Jónas G. Allansson. Auch die Küstenwache solle weiter ausgebaut werden. Allansson leitet die Verteidigungsabteilung des Außenministeriums – und damit eine Armee, die es nicht gibt. In Island ist das Außenministerium für Verteidigungsfragen zuständig. Auch ohne Armee nimmt Allansson als Generalinspekteur an Treffen mit den anderen NATO-Armeechefs teil.
Die Küstenwache, eine etwa 250 Personen starke zivile Einheit, ist bereits aktiver geworden: Sie kontrolliere beispielsweise regelmäßig, ob sich Schiffe der russischen Schattenflotte oder russische U-Boote in isländischen Hoheitsgewässern befinden, so Asgrimur Asgrimsson, Geschäftsführer der Einheit. Auch die Aktivitäten von NATO-Verbündeten auf Island haben zugenommen, so Asgrimsson. „Es laufen deutlich mehr NATO-Kriegsschiffe und -U-Boote unsere Häfen an.“
Weitere Neuerungen zeichnen sich ab: Ein parteiübergreifendes Parlamentskomitee übergab Außenministerin Thorgerdur Katrín Gunnarsdóttir kürzlich Vorschläge für eine umfangreiche Reform der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Einer der Vorschläge könnte auch eine eigene Armee für Island bedeuten, sagt Verteidigungsdirektor Jónas G. Allansson.
Umfrage: Isländer lieber ohne eigene Armee
Die Isländerinnen und Isländer selbst sind offenbar skeptisch gegenüber den Verteidigungsplänen ihrer Regierung. Einer aktuellen Umfrage zufolge lehnen drei von vier Isländerinnen und Isländern eine Armee ab.
Der 21-jährige Randar, Passant in einem Vorort der Hauptstadt Reykjavik, beispielsweise sieht die Sicherheit des Landes „in Händen anderer Länder gut aufgehoben“. Er ist Arbeiter in einem Aluminiumwerk. Ähnlich argumentiert auch der 75-jährige Penionär Kristinn. Auch die die 65-jährige Arsa lehnt eine eigene Armee ab. Island solle sich aus dem „Konflikt“ Russlands mit der Ukraine heraushalten, sagt die Lieferantin von Arbeitskleidung.
Politologe Eiríkur Bergmann sieht eine wachsende Gefahr durch Russland. Gleichzeitig werde die Abhängigkeit von den USA auf die Probe gestellt. Zum einen habe sich das Verteidigungsabkommen mit den USA in Trumps zweiter Amtszeit als US-Präsident als „viel zweideutiger“ herausgestellt, als gedacht.
Zum anderen sieht Bergmann in Trumps Grönland-Vorstoß ebenfalls eine direkte Gefahr für Island. „All die Argumente, die die US-Administration vorgebracht hat, warum sie Grönland erwerben will, lassen sich eins zu eins auf Island übertragen.“ Und er fügt hinzu: „Wir liegen in derselben geostrategischen Interessensphäre.“
Nordatlantik: Entscheidend auch für Europa
Der Nordatlantik sei etwa aus geostrategischen Gründen für die Sicherheit der NATO von zentraler Bedeutung, erklärt Islands Verteidigungsdirektor Jónas G. Allansson. Zum Beispiel wegen der russischen Nordmeer-Flotte. Es sei sehr wichtig, genau im Auge zu behalten, wo die sich befindet. „Und sie davon abzuhalten, in Aktion zu treten.“ Auch wenn diese seit kurz nach Beginn des Ukrainekrieges im Jahr 2022 – zumindest offiziell – nicht mehr in isländischen Gewässern aufgetaucht ist.
Doch Russland und auch China haben den Nordatlantik ins Visier genommen – etwa wegen strategischer Interessen. Zudem hat US-Präsident Trump ein Auge auf Islands Nachbarn Grönland geworfen, das zur Arktis gehört und 300 Kilometer von Island entfernt liegt.
Und es gelte, so Allansson: „Was sich in der Arktis abspielt, wirkt sich auch auf Island aus.“ Durch den Klimawandel gibt es neue Seerouten in der Arktis – und damit mehr Möglichkeiten, Rohstoffe auszubeuten.
„Deshalb ist die Zusammenarbeit mit den USA auch so wichtig“, sagt Jónas G. Allansson. Der gemeinsame Hauptfokus liege auf der U-Boot-Abwehr in der sogenannten GIUK-Lücke. Diese Greenland Iceland United Kingdom Gap ist ein strategisch wichtiger See- und Luftkorridor im Nordatlantik zwischen Grönland, Island und Großbritannien, heißt es auf der Webseite des Bundesverteidigungsministeriums. Diese Lücke verbindet das Europäische Nordmeer mit dem offenen Atlantik und ist für die NATO entscheidend bei der Beobachtung potenzieller Bedrohungen, vor allem russischer U-Boote.
Zwar erhebt Russland zumindest aktuell keinen Anspruch auf Länder wie Island oder Grönland. Doch Islands Verteidigungsdirektor weist auf eine größere Dimension der GIUK-Lücke hin: Sie sei sowohl für die Sicherheit des US-amerikanischen Festlandes als auch für Europa von großer Bedeutung.
Deutschland reagierte bereits: Es will die sicherheitspolitische und militärische Zusammenarbeit mit Island im Nordatlantik und in der Arktisregion Island ausbauen – bekundet im Oktober 2025 in einer Absichtserklärung. Als Hintergrund genannt wurden wachsende russische Aktivitäten in der Arktis und Bedrohungen für Unterseekabel und Handelsrouten.
Diskussion über EU-Annäherung
Aufgrund des zunehmend unsicher wirkenden Verteidigungsabkommens mit den USA und der veränderten Bedrohungslage, die Eiríkur Bergmann für Island erkennt, spricht der Politikwissenschaftler eine klare Empfehlung aus: Die Insel sollte sich nach alternativen Sicherheitspartnerschaften umschauen. Eine Möglichkeit: die Europäische Union. „Die europäische Frage beschäftigt uns schon seit vier Jahrzehnten.“ Bislang sei Island der EU aus wirtschaftlichen und Souveränitätsgründen ferngeblieben. „Doch inzwischen kommt eine EU-Mitgliedschaft schon eher in Frage“, so Bergmann.
Die isländische Regierung hat die EU auch bereits im Visier: Bis spätestens 2027 will sie ein Referendum über die Wiederaufnahme der EU-Beitritts-Verhandlungen abhalten. Bis dahin könnte auch die Frage geklärt sein, ob Island eine eigene Armee aufstellt. Entsprechende Pläne sollen bereits in den Schubladen des Außenministeriums liegen.
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