
Seit Wochen gehen Hunderttausende Menschen in Israel auf die Straße. Den Grund dafür hatte Justizminister Jariv Levin geliefert, als er im Januar die neue Justizreform vorgestellt hat. Kurz zuvor war die neue rechts-religiöse Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vereidigt worden.
Netanjahu gewann bei den Wahlen im November 2022 unerwartet hoch, er steht seitdem der am weitesten rechts stehenden Regierung der israelischen Geschichte vor. Die ultranationalistischen und ultraorthodoxen Mitglieder der Regierung sind sich nicht in allem einig, wohl aber über ein Ziel: die israelische Justiz zu schwächen und die Kontrolle der Regierung über Gerichte und Beamte zu verstärken.
Worum geht es bei der geplanten Justizreform in Israel?
Der geplante Umbau des israelischen Rechtssystems zielt vor allem darauf ab, die Kontrolle der Knesset durch eine unabhängige Gerichtsbarkeit abzuschaffen. Bisher überprüfte der Oberste Gerichtshof die Rechtmäßigkeit von Gesetzen, Verordnungen und Erlassen. Künftig soll nun das Parlament das Recht haben, Entscheidungen der Obersten Richter mit einfacher Mehrheit zu überstimmen. Damit könnte die Regierung Gesetze durchsetzen, die höchstrichterlich abgelehnt wurden.
Die Pläne der Netanjahu-Regierung sehen zudem vor, dass in dem Ausschuss, der über die Ernennung und Entlassung von Richtern entscheidet, zukünftig Abgeordnete die Mehrheit stellen sollen. Dadurch würde der politische Einfluss bei der Richterwahl steigen.
Kritiker sehen durch die Reform die Demokratie in Gefahr. Denn die Parteien, die die Regierung bilden und über eine Mehrheit in der Knesset verfügen, würden mehr Macht erhalten.
In Israel gibt es keine geschriebene Verfassung, sondern eine Sammlung von Grundgesetzen, die zusammen eine Art Verfassung bilden. Weil es unter anderem keine zweite Parlamentskammer gibt, kommt dem Obersten Gericht die Rolle zu, die Regierung zu kontrollieren.
Warum ist der Protest gegen die Justizreform so heftig?
Vielerorts herrscht auf den Straßen Israels Aufruhr. Demonstranten mit Israel-Fahnen blockierten in Tel Aviv eine wichtige Straße nach Jerusalem. In Jerusalem durchbrachen wütende Menschen eine Straßensperre neben Netanjahus Wohnhaus.
Universitäten verkündeten aus Protest gegen die Reformpläne einen vorläufigen Unterrichtsstopp. Seit Wochen ist von wachsendem Unmut im Militär die Rede, viele Reservisten waren zuletzt nicht zum Dienst erschienen.
Für Yaniv Roznai, Experte für Verfassungsrecht, bedeutet die Reform etwa die Zerstörung jeder wirksamen richterlichen Kontrolle. "Es ist eine krasse Untertreibung, dieses Gesetzespaket eine Reform zu nennen. Es läuft auf einen radikalen Paradigmenwechsel hinaus und würde die Exekutive mit absoluter Macht ausstatten", sagte Roznai der "Neuen Zürcher Zeitung".
Wie will Netanjahu seine Pläne noch durchsetzen?
Am 27. März reagierte Premierminister Netanjahu auf die Proteste. Er kündigte an, das Tempo bei der Reform zu verringern. Weitere Teile des Gesetzes sollen erst nach den Parlamentsferien Ende April beraten und beschlossen werden. Tags zuvor hatte Netanjahu seinen Verteidigungsminister Joaw Galant entlassen, weil dieser einen Stopp der Reform gefordert hatte.
Mit der aktuellen Pause bei der Umsetzung der Reformpläne ist noch nicht geklärt, ob Netanjahu auch inhaltliche Zugeständnisse machen wird oder nur auf Zeit spielt. So wird Justizminister Jariv Levin in israelischen Medien mit den Worten zitiert: "Wir müssen smart sein, wir bringen die Reform später durch." Die Kritiker der Regierung befürchten, dass von den Plänen nichts gekippt wird.
Das Vorhaben zur Justizreform ist inzwischen in über 150 Einzelgesetze zerfasert, entsprechend unübersichtlich ist die Lage geworden. Welche Teile die Regierung mit welcher Priorität angehen wird, ist unklar. Die Aufteilung in Einzelgesetze ermöglicht der Regierung, Teile der Reform Stück für Stück durchzubringen
Was sind weitere Ziele der ultrarechten Regierung in Israel?
Die Justizreform ist nur ein, aber ein großer Teil des angestrebten Umbaus des israelischen Staates, den Netanjahu in seiner Amtszeit angehen will. So hat er, wie im Koalitionsvertrag festgehalten, den jüdischen Anspruch auf das gesamte Land erhoben. Oberste Priorität soll der Siedlungsausbau bekommen, und zwar auch in den Gebieten, die für den künftigen palästinensischen Staat vorgesehen sind.
Dabei dürfte Itamar Ben-Gvir eine zentrale Rolle spielen. Der rechtsextreme Politiker ist in der neuen Netanjahu-Regierung der Minister für Nationale Sicherheit und wird in seiner Funktion Israels Sicherheitskräften mehr Freiraum bei der Anwendung von Gewalt geben.
Außerdem ist es das Bestreben Netanjahus, den Einfluss der religiösen Institutionen auf das öffentliche Leben zu erweitern.
Wie reagiert das Ausland auf die Justizreform in Israel?
Vor allem aus den USA, dem traditionell engsten Verbündeten, ist der Druck auf die israelische Regierung groß. So hat US-Präsident Joe Biden die Justizreform scharf kritisiert. Er sei als überzeugter Unterstützer Israels besorgt, sagte Biden auf die Frage nach dem Zustand der Demokratie in dem Land. Er hoffe, dass Netanjahu die Pläne aufgebe.
Dass der israelische Regierungschef immer noch keine Einladung zu einem Staatsbesuch in die USA erhalten hat, gilt als Affront gegenüber Netanjahu und zeigt, wie kritisch er in den USA gesehen wird.
Kritik bei Netanjahu-Besuch in Berlin
Europäische Länder, darunter auch Deutschland, hat Benjamin Netanjahu dagegen seit seinem Amtsantritt Ende vergangenen Jahres bereits besucht. Kritik wurde bei seinem Besuch in Deutschland am 16. März geäußert. So sagte Bundeskanzler Olaf Scholz, man verfolge mit großer Sorge, was in Israel passiere. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich beunruhigt über den Umbau des Rechtsstaates in Israel. Das ist bemerkenswert, denn der Bundespräsident äußert sich selten so offen in außenpolitischen Dingen.
Quelle: Deutschlandfunk, dpa, KNA, NZZ, mick, pto