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Israel-Palästina-Konflikt
Saeb Erekat: Zwei-Staaten-Lösung einzige Option

Für den Frieden im Nahen Osten gebe es nur eine Option, sagte Saeb Erekat, Chefunterhändler der Palästinenser, im Dlf: Israel und Palästina als "zwei Staaten, die Seite an Seite in Sicherheit und Frieden bestehen". Die USA unter Trump hätten sich jedoch dafür disqualifiziert, Friedensverhandlungen zu leiten.

Saeb Erekat im Gespräch mit Benjamin Hammer | 04.12.2018
    Saeb Erekat, palästinensischer Chefunterhändler im November 2014 bei einer Pressekonferenz in Kairo.
    Vor einem Jahr, am 6. Dezember 2017, hat Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt - die Führung der Palästinenser lehnt das strikt ab (picture alliance / Amr Nabil)
    Für einen Mann mit dieser Krankenakte sieht Saeb Erekat ziemlich gesund aus. Er fühle sich gut, sagt er, er laufe jeden Tag sieben Kilometer. Saeb Erekat hat vor einem Jahr eine neue Lunge bekommen. Er sitzt in einem Ledersessel in seinem Büro in Ramallah. Hinter ihm an der Wand hängt ein großes Foto der Altstadt von Jerusalem.
    Saeb Erekat: "Ich bin dem Tod von der Schippe gesprungen. Auf dem Weg in den Operationssaal habe ich große Traurigkeit gefühlt. Dass ich vielleicht gehen muss, ohne das zu erreichen, wonach ich mein Leben lang strebe. Ich habe nur eine Sache auf meiner Agenda: Ich möchte Frieden schließen."
    "Wenn es keinen Frieden gibt, wird Blut fließen"
    Benjamin Hammer: Sie haben einen großen Teil ihres Lebens für einen palästinensischen Staat gekämpft. Einen solchen Staat gibt es aber nicht und es sieht nicht danach aus, dass er in Reichweite ist. Sind Sie müde und frustriert?
    Erekat: Ich bin nicht müde. Ich bin nicht frustriert. Ich kenne die Fakten. Die Juden werden doch nach 5700 Jahren nicht auf einmal zum Islam oder zum Christentum konvertieren und zu Palästinensern werden. Wir wiederum werden nicht zum Judentum konvertieren und keine Israelis. Es gibt nur eine Option: Zwei Staaten, die Seite an Seite in Sicherheit und Frieden bestehen. Leben und leben lassen. Wenn es keinen Frieden gibt, wird Blut fließen. Und das ist traurig.
    Hammer: Sie haben mit mehreren US-Regierungen verhandelt und mehrere US-Präsidenten getroffen. Was unterscheidet Donald Trump und seine Berater von seinen Vorgängern?
    Erekat: Sie sind anders. Die Grundhaltung früherer US-Regierungen war immer: Zwei Staaten entlang der Linie von 1967, ein Tausch von Gebieten, wo diese Linie nicht eingehalten werden kann. Verhandlungen über die Frage von palästinensischen Flüchtlingen und Wasserressourcen. Dann kam die Trump-Regierung. Ich habe diese Leute 37 Mal getroffen. Jedes Mal haben sie sich geweigert, zu sagen: Wir wollen zwei Staaten entlang der Linie von 1967. Jedes Mal haben sie sich geweigert, zu sagen: Israelische Siedlungen sind illegal und stehen dem Frieden im Weg. Es ist ganz klar: Diese Menschen haben sich disqualifiziert, irgendeine Rolle im Friedensprozess zu spielen.
    Fatah und Hamas "in jeder Hinsicht" unterschiedlich
    Doch aktuell spielt auch der Chefunterhändler Saeb Erekat keine große Rolle mehr. Seitdem Donald Trump vor einem Jahr Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hat, weigern sich die Palästinenser, mit Vertretern der US-Regierung auch nur zu sprechen. Die Führung der palästinensischen Autonomiebehörde ist in der eigenen Bevölkerung unbeliebt. Der palästinensische Präsident Machmud Abbas ist 83 Jahre alt und weigert sich, die Macht abzugeben. Die letzten Wahlen liegen zwölf Jahre zurück. Und dann ist da noch der Machtkampf von Erekats Fatah-Partei mit der Hamas. Die kontrolliert den Gazastreifen seit Jahren. Eine Versöhnung zwischen den beiden Bewegungen ist mehrfach gescheitert.
    Erekat: Wir von der Fatah-Partei und die Hamas unterscheiden uns in jeder Hinsicht. Bei sozialen Fragen, Frauenrechten, der Wirtschaft, der Bildung. Aber ich kann die Hamas nicht ausradieren. Und die Hamas kann mich nicht ausradieren. Ich sage also: Wenn wir Streitfragen haben, sollten wir die Wahlzettel sprechen lassen. Und nicht die Waffen. Und dieses Prinzip muss die Hamas akzeptieren.
    Hammer: Lassen Sie uns noch einmal auf Jerusalem schauen. Die USA und Israel argumentieren: Wenn sich die Palästinenser weigern, zu verhandeln, dann machen wir es eben ohne sie. Dann wird es weitere Entscheidungen geben, wie die Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt. Und trotzdem weigern Sie sich im Moment, Vertreter der US-Regierung zu treffen.
    Erekat: Schauen Sie. Mein Präsident kann Ramallah nicht verlassen, ohne vorher die Genehmigung des israelischen Armeekommandeurs in der Siedlung Beit El einzuholen. Ich hätte heute nicht von Jericho nach Ramallah kommen können, um sie zu treffen, wenn die Israelis mir das nicht gestattet hätten. Wir leben unter Besatzung. Und jetzt sagen die USA: Jerusalem ist Israels Hauptstadt. Sie haben das Geld für das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge gestrichen. Sie haben mein Vertretungsbüro in Washington geschlossen. Also: Worüber wollen die Amerikaner mit mir überhaupt noch sprechen? Sie haben mich in eine Position gebracht, in der ich nichts mehr zu verlieren habe.
    Friedensprozess: "Europa kann führen"
    Hammer: Glauben Sie, dass die Europäische Union und Deutschland helfen können?
    Erekat:: Absolut. Europa kann führen. Als Präsident Abbas gefragt wurde: "Wer soll vermitteln?", antwortete er: Die Europäische Union. Dabei geht es doch auch um unsere geografische Nähe: Die Europäer sind neben den Arabern die zweiten Opfer der Verbrecher und Mörder des islamischen Staates. Warum also kann Europa in unserer Region nicht führen? Warum führen sie nicht bei Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern? Aber: Wenn Europa "Zwei Staaten" sagt, warum erkennt Europa dann nur Israel an? Und nicht Palästina?
    Hammer:: Wir hören immer wieder einen Vorwurf, von jenen, die auf der Seite Israels stehen. Diese Leute kritisieren scharf, dass die palästinensische Autonomiebehörde Geld an Familien von Terroristen zahlt, die entweder im Gefängnis sitzen oder bei ihren Angriffen getötet wurden. Ihre Kritiker sagen, dass Sie damit den Terrorismus unterstützen. Warum machen Sie das?
    Erekat:: Am 13. Dezember 2016 war mein Neffe auf dem Weg von einem Vorort von Jerusalem nach Ramallah. Er war ein Offizier des palästinensischen Geheimdienstes. Er musste an einem israelischen Checkpoint anhalten. Es kam zum Streit. Er schoss auf sie. Auch die Israelis schossen und töteten ihn. Mein Neffe hinterließ drei Töchter und seine Ehefrau. Was soll ich mit denen machen? Sie gemeinsam mit ihrem Vater begraben? Natürlich haben wir eine soziale Verantwortung. Unseren Gefangenen gegenüber, unseren Märtyrern gegenüber. Wir tun das seit 1967.
    "Märtyrer" so bezeichnen die Palästinenser auch Attentäter, die bei ihren Angriffen ums Leben kommen.
    Hammer:: Was bedeutet Ihnen Jerusalem?
    Erekat:: Jerusalem bedeutet für mich: meine Kultur. Mein Glaube. Meine Religion. Meine Psychologie. Meine Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Es ergibt keinen Sinn einen palästinensischen Staat zu haben, wenn Ost-Jerusalem nicht die Hauptstadt ist.
    Hammer: Glauben Sie, dass Ihre Kinder oder zumindest Ihre Enkelkinder eines Tages in einem Staat leben werden, der "Palästina" heißt?
    Erekat:: Absolut!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.