Donnerstag, 02. Mai 2024

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Israelfeindlichkeit und religiöse Toleranz
"Gegenüber Menschenfeindlichkeit weicht man nicht zurück"

In Deutschland nehme man nicht zu viel Rücksicht auf arabische Interessen, "eher im Gegenteil", sagte der religionspolitische Sprecher der Grünen und Sprecher der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe, Volker Beck, im DLF. Allerdings dürfe man auch keine Rücksicht auf judenfeindliche Einstellungen nehmen, fügte er mit Blick auf die Debatte um das Kempinski-Hotel hinzu.

Volker Beck im Gespräch mit Christine Heuer | 12.08.2016
    Volker Beck (Grüne) spricht am 03.06.2016 im Deutschen Bundestag in Berlin.
    Es sei "kein Skandal", wenn Israel auf einer Telefonliste fehle. Wenn aber ein Hotelangestellter meine, dass man das aus Rücksichtnahme auf arabische Gäste mache, sei das jedoch bedenklich, sagte Volker Beck (Grüne). (dpa)
    "Shoa"-Regisseur Claude Lanzmann hatte öffentlich gemacht, dass das Hotel Kempinski in Berlin die Vorwahl Israels nicht im Telefonbuch listete, offenbar aus Rücksicht auf arabische Kunden. Die Geschichte machte die Runde, der Zentralrat der Juden drohte mit Kempinski-Boykott.
    Es sei "kein Skandal", wenn Israel auf einer Telefonliste fehle. Wenn aber ein Hotelangestellter meine, dass man das aus Rücksicht auf arabische Gäste mache, sei das bedenklich, sagte Beck. Er glaube sowohl Kempinski, dass man dort keinerlei israelfeindliche Intentionen habe, nur um arabische Gäste nicht zu verprellen, als auch Lanzmann bei der Darstellung seiner Geschichte. Allerdings: "Die Frage ist, wie es zu der Aussage des Hotelangestellten kommt."
    Nicht zu viel Rücksicht auf arabische Interessen in Deutschland
    Beck sagte, man nehme in Deutschland nicht zu große Rücksicht auf arabische Interessen. Er habe eher das Gefühl, dass man religiösen Vorschriften nicht hinreichend mit Respekt begegne. Etwas anderes wäre es, so Beck, wenn man Rücksicht darauf nehme, dass Leute gegenüber Juden feindlich eingestellt seien. Es herrsche zu viel Gleichgültigkeit hinsichtlich religiöser Intoleranz und Feindseligkeit. "Demokratie muss da Grenzen setzen", sagte Beck, und die Zivilgesellschaft sei gefordert. Die Historie habe bewiesen, wohin Gleichgültigkeit gegenüber solchem Hass führen könne.
    Der islamistische Terror mache zwar vielen Leuten Angst. Aber einige begingen den Fehler, "Muslime insgesamt unter den Verdacht zu stellen, sie würden damit etwas zu tun haben." Beck forderte einen verstärkten Dialog zwischen Atheisten und den verschiedenen Religionen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Am Telefon begrüße ich Volker Beck, religionspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, er ist auch Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe. Guten Morgen, Herr Beck!
    Volker Beck: Guten Morgen!
    Heuer: Sie haben gestern, als Sie den Artikel von Claude Lanzmann wie viele andere gelesen hatten, gleich auf Twitter reagiert und dort geschrieben, Sie wollten nun Kempinski schreiben. Was genau haben Sie Kempinski mitgeteilt?
    Beck: Also, ich habe nachgefragt – als ich den Brief geschrieben hatte, war ja schon die Pressemitteilung von Kempinski raus –, wie man sich die Äußerungen, die Herr Lanzmann zitiert von einem Hotelangestellten, erklärt und wann man denn Israel wieder auf die Telefonliste genommen hat und wann man gemerkt hat, dass es fehlt. Selbstverständlich ist es kein Skandal, wenn auf einer Telefonliste ein Land fehlt, auch nicht wenn Israel fehlt. Aber die Begründung, die Herr Lanzmann in seinem Artikel aufführt, die gibt einem schon zu denken beziehungsweise wenn das ein Hotelangestellter so meint, ist das schon mehr als bedenklich, dass man aus Gründen, aus Rücksichtnahme auf arabische Gäste Israel von der Telefonliste gestrichen hat. Aber es scheint ja so zu sein, dass die Hotelleitung das wohl nicht intendiert hat, sonst hätte sie auch so schnell nicht reagiert und die Korrektur vorgenommen. Nun stellt sich die Frage, wie konnte der Hotelangestellte zu diesem Eindruck kommen, dass er ihn gegenüber Herrn Lanzmann so geäußert hat.
    Rücksicht auf Speisegewohnheiten, aber nicht auf Israel-Feindschaft
    Heuer: Ja, in der Tat, das ist ja eine interessante Frage. Kempinski hat dementiert, allerdings mit dem Satz, das Hotel könne die von Lanzmann geschilderten Vorgänge so nicht bestätigen. Ja, und die Frage, der Hotelangestellte, wie kommt der darauf? Hat Kempinski Ihnen geantwortet, Herr Beck?
    Beck: Nein, noch nicht, die hatten wahrscheinlich gestern schon erheblichen Trubel, dafür habe ich jetzt erst mal ein gewisses Verständnis. Und ich hoffe, dass einfach deutlich gemacht wird und auch nach innen, gegenüber den Angestellten, dass man selbstverständlich auf vieles bei Hotelgästen Rücksicht nimmt, auf ihre Speisegewohnheiten, auf ihr Verhältnis zum Alkohol, auf ihre Kleidungsgewohnheiten, aber nicht auf Feindschaft gegenüber Israel oder gegenüber Juden.
    Heuer: Na ja, aber wenn arabische Gäste sagen, sie wollen da Israel nicht sehen, das hat ja ein Vorbild, auf palästinensischen Karten kommt der Staat Israel auch nicht vor. Diesen Vergleich zieht Claude Lanzmann auch heran. Kann es nicht sein, dass da Menschen aus Geschäftsinteresse ausgegrenzt werden?
    Beck: Es kann sein, dass es diese Versuche gibt, und denen muss man einfach widerstehen. Auch wenn es da im Zweifelsfall einen Kunden und etwas Umsatz kosten sollte, es darf auf keinen Fall akzeptiert werden, dass man aus Kalkül dem Hass gegen Israel gegenüber nachgibt. Da ist dann schon etwas Zivilcourage und Rückgrat gefragt, das erwarte ich auch von Menschen, die in der Wirtschaft handeln und natürlich auf ihren Umsatz achten müssen. Aber da gilt: Gegenüber Menschenfeindlichkeit, gegenüber Hass auf Juden und Israel weicht man nicht zurück.
    Heuer: Liegt da vielleicht ein Körnchen Antisemitismus doch drin in dem Verhalten von Kempinski?
    Beck: Also, ich will da jetzt nicht weiter mutmaßen und spekulieren. Die Äußerung, die Herr Lanzmann da zitiert, ist ein Dokument davon, dass es da ein Problem irgendwo gibt, aber es kann auch sein, dass ein Hotelangestellter eine Mutmaßung, die er hat, zur Tatsache upgegraded hat. Deshalb, glaube ich, bringt es jetzt nichts, wenn man über die Interna von Kempinski spekuliert. Die Hotelleitung hat reagiert, hat das klargestellt. Wenn sie solche Intentionen hätte, dann hätte sie nicht so schnell einfach reagiert und die Telefonliste in diese Richtung korrigiert. Weil, das ist ja jetzt erst recht publik und wäre dann sozusagen eine Negativempfehlung an Gäste, die auf so etwas Wert legen. Also, ich denke, da sollte man der Hotelleitung zunächst mal auch Glauben schenken. Genauso wie ich Glauben schenke dem, was Herr Lanzmann da in seinem Artikel schreibt. Es ist halt die Frage, wie es zu dieser Aussage des Hotelangestellten kommt, und das werden wir beide hier am Telefon im Gespräch leider nicht aufklären können.
    Eher zu wenig Respekt für arabische Befindlichkeiten in Deutschland
    Heuer: Nein, weil wir weder das Hotel sind noch dort angestellt. Aber wir wollen die Diskussion weiten: Ist da was dran, nehmen die Deutschen vielleicht zu viel Rücksicht auf arabische oder muslimische Befindlichkeiten und Interessen?
    Beck: Nein, ich denke, eher im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, dass man an vielen Punkten anderen kulturellen Gewohnheiten und auch religiösen Vorschriften nicht hinreichend mit Respekt begegnet. Und etwas anderes wäre es, wenn man jetzt hier – dafür habe ich aber keine Anzeichen – darauf Rücksicht nimmt, dass Leute gegenüber Juden oder Israel eine feindliche Einstellung haben. Da würde ich mir allerdings manchmal wünschen, wenn solche Einstellungen auf die Straße getragen werden wie zum Beispiel beim Al-Quds-Tag in Berlin – das ist ein Feiertag, den die iranische Revolutionsführung ausgerufen hat zum Sturm auf Jerusalem, zur Befreiung des Heiligen Landes von den Juden –, dass da auch mehr Menschen auf die Straßen gehen, die nicht aus der jüdischen Gemeinde kommen und nicht aus dem engeren Umfeld der Israel-Freunde. Sondern dass da auch klar ist zum Beispiel in Berlin, dass es eine Sache aller Demokratinnen und Demokraten ist, gegen so etwas auf die Straße zu ziehen. Da könnte man sich etwas mehr Engagement wünschen, aber ich sehe im Alltag, dass man hier auf solche Stimmungen in Deutschland Rücksicht nimmt.
    Heuer: Warum fehlt denn dieses Engagement?
    Beck: Man fühlt sich nicht hinreichend betroffen, man hält es vielleicht auch für kurios und für irrelevant. Und das ist so eine Einstellung der Gleichgültigkeit, der darf man nicht Platz geben. Weil, das hat in der Geschichte immer wieder zu schrecklichen Entwicklungen geführt, wenn man gedacht hat, dass Menschenfeindlichkeit einfach so absurd ist, dass man sich nicht weiter darum kümmern muss. Dann kann sie Platz greifen und Demokratie muss da Grenzen setzen. Und da ist die Zivilgesellschaft auch gefordert, wir können das nicht alles auf den Staat abschieben. Man kann nicht jeden Unsinn und jede gefährliche Haltung verbieten, aber man kann als Zivilgesellschaft klar sagen, wo die Grenzen sind, was man für akzeptabel hält und wo man sich eben mobilisiert, um Widerspruch einzulegen.
    Heuer: Also, die Deutschen strengen sich nicht mehr genug an gegen Antisemitismus.
    Beck: "Die Deutschen" finde ich immer ein bisschen problematisch.
    Heuer: Ja, die Bürger.
    Beck: Wir können alle ein bisschen mehr tun und uns alle mehr engagieren, das wäre mein Appell.
    Spaltung der Gesellschaft nicht zulassen
    Heuer: Ja, aber Herr Beck, andererseits gibt es ja auch eine stärker werdende Abneigung vieler Deutscher gegen Muslime. Macht sich auch so etwas wie Islamophobie bei uns breit?
    Beck: Ich denke, wir sind da in einer wirklich schwierigen Situation. Der islamistische Terror macht vielen Menschen Angst und sie begehen den Fehler, eigentlich das Weltbild der Islamisten zu übertragen und den Islam insgesamt und die Muslime insgesamt unter den Verdacht zu stellen, sie würden mit so etwas zu tun haben. Diese Art von Spaltung der Gesellschaft dürfen wir nicht zulassen und wir müssen miteinander lernen, stärker auch zwischen Muslimen, Christen, Atheisten, Juden in unserem Land auch in Dialog zu treten und uns auch vielleicht an manchen Punkten sogar demokratisch und zivil zu streiten. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass eine Gruppe in der Gesellschaft, die Menschen, die muslimischen Glaubens sind, generell unter den Verdacht gestellt werden, dass sie irgendetwas Gefährliches im Schilde führen, sondern wir müssen uns umeinander kümmern und jedem seinen Freiheitsbereich respektieren, auch gegenüber Dingen, die uns vielleicht kulturell ungewohnt sind und fremd sind. Solange niemand jemand anderen in seinen Rechten einschränkt, hat man den Freiheitsbereich und auch andere kulturelle Gewohnheiten zu respektieren. Und wir sollten so absurde Diskussionen wie kürzlich von einem Finanzstaatssekretär angefangen über Nacktduschgebote in Fitnessstudios einfach sein lassen und ein bisschen respektieren, dass es andere Gewohnheiten und andere Sichtweisen gibt. Und solange man davon nicht beeinträchtigt wird, soll man das auch stehen lassen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.