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Jens Spahn (CDU)
"Ein Zeichen für das Durcheinander in der SPD"

Als "Sturzgeburt" hat CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn die Nominierung von Martin Schulz zum SPD-Kanzlerkandidaten bezeichnet. Der Verzicht von Parteichef Sigmar Gabriel sei "ein Zeichen für das Durcheinander in der SPD", sagte er im DLF. Zudem sei völlig unklar, was Schulz für Deutschland wolle.

Ann Kathrin Büüsker im Gespräch mit Jens Spahn | 25.01.2017
    Der CDU-Politiker Jens Spahn
    Der CDU-Politiker Jens Spahn (dpa/Karlheinz Schindler)
    Deshalb habe er an den neuen Kanzlerkandidaten der SPD erst einmal Fragen, sagte Spahn im Deutschlandfunk. Eine weitere Große Koalition mit der SPD sollte die CDU nach der Bundestagswahl im September nicht anstreben, meinte der CDU-Politiker. Wenn es nicht anders gehe, werde man aber darüber nachdenken.
    Als Wunschpartner für eine Regierungskoalition nannte Spahn die FDP, schloss aber auch eine Koalition mit den Grünen nicht aus. Cem Özdemir und Kathrin Göring-Eckhardt seien "spannende Führungsfiguren". Man müsse nun sehen, ob die Grünen "links oder rechts blinken wollen", so der Parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium.

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Herr Spahn, ist Gabriels Verzicht auf die Kanzlerkandidatur eine Kampfansage an die Union?
    Spahn: Na ja. Erst mal ist es ein Zeichen für das Durcheinander bei der SPD. Ich habe erst mal Fragen und sehe mir das gelassen an, was da passiert. Ich meine, der eine, Sigmar Gabriel sagt, er will mehr Zeit für Familie haben. Ich finde, das ist eine souveräne Lebensentscheidung, das muss man anerkennen. Aber ist das Auswärtige Amt wirklich das Amt, wo man mehr Zeit für Familie hat? Geht es um Familie oder ums Reisen, oder worum geht es? Und ich habe auch Fragen an Martin Schulz. Ich weiß nicht, ob Sie eine Idee haben, wo er steht, wenn es um innere Sicherheit geht, wenn es um den Fall Amri in NRW geht, wenn es darum geht, wie wir wirtschaftlich erfolgreich bleiben. Will er nur mehr Sozialausgaben, wie wir das von Sigmar Gabriel kennen, oder will er was anderes. Das einzige was ich weiß ist, er will Schulden vergemeinschaften in Europa. Es gibt viele Fragen und deswegen schaue ich mir das erst mal gelassen an.
    "Ein Martin Schulz macht noch keinen neuen SPD-Sommer"
    Büüsker: Sie sind schon ganz im Wahlkampfmodus. Jetzt zeigen ja aktuelle Umfragen, dass Schulz deutlich mehr Wählerinnen und Wähler mobilisieren könnte, als Gabriel das getan hätte. Machen Sie sich vor dem Hintergrund gar keine Sorgen?
    Spahn: Na ja. Ein Martin Schulz macht noch keinen neuen SPD-Sommer. Da bin ich wirklich gelassen, weil jetzt auch erst mal genauer hingeschaut werden wird, wer ist dieser Martin Schulz, vor allem auch politisch, was will er für Deutschland. Geht es hier eigentlich nur darum, wie die Umfragen für die SPD sind, wer besser in den Umfragen ist, oder geht es hier auch um Konzepte, um Inhalte. Wir werden auch - das ist ja, was wir im letzten Wahlkampf schon gesehen haben - mal schauen müssen, ob die SPD jetzt Regierung oder Opposition sein will. Ich meine, die regieren gerade noch mit in dieser Großen Koalition, stellen den Vizekanzler, und dann sagt Martin Schulz gestern, es braucht eine neue Führung in diesem Land. Was will er jetzt sein, Regierung oder Opposition? Insofern glaube ich noch nicht, dass das alles ein Selbstläufer wird.
    Büüsker: Sie haben gesagt, man muss jetzt auf die Inhalte gucken. Man muss gucken, wofür Martin Schulz stehen wird. Jetzt hat er gestern in seiner Rede schon durchklingen lassen, dass Gerechtigkeit das neue Thema der SPD sein soll, oder das Wahlkampf-Hauptthema der SPD, und das ist gerade ein Thema, das die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland durchaus bewegt.
    Spahn: Das bewegt viele Menschen ohne Zweifel. Aber Gerechtigkeit ist erst mal ein großes Wort, das muss man dann füllen. Besteht Gerechtigkeit darin, wie gesagt, dass wir in den letzten Jahren immer nur gehört haben bei der SPD, wir müssen mehr Geld ausgeben, mehr Sozialausgaben, oder geht es um Chancengerechtigkeit, geht es um die Frage, wie wir wirtschaftlich erfolgreich bleiben, damit Menschen tatsächlich Arbeit finden und eine Perspektive bekommen. Und zum zweiten: Mein Eindruck ist, die meisten Menschen machen sich im Moment viele Gedanken zum Thema innere Sicherheit, bekämpfen wir Terrorismus genug, gehen wir gegen Einbrüche entsprechend vor. Und wissen Sie, Martin Schulz und ich, wir kommen beide aus NRW. Wir können gerade im Mai zum NRW-Wahlkampf genau über dieses Thema innere Sicherheit mal reden. Das ist auch eine Form von Gerechtigkeit, dass die Schwächeren nicht damit rechnen müssen, dass zuhause eingebrochen wird.
    "Wir stehen in CDU/CSU mit Angela Merkel für Verlässlichkeit"
    Büüsker: Nun ist der potenzielle Kanzlerkandidat Martin Schulz auf jeden Fall ein Zeichen für Veränderung. Die SPD wagt hier einen anderen Weg. Hat sie damit der Union etwas voraus?
    Spahn: Nein, im Gegenteil. Ich meine, schauen Sie doch an, wie das die letzten Tage passiert ist: eine Sturzgeburt. Fast einer halbe Million SPD-Mitgliedern in Deutschland wird per "Stern"-Titel zufällig mitgeteilt, wer ihr neuer Kanzlerkandidat werden soll. Anders herum stehen wir in CDU/CSU da für Verlässlichkeit mit Angela Merkel, wo seit vielen Monaten klar ist, dass wir mit ihr in den Wahlkampf gehen wollen, wo auch jeder weiß, mit wie viel Erfahrung, mit wie viel auch an europäischer Erfahrung vor allem in unsicheren Zeiten wir mit Angela Merkel in diesen Wahlkampf gehen. Da haben wir bei der SPD im Moment viele, viele Fragen, was sie will, was Martin Schulz will, wofür er steht, und bei der CDU und Angela Merkel, denke ich, weiß man das ziemlich genau.
    Büüsker: Dennoch setzt die SPD jetzt auf einen Kandidaten, der in der Partei durchaus viel Rückhalt genießt, während die Kanzlerin in der Union durchaus umstritten ist.
    Spahn: Na ja, was heißt umstritten. Dass es in der Union übrigens genauso wie in der SPD mit der Flüchtlings- und Migrationsfrage der letzten Monate, der letzten eineinhalb Jahre sehr grundsätzliche Debatten um den richtigen Kurs gegeben hat, das ist doch normal. Und wenn Sie in die SPD schauen, da gibt es die Debatte mindestens so sehr wie bei uns. Wenn ich im Ruhrgebiet schaue, wie viele da von der SPD zur AfD gegangen sind, dann haben beide Volksparteien natürlich das, was die Gesellschaft bewegt, an Debatte auch in sich. Aber bei uns sind die Dinge da geklärt. Wir haben einen Kurs, was innere Sicherheit angeht, was die Frage Integration von Flüchtlingen, Leitkultur angeht, aber auch die Frage, dass die, die eben nicht Flüchtlinge sind, das Land wieder verlassen müssen, dass wir da deutlich härter auch rangehen müssen. Insofern: Unsere Positionen sind klar inhaltlich. Wir haben eine Spitzenkandidatin. Bei der SPD kenne ich weder die Positionen für den Wahlkampf, noch kenne ich den Spitzenkandidaten wirklich genau, außer dass er mal Präsident in Brüssel beim Parlament war, und deswegen schauen wir uns das jetzt erst mal an.
    Büüsker: Wenn Sie sagen, in der Union ist alles geklärt, dann ist der Streit mit der CSU auch weitgehend beigelegt?
    Spahn: Der ist weitgehend beigelegt. Nehmen Sie die Position zur Flüchtlingsfrage, zur inneren Sicherheit.
    Büüsker: Das heißt, die Union steht jetzt auch für eine Obergrenze?
    Spahn: Jetzt lassen Sie mich doch mal sagen, wir sind 98, 99 Prozent einig. Das Thema Obergrenze ist offensichtlich eines, was offen bleibt. Das hat es aber in der Vergangenheit auch schon gegeben. Das sind noch immer zwei Parteien. Wir wollen gemeinsam in diesen Wahlkampf gehen, es wird ein gemeinsames Wahlprogramm geben, da bin ich fest von überzeugt. Die CSU wird an zwei, drei Stellen deutlich machen, auch beim Thema Obergrenze, was sie anders sieht. Das gab es in der Vergangenheit auch. Aber wir gehen gemeinsam in diesen Wahlkampf.
    "Dieses Land braucht eine starke Opposition - ich wünsche mir, dass das die SPD macht"
    Büüsker: Mit dem Ziel einer Großen Koalition am Ende?
    Spahn: Nein, ausdrücklich nicht. Ich finde, dieses Land braucht tatsächlich eine starke Opposition. Ich wünsche mir, dass das die SPD macht. Das ist klar. Aber wir sehen doch, wir haben im Moment im Bundestag keine wirkliche Opposition. Linke und Grüne fordern höchstens mehr vom gleichen. Und eine funktionierende Demokratie braucht ein großes Gegengewicht, braucht auch im Parlament eine Kraft, wo die, die unzufrieden sind - und natürlich gibt es immer Menschen, die unzufrieden sind mit der Regierung - sich auch drin wiederfinden können, sich auch daran richten können, daran orientieren können. So wie es im Moment ist in der Großen Koalition, ist es nicht gut. Das stärkt die Ränder, links wie rechts, und deswegen wäre eine neue Große Koalition wirklich nicht gut für Deutschland.
    Büüsker: Aber, Herr Spahn, eine Regierung braucht eine Mehrheit. Wie wollen Sie die zustande kriegen ohne die SPD?
    Spahn: Na ja, wir sind jetzt acht Monate vor einer Wahl, vor einer Wahl, wo es auch um was geht. Jeder spürt ja, 2013 ging es vor allem um den Veggieday. Das muss eine glückliche Gesellschaft sein, wo das das größte Thema ist. Jeder spürt, dieses Jahr geht es tatsächlich um Grundsätzliches, und jetzt geht es darum, dafür zu kämpfen, dass wir möglichst stark werden und dass wir idealerweise mit ein oder zwei kleineren Partnern eine Regierung bilden können. Ich sage noch einmal: Eine Große Koalition wird funktionieren und wenn es gar nicht anders geht, wird man darüber reden. Aber wir sollten sie wirklich nicht anstreben, denn sie ist nicht gut für Demokratie.
    "Wir haben inhaltlich die meisten Übereinstimmungen mit der FDP"
    Büüsker: Und wer wäre Ihr Lieblingspartner?
    Spahn: Erst mal regieren wir am liebsten mit der CSU und mit uns allein. Das ist natürlich immer die Idealsituation. So kenne ich sie aus dem Münsterland. Das wird im Bund schwieriger sein. Wir haben inhaltlich auch von der, sage ich mal, bürgerlichen Haltung natürlich immer die meisten Übereinstimmungen mit der FDP. Es gibt aber auch mit Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt spannende Führungsfiguren bei den Grünen. Das Spannende ist nur, werden die sich auch inhaltlich jetzt an diese neuen Führungsfiguren ausrichten. Ich sage nur Stichwort etwa Vermögenssteuer. Wollen die ehr links oder rechts blinken? All diese Fragen sind noch offen, aber ich bin mir ziemlich sicher, wenn Mehrheiten möglich sind jenseits der Großen Koalition, dann wird auch darüber geredet werden, sowohl von CDU/CSU, wie mich auch interessieren würde, wie Martin Schulz zu Rot-Rot-Grün steht. Im Brüssel im Parlament hat er mit linken Kommunisten, mit linken Extremen immer zusammengearbeitet, wenn es ihm dient. Mich würde mal interessieren, ob er das in Berlin auch machen würde.
    Büüsker: So die Einschätzung von Jens Spahn, Mitglied des CDU-Präsidiums, im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.