Freitag, 19. April 2024

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Johan Adrian Jacobsen im Humboldt-Forum
Exemplarische Figur der Sammlungsgeschichte

Der norwegische Seefahrer Johan Adrian Jacobsen reiste 1881 im Auftrag des Ethnologischen Museums Berlin nach Nordamerika, um dort Objekte von den indigenen Kulturen zu erwerben. Diese Stücke sind bald im Humboldt-Forum in Berlin zu sehen. Sie sind ein Beispiel für die Sammelwut europäischer Museen zu der Zeit, wie Monika Zessnik vom Ethnologischen Museum im Gespräch erläutert.

Monika Zessnik im Gespräch mit Mascha Drost | 22.08.2015
    Die Figur eines berühmten Kwakiutl-Häuptlings steht in der Nordamerika-Abteilung des Ethnologischen Museums in Berlin vor einem als Grizzlybär gestalteten Hauspfosten
    Figur eines berühmten Kwakiutl-Häuptlings in der Nordamerika-Abteilung des Ethnologischen Museums. "Das Interesse lag in möglichst exotischen Objekten," sagt Monika Zessnik. (dpa/picture alliance/Jan Woitas)
    Mascha Drost: Eine mehrjährige Reise nach Nordamerika behufs Einsammelns und Erwerbens ethnografischer Gegenstände - die trat der Kapitän Johan Adrian Jacobsen 1881 an, im Auftrag des Ethnologischen Museums von Berlin. Die Gegenstände, die Jacobsen erwarb oder einsammelte, die gehören bis heute zu den Glanzstücken des Museums in Berlin-Dahlem. Nicht mehr lange jedoch in Dahlem - dann ziehen auch sie um nach Mitte, ins zukünftige Humboldt-Forum. In unserer Reihe zum Humboldt-Forum wollen wir uns heute einer der wichtigen Figuren hinter den Sammlungen widmen, eben jenem Adrian Jacobsen, der den Indianerstämmen Nordamerikas abertausende Gegenstände abkaufte im besten Fall, oder auch mit List oder Gewalt, je nachdem, entriss. Wer war dieser Johan Adrian Jacobsen und welche Bedeutung haben seine Beutezüge für die Sammlung heute noch, darüber habe ich mit Monika Zessnik gesprochen, Kuratorin der Sammlung Amerikanische Ethnologie in Berlin. Worum ging es denn bei der Reise, die Jacobsen vor 134 Jahren nach Nordamerika unternahm?
    Monika Zessnik: Ja, Frau Drost. Sie haben es ja in Ihrer Anmoderation schon erwähnt. Johan Adrian Jacobsen wurde von Adolf Bastian, dem Gründungsdirektor des damaligen Königlichen Museums für Völkerkunde, an die Nordwestküste Amerikas geschickt, um dort Objekte von den indigenen Kulturen zu sammeln, sowohl der heutigen Westküste Britisch-Kolumbiens als auch aus Alaska.
    Drost: Und war dieser Johan Adrian Jacobsen, ein norwegischer Kapitän, für diese ja auch sehr anspruchsvolle Aufgabe in irgendeiner Form besonders prädestiniert?
    Zessnik: Zum einen war er nicht mal Kapitän; so hat er sich selbst ernannt. Er war ein Seemann, ein Matrose, ein norwegischer. Er war auch für damalige Zeiten kein Wissenschaftler. Er war eher ein Abenteurer, aber sehr interessiert an der Ethnologie. Bastian ist auf ihn aufmerksam geworden, weil Jacobsen schon mehrere Reisen im Auftrag von Carl Hagenbeck für den Zoo in Hamburg unternommen hatte. Hagenbeck hatte damals verschiedenste Vertreter von möglichst exotischen Kulturen im Zoo präsentiert - das waren die sogenannten Völkerschauen - und Jacobsen hatte da bereits Reisen weltweit unternommen zu diesem Behuf.
    "Jacobsen hat auf Masse gesammelt"
    Drost: Hat ihn irgendwas charakterlich vielleicht besonders geeignet gemacht? War er besonders listenreich, hemmungslos möglicherweise?
    Zessnik: Vielleicht würde man ihm mit der altmodischen Bezeichnung Haudegen ganz gerecht werden. Jacobsen hat einen sehr ausführlichen Reisebericht über diese Reise an die Nordwestküste Amerikas verfasst, der dann auch von den Journalisten für eine breite deutsche Leserschaft redigiert wurde. Jacobsens Deutsch war nicht so gut und außerdem war er etwas redundant. Da beschreibt er immer wieder, wie er es geschafft hat, an Objekte zu kommen. Man muss diesen Reisebericht, der sich durchaus kurzweilig liest, aber immer unter der Maßgabe lesen, unter dem Zeitgeist des Endes des 19. Jahrhunderts. Die Ethnologen sind davon ausgegangen, dass die indigenen Kulturen sich europäischen Standards anpassen werden, oder aussterben, und es ging ihnen darum, ein Archiv des materiellen Kulturguts zu sammeln. Jacobsen war also jemand, der hat in erster Linie, ich würde mal sagen, auf Masse gesammelt. Er hat es nicht inhaltlich stark begleitet.
    Drost: Wie ist er denn auf seinen Reisen vorgegangen? Offiziell hat er den Ureinwohnern ja die Dinge abgekauft, aber man kann sich vorstellen, dass es da nicht immer mit rechten Dingen zugegangen ist.
    Zessnik: Ja, man darf sich das nicht so vorstellen. Das war nicht einfach so irgendwo im Laden zu kaufen. Jacobsen ist auch nicht einfach alleine zu Dörfern von indigenen Kulturen gefahren, sondern er hatte eigentlich immer Mittlerpersonen. Diese Gegenden waren ja schon sehr gut erschlossen, aus europäischer Sicht gesehen. Das heißt, er hatte entweder Missionare, oder Leute, die auf Handelsposten gearbeitet haben, die ihn sozusagen vermittelt haben. Er hat durchaus das meiste gekauft. Ob der Preis angemessen war, das lässt sich nach heutiger Sicht einfach nicht darstellen. Er beschwert sich aber auch, dass die Indianer zu hohe Preise nehmen, aber natürlich gehörte auch er zu denen, die die Preise in die Höhe getrieben haben. Viele der Indigenen haben auch schon sehr viele Objekte für den Handel direkt produziert. Es gibt aber auch Stellen in diesem Reisebericht, wo er beschreibt, dass er auch einbricht beziehungsweise auch aus Gräbern Gegenstände mitnimmt, ohne vorher zu fragen.
    Drost: Also keineswegs ein besonders respektvoller Umgang, sondern viel eher die Arroganz des weißen Mannes wahrscheinlich?
    Zessnik: Ja, das war zu damaliger Zeit die sehr unter Anführungen gesetzt "normale Sicht" des Westens oder der Europäer auf indigene Kulturen, und das ist das, was wir im Humboldt-Forum zeigen wollen. Wir setzen ja auf Ausstellungskonzepte, die einfach darstellen, dass wir aus verschiedenen Perspektiven die Geschichten erzählen, und Jacobsens Reise an die Nordwestküste wollen wir aus dieser historischen Sicht zeigen, um exemplarisch darzustellen, wie wurde damals gesammelt, woher kam diese Sammelwut und wie sind die einzelnen Sammler da vorgegangen, und da wir durch diesen Reisebericht eine sehr gute Quellenlage (aus der europäischen Sicht leider nur) vorliegen haben, eignet sich das dazu.
    "In dem Moment, wo ein Objekt eine Inventarnummer hat, ist es entfunktionalisiert"
    Drost: Sie haben es gerade schon erwähnt: Es herrschte damals eine regelrechte Sammelwut. Um was ging es den damaligen Direktoren oder dem damaligen Direktor des Museums? Um das schiere Anhäufen, ziellose Sammeln, oder um eine wissenschaftliche Dokumentation, oder beides?
    Zessnik: Nein. Es ging darum, wie ich sagte, um ein Archiv materiellen Kulturguts anzulegen, weil man davon ausgegangen ist, dass diese Kulturen vom Untergang bedroht sind. Zudem war das natürlich auch die Zeit, wo man ohnehin durch unterschiedlichste Museumsgründungen verschiedener Genres wie Technikmuseen, kulturhistorische Museen, Kunstmuseen einfach versucht hat, die Welt objekthaft darzustellen.
    Drost: Jacobsen kam mit unzähligen Artefakten zurück nach Berlin. Welchen Wert hatten sie damals und welche Bedeutung haben sie heute?
    Zessnik: Den materiellen Wert kann ich Ihnen jetzt nicht zusammenzählen. Dann müsste ich im Archiv ein bisschen rechnen gehen. Was ich aber weiß ist den ideellen Wert. Der wird bei vielen der Nachfahren der ursprünglichen Produzenten dieser Objekte als sehr hoch gesehen in dem Moment, wo es vor allem um rituelle Objekte geht.
    Drost: Also bei den Indianern?
    Zessnik: Genau. Es gibt in Kanada inzwischen auch Museen, die von First Nations, wie ja die indigenen Kulturen in Kanada genannt werden, heute selbst betrieben werden, die ihre Sicht auf die Dinge darstellen. Da wird auch anders damit umgegangen. Da werden zum Beispiel Masken für Rituale ausgestellt. Wenn aber das Ritual stattfindet, werden die Masken auch wieder in Gebrauch genommen. Das ist bei uns ja nicht mehr so. In dem Moment, wo ein Objekt eine Inventarnummer hat, ist es auch entfunktionalisiert.
    Drost: Ist das richtig so? Es wird ja anscheinend auch anders gemacht.
    Zessnik Ich sehe da kein richtig und kein falsch. Deswegen ist es uns im Humboldt-Forum auch so wichtig, dass wir sagen, wir wollen nicht einfach nur einen bloßen Transfer von Wissen, um mal Nora Sternfeld, eine Kulturwissenschaftlerin, zu zitieren, von uns Museumsleuten, das wir haben, an ein Publikum, das wir wollen, sei es das Eröffnen von diskursiven Verhandlungsräumen, wo man sich darüber auseinandersetzen kann, wie und aus welchen Perspektiven Geschichte verhandelt wird. Das ist auch das, was wir machen. Wir arbeiten mit sogenannten Sharing Sharenology-Projekten, mit verschiedenen Herkunftsgemeinschaften zusammen. Im Hinblick auf die Jacobsen-Sammlung zeigen wir den Teil der Nordwestküste aus historischer Sicht, den Teil aus Alaska aus der Sicht von heutigen Alaska Natives.
    "Das Interesse lag in möglichst exotischen Objekten"
    Drost: Was waren das eigentlich für Objekte? Was waren das für besondere Dinge, die Jacobsen mitbrachte aus Nordamerika? Können Sie vielleicht ein paar herausragende Dinge erklären, aufzählen, beschreiben?
    Zessnik: Das Interesse lag in möglichst exotischen Objekten. Wir haben sowohl von der Nordwestküste als auch Alaska wunderbare Masken, die einfach jetzt auch von der ästhetischen Qualität unglaublich sind, aus verschiedensten Materialien, organischen Materialien, Holz, anderes, unheimlich schön bemalt, aber die auch wirklich eine Funktion in rituellen Kontexten hatten, sehr zentrale Funktionen. So eine Maske ist ja in diesen Kulturen nicht ein reines Objekt, sondern die bedeutet meistens oft eine Person oder ein Tier, die essenzieller Bestandteil des Rituals sind. Was wir auch haben sind zwei originale Wappenpfähle, die wir auch im Humboldt-Forum das erste Mal wieder seit über 25 Jahren ausstellen werden. Deswegen fahre ich jetzt mit der Direktorin unseres Museums, Frau Professor König, nach Kanada, um dort nach Restauratoren zu suchen, die uns dabei behilflich sein können.
    Drost: Sie haben es ja schon erwähnt: Man kann diese Ausstellungsstücke eigentlich nicht ohne Bezug auf ihre Herkunft und die Art und Weise, wie sie nach Berlin gekommen sind, präsentieren. Gibt es eigentlich so etwas wie Provenienzforschung in Ihrer Abteilung?
    Zessnik: Es gibt überall bei uns Provenienzforschung. Das benötigt sehr viele Ressourcen, weil die Aktenlagen sind teilweise relativ rudimentär, auch nicht immer nur bei uns im Hause vorhanden. Wir sind als gesamte Stiftung, aber jetzt vor allem auch fürs Ethnologische Museum im Hinblick aufs Humboldt-Forum im Moment sehr engagiert, auch Mittel zu generieren, um die Provenienzforschung weiter zu vertiefen. Sie müssen sich vorstellen: Wir haben 500.000 Objekte, die wir im Museum betreuen. Wir arbeiten aber gleichzeitig an der Entwicklung des Humboldt-Forums, haben in Dahlem noch ein offenes Haus. Das lässt sich mit Bordmitteln beziehungsweise unseren vorhandenen Mitarbeitern alleine nicht machen. Wir sind aber sehr offen, wenn Wissenschaftler kommen, die an einem Projekt arbeiten, das der Klärung unserer Provenienzen dient, dass die bei uns auch gute Arbeitsverhältnisse vorfinden.
    Drost: Gibt es so etwas eigentlich heute noch, dass Leute wie Jacobsen im Auftrag von Museen losziehen zu Indianern, zu afrikanischen oder asiatischen Stämmen und Dinge einsammeln?
    Zessnik: Nein, nicht in dem Sinn. Was wir machen ist, dass wir teilweise aktuelle, rezente Objekte von heute kaufen, durchaus Gebrauchsobjekte. Wir sind ja ein ethnologisches Museum. Wir haben schon Kunstobjekte, aber bei Weitem ist das der kleinere Teil. Ich weiß, eine Kollegin, die hat gerade aus dem Oman Kleidungsstücke angekauft, die gerade dort in Mode sind, um eine Kontinuität unserer ja vor allem historischen Objekte zu heute zu zeigen.
    Drost: ... sagt Monika Zessnik, Kuratorin der Sammlung amerikanischer Ethnologie in Berlin, zukünftig Teil des zukünftigen Humboldt-Forums.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.