Dienstag, 19. März 2024

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Journalist*innen auf Lesbos
"Ein hoch emotionales Minenfeld"

Durch den vernichtenden Brand im Lager Moria ist die Lage der Geflüchteten auf Lesbos wieder in den Fokus gerückt. Journalistinnen berichten und haben dabei nicht nur mit Einschränkungen durch die Polizei zu kämpfen. Bei der Berichterstattung stellen sich auch schwierige medienethische Fragen.

Franziska Grillmeier im Gespräch mit Mirjam Kid / Text: Michael Borgers | 21.09.2020
Menschen liegen und stehen am Rande einer Straße in der Nähe des ausgebrannten Flüchtlingslagers Moria aus.
Menschen in der Nähe des ausgebrannten Flüchtlingslagers Moria - ein Bild, das wenige Tage nach dem Brand entstanden ist. (picture alliance/dpa/Socrates Baltagiannis)
Die Reporterin sitzt am Boden, vor ihr ein Kochtopf auf einem kleinen Feuer, um sie herum eine Frau mit ihren Kindern, mit denen sie spricht, im Hintergrund Männer, die zuschauen. Zehn Minuten Fernsehen, die die Situation im Flüchtlingslager Moria zeigen.
Die Schalte von WDR-Reporterin Isabel Schayani in der ARD-Talkshow von Anne Will werten viele als gelungenes Beispiel der Berichterstattung nach dem Großbrand auf der griechischen Insel Lesbos. "Ein Gespräch auf Augenhöhe", so das Urteil von Medienwissenschaftlerin Elke Grittmann im Medienmagazin Zapp. Und ein Gespräch, auf das andere Medien immer wieder verweisen werden, wenn sie in der Woche darauf über die Frage einer Aufnahme von Flüchtlingen berichten.
Schayani war schon mehrmals auf Lesbos, berichtet seit 2015 über Flucht, Migration und Integration, kommentiert diese Themen auch regelmäßig in den "Tagesthemen". In ihren Berichten bildet sie Teile der Wirklichkeit ab. Und manchmal werfen ihr Kritiker vor, sie zeige dabei zu wenig persönlichen Abstand. Beispielsweise dann, wenn sie in einer Schalte im WDR-Nachrichtenformat "Aktuelle Stunde" davon spricht, bei den Zuständen auf Lesbos denke man, "das ist nicht Europa".
Bilder veröffentlichen oder nicht?
Doch lässt sich überhaupt über die Lage in Europas Flüchtlingslagern berichten, ohne dabei auch persönliche Emotionen einzubringen? Marina Kormbaki war fünf Tage lang für das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), die Redaktion für überregionale Inhalte der Verlagsgruppe Madsack, auf Lesbos. In einem Podcast des RND erzählt sie von dieser Zeit – und die medienethischen Fragen dabei.
Berichterstattung über Geflüchtete: Zwischen Nähe und Distanz
"Wir schaffen das": Vor fünf Jahren prägte Angela Merkel diesen Satz, als täglich Tausende Menschen nach Deutschland kamen, um Asyl zu beantragen. In den Medien wurde umfassend berichtet – eine Herausforderung, dabei journalistische Distanz zu wahren.
Nach einem Tränengas-Einsatz der Polizei hat die Journalistin ein dreijähriges Mädchen fotografiert. Das Bild zeigt Verbrennungen an verschiedenen Körperstellen. Danach habe sie überlegt, so Kormbaki, ob sie die Aufnahme überhaupt veröffentlichen darf und soll.
Denn: Zum einen Seite greife sie in die Persönlichkeitsreche des Kinds ein. Und zum anderen mache sie sich zum Instrument einer griechischen Politik, die auf Abschreckung setze und für die deshalb solche Bilder nützlich sein könnten. Zudem habe sie Kollegen erlebt "auf der Suche nach dramatischen Bilden" - für Kormbaki ein "Moment, wo man ans Grübeln gerät, weil das in Richtung Voyeurismus geht".
Am Ende habe sie sich dennoch für eine Veröffentlichung entschieden, "um die Härten vor Ort zu illustrieren".
Keine Pressefreiheit auf Lesbos?
In dem Podcast berichtet Kormbaki ebenfalls davon, wie sie zeitweise von der Polizei an ihrer eigenen Arbeit gehindert wurde. Eine Klage, die zuletzt immer lauter geworden ist und dazu geführt hat, dass Organisationen wie Reporter ohne Grenzen und der Deutsche Journalisten-Verband von willkürlichen und teils gewalttätige Einschränkungen der Pressefreiheit sprechen.
Zwar könne man grundsätzlich noch von freier Berichterstattung sprechen, sagt die freie Journalistin Franziska Grillmeier. Doch seit dem Brand habe sich die Lage weiter zugespitzt.
Franziska Grillmeier lebt seit zwei Jahren auf Lesbos und schreibt von dort für Redaktionen wie "Süddeutsche Zeitung", "Zeit", "Spiegel" und "Frankfurter Allgemeine". Sie hat bereits vor einem halben Jahr im Deutschlandfunk beschrieben, wie schwierig es aus ihrer Sicht geworden ist, gefahrlos über die Situation vor Ort zu berichten.
Beispielsweise dürften Journalistinnen und Journalisten ein von Behörden festgelegtes "Sperrgebiet" nicht mehr betreten. Ein weiteres Problem, sagt Grillmeier: "Berichterstattung wird zunehmend kriminalisiert oder als 'Fake News' zurückgewiesen."
Ihre Arbeit auf Lesbos erlebt die Journalistin als "hoch emotionales Minenfeld". Es sei "brutal, nur mit Stift und Papiert zwischen furchtbaren Situationen zu stehen" wie denen nach dem Brand. "Das zu beobachten, da bleibe ich Mensch, natürlich fühle ich da." Doch das kompromitiere nicht die Fakten vor Ort - und darum gehe es bei ihrer Arbeit.