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Kaisers' Tengelmann
"Gabriel wäre der Richtige für eine Schlichtung"

"Kaiser's Tengelmann wird zerschlagen", hieß es noch am Donnerstag. Und am Freitag dann: "Verdi setzt weiter auf Rettung". Für die 16.000 Mitarbeiter der Supermarktkette ein Wechselbad der Gefühle - und das seit mehr als zwei Jahren, kritisiert der Betriebsratsvorsitzende von München und Oberbayern, Manfred Schick, im DLF. Er setzt auf Sigmar Gabriel als Schlichter.

Manfred Schick im Gespräch mit Martin Zagatta | 15.10.2016
    Die Leuchtbuchstaben einer Kaiser's-Filiale hängen in Düsseldorf an einem Gebäude.
    Zukunft stark gefährdet: Eine Kaiser's-Filiale in Düsseldorf. (dpa-Bildfunk / Wolfram Kartl)
    Für die Mitarbeiter von Kaiser's Tengelmann gibt es immer noch keine klare Perspektive: Wird ihre Filiale verkauft, bekommen sie einen neuen Arbeitgeber, verlieren sie ihren Arbeitsplatz? Dieses Wechselbad der Gefühle mache man jetzt seit zwei Jahren mit, sagte Manfred Schick im Deutschlandfunk. Von einer Schließung wären alle Filialen betroffen, auch im Raum München, betonte er. Aber er gebe die Hoffnung nicht auf.
    "Gabriel wäre der richtige Mann"
    An die Verhandlungsparteien appellierte Schick, ihre persönlichen Befindlichkeiten hintan zu stellen und sich wieder an einen Tisch zu setzen. Rewe-Chef Caparros habe seine Gesprächsbereitschaft signalisiert. Wenn es zu einem Schlichtungsverfahren komme, wäre Bundeswirtschaftsminister Gabriel sicher der richtige Mann, so Schick. Er kenne die Thematik. Die vernünftigste Lösung wäre, wenn der Übergang an Edeka zunächst einmal zustande komme. Danach könnten aus dem Paket einzelne Filialen herausgelöst und übergeben werden.
    Die Informationspolitik des Unternehmens nannte Schick "ausbaufähig". Für die Mitarbeiter sei es schwierig, wenn sie Neuigkeiten erst aus der Presse erführen.

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Nach dem Abbruch der Verhandlungen über die Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann soll die Zerschlagung des Unternehmens schon in der nächsten Woche anlaufen, so eine Sprecherin der Firma gestern. Sollte es nicht doch noch eine Einigung in allerletzter Minute geben, droht vielen der 15.000 oder 16.000 Beschäftigten die Entlassung. Manfred Schick ist Aufsichtsratsmitglied und Betriebsratsvorsitzender von Kaiser’s Tengelmann für die wichtige Region München und Oberbayern. Guten Morgen, Herr Schick!
    Manfred Schick: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Schick, für Ihre Kollegen, für die Mitarbeiter müssen das doch qualvolle Wochen und Monate sein, jetzt unter Umständen auch ein sehr schreckliches Wochenende oder ist da die Zuversicht noch groß, dass es irgendwie weitergeht?
    Schick: Ich kann es mal bestätigen: Wir befinden uns ja mittlerweile seit zwei Jahren in diesem Verkaufsprozess, und als Tengelfrau oder Tengelmann – bezeichne ich es immer – haben sie natürlich in den letzten zwei Jahren sehr große Wechselbäder der Gefühle erlebt, und vor allem in den letzten zwei, drei Wochen jetzt immer, meistens am Wochenende. Da kam mal wieder die Zerschlagung damals, was ja vom Aufsichtsrat angekündigt wurde am 23.9. Dann gab es wieder den Termin am 7.11., das war die Deadline. Jetzt gab es wieder am 17. Oktober, also sprich nächste Woche Montag. Dann kam wieder jetzt am Donnerstagabend so ein Brief des Inhabers, der an die Mitarbeiter rausging, wo es heißt, jetzt wird es zerschlagen. Also ich muss schon die Beschäftigten bewundern von Kaiser’s Tengelmann, die das alles so mitmachen nach wie vor und nach wie vor loyal zum Unternehmen stehen.
    Zagatta: Sind denn diese Bereiche – darf ich das fragen – in Ihrem Bereich, sind denn diese Ängste jetzt in Ihrem Bereich auch so groß oder trifft Sie das im Süden gar nicht so sehr, weil die Märkte da in München und Umgebung, die gelten ja als lukrativ und sind gefragt?
    "Es gibt einen Hoffnungsschimmer"
    Schick: Nein, es betrifft alle Mitarbeiter. Also es ist egal, ob es die Region Berlin, Nordrhein oder München ist oder in unseren Fleischwerken in Donauwörth, Perwenitz oder Viersen wie auch unseren Logistikcentern oder unserem Langsamdreherlager in Nieder-Olm. Also das ist für alle gleich. Also da würde ich jetzt nicht sagen, dass es hier Unterschiede gibt.
    Zagatta: Experten sagen ja voraus, wenn nur die als profitabel angesehenen Märkte jetzt einen Abnehmer finden, dann verliert etwa die Hälfte der Belegschaft ihre Arbeitsplätze. Also dann stehen etwa 8.000 Beschäftigte vielleicht auf der Straße. Ist das die Größenordnung, über die wir reden?
    Schick: Das wird die Größenordnung sein, aber ich sage, wer uns kennt, auch als Betriebsrat, auch in der Region München, Oberbayern, wir geben die Hoffnung nicht auf, und deswegen sehe ich immer noch einen Hoffnungsschimmer. Ich habe es auch gestern in der Presse erklärt. Also ich bin positiv gestimmt. Jetzt kam ja gestern Abend das Thema, dass der Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel sich als Schlichter mit einbringen wird, als Mediator. Der erste, der das auch sofort akzeptiert hat, war Herr Alan Caparros der Firma Rewe, also da kam schon die erste Handreichung. Ich gehe mal davon aus, dass dann die Beteiligten am runden Tisch – also der Herr Müller von Markant, Herr Körber von Norma beziehungsweise auch Herr Markus Moser von Edeka, natürlich unser Inhaber Herr Karl Erivan Haub –, sich wieder an den Tisch setzen, und das ist ja schon mal ein gutes Zeichen. Ich wehr mich, wie gesagt bis zum Schluss. Es gibt einen Hoffnungsschimmer.
    Zagatta: Was sagen Sie denn dann ausgerechnet, wenn da der Wirtschaftsminister Gabriel jetzt als möglicher Schlichter ins Gespräch gebracht wird? Ist das denn überhaupt sinnvoll, vorstellbar nach dem ganzen Ärger, den es um Gabriels Ministererlaubnis ja gegeben hat, ist er da nicht unter Umständen der völlig falsche Mann?
    "Es geht um 16.000 Mitarbeiter"
    Schick: Nein, ich möchte auch sagen, dass er nicht befangen ist. Er kennt mittlerweile das Thema, er kennt die ganze Thematik. Wir waren auch vor der öffentlichen Anhörung damals in Berlin, wo er den ganzen Prozess über hier anwesend war. Also er kennt die Materie. Deswegen ist es absolut richtig, ihn mit dazu zu ziehen. Auch das Thema noch mal, zwei Jahre geht dieses ganze Thema, und dass man jetzt innerhalb von zwei Wochen, so wie es ja der erste Plan war, jetzt eine Lösung findet, das fand ich völlig unmöglich. Also so ehrgeizige Ziele kann man nicht stecken.
    Zagatta: Aus heutiger Sicht war da diese umstrittene Ministererlaubnis von Sigmar Gabriel vielleicht ein Fehler, denn damit wurde ja auch einiges blockiert?
    Schick: Also ich sehe es nach wie vor nicht als Fehler. Wir haben … die beschäftigen wir, es geht um 16.000 Mitarbeiter – Sie haben es vorhin erwähnt –, die werden in den Mittelpunkt gestellt. Also von daher geht es meines Erachtens um diese Beschäftigten, und es ist unsere Aufgabe, auch als Arbeitnehmervertreter und als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, hierfür zu kämpfen.
    Zagatta: Wie bewerten Sie denn das Vorgehen Ihres Chefs, das Vorgehen von Karl Erivan Haub – der muss ja handeln angesichts der Verluste. Haben Sie den Eindruck, dass es ihm jetzt bei diesen Verhandlungen, die ja sehr, sehr schwierig geschildert werden, dass es ihm da vor allem um die Mitarbeiter geht oder rückt das bei diesen offenbar ganz knallharten Verhandlungen in den Hintergrund?
    Schick: Herr Haub, Herr Moser, Herr Caparros sagen immer, die Beschäftigten stehen im Mittelpunkt, man muss versuchen, den größten Teil der Mitarbeiter zu halten beziehungsweise alle zu übernehmen. Also von dem her möchte ich auch noch mal appellieren an die Verantwortung, das muss im Mittelpunkt stehen. Was sich momentan so aufdrängt, ist wirklich, dass hier knallhart die wirtschaftlichen Interessen im Mittelpunkt stehen und nicht die Beschäftigten, und deswegen sollten wir auch mal an die appellieren, nicht nur tolle Briefe auszuschreiben, sondern auch hinter ihrer Verantwortung zu stehen, auch unser Inhaber.
    Zagatta: Der eigene Chef.
    Schick: Unser eigener Chef.
    Zagatta: Da hören wir jetzt aus den Verhandlungen, dass die nicht vorankommen, weil die Beteiligten, also die Chefs der beteiligten Unternehmen – da ist von Kaiser’s Tengelmann und vor allem Rewe die Rede –, weil die sich spinnefeind seien, weil die sich nicht ausstehen könnten. Ist das so, erleben Sie das so?
    "Es ist unsere Aufgabe, um die Beschäftigten zu kämpfen"
    Schick: Also es gibt hier mit Sicherheit persönliche Befindlichkeiten zwischen Herrn Haub und Herrn Caparros. Es gibt sehr wahrscheinlich verschiedene Egos, die hier zusammentreffen, aber noch mal: Herr Caparros hat gestern die Hand gereicht als erster, hat gesagt, er ist wieder bereit zum Gespräch. Von dem her müsste man jetzt wirklich sagen, wir müssen über unseren eigenen Schatten springen, egal was auch ist oder war in der Vergangenheit, es geht um die Zukunft, und es geht um die Beschäftigten, es geht um unsere Beschäftigten, und da muss man sagen, man muss an den Tisch sich wieder setzen, die Hand reichen.
    Zagatta: Herr Schick, was wäre denn aus Ihrer Sicht jetzt die vernünftigste Lösung?
    Schick: Die vernünftigste Lösung ist, dass man jetzt erst mal sich wieder an den Tisch setzt und das Gespräch wieder aufnimmt und dann eine Lösung findet, wie auch immer. Wir sitzen hier an dem runden Tisch nicht dabei. Dass der Übergang an Edeka erst mal vonstattengehen soll. Es gibt ja hier Tarifverträge, die sind sehr gut mit Edeka. Da muss man auch ein Kompliment machen an Herrn Markus Moser, der Vorstandsvorsitzende von Edeka, der sich ja dann auch selber in die Verhandlungen mit eingebracht hat, und dem haben wir es letztendlich auch zu verdanken, dass die dann auch positiv und erfolgreich abgeschlossen worden sind. Dass es also eine Übergabe jetzt zu Edeka gibt und vielleicht aus dem Paket Edeka in den einzelnen Filialen oder in den einzelnen Filialen in den Regionen übergeben werden können, oder ich weiß ich nicht wie man sich dann sonst einigen könnte, aber Übergabe an Edeka, dass der Ministererlass vollzogen wird, dass die Tarifverträge gelten, weil das ist ja eigentlich die Sicherheit für unsere Beschäftigten die nächsten fünf beziehungsweise sieben Jahre.
    Zagatta: Halten Sie es denn noch für realistisch, dass da alle Arbeitsplätze erhalten werden können?
    Schick: Ich halte es für realistisch. Es gibt ja Tarifverträge, die hier das für alle Mitarbeiter regeln, und sie sind wirklich gut diese Tarifverträge in allen Regionen. Deswegen halte ich es für realistisch, und ich bin nach wie vor positiv. Deswegen, ich sage auch, das Ende von Tengelmann, nein, jetzt geht es weiter, und unsere Aufgabe ist es, um die Beschäftigten, zusammen mit unserer Gewerkschaft ver.di natürlich und als Betriebsräte, zu kämpfen.
    Zagatta: Herr Schick, bei Ihrem Chef, bei Karl Erivan Haub, haben wir auch wegen eines Interviews angefragt und gar keine Rückmeldung bekommen. Geht der mit Ihnen, und das ist ja viel wichtiger, geht der mit seinen Mitarbeitern besser um? Also Sie haben uns ja vorhin die Ängste geschildert. Werden Sie denn vernünftig informiert und auf dem Laufenden gehalten?
    Kommunikation wäre "ausbaufähig"
    Schick: Ich drücke es mal so aus: es wäre ausbaufähig. Also war auch wieder letzte Woche so, dass wir zwar rechtzeitig ein Schreiben … also wir haben ein Schreiben bekommen von unserem Inhaber, allerdings war das dann schon wieder eine ungefähr eineinhalb Stunden vorher in der Presse, und das hat natürlich Auswirkungen gehabt. Also ich war selber unterwegs, auch im Logistikcenter in Eching draußen bei uns, das Rückgrat der Filialen. Wenn die Logistikcenter zusammenbrechen, ist natürlich ärgerlich. Da war auch die Einsicht, also die Stimmung war so, wieso kriegen wir über die Presse alles mit. Ich bin heimgefahren, habe Feierabend gehabt, das hat mir ein Kollege erzählt, und bekomme von meinem Bekannten dann mit, ah jetzt wäre es ja doch verkauft worden. Jetzt gestern Abend wieder komplett andersrum: die Verhandlungen werden wahrscheinlich wieder aufgenommen, es geht wieder weiter. Also dieses Wechselbad der Gefühle, ja … dass unsere Mitarbeiter durchhalten, ich kann nur sagen: Kompliment. Und es wird weitergehen.
    Zagatta: Manfred Schick, der Betriebsratsvorsitzende von Kaiser’s Tengelmann für die Region München und Oberbayern. Herr Schick, danke schön, und ich wünsche Ihnen natürlich, dass das so gut wie möglich ausgeht für Sie!
    Schick: Ich danke Ihnen auch, Herr Zagatta, für das Gespräch und schönes Wochenende!
    Zagatta: Wünsche ich Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.