Freitag, 19. April 2024

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Kampf gegen das Schneechaos in Bayern
"Sicherheit hat hier oberste Priorität"

In Bayern sind fast Tausend THW-Helfer im Einsatz, um gegen die Schneemassen zu kämpfen. Die Räumungen der Dächer komme sehr gut voran, sagte Florian Seemann, THW-Ortsbeauftragter, im Dlf. Dennoch sei die Gefahr von Dachlawinen nach wie vor akut. In höher gelegenen Gebieten schneie es zudem weiter.

Florian Seemann im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 14.01.2019
    Wanderwege sind in Garmisch-Partenkirchen wegen Lawinengefahr und Baumbruch gesperrt. Die heftigen Schneefälle der vergangenen Tage halten in Südbayern weiter die Einsatzkräfte in Atem und neuer Schnee ist bereits im Anmarsch.
    Ein Feuerwehrmann räumt ein mit Schnee überladenes Dach in Berchtesgaden. (dpa / Angelika Warmuth)
    Dirk-Oliver Heckmann: Tausende Helfer kämpfen gegen die Schneemassen im Alpengebiet. Bäume werden gefällt, Lawinen künstlich ausgelöst, Schnee wird von den Dächern geschippt – das Ganze ist ein wenig wie ein Kampf gegen Windmühlen, denn das derzeitige Tiefdruckgebiet sorgt für immer mehr Nachschub.
    In Balderschwang im Allgäu ist am Morgen eine Lawine abgegangen und hat ein Hotel getroffen. Es gibt aber keine Verletzten.
    Wir können jetzt über die Situation sprechen mit Florian Seemann. Er ist THW-Ortsbeauftragter in Mühldorf, derzeit im Einsatz im Berchtesgadener Land, und er koordiniert den THW-Einsatz im Einsatzabschnitt Süd. Guten Morgen, Herr Seemann!
    Florian Seemann: Guten Morgen.
    Heckmann: Herr Seemann, wo genau befinden Sie sich?
    Seemann: Ich befinde mich gerade in der örtlichen Einsatzleitung vom Einsatzabschnitt Süd im Berchtesgadener Land. Die ist untergebracht im Feuerwehrgerätehaus der Feuerwehr Berchtesgaden. Wir haben hier unseren Stabsraum eingerichtet, von wo aus die Kräfte der einzelnen Organisationen dann in die jeweiligen Ortschaften und Schadensgebiete verteilt werden.
    Heckmann: Was ist genau Ihre Aufgabe?
    Seemann: Meine persönliche Aufgabe ist, die 360 THW-Kräfte, die hier im Einsatzabschnitt Süd eingesetzt sind, zu koordinieren und zu verplanen. Das Technische Hilfswerk hier im Schadensgebiet hat als Hauptaufgabe natürlich das Räumen der Dächer und das Begutachten der jeweiligen Dachkonstruktionen durch Baufachberater. Und wir haben auch hier schweres Räumgerät im Einsatz, um zum Beispiel die angesprochene Lawine auf der B305 zu räumen.
    Ein Kettenfahrzeug der Bundeswehr in Berchtesgarden
    Ein Kettenfahrzeug der Bundeswehr in Berchtesgarden ist bei den Räumarbeiten im Einsatz (dpa-Bildfunk / Bernd März)
    Heckmann: Wie hat sich denn die Situation in der Nacht entwickelt?
    Seemann: Die ganze Nacht über war hier Niederschlag. Oberhalb 700 Metern ist dieser auch als Schnee abgegangen, so dass wir einen Neuschneezuwachs von zirka zehn Zentimetern haben. In den niedrigeren Lagen ist das alles als Regen runtergekommen.
    "Wir kommen sehr gut hinterher. Die Erfolgsquote ist momentan sehr hoch"
    Heckmann: Wo ist die Lage am schwierigsten? Kann man das sagen?
    Seemann: Am schwierigsten ist die Lage natürlich in den höher gelegenen Ortsteilen, wo es weiterhin einen Neuschneezuwachs gibt und die Straßenverhältnisse auch sehr ungünstig sind für die Einsatzkräfte, um anzufahren.
    Heckmann: Es sind ja fast tausend THW-Helfer im Einsatz im gesamten Gebiet. Was genau ist die Aufgabe dieser Helfer?
    Seemann: Die Helfer besteigen wie gesagt die Dächer, sichern sich mit Absturzsicherung gegen Herunterfallen, und räumen dann mit der Hand, mit Schneeschaufeln, mit Schneehexen die Dächer von der Schneelast frei.
    Heckmann: Und kommen Sie da hinterher?
    Seemann: Wir kommen da sehr gut hinterher. Die Erfolgsquote ist momentan sehr hoch und wir sind jetzt ungefähr bei knapp 50 Prozent der betroffenen Häuser, die mittlerweile geräumt worden sind.
    Einsatzkräfte der Bundeswehr, der Bergwacht und der Polizei befreien das Dach der Straßenmeisterei in Wolfratshausen von Schneemassen.
    Einsatzkräfte der Bundeswehr, der Bergwacht und der Polizei befreien eine Dach in Wolfratshausen von den Schneemassen. (dpa-Bildfunk / Matthias Balk)
    "Haben hier Dachlasten von bis zu 500 Kilogramm pro Quadratmeter"
    Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, die Gefahr, dass Dächer einstürzen, ist im Moment nicht besonders groß?
    Seemann: Das kommt natürlich immer auf den jeweiligen Zustand des Gebäudes an. Es gibt Dachkonstruktionen, die schon älter sind, die nicht gepflegt worden sind. Die sind natürlich akut einsturzgefährdeter als neue Gebäude mit einer entsprechenden Dachkonstruktion, bei denen die Dachlast auf mehrere hundert Kilo ausgelegt worden ist. Wir haben hier teilweise wirklich Dachlasten von bis zu 500 Kilogramm pro Quadratmeter.
    Heckmann: Räumen Sie denn nur öffentliche Gebäude, oder auch die Privathäuser?
    Seemann: Wir räumen sowohl öffentliche als auch Privatgebäude.
    Heckmann: Mit welchen Schwierigkeiten haben Sie vor allem zu kämpfen im Moment?
    Seemann: Schwierigkeiten sind vor allem natürlich die steigende Gefahr von Nassschnee-Lawinen. Das betrifft natürlich nicht nur Schneebretter, die von Hängen, von Berghängen runterkommen, sondern auch Schneebretter, die von Hausdächern runterkommen mit der entsprechenden Dachneigung. Das ist hier ja der gleiche Effekt wie bei einem Berghang, so dass sich teilweise wirklich beim ersten Anstich dieses Schneebrettes dann hier richtige Dachlawinen lösen können.
    Florian Seemann, Ortsbeauftragter des THW Mühldorf.
    Florian Seemann, Ortsbeauftragter des THW Mühldorf. (THW Landesverband Bayern)
    "Sicherheit hat hier oberste Priorität"
    Heckmann: Wie kann man denn die Helferinnen und Helfer schützen vor solchen Lawinenabgängen?
    Seemann: Die Helfer werden natürlich entsprechend geschult. Das ist Teil der Grundausbildung im Technischen Hilfswerk, diese Absturzsicherung. Die Helfer, die auf den Dächern arbeiten, sind alle mit Absturzsicherungs-Gerätesätzen gesichert, so dass hier wirklich Sicherheit oberste Priorität hat.
    Heckmann: Würden Sie sagen, dass Ihnen im Moment irgendwas fehlt in diesem Einsatz?
    Seemann: Nein! Die Verpflegung hier ist sehr gut, die Unterbringung ist gut, die Stimmung ist gut. Es fehlt aktuell außer an schönem Wetter an nichts.
    Heckmann: Worauf stellen Sie sich im Laufe des Tages ein?
    Seemann: Im Laufe des Tages, denke ich mal, wird es hier keine besondere Entwicklungen geben. Die heißen Phasen sind immer morgens und abends, wenn die aktuellen Lagemeldungen aus den einzelnen Ortschaften eintrudeln und die Kräfteverteilung durchgeführt werden muss. Heute Abend wird es zwischen 18 und 20 Uhr wieder spannend werden, wie sich die Lage in den einzelnen Ortschaften dann entwickelt.
    Heckmann: Ich darf Sie vielleicht zum Abschluss noch fragen, Herr Seemann. Ehrlich gesagt: Können Sie die Schneemassen noch sehen nach den vielen Tagen und vielen Stunden im Einsatz?
    Seemann: Na ja, langsam darf es auch wieder grün werden.
    Heckmann: Okay, schauen wir mal, wann das eintreten wird. Florian Seemann war das, THW-Ortsbeauftragter in Mühldorf, das derzeit im Einsatz im Berchtesgadener Land ist. Er koordiniert dort den THW-Einsatz. Herr Seemann, ich danke Ihnen und wir senden Ihnen toi, toi, toi, alles Gute.
    Seemann: Sehr gerne! Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.