Donnerstag, 28. März 2024

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Kandidaten für den SPD-Vorsitz
Esken: "Große Würfe kann diese Große Koalition nicht"

Eine klare Besinnung auf die Grundwerte der Sozialdemokratie, mehr soziale Gerechtigkeit und Stärkung der Arbeitnehmerrechte, dafür müsse die SPD jetzt eintreten, sagten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, die für den SPD-Vorsitz kandidieren, im Dlf.

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken im Gespräch mit Jasper Barenberg | 28.10.2019
26.10.2019, Berlin: Das Kandidatenpaar Norbert Walter-Borjans (l) und Saskia Esken steht zusammen nach der Bekanntgabe des Ergebnisses des Mitgliedervotums zum Parteivorsitz der SPD im Willy-Brandt-Haus. Foto: Bernd Von Jutrczenka/dpa | Verwendung weltweit
Das Kandidatenpaar Norbert Walter-Borjans (l) und Saskia Esken steht zusammen nach der Bekanntgabe des Ergebnisses des Mitgliedervotums zum Parteivorsitz der SPD im Willy-Brandt-Haus (dpa)
Jasper Barenberg: Wie geht es weiter bei der Suche der SPD nach einer neuen Spitze? Am Telefon begrüße ich jetzt die SPD-Bundestagsabgeordnete Saskia Esken und Nordrhein-Westfalens ehemaligen Finanzminister Norbert Walter-Borjans. Schönen guten Morgen Ihnen beide!
Saskia Esken: Guten Morgen!
Norbert Walter-Borjans: Guten Morgen!
Barenberg: Frau Esken, die Wahl in Thüringen hat ja noch mal gezeigt, denke ich, um wieviel es geht für die Sozialdemokratie, was auf dem Spiel steht. Wie ernüchtert müssen Sie im Grunde genommen sein, dass nur wenig mehr als die Hälfte der Parteimitglieder bei der Mitgliederbefragung jetzt überhaupt mitmachen mochten?
Esken: Ich glaube, dass die Beteiligung bei dieser Befragung kein Indiz dafür ist, dass die SPD-Mitglieder nicht wissen, worum es geht. Ich glaube, dass die Beteiligung gut ist. Die ist auch bei den Grünen bei einer ähnlichen Befragung nicht anders gewesen. Ich denke, Thüringen ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Menschen das Vertrauen in die Sozialdemokratie verloren haben, dass sie gar nicht mehr wissen, wofür die Sozialdemokratie steht, Hinweise darauf, dass wir uns im Bund mit vielen Themen nicht mehr durchsetzen können, nicht das umsetzen können, was wirklich tatsächlich draußen im Land notwendig wäre.
Walter-Borjans: 78 Prozent sind Ausreißer nach oben
Barenberg: Norbert Walter-Borjans, die Frage vielleicht auch noch mal an Sie. Jedes zweite Mitglied ist nicht interessiert daran, den künftigen Kurs der Partei mitzubestimmen, in dieser geradezu existenziellen Situation. Alarmiert Sie das auch nicht?
Walter-Borjans: Na ja. Natürlich wäre mir bei so einer Frage am liebsten, dass 100 Prozent der Mitglieder abstimmen und sagen, es geht um die Zukunft der Partei. Aber wir müssen einfach auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Die 78 Prozent, die wir an Wahlbeteiligung hatten bei der Abstimmung über die Große Koalition, waren ein eindeutiger Ausreißer nach oben. Wir sehen bei allen Umfragen unter Mitgliedern auch – Saskia Esken hat das gesagt -, bei Grünen, aber auch bei der CSU und anderen, die das gemacht haben, wenn man die 50 Prozent Marke ein Stück überschreitet, dass man einfach im Bereich des Normalen ist. Mehr ist wünschenswert, aber wir müssen jetzt zumindest daran arbeiten, dass es dann in der Stichwahl ein bisschen besser wird.
Barenberg: Frau Esken, Sie haben sich ja vergleichsweise deutlich für einen Ausstieg aus der Großen Koalition ausgesprochen. Das hat unser Hauptstadtkorrespondent gerade auch noch mal erwähnt. Besonders jetzt nach der Entscheidung. Norbert Walter-Borjans, warum sind Sie da erkennbar zurückhaltender bisher?
Walter-Borjans: Wir sind beide nicht dieser Frage auf den Leim gegangen, sofort raus oder drin, sondern wir haben ganz klar gesagt, für uns zählen die Inhalte. Wir haben eine Reihe davon aufgezählt, insbesondere das Thema Klima, aber auch das Thema der gerechten Verteilung von Lasten, die sowohl Klimaschutz als auch soziale Sicherung, Investitionen in den Kommunen mit sich bringen, und wir sind einfach zu der Erkenntnis gekommen, dass die gerechte Lastenverteilung der eigentliche Knackpunkt ist, der immer von CDU und CSU soweit verhindert wird, dass die oberen 10.000 sich in geringerem Maße beteiligen sollen als der Rest der Bevölkerung. Und da haben wir gesagt, wenn wir das zur Debatte stellen – und das soll ja auf dem Parteitag geschehen -, dann zeigen wir unsere Skepsis, dass das in dieser Konstellation geht. Aber wir haben auch genauso klar gesagt, ein einfaches, plattes, ich sage mal, fluchtartig raus, ohne Plan, das ist auch keine Lösung. Insofern ist immer die Frage, ja oder nein, eine schöne. Die hätte man gerne so beantwortet. Aber ich glaube, es braucht diese Debatte mit der klaren Skepsis, mit diesem Koalitionspartner ist es schwierig. Aber es geht darum, ob wir uns auf die wichtigen Schritte verständigen können oder nicht.
Esken: Landtagswahl kein Anlass für Entscheidung über Koalition
Barenberg: Saskia Esken, vielleicht dazu auch Ihre Einschätzung. Haben die Mitglieder der Partei, hat nicht auch die Öffentlichkeit, die das interessiert verfolgt, jetzt einen Anspruch, nachdem mit Olaf Scholz und Klara Geywitz ein Duo zur Wahl steht, die sich klar für den Verbleib in der Koalition entscheiden, haben wir nicht einen Anspruch darauf zu erfahren, wie Sie sich da als Team aufstellen, Weitermachen ja oder nein?
Esken: Ich glaube, dass da gar kein Unterschied besteht in der Einschätzung, dass wir uns wie gesagt mit den Inhalten beschäftigen müssen. Wir neigen in der Gesellschaft und in der Politik immer mehr zu diesen Null-Eins-Fragen, dafür, dagegen. Deswegen war die Beteiligung natürlich da auch sehr hoch. Ich gehe auch davon aus, dass die Beteiligung jetzt bei der Stichwahl höher werden wird, eben deshalb, weil man dann die Entscheidung zwischen zwei Polen haben wird. Ich bin schon heute Morgen wieder aufgefordert worden und gestern Abend nach dieser Thüringen-Wahl, das sei jetzt der Anlass, die Große Koalition zu verlassen. Ich muss einfach sagen, ich glaube nicht, dass eine Landtagswahl einen guten Anlass bietet zu sagen, und auch übrigens keinen Grund, eine Entscheidung über eine Koalition zu treffen, sondern die Frage ist doch, können wir in dieser Koalition Zukunftsfragen lösen, nicht nur, haben wir in der Vergangenheit gut gearbeitet, haben unsere Minister gut gearbeitet. Ich glaube übrigens ja, aber Dankbarkeit und Wahlergebnisse für gute Arbeit gibt es in der Politik nicht, sondern wir müssen für Zukunftsfragen gute Lösungen anbieten.
Esken: Vorgehensweise von Kramp-Karrenbauer ist erschreckend
Barenberg: Frau Esken, wenn ich da kurz noch mal unterbrechen darf, weil Sie gerade gesagt haben, Thüringen kann und darf kein Anlass sein. Wie steht es denn um diesen Streit auf offener Bühne um die Außenpolitik, wo wir erleben, dass sich zwei wichtige Minister in der Bundesregierung, die Verteidigungsministerin und CDU-Chefin auf der einen Seite und Heiko Maas als sozialdemokratischer Außenminister, gerade auf offener Bühne gegenseitig widersprechen, was der richtige Kurs in einer so wichtigen Frage ist?
Esken: Ja, das ist ein wichtiger Hinweis. Das sind tatsächlich deutliche Zeichen dafür, dass die Große Koalition auch an einem Punkt angekommen ist, wo sie nicht mehr in der Lage ist, gemeinsam Antworten auf die Fragen der Zukunft oder der Gegenwart zu geben. Die Vorgehensweise von Frau Kramp-Karrenbauer, ohne Absprache in der Regierung, ohne Absprache übrigens auch im Bündnis einen solchen Vorschlag zu machen, ohne jede Grundlage auch dessen, wie die Bundeswehr damit überhaupt umgehen kann, die ist schon erschreckend, und Heiko Maas kann jetzt eigentlich gar nicht anders, als die Scherben international aufzulesen. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass da keine Zusammenarbeit richtig mehr gut funktioniert.
Walter-Borjans: "Dann zerreibt die Koaltion das Land"
Barenberg: Umso mehr, Norbert Walter-Borjans, um Sie noch mal wieder ins Boot zu holen, stellt sich jetzt die Frage, nach allem, was Saskia Esken gerade gesagt hat. Ich habe mir das noch mal notiert: Wir sind nicht mehr in der Lage, Antworten auf die Fragen der Zeit zu geben – so sinngemäß gerade Saskia Esken. Umso mehr stellt sich doch die Frage: Müssen wir nicht erfahren, ob sie Ja oder Nein sagen, oder wie soll das funktionieren, dass sie gleichzeitig sagen, weitere Zusammenarbeit ja und nein?
Walter-Borjans: Es geht ja nicht nur darum, ob wir die Entscheidung zwischen den beiden, jetzt in der Stichwahl verbliebenen Paaren, an der Frage Ja oder Nein zur GroKo festmachen. Mir ist es wichtiger zu sagen, was wir lösen müssen in der nächsten Zeit, sind ganz dringende Aufgaben wie Klimaschutz, und zwar ein Stück stärker, als das jetzt in dem schlechten Kompromiss, der mit der Union möglich war, gelungen ist. Es geht um die Frage, dass die Wirtschaft nicht mehr ganz so stark dasteht und wir investieren müssen. Können wir mit der CDU darüber reden, dass man investiert und die schwarze Null nicht nur dann verletzt, wenn die Banken in der Schieflage sind, oder andere große Milliardenbeträge gebraucht werden, sondern auch, wenn es um Straßen, Brücken und Schulen geht.
Das dritte ist, was gerade angesprochen worden ist, das Auftreten Deutschlands nach außen hin. Hier stellt sich die Frage nicht an uns; die stellt sich an die CDU. Die macht hier den Eindruck, dass ihr das ziemlich egal ist, wie es mit dem Koalitionspartner steht. Vor diesem Hintergrund kommt man an einen Punkt, dass man auf einem Parteitag nicht guten Gewissens sagen kann, Leute, wir haben noch Zeit genug, wir könnten einfach mal ein bisschen weitermachen, sondern dass man sagen muss, wenn nicht hier klar wird – und wir haben ja noch ein bisschen Zeit; der ist am 6. Dezember -, dass mit der CDU eine verlässliche Politik, die auf die Zukunft gerichtet ist, zu machen ist, dann macht die Koalition nicht nur keinen Sinn; dann zerreibt sie das Land und es zerreibt die beiden Volksparteien. Es ist schon eine sehr klare Ansage. Nur es ist nicht einfach die, wenn ihr pro GroKo seid, dann wählt bitte Klara und Olaf, und wenn ihr dagegen seid, Saskia und Norbert.
Barenberg: Was Sie gerade gesagt haben, Herr Walter-Borjans, Klimaschutz, Lastenverteilung, das sind ja alles Dinge, von denen ich jetzt mal annehmen würde, dass Olaf Scholz und Klara Geywitz sie auch so unterschreiben könnten. Wo besteht dann genau der Unterschied? Wie weit wollen Sie anders oder mehr die Partei verändern als dieses Duo?
Walter-Borjans: Wir haben in den Regionalkonferenzen sehr deutlich gemacht, dass es auch ein Stück die Herangehensweise der SPD ist. Es geht nicht nur um die störrische Haltung der CDU oder der CSU, sondern es geht auch darum, ob wir schon mit einem Kompromiss in die Verhandlungen gehen und dann natürlich noch mal ein Stück zusammengeschrumpft werden. An der Stelle haben wir immer auch den Unterschied zu unseren Mitbewerbern deutlich gemacht zu unseren jetzigen Mitbewerbern, dass wir gesagt haben, das Klimapaket ist ein schönes Beispiel dafür, dass am Ende schon die SPD mit einer Frage reingegangen ist, die dazu geführt hat, dass wir jetzt eine Verteilung der Lasten in einer Weise kriegen, dass in vielen Bereichen Großverdiener deutlich weniger beitragen müssen als die Kleinverdiener, und das hätten wir nicht wollen dürfen. Insofern geht es nicht nur um die Zielrichtung; es geht auch um die Klarheit, mit der wir gegenüber diesem Koalitionspartner mit Bereitschaft dazu am Ende, es auch zum Bruch kommen zu lassen, wenn er sich nicht bewegt, diese Positionen einnehmen.
Esken: "Dringend mit der sozialen Verteilung beschäftigen"
Barenberg: Saskia Esken, was soll sich ändern? Wieviel soll sich mehr ändern, als das Olaf Scholz und Klara Geywitz wollen?
Esken: Es ist dringend notwendig, dass die Sozialdemokratie sich auch wieder an ihren Grundwerten orientiert und dass sie sich mit den Fragen der Arbeitnehmerrechte und mit der sozialen Verteilung, mit der Verteilung auch der Einkommen und Vermögen beschäftigt. Gerade in diesen Fragen, wo die soziale Schere immer weiter auseinanderläuft, obwohl wir immer mehr ausgeben im Sozialstaat, wo der Arbeitsmarkt auseinanderläuft zwischen Menschen, die Arbeitnehmerrechte haben, Arbeitnehmerschutzrechte, in Tarifverträgen beschäftigt sind, und solchen Erwerbstätigen, die faktisch rechtelos sind und auch prekär beschäftigt in Bezug auf ihren Verdienst. In so einer Situation muss die Sozialdemokratie sich auf ihre Grundwerte besinnen und für soziale Gerechtigkeit und für einen Stand auf dem Arbeitsmarkt und für Arbeitnehmerrechte stehen. Das sehe ich natürlich in der CDU/CSU auf gar keinen Fall.
Barenberg: Das ist zunächst mal auch eine Überschrift, Frau Esken. Können Sie uns ein, zwei konkrete Projekte nennen, die Sie dann vorantreiben wollen?
Esken: Wir haben Betriebe, wo die Hälfte der Belegschaft Stammbelegschaft ist, fest angestellt ist, möglicherweise befristet, aber immerhin in normaler Beschäftigung, und wir haben Leiharbeit und die Leiharbeiter verdienen die Hälfte und sie haben keinen Kündigungsschutz in dem Sinne, wie es ihre Kollegen haben. Das sind Zustände in Deutschland, die wirklich inakzeptabel sind.
Wir haben obendrein immer mehr Solo-Selbständige, die eigentlich keine Selbständigen sind, weil sie nur einen Auftraggeber haben, weil sie vollkommen von diesem Auftraggeber abhängen. Aber sie haben keinen Mindestlohn, sie haben keinen Arbeitszeitschutz und sie haben keine soziale Absicherung. Das ist eine Entwicklung, die in diesem Land, in diesem doch reichen Land wirklich inakzeptabel ist. Die soziale Schere, was das anbelangt, geht immer weiter auseinander. Da muss die Sozialdemokratie reagieren.
Wir haben Kinderarmut in diesem Land. Das ist wirklich eine Schande. Und wir gehen nur mit kleinen Stellschräubchen daran. Wir machen nicht den großen Wurf. Eine Große Koalition müsste in der Lage sein, große Würfe zu machen. Diese Große Koalition kann das nicht.
Barenberg: An Sie beide vielleicht noch mal die Frage. Wir haben in dieser auffälligen Runde ja erlebt, wie eine Partei sich intensiv mit sich selbst beschäftigt, auch an sich selbst begeistert. Norbert Walter-Borjans, zum Schluss vielleicht noch mal: Wo in Ihren Augen ist denn die inhaltliche Debatte in der SPD wirklich einen entscheidenden Schritt weitergekommen in diesen langen Wochen der Selbstbeschäftigung?
Walter-Borjans: Erst mal finde ich, eine Partei, die nach meiner festen Überzeugung für die Parlamentarische Demokratie in diesem Land so wichtig ist, wie auch die andere Volkspartei und die demokratischen Parteien, die wir in diesem Land haben, die muss die Möglichkeit haben, in einer solchen Situation auch mal drei Monate oder vier Monate mit sich selber sich zu beschäftigen, weil es geht hier wirklich nicht nur um die nächsten Monate; es geht hier wirklich um die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland. Bei diesen Regionalkonferenzen – das haben manche kritisiert – ist ja sogar mehr über die Inhalte diskutiert worden als über die reine Frage, wer wären denn die richtigen Führungspersonen für die Partei. Wie viele Fragen sind da gestellt worden, gerade zur Frage der sozialen Lage von Menschen, zu Mieten, zur Pflege, zur Rente, all die Dinge, die wirklich den Menschen auf den Nägeln brennen. Ich meine, das Format war vielleicht so, dass wir mit wenigen Minuten, die man antworten konnte, keine lange Diskussion führen konnten, aber ich glaube, die Thematik, die die Wähler der SPD und die Mitglieder der SPD sich wünschen, die ist da sehr deutlich zum Ausdruck gekommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.