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Keine Angst vor Hitlers "Mein Kampf"

Ein britischer Verleger will kommentierte Auszüge von Hitlers "Mein Kampf" an den Kiosk bringen. Der Rechtsextremismusexperte Uwe-Karsten Heye rät zu Gelassenheit. Immerhin seien die Kommentatoren Historiker von Rang. Außerdem finde man im Internet Webseiten, die nicht "weniger menschenfeindlich" seien, als der "intellektuelle Unrat" Hitlers.

Uwe-Karsten Heye im Gespräch mit Friedbert Meurer | 17.01.2012
    Friedbert Meurer: Ein bisschen klingt das schon skurril: ein britischer Verleger will Adolf Hitlers "Mein Kampf" in Deutschland verkaufen. In Heftform soll "Mein Kampf" als Mehrteiler im Kiosk demnächst ausliegen. Es ist der gleiche Verleger, Peter McGee, der die "Zeitungszeugen" herausgeben wollte, neue Drucke zum Beispiel des "Völkischen Beobachters". Dagegen und jetzt auch gegen "Mein Kampf" protestiert das bayrische Finanzministerium, es ist der Rechteinhaber und setzt diese Rechte ein, um zu verhindern, dass NS-Propaganda auf den Markt kommt. Allerdings wie bei den "Zeitungszeugen" soll "Mein Kampf" von Historikern kommentiert erscheinen und auch nur auszugsweise. – Uwe-Karsten Heye ist Vorstandsvorsitzender des Vereins "Gesicht zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland", engagiert sich intensiv gegen den Rechtsextremismus. Guten Morgen, Herr Heye.

    Uwe-Karsten Heye: Ich grüße Sie.

    Meurer: Wie ist das für Sie als Vorstellung, "Mein Kampf" im Kiosk neben "Süddeutscher Zeitung" und "Spiegel"?

    Heye: Ja, es ist nicht nur "Süddeutsche" und "Spiegel", sondern auch zwischen Kochrezepten und der "Gala" und sonstigen zu finden. Dass dann "Mein Kampf" sozusagen auf diese Weise dem Publikum nahe gebracht wird, ist schon merkwürdig. Der Verleger selbst nennt ja das Ganze die Aura des Verbotenen, das den Mythos von "Mein Kampf" ausmache. Mit anderen Worten: Er spekuliert mit dem Gruselfaktor, den Nazis haben, und hofft, dass das Geld in seine Kassen spült. Dennoch würde ich zu Gelassenheit raten. Wenn ich heute mit meinem neunjährigen Sohn oder er durch das Netz surfen würde, könnte er dort Hassseiten finden, die nicht ein Gran weniger menschenfeindlich und une rträglich sind, konzipiert und geschrieben von neuen Rechtsextremisten, und von daher denke ich, wir haben allen Grund, uns erneut mit auch dem intellektuellen Unrat zu beschäftigen, den sowohl "Mein Kampf", als aber auch diese neuen Pamphlete beinhalten.

    Meurer: Nehmen Sie Peter McGee ab, dem britischen Verleger, dass er es eigentlich so meint, dass hier für die populärwissenschaftliche Forschung "Mein Kampf" erscheinen soll?

    Heye: Na ja, Mommsen ist ein Mann, den man nicht einfach zur Seite stellen kann, und Benz ebenfalls nicht, die das kommentieren sollen. Das sind beides Historiker von Rang. Von daher: Nein, ich nehme ihm das nicht ab. Der will Geld verdienen, dieser Mann, das ist doch völlig klar. Dennoch: Man kann ja aus der Not eine Tugend machen. Wenn Sie sich nur noch mal kurz vergegenwärtigen die Zwickauer und Jenaer Geschichte, der Nationalsozialistische Untergrund und die Mordtaten – 160 Tote beklagen wir mittlerweile als Opfer rechtsextremistischer Gewalt, neuer Gewalt in Deutschland -, wenn Sie sich vergegenwärtigen, für mich das Erschreckendste daran war und ist und bleibt, dass die Staatsschützer oder der Verfassungsschutz oder die Polizei nicht eine Sekunde darüber nachgedacht hat, es könnte sich hier um rechtsextremistische Straftaten handeln, sondern sich ausschließlich darum bemüht hat, den Opfern nachzuweisen, dass sie sozusagen selber Schuld an ihrem Schicksal sind, und haben nur darüber nachgedacht, ob es sich um Geldwäsche, Drogen oder innertürkische Auseinandersetzungen, Kurden und Türken oder so.

    Meurer: Also dann sollte man geradezu "Mein Kampf" oder den "Völkischen Beobachter" publizieren, kommentieren, um zu warnen?

    Heye: Man sollte jedenfalls den intellektuellen Unrat, der zur Ausformung dieser Ideologie geführt hat, den sollte man sich noch mal vornehmen und in der Gesellschaft einen Diskurs in Gang setzen, in dem die Mehrheitsgesellschaft sich selber noch mal Rechenschaft ablegt, in welcher Weise sie dazu beiträgt, dass wir sozusagen mit den neuen Nazis nicht angemessen umgehen.

    Meurer: Glauben Sie, dass die neuen Nazis "Mein Kampf" überhaupt lesen?

    Heye: Ich bin wenig geeignet, dazu eine Antwort zu geben. Ich glaube aber, dass nach wie vor dieses Schreckensbuch eine Rolle spielt in der Debatte auch der Neonazis. Welche kann ich nicht genau sagen, aber darum geht es auch nicht. Ich glaube, wir müssen uns mit der Sache beschäftigen und über unsere eigenen Anteile daran, dass wir als weltoffene Gesellschaft immer noch Nachholbedarf haben, noch mal nachdenken.

    Meurer: Bei Harry Potter traut sich keiner, den Namen Lord Voldemort auszusprechen. Haben wir Deutschen uns in den letzten Jahrzehnten ein bisschen ähnlich verhalten?

    Heye: Ja. Ich glaube, dass hier ein großes Maß an Verdrängung eine Rolle spielt, und Verdrängung spielt ja immer dann eine Rolle, wenn man sich schuldig fühlt.

    Meurer: Ist das ein Ausdruck von Schuldverarbeitung, wenn wir jetzt, wenn man die Reaktionen sieht, damit leben können, wenn "Mein Kampf" oder der "Völkische Beobachter" publiziert wird?

    Heye: Ich glaube, jedenfalls sollte man keine Furcht davor haben, dass Menschen diese beiden Bücher, die es ja sind, noch mal zu Gesicht bekommen, damit sie lernen, auf welcher Basis unsere jüngere Geschichte passiert ist und mit welcher sozusagen ideologischen Färbung wir uns auseinandersetzen müssen, damit uns das nicht wieder einholt.

    Meurer: Uwe-Karsten Heye, ehemaliger Regierungssprecher und Vorstandsvorsitzender des Vereins "Gesicht zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland", bei uns im Deutschlandfunk zur bevorstehenden Publikation von "Mein Kampf". Danke schön, Herr Heye. Auf Wiederhören.

    Heye: Es war mir ein Vergnügen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.