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Keine Banalisierung des Dritten Reiches

Mit dem "Drohgespenst" des Dritten Reiches lasse sich leicht Politik machen, sagt der Blogger und Autor Daniel Erk. Anlässlich des 67. Holocaust-Gedenktages bemängelt er, dass zwar viel über die deutsche Vergangenheit berichtet werde, dass aber vieles inhaltlich schlecht gemacht sei.

Daniel Erk im Gespräch mit Christoph Heinemann | 27.01.2012
    Christoph Heinemann: Marcel Reich-Ranicki wird heute im Deutschen Bundestag reden. Der Literaturkritiker hat das Regime überlebt, dem Millionen Juden, Sinti und Roma, Christen, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, Männer und Frauen des Widerstandes, Kriegsgefangene und Deserteure, Greise und Kinder an der Front, Zwangsarbeiter und Soldaten zum Opfer gefallen sind. Die körperlich und seelisch verstümmelten und vergewaltigten gehören dazu und vielleicht sollte man künftig auch der Mitbürgerinnen und Mitbürger gedenken, die in den vergangenen zehn Jahren von Neonazis ermordet wurden – mitten in Deutschland.

    Der 27. Januar ist dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gewidmet. Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, des größten Vernichtungslagers des Nazi-Regimes. - Marcel Reich-Ranicki spricht, wenige Tage nachdem eine Expertenkommission einen Bericht über Antisemitismus in Deutschland vorgelegt hat, der 20 Prozent der Bevölkerung eine latent antisemitische Einstellung bescheinigt.
    Daniel Erk hat in diesem Monat ein Buch vorgelegt, "So viel Hitler war selten: die Banalisierung des Bösen oder warum der Mann mit dem kleinen Bart nicht totzukriegen ist". Daniel Erk arbeitet als Journalist, betreibt für die Tageszeitung "taz" das Hitler-Blog. Guten Morgen.

    Daniel Erk: Guten Morgen.

    Heinemann: Ganz kurz: Welchem Ziel dient Ihr Blog?

    Erk: Das Ziel dient der Einordnung und Beleuchtung der vielfältigen Hitler-Phänomene, die durch die Medien geistern. Das geht von den ominösen Hitler-Vergleichen bis zu Witzen, Filmen, Fundstücken aus dem Internet, Derartiges, und ich versuche darzustellen, woran es anknüpft, was das soll, welche Mythen aufgegriffen werden und welche Intention das hat.

    Heinemann: Und welche?

    Erk: Na das kommt ganz darauf an, das ist im Einzelfall sehr unterschiedlich. In den meisten Fällen ist es so eine Art kathartisches Lachen, das ich feststelle.

    Heinemann: Bitte was?

    Erk: …, dass so eine Katharsis durch Lachen entstehen soll.

    Heinemann: Eine Reinigung, oder?

    Erk: Ja, dass die Beklemmung, die viele bei dem Thema verspüren, in Humor umgemünzt wird, um dem Thema, das emotional sehr groß und unbeherrschbar zu bleiben scheint, irgendwie Herr zu werden. Es gibt aber auch sehr viele Beispiele, in denen eigentlich gar nicht das Dritte Reich oder Hitler selbst bearbeitet werden, sondern der Umgang damit. Man kennt das aus der Titanic oder von Harald Schmidt oder von "Extra 3", dass da eher die eigenartigen Umgangsformen mit der Erinnerungskultur beleuchtet werden und gar nicht die Geschichte selbst.

    Heinemann: Wie wird Hitler konkret banalisiert?

    Erk: Ich glaube, es ist eine Ersatzhandlung. Von einem selbst – ich erwarte das auch von mir selbst, dass ich eine Meinung zum Dritten Reich habe, dass man eine Haltung dazu hat, aber eben anstatt sich mit den unangenehmen und auch sehr schmerzhaften Gegenständen der Geschichte auseinanderzusetzen, setzt man sich eben lieber mit diesen leichter handhabbaren, oft popkulturellen Phänomenen auseinander. Ich selbst habe das so erlebt, dass im Geschichtsunterricht "Schindlers Liste" gezeigt wurde von Steven Spielberg.

    Am Beispiel von "Schindlers Liste" lässt sich das ganz gut zeigen. Der Film erzählt die Geschichte von 600 Juden, die den Holocaust überleben. Der Holocaust selbst aber ist die Geschichte von sechs Millionen, die nicht überleben. Und wenn man sich dann vor Augen führt, was das schmerzhaftere Thema ist und was vielleicht auch komplexer anzugehen ist, dann ist es eben einfacher, "Schindlers Liste" zu sehen oder zu zeigen oder dies nachzuspüren, als sich auf die Suche zu machen, wie diese sechs Millionen Juden beispielsweise tatsächlich gestorben sind.

    Heinemann: Das ist Teil möglicherweise eben auch einer Banalisierung. – Ein anderes Beispiel: Im Jahr 2000 zog die FDP in die nordrhein-westfälische Landtagswahl mit einem Plakat, auf dem Hitler, Bakwan und eine Horrorfratze zu sehen war. Der Text auf dem Plakat lautete: "Wenn wir nicht schnell für mehr Lehrer sorgen, suchen sich unsere Kinder selber welche". Das ist damals als Banalisierung eben scharf kritisiert worden. Nun könnte man sagen, zwölf Jahre und mindestens zehn mutmaßliche Morde der Thüringer Neonazis später klingt das ja fast prophetisch.

    Erk: Ich glaube, der Zusammenhang ist trotzdem ein anderer. Das greift auf die Art und Weise zu kurz. Was die FDP damals versucht hat, ist zu sagen, dass quasi der Hitler in uns und in der deutschen Gesellschaft immer sehr nahe steht, und das ist so ein Drohgespenst, mit dem sich leicht einfach Politik machen lässt, weil eben Hitler ganz generell als das Böse gilt und als abzulehnen. Der Zusammenhang jetzt ist aber etwas komplizierter. Erst mal würde ich sagen, dass diese ganzen Kampagnen, die versuchen, Rechtsradikale und Nationalisten über Hitler zu diskreditieren, es sich ein bisschen zu einfach machen, weil die inhaltliche Auseinandersetzung dort zu kurz greift. In ganz vielen politischen Kampagnen werden einfach Hitler-Bilder gezeigt, und damit soll dann quasi argumentiert werden, warum Neonazismus falsch ist. Man müsste aber eigentlich sich die Mühe machen und das inhaltlich belegen, warum Rassismus, warum Antisemitismus, warum das keine Gesprächsgrundlage sein kann und sein soll.

    Sie haben ja diese Studie des Bundestages über Antisemitismus angesprochen, die besagt, dass 20 Prozent der Deutschen antisemitische Einstellungen haben, und das ist ja eigentlich das Verblüffende, dass man an der Oberfläche denkt, dass in Deutschland die Lektionen aus dem Dritten Reich gelernt sind, dass es einen großen breiten Konsens gibt, dass Nationalsozialismus abzulehnen sei, und dazu gehört eben auch Antisemitismus. Wenn man aber genauer hinschaut, dann ist es nicht so einfach, und es scheint mir so ein bisschen so, dass der Antisemitismus nicht mit Hitler-Bart und Hakenkreuz auftritt, dass ihn viele gar nicht mehr erkennen, weil dieser Zusammenhang zwischen rechtsradikalen antisemitischen Einstellungen und dem Dritten Reich so banal gezogen wird.

    Heinemann: Herr Erk, Sie sind Jahrgang 1980, beneidenswert jung. Die Nachkriegszeit, die Auseinandersetzung der 68er, den Historikerstreit kennen Sie aus Unterricht, aus Filmen, aus der Lektüre, aus Erzählungen. Wie haben Sie sich Ihr Wissen über Hitler angeeignet? Sie haben eben gesagt, Lektionen lernen. Wie haben Sie Ihre Lektion gelernt?

    Erk: Das geht zu allererst auf, glaube ich, meine Familie, meine Eltern zurück, die da auch aus Mitgliedern ihrer Generation wiederum großes Interesse daran hatten, und zum Zweiten, wie wahrscheinlich bei allen mittlerweile, der Geschichtsunterricht spielte da eine große Rolle, und ich hatte das Vergnügen, einen sehr guten Geschichtsunterricht zu bekommen, und das dritte war dann ab einem bestimmten Punkt - ich selbst habe Politikwissenschaften studiert – auch ein eigenes Interesse. Ich glaube, aus diesen drei Bereichen setzt sich das zusammen.

    Heinemann: Lesen Ihre Altersgenossen noch die großen Hitler-Studien von Joachim Fest, Alan Bullock oder Kershaw?

    Erk: Ich bezweifele das stark. Die Studien sind bekannt, ich glaube, die meisten wissen das. Was viele, glaube ich, noch gelesen haben, weil das auch in eine Zeit reinfiel, in der das eigene politische Interesse erweckt wurde, ist "Hitlers willige Helfer". Aber ansonsten gibt es, glaube ich, so viele Punkte, an denen man sich, wenn man das wirklich will, das geschichtliche Wissen aneignen kann - es gibt Ausstellungen, es gibt Museen -, dass die Studie der Bücher, glaube ich, etwas in den Hintergrund gerückt ist.

    Heinemann: 1998 sagte der Schriftsteller Martin Walser in der Frankfurter Paulskirche:

    Martin Walser: "Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung. Was durch Ritualisierung zustande kommt, ist von der Qualität des Lippengebets. Wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, eine Routine des Beschuldigens, merke ich, dass sich in mir etwas gegen die Dauerpräsentation unserer Schande wehrt. Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an, wegzuschauen."

    Heinemann: Daniel Erk, ertappen Sie sich auch manchmal beim Wegschauen?

    Erk: Ehrlich gesagt ganz selten. Mein Problem ist eigentlich eher, dass ich mich darüber ärgere, dass diese ständige Präsentation inhaltlich so schlecht gemacht ist und dass es um so wenige Punkte geht und dass es so wenig umfassend und tiefgehend ist. Ich verstehe das Ärgernis der Omnipräsenz, aber nur dann, wenn man sagt, das Problem ist die Qualität. Die Quantität, würde ich sagen, ist gar nicht das vorwiegende Ding.

    Heinemann: Wie kann man gedenken, ohne in Routine zu erstarren, oder ohne zu banalisieren?

    Erk: Ich habe den Eindruck, dass das offizielle Gedenken sehr stark von bestimmten Phrasen geprägt ist. Das ist zum Beispiel, dass es immer barbarische Verbrechen sein müssen und dass das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte auch genau so in dem Wortlaut ständig benannt werden muss, und ich glaube, dass dadurch gewisse Ermüdungserscheinungen auftreten, und ich glaube, dass vielen Zuhörern die moralische Bewertung vorweggenommen wird, indem man das in so drastischen, aber leeren Worten ausdrückt, und ich habe eigentlich den Eindruck, dass die reinen Zahlen, die Opferzahlen von Zweitem Weltkrieg und Holocaust so eindrucksvoll und bedrückend sind, dass es gar nicht notwendig wäre, dieses Vokabular zu bemühen. Das wäre, glaube ich, so einer der wichtigsten Schritte.

    Das zweite wäre – und das würde ich mir wünschen -, dass sich viel mehr wieder Gedanken darüber machen, was ihre Familie, was ihre Groß- und Urgroßeltern gemacht haben. Es ist möglich, das zu recherchieren, es gibt diese Datenbanken, es gibt die Möglichkeiten. Aber während die Deutschen sehr viele Hitler-Bücher kaufen, sich die Kinofilme anschauen, die Dokumentationen im Dutzend sehen wollen, will keiner so genau wissen, was eigentlich in der eigenen Familie los war.

    Heinemann: Daniel Erk, Journalist, Blogger und Autor des Buchs "So viel Hitler war selten: die Banalisierung des Bösen oder warum der Mann mit dem kleinen Bart nicht totzukriegen ist". Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Erk: Auf Wiederhören.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.