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Keine Festanstellungen mehr

Die italienische Bildungsministerin Mariastella Gelmini steht erneut in der Kritik. Sie will sparen und hat es diesmal auf die festen Stellen an den Hochschulen abgesehen. Sie sollen abgeschafft und durch Dreijahresverträge ersetzt werden.

Von Thomas Migge | 19.05.2010
    Eine Aula der literaturwissenschaftlichen Fakultät von La Sapienza, Roms größter Universität. Studierende und Hochschullehrer diskutieren darüber, was zu tun ist.

    Mit einem Megaphon verkündet schließlich einer der Studierenden den vor dem Gebäude versammelten Kommilitonen, dass "la rivolta", die Rebellion, so nennen sie ihren Protest, solange andauern wird, bis die Bildungsministerin einlenkt.

    Proteste, Sit-ins, Demonstrationen, Besetzung von Aulen und Seminarräumen. An Hochschulen Italiens ist es wieder so weit. Erneut wenden sich Studierende und Professoren gegen Bildungsministerin Mariastella Gelmini. Sie ist wieder einmal Buhmann Nummer eins. Aus verständlichem Grund, erklärt Francesco Dassa. Er studiert im dritten Jahr Chemie:

    "Wir sind davon überzeugt, dass es vollkommen absurd ist, die Figur des Wissenschaftlers, so wie man sie bisher kennt, abzuschaffen. Die Ministerin hat anscheinend nichts Besseres zu tun, als unser Hochschulsystem langsam aber sicher zu demontieren, anstatt sich für Wissenschaft und Bildung verantwortlich zu fühlen."

    Bildungsministerin Gelmini schafft mit einem Gesetzesdekret - das ist ein Gesetz, das von Ministerrat ohne Debatte in den beiden Kammern des Parlaments verabschiedet wird - die akademischen "ruoli" ab. Ein "ruolo", zu deutsch: eine Rolle, ist ein juristischer, akademischer und auch finanzieller Status innerhalb einer Hochschule. Ein Status, den man durch eine Stellenausschreibung und/oder einen Test erlangt, der zeitlich unbegrenzt ist und eine entsprechende Bezahlung vorsieht. Innerhalb einer Hochschule oder einem Wissenschaftsinstitut ist ein "ruolo" eine feste Stelle: das lang ersehnte Ziel zahlloser Hochschulabgänger, ob in Geistes- oder Naturwissenschaften. So hofft auch Claudio Mattis, der gerade seinen Doktor in experimenteller Mathematik macht und bereits über einen Zeitvertrag als Nachwuchswissenschaftler in der Mathematikfakultät von la Sapienza verfügt, irgendwann einmal eine feste Stelle zu erhalten:

    "Es ist doch wohl klar, dass wir alle die Hoffnung haben, einen Job zu finden. Einen Job in der Forschung und für die ist ja nicht nur die Privatwirtschaft verantwortlich, sondern vor allem der Staat. Wie kann man zum Beispiel in der Mathematik Grundlagenforschung machen, wenn nicht nur das Geld fehlt, sondern die Posten der Forscher ständig unsicher sind? Hier muss man doch reagieren."

    Aber ob es etwas nützt?

    Sämtliche von Bildungsministerin Gelmini gegen den Willen von Studierenden und Hochschullehrern beschlossenen Maßnahmen wurden auch in die Realität umgesetzt. So wird es wahrscheinlich auch dieses Mal sein.

    Die Ministerin begründet ihr neues Gesetz mit dem Hinweis auf die Weltwirtschaftskrise und die extrem hohe Staatsverschuldung Italiens. So will sie sparen, auch im Hochschul- und Wissenschaftsbereich. Mit dem Rotstift in der Hand erinnert sie daran, dass feste Stellen mehr kosten als Zeitarbeitsverträge.

    Nach dem neuen Gesetzesdekret wird die akademische Figur des Wissenschaftlers zukünftig nicht mehr existieren. Alle neuen Arbeitsverträge sollen maximal drei Jahren dauern, können dann aber erneuert werden. Auf das Argument, wonach auf diese Weise von einer sozialen Absicherung des wissenschaftlichen Nachwuchs keine Rede mehr sein kann, antwortet die Ministerin mit dem Hinweis auf die allgemeine Krise, in der alle Bevölkerungs- und Berufsgruppen Opfer bringen müssen.

    Die protestierenden Studierenden, Wissenschaftler und Hochschullehrer finden auch einen weiteren Punkt des Gesetzes skandalös. Dazu Alessandra Mori, Wissenschaftlerin am forschungsmedizinischen Institut der Universität Roma Tre:

    "Wenn die Ministerin darauf hinweist, dass die zeitlich begrenzten Arbeitsverträge in Wissenschaft und Forschung ja immer wieder verlängert werden können, entspricht das nur bedingt der Wahrheit, denn sie erklärte ja auch, dass die Arbeitsverträge nur dann verlängert werden können, wenn die Unis mit ihren Bilanzen im Reinen sind. Die Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen haben also keine direkten Mitspracherechte."

    Will eine Hochschule oder ein Wissenschaftsinstitut einen Zeitvertrag erneuern kann aber keine positiven Bilanzen vorweisen muss der entsprechende Forscher entlassen werden, auch wenn er als noch so hoch qualifiziert gilt. Ein Skandal, schimpfen die Protestierenden, deren Aktionen inzwischen auf ganz Italien übergegriffen haben. Von Mailand bis Palermo wird gegen das neue Gesetz rebelliert.